Hallo Karl,
zunächst einmal möchte ich Dir sagen, dass mich Deine Art der Analyse und wie Du an den Bericht der Bibel herangehst, sehr beeindruckt hat. Es passiert heutzutage leider nicht mehr sehr oft, dass jemand die Heilige Schrift aufmerksam liest, das Gelesene durchdenkt und sich dann fragt, was das über Gott und Menschen aussagt und wie das in den Kontext der Bibel passt.
Ich freue mich daher, mich Dir bei der Analyse anzuschließen und Dir einige Gedanken mitzuteilen, die mir geholfen haben, die geschilderte Begebenheit über den Turmbau zu Babel und Gottes Reaktion darauf in einem Licht zu sehen, das für mich nachvollziehbar war und ist … und 100% zu dem Schöpfer aller Dinge passt, der es nicht nötig hat, mit Menschen wettzueifern oder sich gar vor deren „Übermacht“ schützen zu müssen.
Zunächst einmal möchte ich die Begebenheit wiederholen, wie Sie in der Bibel geschrieben steht und wie es bei Dir sinngemäß genauso wiedergegeben sein wird. Ich verwende eine sehr genaue Übersetzung, die sich bemüht (entgegen dem Trend einer umgangssprachlich freien Wiedergabe), sehr nah am Urtext zu bleiben. In meiner Bibel wird der Name Gottes, der im Urtext mit „JHWH“ angeführt wird, mit „Jehova“ wiedergeben, andere schreiben „Jahwe“, was wohl die wahrscheinlichere, aber weltweit deutlich weniger bekannte Wiedergabe seit dem Mittelalter ist:
(1. Mose 11 Verse 1-8) "1 Die ganze Erde nun hatte weiterhin eine Sprache und einerlei Wortschatz. 2 Und es geschah, dass sie, als sie ostwärts zogen, schließlich eine Talebene im Land Schịnar entdeckten, und sie schlugen dort ihren Wohnsitz auf. 3 Und sie begannen zueinander zu sprechen: „Auf! Lasst uns Ziegelsteine machen und sie zu Backsteinen brennen.“ So diente ihnen der Ziegel als Stein, der Asphalt aber diente ihnen als Mörtel. 4 Nun sagten sie: „Auf! Lasst uns eine Stadt und auch einen Turm bauen mit seiner Spitze bis in die Himmel, und machen wir uns einen berühmten Namen, damit wir nicht über die ganze Erdoberfläche zerstreut werden.“ 5 Und Jehova fuhr dann herab, um die Stadt und den Turm zu sehen, die die Menschensöhne gebaut hatten. 6 Darauf sprach Jehova: „Siehe! Sie sind e i n Volk, und sie haben alle eine Sprache, und dies fangen sie an zu tun. Ja, nun wird ihnen nichts, was sie zu tun gedenken, unerreichbar sein. 7 Auf! Lasst uns hinabsteigen und dort ihre Sprache verwirren, damit sie nicht einer auf des anderen Sprache hören.“ 8 Dementsprechend zerstreute sie Jehova von dort über die ganze Erdoberfläche, und sie hörten allmählich auf, die Stadt zu bauen."
Wenn man das so liest, könnte man tatsächlich erst einmal zu dem Schluss kommen, Jehova hätte sich gegen eine mögliche, menschliche Übermacht schützen müssen und habe deshalb zu dem drastischen Mittel der Sprachenverwirrung greifen müssen.
Zunächst ein paar Hintergrund-Recherchen:
(1) Wann hat der Turmbau und die Sprachenverwirrung überhaupt stattgefunden?
Gemäß 1. Mose 10 Vers 25 wurde die Erde in den Tagen des Peleg „geteilt“ oder durch die Sprachenverwirrung aufgeteilt (der Name „Peleg“ bedeutet übrigens auch „Teilung“). Dort heißt es:
„Und dem Ẹber wurden zwei Söhne geboren. Der Name des einen war Pẹleg, denn in seinen Tagen wurde die Erde geteilt; und der Name seines Bruders war Jọktan.“
Da die biblische Chronologie sehr detailliert ist und sich durch die genaue Angabe von Lebenszeiten, dem Alter der Vaterschaft (siehe 1. Mose 11 Vers 16) und Ereignissen auf der Weltbühne eine zeitliche Einordnung recht einfach möglich ist, wissen wir, dass Peleg von 2269 bis 2030 v. u. Z. (andere schreiben v.Chr. was nicht ganz aber in etwa identisch ist) lebte und dass folglich während seine Lebenszeit dieses Ereignis stattgefunden hat.
