Rot-Grün-Störung, Häufigkeit bei Mann und Frau

Hallo,

im Brett „Naturwissenschaften allgem.“ läuft gerade ein Thread „Rot-Grün-Sehschwäche“.

Als Betroffener interessiert mich folgendes.

Durch die Evolution werden ja nachteilige Eigenschaften langsam ausgemerzt, d.h. dass für Männer die Rot-Grün-Schwäche weniger Nachteile hat als für Frauen. Männer ca. 10%, Frauen ca. 0,1 %

Spontan könnte man sagen, da die Frauen eher die Pflücker von Beeren waren, mussten sie diese auch im grünen Gras finden können, aber wenn ich einen braunen Bären im grünen Wald nicht sehe, bin ich deutlich gefährdeter als die Frau, die ein paar Beeren überzieht.

Bin auf eure Hinweise, Meinungen sehr gespannt.

Gruß Volker

Bei meiner Musterung wurde mir eine Grün-Schwäche attestiert. Rot-Grün-Schwäche soll noch seltener sein. Es könnte ja auch sein, dass sich die Grünschwäche vermehrt bei Männern als Frauen durchgesetzt hat, weil dabei eine ganz andere Fähigkeit wie räumliche Orientierung mit der Grünsehfähigkeit in Konflikt stünde.

Hallo erstmal,

sein, dass sich die Grünschwäche vermehrt bei Männern als
Frauen durchgesetzt hat, weil dabei eine ganz andere Fähigkeit
wie räumliche Orientierung mit der Grünsehfähigkeit in
Konflikt stünde.

Den Gedankengang kann ich nicht nachvollziehen, weshalb kann man(n) bei einer Rot-Grün-Schwäche besser räumlich sehen?

Schönen Tag noch
Volker

Hallo Volker!

Ich würde mir da keine zuuu großen Gedanken drüber machen. Die Gene für die Sehpigmente in den Augen werden nunmal auf dem X-Chromosom kodiert und Männer haben halt nur eins. Irgendwelche Gene müssen ja auf dem X-Chromosom sein. Mehr kann ich aber auch nicht sagen.

Gruß, Stefan

Hallo Stefan,

Ich würde mir da keine zuuu großen Gedanken drüber machen.

Warum nicht?
Schaden kann ich bei mir nicht mehr anrichten.

Die
Gene für die Sehpigmente in den Augen werden nunmal auf dem
X-Chromosom kodiert und Männer haben halt nur eins.
Irgendwelche Gene müssen ja auf dem X-Chromosom sein. Mehr
kann ich aber auch nicht sagen.

Dies ist mir sehr wohl bekannt, aber löst meine Frage nicht wirklich.
Trotzdem vielen Dank für Deine Antwort.

Gruß Volker

Hallo Volker,

das hat nichts mit Vorteilen oder Nachteilen bei den Geschlechtern zu tun, sondern ist eine rein statistische Verteilung. Laut Wikipedia sind von der Rot-Grün-Schwäche übrigens etwa 8 % aller Männer und etwa 0,8 % der Frauen betroffen. Ich mache zur Verdeutlichung mal ein vereinfachtes Rechenbeispiel, hole dann aber der Genauigkeit halber etwas weiter aus:

Da die Männer ihr X-Chromosom ausschließlich von der Mutter haben, müssen auch 8% der weiblichen Gameten den Defekt tragen. Wir kommen also (der relativ kleine Anteil der homozygoten Merkmalsträgerinnen wird der Einfachheit halber mal vernachlässigt) auf rund 16% Konduktoren bei den Frauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der 8% RG-defizitären Männer mit einer der 16% weiblicher Konduktoren zusammenkommt, liegt bei 1,28%. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei weiblichen Nachkommen dieser Paare eine homozygote Merkmalsträgerin dabei ist, beträgt bei den betroffenen Paaren 50%. Die Gesamtwahrscheinlichkeit liegt also bei ungefähr 0,64% für weibliche Nachkommen. Das liegt ja schon sehr nahe bei den angegebenen Werten.

Will man mehr wissen, kann das auch systematischer machen. Sagen wir, X ist das normale Allel des X-Chromosoms, Y das Y-Chromosom und (kleines) x das defekte Allel auf dem X-Chromosom. Die Häufigkeit/Frequenz von X sei als p1, die von x als p2 und die von Y als q bezeichnet. Zuerst mal bei den Männern:

gesunde Männer (XY): 92% = 0,92
betroffene Männer (xY): 8% = 0,08

Daraus ergeben sich folgende Allelfrequenzen bei den männlichen Keimzellen (weil sich X- und Y-Chromosom der Männer zu je 50% auf die Spermien verteilen):

