In der Schule haben wir verschiedene Metalle durchgenommen.
Hierbei frage ich mich jedoch, wieso Quecksilber bei
Raumtemperatur flüssig ist, wenn doch im Periodensystem keine
Besonderheit in dieser Hinsicht zu vermuten ist?
Der entscheidende Faktor für die Stabilität (und den Schmelzpunkt) eines Elements ist die Fähigkeit der Atome, untereinander Bindungen einzugehen. Da Quecksilber ein Metall ist, handelt es sich dabei um eine Metallbindung, welche dadurch zustande kommt, daß Elektronen der äußeren Schale sich frei als Elektronengas bewegen und die Atome und Ionen durch elektrostatische Anziehungskraft zusammenhalten. Die Existenz des Elektronengases ist auch für die elektrische Leitfähigkeit verantwortlich. Nun zeigt sich aber, daß Quecksilber im Vergleich zu den anderen Metallen in seiner Periode in diesem Punkt etwas aus der Reihe tanzt. Seine elektrische Leitfähigkeit ist vergleichsweise gering, was vermuten läßt, daß es mit dem Elektronengas nicht weit her ist, was die schwache Metallbindung erklären würde. Das beantwortet aber leider immer noch nicht die Frage, warum das so ist.
Sehen wir uns die benachbarten Elemente des Periodensystems genauer an, so stellen wir fest, daß ein sprunghafter Rückgang der elektrischen Leitfähigkeit bei allen Elementen der 12.Gruppe auftritt. Innerhalb dieser Gruppe zeigt sich zudem ein Abfallen der Schmelztemperatur mit steigender Kernladungszahl. Diese Regelmäßigkeit deutet darauf hin, daß der Aggregatzustand des Quecksilbers seine Ursache in einer Besonderheit der Elektronenhülle haben muß, die mit steigender Kernladungszahl immer ausgeprägter wird. Nun genügt ein Blick ins Periodensystem, um festzustellen, daß die 12.Gruppe die letzte Nebengruppe ist, was bedeutet, daß Quecksilber eine vollständig besetzte d- und s-Schale besitzt. Damit verfügt es über eine sehr stabile Elektronenkonfiguration, die es natürlich unter allen Umständen beibehalten möchte. Dies erreicht es dadurch, daß es keine chemischen Bindungen eingeht und sogar mit sich selbst nicht reagiert. Im gasförmigen Zustand liegt es deshalb nur als einatomiges Gas vor (wie die Edelgase) und nicht als Cluster, wie die meisten anderen Metalle.
Bis hier hin war es einfach. Viel schwieriger ist die Erklärung, warum Zink und Cadmium nicht auch flüssig sind, obwohl sie die gleiche Elektronenkonfiguration haben. Hierzu muß man die Metallbindung etwas genauer erläutern. Die Elektronen innerhalb eines Metalls schwirren natürlich nicht einfach so herum, sondern müssen sich an die Quantenmechanik halten. Das bedeutet, daß sie Molekülorbitale besetzen, die über das gesamte Metall verteilt sind. Nach dem Pauli-Verbot darf es dabei keine zwei Molekülorbitale mit demselben Satz von Quantenzahlen geben. Dies führt dazu, daß die Energieniveaus, auf denen die Elektronen sitzen keine diskreten Werte annehmen, sondern sogenannte Bänder bilden. Die Metallbindung kommt nun dadurch zustande, daß diese Bänder entweder nicht vollständig besetzt sind oder Elektronen von einem Vollbesetzten Band in ein darüber liegendes unbesetztes Band wechseln können. Das teilweise besetzte Band ist für die elektrische Leitfähigkeit verantwortlich und wird deshalb Leitungsband genannt.
Bei den Elementen der 12.Gruppe ist das s-Band vollständig besetz und das p-Band vollkommen leer. Bei Zink und Cadmium ist der energetische Unterschied zwischen diesen beiden Bändern aber so gering, daß genügend s-Elektronen in das Leitungsband wechseln können und somit zu einer starken Metallbindung führen. Beim Quecksilber ist die sogenannte Promotionsenergie, welche für eine derartige s-p-Hybridisierung notwendig ist aber so hoch, daß nicht genügend Bindungen zustande kommen um bei Raumtemperatur einen Metallkristall zu bilden.
Die s-, p- und d-Schalen allein können aber nicht die Ursache für einen derartigen Unterschied zwischen Zn und Cd auf der einen und Hg auf der anderen Seite sein. Die dramatische Vergrößerung der s-p-Lücke geht auf die Anwesenheit der f- Schale zurück, die ab der 6. Periode erstmals besetzt wird. Während Zn und Cd mit ihren Elektronenkonfugurationen von 3d10,4s2 bzw 4d10,5s2 12 Elektronen in der äußeren Schale versammeln, sind es beim Quecksilber mit 4f14,5d10,6s2 ganze 26. Das eigentliche Problem besteht nun darin, daß diese Elektronen nicht nur der Quantenmechanik, sondern auch der Relativitätstheorie gehorchen müssen. Die 4f-Elektronen bewegen sich aber bereits so schnell, daß die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit zu einem ernsten Problem wird. Dies führt zu einem relativistischen Massezuwachs und gleichzeitig zu einer Kontraktion der f-Orbitale (Lanthanoidenkontraktion). Daraus resultiert eine geringere Abschirmung der Kernladung, wodurch auch die äußeren Orbitale näher an den Kern gezwungen werden. Da diese Kontraktion nur bei besetzen Orbitalen auftritt, während unbesetze Orbitale ihre Lage beibehalten, führt dies zu einem sehr großen energetischen Unterschied zwischen dem s- und p-Valenzband des Quecksilbers, welcher seinerseits eine so schwache Metallbindung zur Folge hat, daß Quecksilber bei Raumtemperatur flüssig und leicht flüchtig ist.