Dieses Geschehen trug sich also etwa 200 Jahre nach der Sintflut zu. Noah war ungefähr 800 Jahre alt und hatte mittlerweile Tausende von Nachkommen. Sie alle sprachen die gleiche Sprache und lebten gemeinsam in der Region, in der sich Noah und seine Söhne nach der Flut niedergelassen hatten (1. Mose 11 Vers 1). Irgendwann zog ein Teil der wachsenden Bevölkerung ostwärts und entdeckte eine Talebene im Land Schinar in Mesopotamien (1. Mose 11 Vers 2).
(2) Wer war die treibende Kraft hinter dem Bau der Stadt Babel (der Name „Babel“ bedeutet „Verwirrung“) und des großen Turms?
Wie 1. Mose 10 Vers 9+10 zeigen, war es Nimrod, ein Sohn Kuschs (siehe 1. Chronika 1 Vers 10), Enkel Hams und Urenkels Noahs, der hinter diesen Vorhaben steckte:
"Er erwies sich als ein gewaltiger Jäger im Widerstand gegen Jehova. Deshalb gibt es eine Redensart: „So wie Nịmrod, ein gewaltiger Jäger im Widerstand gegen Jehova.“ Und der Anfang seines Königreiches wurde Bạbel und Ẹrech und Ạkkad und Kạlne im Land Schịnar."
Auch wenn die Wiedergabe von 1. Mose 10 Vers 9 nicht in allen Bibelübersetzungen einheitlich ist, so geht sowohl aus den jüdischen Targumen als auch aus den Schriften des Geschichtsschreibers Josephus und aus dem Kontext von 1. Mose Kapitel 10 geht hervor, dass Nimrod ein gewaltiger Jäger im Trotz gegen Jehova war.
Rabbinische Aufzeichnungen leiten den Namen „Nimrod“ von dem hebräischen Verb „marádh“ her, das „rebellieren“ bedeutet. Diesbezüglich heißt es im babylonischen Talmud (Eruvin 53a): „Nimrod werde er deshalb genannt, weil er die ganze Welt widerspenstig gegen ihn [Fußnote: Gott] machte“
Der bereits genannte Geschichtsforscher Joseph ben Mathitjahu oder Josephus (geboren im Jahr 37 u.Z.) schrieb: „Allmählich verkehrte er [Nimrod] sein Benehmen in Tyrannei, weil er die Menschen umso eher von Gott abzuwenden gedachte, wenn sie der eigenen Kraft hartnäckig vertrauten. Er wolle, sagte er, sich an Gott rächen, falls er mit erneuter Flut die Erde bedränge, und er wolle einen Turm bauen, so hoch, dass die Wasserflut ihn nicht übersteigen könne. So werde er für den Untergang seiner Vorfahren Vergeltung üben. Die Menge pflichtete den Absichten Nebrods [Nimrods] bereitwillig bei, da sie es für Feigheit hielt, Gott noch zu gehorchen. Und so machten sie sich an die Erbauung des Turmes, der . . . schnell in die Höhe wuchs“ (Jüdische Altertümer, übersetzt von H. Clementz, 1. Buch, Kap. 4, Abs. 2, 3, S. 31, 32).
Was war aus Gottes Sicht also falsch an dem Verhalten von Nimrod und den Menschen, die die Stadt Babel und andere Städte gründeten und den großen Turm bauten?
Gott hatte seinen Vorsatz erklärt, indem er dem ersten Menschenpaar gemäß 1. Mose 1 Vers 28 gebot:
_ „Seid fruchtbar, und werdet viele, und füllt die Erde“. _
Nach der Sintflut wurde das Gebot Noah und seinen Söhnen gegenüber wiederholt. Gott wies sie gemäß 1. Mose 9:7 an:
_ „Und ihr, seid fruchtbar, und werdet viele, lasst die Erde von euch wimmeln, und werdet viele auf ihr“. _
Sich dieser Anweisung Jehovas widersetzend, bauten die Leute eine Stadt, um „nicht über die ganze Erdoberfläche zerstreut“ zu werden (gemäß 1. Mose 11 Vers 4).
Allem Anschein nach dehnte Nimrod nach dem Bau des Turmes von Babel sein Reich in das Gebiet von Assyrien aus und baute dort „Ninive . . . und Rehoboth-Ir und Kalach und Resen zwischen Ninive und Kalach: das ist die große Stadt“ (gemäß 1. Mose 10 Vers 11+12; siehe auch Micha 5 Vers 6). Da der Name „Assyrien“ offenbar auf den Namen von Sems Sohn Assur zurückgeht, würde das bedeuten, dass Nimrod, der ein Enkel Hams war, in semitisches Gebiet eindrang. Er wurde daher vermutlich nicht nur in dem Sinn ein Gewaltiger oder Held, dass er Tiere jagte, sondern auch dadurch, dass er Angriffskriege führte (siehe 1. Mose 10 Vers 8).
