HalloLeute,
da es mir immer wieder wehtut, das das Sächsische runtergemachtwird, hier ein Text zur Sprachhistorie:
Säggsch
Aufstieg, Abstieg und Pflege einer Mundart / Von Sara Hakerni
Die besondere Tragik der sächsischen Mundart liegt darin, daß alle Welt glaubt, Sächsisch sei schludrig ausgesprochenes Hochdeutsch, wo es sich in Wahrheit doch genau umgekehrt verhält: Hochdeutsch ist schlampig artikuliertes Sächsisch. Schuld daran sind die Preußen. Bis zum Siebenjährigen Krieg, den Friedrich der Große im Jahr 1756 vom Zaun brach, galten die Sachsen als hervorragende Kulturnation - noch heute würde ein wahrer Dresdner lieber erstikken, als während einer Opernvorstellung zu husten - und das Sächsische folglich als vorbildliches Deutsch. Vornehme Leute ließen ihre Kinder Deutsch mit sächsischer Aussprache lernen, und wer es sich, wie Goethes Eltern, leisten konnte, schickte seinen Sprößling zum Studium nach Leipzig.
Den Aufstieg von einer Mundart zum standardsprachlichen Deutsch verdankt der Dialekt Luther. Denn in Sachsen schaute der Reformator in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dem Volk aufs Maul, um sodann das Sächsische seiner Bibelübersetzung zugrunde zu legen. Nicht weil er dem Kurfürstentum sonderlich zugetan gewesen wäre, sondern aus pragmatischen Erwägungen: Als Siedlersprache der einstigen Mark Meißen wurde Sächsisch fast überall im Heiligen Römischen Reich verstanden.
Zwischen dem neunten und dem elften Jahrhundert kamen Siedler aus den drei großen Sprachlandschaften des Deutschen - dem Oberdeutschen, dem Mitteldeutschen und dem Niederdeutsehen - nach Sachsen. Sie gründeten dort eigene Dörfer, später auch Städte mit deutschen Ortsnamen, die auf -burg, -berg, -bach, -grün, -stein, -hain, -walde und -rode endeten, oder ließen sich in schon bestehenden sorbischen Siedlungen nieder. Im Hoch- und Spätmittelalter entwickelte sich aus den Sprachen der deutschen Siedler mit Einflüssen aus dem Thüringischen, Flämischen und Sorbischen eine einheitliche Verkehrssprache: die Meißnische Kanzleisprache.
Durch Luthers Bibelübersetzung wurde die Grammatik des Meißnischen im ganzen deutschen Sprachraum verbreitet, so daß die Sprecher dieses Dialekts heute noch mit Fug und Recht behaupten können, die hochdeutsche Grammatik sei im wesentlichen sächsisch. Deshalb würde ein Sachse, dem die korrekte Grammatik gewissermaßen in die Wiege gelegt ist, auch niemals einen Satz wie „Das ist die Frau, der wo ihr Mann im Krankenhaus liegt“ über die Lippen bringen. Zum Unglück der sächsischen Mundart starb im sechsten Jahr des Siebenjährigen Krieges die Zarin Elisabeth. Ihr folgte Peter 111., ein Bewunderer Friedrichs des Großen, auf den Thron, und Preußen verlor einen seiner erbittertsten Gegner.
Die sprachliche Folge des Friedens von Hubertusburg im Jahr 1763 und der zunehmenden Vorrangstellung Preußens war eine ebenfalls zunehmende Hochschätzung der niederdeutschen Aussprache, wie sie in Norddeutschland üblich geworden war. Mit dem ersten deutschen Aussprachewörterbuch, der „Deutschen Bühnenaussprache“, die Theodor Siebs 1898 veröffentlichte, wurde die niederdeutsche Aussprache schließlich als die standartsprachliche Artikulation des Schriftdeutschen aktzeptiert. Daneben wirkt das Sächsische mit seiner zwar korrekten Grammatik, jedoch vollkmmen anderen Aussprache des Schriftdeutschen nun wie verzerrtes Hochdeutsch - wobei als echtes Sächsisch nur dijenigen Dialekte gelten, die in dem Dreieck, das die Städte Leipzig, Dresden und Chenmitz bilden, gesprochen werden. Grob vereinfacht sind im Osten dieses Dreiecks die osterländischen Dialekte angesiedelt und im Westen die meißnischen. In den übrigen Gebieten Sachsens sprechen die Menschen stolz die Prestigemundarten Erzgebirgisch, Vogtländisch und Lausitzisch.
Von der hochdeutschen Lautung unterscheidet sich das echte Sächsisch deutlich in der Aussprache der stimmlosen Plosive „p, t, k“. Plosive heißen diese Konsonanten, weil der Luftstrom bei der Artikulation in der Mundhöhle zunächst vollständig blockiert und dann plötzlich, wie bei einer Explosion, hinausgelassen wird. Im Sächsischen werden die Plosive stimmhaft artikuliert und sind deshalb akustisch nicht von den Konsonanten „b, d, g“ zu unterscheiden. Zudem fallen im Sächsischen der „ich“- und der „ach“-Laut zusammen, was dazu führen kann, daß sächsische Schulkinder erstaunt fragen, weshalb „Disch“ einmal mit den Buchstaben t, i, s, c und h geschrieben werde und ein anderes mal mit d, i, c und h. Auch die Aussprache der Vokale weicht von der Standardsprache ab. Die hochdeutschen Diphthonge zweifach tönende Laute wie „ei“ oder „eu“ - werden monophthongiert, und so bittet die Sächsin, wenn sie eine Tasse Kaffee bestellt, nicht um „Ein Schälchen Heißen“, sondern um „Een Scheelsch’n Heeßen“.
Wegen dieser artikulatorischen Eigenheiten und des fortgesetzten Prestigeverfalls im 20. Jahrhundert wurde das Sächsische zu einem Instrument sprachlicher Komik. Das geringe Ansehen der Mundart wurde auf ihre Sprecher übertragen: Schon im DDR-Fernsehen war es immer der Dumme oder „Dämel“, der sächselte, während der Gewiefte berlinerte und der Fremde bairisch sprach oder schwäbelte. Dieses Schema hat auch nach der Wiedervereinigung Bestand und führt bei vielen Sachsen bis heute zu einem gespaltenen Verhältnis zu ihrem Dialekt: Sie schämen sich für ihr Sächsisch, das sie, anders als die Sprecher des Bairisehen etwa, nicht als eine eigene Sprache wahrnehmen, was an der grammatischen Nähe zum Hochdeutschen liegt. Andererseits führt gerade dieses Schamgefühl zu einer Trotzhaltung, die oft, wenn auch meist auf der Ebene der Selbstpersiflage, in einem Lied kulminiert. So gibt in zwei Wochen die D.C. School eine CD mit dem Titel „Sächsisch für Wessis“ heraus: Sie besteht aus einer Art Sprachkurs und dem Lied „Ich will immer nur Kartoffelsubbe“, die der echte Sachse allerdings „Gardoff’Isubbe“ ausspricht,
Quelle und copyright: FAZ vom 8. April 2001
Tschuess Marco