X: p1 = 0,92 / 2 = 0,46 (46%)
x: p2 = 0,08 / 2 = 0,04 (4%)
Y: q = (0,92 + 0,08) / 2 = 0,5 (50%)

Weil alle betroffenen Männer ihr X-Chromosom von ihren Müttern haben, muss also die Allelfrequenz bei den Frauen auch genau 8% betragen, also ergibt sich die folgende Häufigkeit:

X: 92% = 0,92 = p1
x: 8% = 0,08 = p2

Wenn wir nun ein Kreuzungsschema anlegen, ergeben sich insgesamt folgende Kombinationsmöglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten (mütterlich * väterlich):

männlicher gesunder Nachkomme (XY): p1 * q = 0,92 * 0,5 = 0,46
weiblicher gesunder Nachkomme (XX): p1 * p1 = 0,92 * 0,46 = 0,4232
weiblicher gesunder Konduktor (Xx): p1 * p2 = 0,92 * 0,04 = 0,0368
männlicher betroffener Nachkomme (xY): p2 * q = 0,08 * 0,5 = 0,04
weiblicher gesunder Konduktor (xX): p2 * p1 = 0,08 * 0,46 = 0,0368
weiblicher betroffener Nachkomme (xx): p2 * p2 = 0,08 * 0,04 = 0,0032

Es sind nun also nicht nur die Allelfrequenzen der Keimzellen, sondern auch die zu erwartenden Wahrscheinlichkeiten der Allelkombinationen bekannt. Die angegebenen Werte stellen jeweils die Gesamtwahrscheinlichkeit für die Bevölkerung dar. Möchten wir die prozentualen Anteile der männlichen und weiblichen Nachkommen separat haben, multiplizieren wir also bloß die Zahlen mit 2. Dadurch ergeben sich folgende Wahrscheinlichkeiten bei den Männern:

betroffene (xY): 0,04 * 2 = 0,08 = 8%
gesunde (XY): 0,46 * 2 = 0,92 = 92%

Bei den Frauen sieht das so aus:

betroffene (xx): 0,32 * 2 = 0,64%
Konduktorinnen (Xx) bzw. (xX): (0,0368 + 0,0368) * 2 = 0,1472 = 14,72%
gesunde (XX): 0,4232 * 2 = 0,8464 = 84,64%

Dies sind die theoretisch zu erwartenden Wahrscheinlichkeiten. Die Literaturangaben schwanken zwar, jedoch befinden sie sich sehr nahe an der zu erwartenden Größenordnung. Die Verteilung der Rot-Grün-Schwäche zwischen Männern und Frauen hat also überhaupt nichts mit Selektionsdruck u.s.w. zu tun, sondern ist ausschließlich auf die statistische Verteilung der Allele in der Bevölkerung zurückzuführen.

LG
Huttatta

Hallo Huttatta!

Man könnte sich jedoch die Frage stellen, weshalb die Genloci für die Sehpigmente nicht auf Autosomen liegen, wo doch so viele Männer farbenblind sind.

Gruß, Stefan

Man könnte sich jedoch die Frage stellen, weshalb die Genloci
für die Sehpigmente nicht auf Autosomen liegen, wo doch so
viele Männer farbenblind sind.

Die Frage ist bei der Farbenbenblindheit eher unspannend, weil man damit ganz gut zurecht kommt. Wesentlich interessanter ist die Frage, warum auch lebenswichtige Gene, wie beispielsweise für die Blutgerinnungsfaktoren VIII und IX auf dem X-Chromosom liegen.

Hallo DrStupid,

Die Frage ist bei der Farbenbenblindheit eher unspannend, weil
man damit ganz gut zurecht kommt. Wesentlich interessanter ist
die Frage, warum auch lebenswichtige Gene, wie beispielsweise
für die Blutgerinnungsfaktoren VIII und IX auf dem X-Chromosom
liegen.

„Lebenswichtig“ ist bei den Gerinnungsfaktoren ein relativer Ausdruck. Da gibt es noch viel lebenswichtigere Gene, deren Ausfall bereits embryonal letal ist. Konsequenterweise müsste man aber fragen, warum überhaupt irgendetwas, das nicht ausschließlich der Geschlechtsdetermination dient, auf dem X-Chromosom liegt. Ich finde diese Frage aber generell unspannend, weil dieser Frage nicht allzu schwer beizukommen ist:

Die Gonosomen waren nämlich in grauer Vorzeit noch gar keine ausgesprochenen Gonosomen, sondern identische, diploid vorliegende Autosomen, wobei die geschlechtsbestimmenden Gene früher durch exogene Faktoren gesteuert wurden, so wie das bei vielen zweihäusigen und teils zwittrigen Pflanzen oder auch z.B. beim Krokodil und anderen Reptilien (Temperatur) bekanntermaßen der Fall ist. Die Auftrennung in das X- und Y-Chromosom fand also irgendwann statt und die nicht direkt geschlechtsbestimmenden Gene, wenn auch nur vergleichsweise wenige, sind nichts als Überreste der damaligen Autosomen. Die pseuduautosomalen Regionen sprechen dafür und sind schließlich für die Segregation der Gonosomen unverzichtbar (PAR1: obligatorisches Crossing-Over bei der Meiose des Mannes).