In der Cyclopædia von M’Clintock und Strong (1894, Bd. VII, S. 109) heißt es:
„Dass das mächtige Jagen nicht auf die Jagd von Tieren beschränkt war, ergibt sich offensichtlich aus dem engen Bezug zu dem Bau von acht Städten. . . . Was Nimrod auf der Jagd tat, war ein frühes Anzeichen seiner Erfolge als Eroberer. Jagd und Heldentum waren nämlich von jeher in besonderer Weise und naturgegeben miteinander verknüpft . . . Die assyrischen Denkmäler stellen viele Heldentaten auf dem Gebiet der Jagd dar, und das Wort wird oft gebraucht, um die Teilnahme an einem Feldzug anzudeuten. . . . Das Jagen und die Schlacht, die in der Folgezeit in dem gleichen Land so eng miteinander verbunden waren, können hier praktisch verknüpft oder gleichgesetzt werden. Die Bedeutung wäre demnach, dass Nimrod der erste nach der Flut war, der ein Königreich gründete und die Bruchstücke der patriarchalischen Herrschaft zusammenbrachte, um sie unter sich allein als Haupt und Herr zu vereinigen; und all das geschah im Trotz gegen Jehova, denn es war das gewaltsame Eindringen hamitischer Macht in semitisches Territorium.“
Unter Berücksichtigung dieser gesammelten Fakten stellt sich die Situation also wie folgt dar:
In den Tagen Nimrods kam es zu einer Rebellion. Ungehorsame Menschen sammelten sich an einem Ort, der später den Namen „Babel“ erhielt, und wollten — entgegen der Anweisung Jehovas — dort unbedingt zusammenbleiben. Sie fingen an, einen riesigen Turm zu bauen, nicht um Jehova zu ehren, sondern um sich selbst „einen berühmten Namen“ zu machen. Deshalb verwirrte Jehova die Sprache dieser Rebellen und gab ihnen völlig unterschiedliche Sprachen.
Der allmächtige Gott wirkte ihrem vermessenen Vorhaben also entgegen, indem er ihr gemeinsames Unternehmen sprengte, was ihm durch die Verwirrung ihrer einheitlichen Sprache gelang. Das machte jegliche Zusammenarbeit bei ihrer Aktion unmöglich und hatte zur Folge, dass sie sich in alle Winde zerstreuten, wie es Gott ursprünglich vorgesehen hatte, … ursprünglich jedoch mit einer weltweit einheitlichen Sprache.
Dass Jehova allmächtig und daher weit über dem Menschen steht und dass er außerdem in der Bibel einheitlich als ein grundsätzlich sehr barmherziger und rücksichtsvoller Gott beschrieben wird, bedeutet nicht, dass er das Treiben der Menschen wahllos zulässt und nie eingreift oder grobe Rebellion ungestraft lässt. Auch das zeigt Gottes Wort. Er hat dem Menschen zwar Willensfreiheit gegeben, aber letzten Endes wacht der Schöpfer doch darüber, dass nichts geschieht, was seinem langfristigen Vorsatz mit der Erde und den Menschen entgegensteht, … und das ist ja wohl auch sein gutes Recht als Erschaffer alles Lebenden.
Daher ist es an uns, sein Wort und seinen Willen gut kennen zu lernen und unser Leben nach ihm auszurichten, anstatt – so wie Nimrod und viele Menschen seiner Tage – rebellisch dem entgegen zu wirken. Letztlich ist alles eine Sache von Ursache und Wirkung. In diesem Licht betrachtet zeigt der Bericht in 1. Mose 11, dass Gottes Vorsatz zu dem von ihm bestimmten Ende kommen wird, auch wenn Menschen durch den Sündenfall und anderes rebellisches Verhalten bei Jehova ein besonderes Vorgehen bewirkt haben. So wird es auch in Jesaja 55 Vers 8-11 ausgedrückt:
"8 Denn eure Gedanken sind nicht meine Gedanken, noch sind meine Wege eure Wege“ ist der Ausspruch Jehovas. 9 „Denn wie die Himmel höher sind als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn so, wie der strömende Regen und der Schnee von den Himmeln herabkommt und nicht an jenen Ort zurückkehrt, es sei denn, er habe tatsächlich die Erde satt getränkt und sie [Ertrag] hervorbringen und sprossen lassen und dem Sämann tatsächlich Samen gegeben und Brot dem Essenden, 11 so wird sich mein Wort erweisen, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht ergebnislos zu mir zurückkehren, sondern es wird gewiss das tun, woran ich Gefallen gehabt habe, und es wird bestimmt Erfolg haben in dem, wozu ich es gesandt habe."
Liebe Grüße
Andreas