Dadurch konnte von nun an das Verhältnis der Geschlechter konstant gehalten werden und es war keinen nachteiligen Schwankungen und Verschiebungen mehr unterworfen. Offenbar wiegt dieser Vorteil schwerer als der Nachteil einer einfachen Genkopie bei den männlichen Vertretern.

LG
Huttatta

„Lebenswichtig“ ist bei den Gerinnungsfaktoren ein relativer
Ausdruck.

Eigentlich nicht. Wer an schwerer Hämophilie leidet, wird ohne Behandlung üblicherweise nicht alt genug, um seine Gene weiterzugeben. In der Evolution hat das fast denselben Effekt wie eine Letalmutation - aber eben nur fast. Für die Poupulation ist es von Nachteil, wenn sie auf diese Weise Ressourcen verschwendet. Da das leicht vermieden werden könnte, indem keine lebenswichtigen Gene auf den Geschlechtschromosomen untergebracht werden, muss es da irgend einen Vorteil gegen. Und die Frage, worin der bestehen mag, ist durchaus interessant.

Danke für die vielen Beiträge, weiter willkommen
Erstmal herzlichen Dank an euch für die vielen Aspekte.
Leider bin ich zurzeit sehr unter Zeitdruck, so dass ich nicht alles im Detail nachvollziehen/prüfen kann.

Weitere Aspekte sind mir willkommen, ich hoffe, dass ich in ein/zwei Wochen zum Auswerten komme.

Ich dachte nicht, dass das eine so komplexe Diskussion wird, hät ich mir aber denken können.

LG Volker

nein ! Es bedeutet nur das der selektive Nachteil nicht groß genug ist bzw. die Evolution noch am nachbessern ist.
Ursprünglich scheinen die Geschlechtschromosomen ganz normale Chromosomen gewesen zu sein mit einer ganz normalen Anzahl an unbedingt wichtigen Genen, dann kam später erst die Geschlechtsinformation dazu.
mm

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo DrStupid,

von dieser Warte aus betrachtet muss ich Dir schon zustimmen. Als die Gerinnungsfaktoren noch nicht substituiert werden konnten, starben viele Bluter noch vor der Geschlechtsreife oder kurz danach. Was die Ressourcenverschwendung betrifft, habe ich allerdings einen anderen Standpunkt. Einen möglichen Ansatz zur Bentwortung Frage, warum solch wichtige Gene auf dem X-Chromosom verblieben sind und (noch) nicht auf Autosomen ausgelagert wurden, hätte ich aber:

Heute treten angesichts von Behandlungsmöglichkeiten und kaum verringerter Lebenserwartung die x-chromosomal vererbten Hämophilien bei Pi mal Daumen rund 1 pro 10.000 Geburten auf. Das ist nicht besonders viel. Viele andere congenitale Fehlbildungen und genetische Erkrankungen kommen teils deutlich häufiger vor. Viele davon haben auch, wie Du bereits andeutetest, eines gemeinsam: Sie sind entweder letal, führen zu Infertilität oder völlig ohne medizinische Intervention - man denke sich in die Steinzeit zurück - zu frühem Ableben ohne die geringste Chance zur Weitergabe der Gene. Da wurde von der Natur noch knallhart selektiert und die bösen Gene wesentlich effizienter im Zaum gehalten als heutzutage.

Mit besonderer Hinsicht auf die x-chromosomal vererbten schweren Krankheiten wie beispielsweise die Hämophilien A und B bedeutet dies aber auch, dass sie mit noch geringerer Häufigkeit vorgekommen sein mussten als heute. Wieviel geringer, das vermag wohl kaum jemand zu sagen. Betrachtet man aber die Schätzung, dass die gesamte Population in der Jungsteinzeit (bis 9500 v.Chr) vielleicht 100.000 Individuen umfasste, heißt das auch unter Verwendung heutiger Häufigkeiten, dass gerade mal 10 davon weltweit (!) Bluter gewesen sein mussten. Von Ressourcenverschwendung kann da meines Erachtens also kaum die Rede sein. Es zeigt vielmehr, wie gut die Selektion funktioniert. Offensichtlich brachte schon viel früher das konstante Geschlechterverhältnis einen so großen Vorteil, dass solch geringe Ausfälle in Kauf genommen werden konnten.

Das ist nur so ein Gedanke.

LG
Huttatta