Spontane Begriffe

Hallo alle,

im Rätselbrett kamen wir auf ne interessante Diskussion. Und zwar, wenn man jemanden überrascht und sagt: „Schnell, sag ne Farbe! Und ein Werkzeug! Und ein Musikinsturment!“ (wichtig ist wohl dieses Überraschungsmoment) antworten (fast) alle:

rot
Hammer
Geige

Aber warum? Gibt’s für dieses Phänomen ne Erklärung? Ich meine, man könnte doch genausogut „grün, Zange, Klavier“ antworten, oder?
Würde das im europäischen Ausland auch „funktionieren“?

Grübelnde Grüße

Petzi

Hallo Petzi,

das Spielchen hat Tanja schon vor einigen Wochen mit mir gemacht…

meine Antwort war
ROT

HAMMER

und zum Schluss…

…Klavier und nicht die „Erste Geige“

ich waage keine Prognaaase…
doch sehr rücksichtig bin…

Kerbi

Aber warum? Gibt’s für dieses Phänomen ne Erklärung? Ich
meine, man könnte doch genausogut „grün, Zange, Klavier“
antworten, oder?
Würde das im europäischen Ausland auch „funktionieren“?

Hallo Petzi,
Hab den Test gerade mit meiner Frau gemacht:
rot
Hammer
Geige

über das warum denken wir noch nach.
Wenn uns was dazu einfällt melde ich mich wieder.

Crotalus

quarks
hallo petzi,

sieh doch mal hier:

http://www.quarks.de/humbug/index.htm

beim anklicken der zipdatei sollte auch die erläuterung lesbar werden, wenn nicht, seh ich mir die sendung nochmal schnell zuhause an, sag bescheid.

cu

strubbel

Das sind Prototypen!
Hallo!

So verwunderlich finde ich das Ergebnis Deines kleinen Tests gar nicht. Farbe, Werkzeug und Musikinstrument sind Kategorien. Aus der psychologischen Forschung über Kategorien gingen mehrere Ansätze hervor, wie Kategorien aufgebaut sind. Ein Ansatz ist der Prototypen-Ansatz: Eine Kategorie wird durch einen Prototypen (Kern der Kategorie) und dessen Merkmale definiert. Wenn die Kategorien sehr schnell aktiviert werden (so wie in Deinem Test), dann werden die Prototypen aktiviert und genannt. Da die Kategorien während der kognitiven und sozialen Ontogenese gebildet werden, dürften die meisten Menschen einer Kultur / eines Sprachraums die gleichen Prototypen haben. Interessant ist, warum die Kategorien gerade diese Prototypen haben. Dieser Umstand wird wahrscheinlich auf kulturgeschichtliche und evolutionsbiologische (rote Farbe - Warnfarbe) Ursachen zurückgehen.

Mit psychologischem Gruß

Oliver

Hallo ExpertInnen,

der Test ist mir schon länger bekannt - die Fragestellung
dagegen nicht. Sehr interessant! Ein Versuch, sie zu erklären:

ROT - ist die Farbe des Blutes. Diese Farbe ist uns in jeder
Hinsicht näher als blau (Himmel), grün (Bäume) usw., wo wir erst
umständlich Assoziationsketten aufbauen müssen.

HAMMER - nun, ich will ja nicht mit Freud daher kommen, aber das
scheint mir trotzdem eine sehr naheliegende Erklärung zu sein
… und dann wäre das „echt ein Hammer“ *g*

GEIGE - wir kennen viele Sprichwörter oder andere geflügelte
Worte mit „Geigen“: Der Himmel hängt voller Geigen; Die erste
Geige sein usw. In unserer Kultur und unserem Sprachgebrauch
scheint sie eine „erste“ Rolle zu spielen - was das Klavier
nicht von sich behaupten kann. Geigen sind außerdem Instrumente,
die sehr emotional auf uns wirken. Und unser Gehirn merkt sich
nun mal am liebsten das, was emotional besetzt ist. (Daher war
es bei einer anderen Antwort auch das Klavier - „Man müßte
Klavierspielen können …“)

Was meint ihr zu diesen Spontanerklärungen???

Viele Grüsse
Ute
***********

Sind immer noch Prototypen!
Hallo Ute!

Ganz hübsche Laienpsychologie. Den Prototypenansatz halte ich jedoch für wesentlich ergiebiger - auch wenn er aus der kognitiven Psychologie stammt :frowning:

Das Gute ist aber, daß es auch behavioristisch zu erklären ist. :smile:

Mit behavioristischem Gruß

Oliver

Hallo Oliver,

danke für Deine Erklärung. Das mit den Prototypen leuchtet irgendwie ein.

Da die Kategorien während der
kognitiven und sozialen Ontogenese gebildet werden, dürften
die meisten Menschen einer Kultur / eines Sprachraums die
gleichen Prototypen haben.

Kann ich jetzt ganz lachs und unpsyochologisch sagen, daß das daran liegt daß wir alle die mehr oder weniger gleichen Bilderbücher gelesen haben und gelernt haben „Werkzeug = Hammer“ und erst viel später „Werkzeug = Kombizange“? Oder - wie bei der Farbe - daß die Wurzeln viel tiefer liegen?
Gibt’s eigentlich noch mehr solcher „Prototypen“?
Und funktioniert das auch auf Menschen bezogen? Kommen da vielleicht auch manche Vorurteile her? Oder ist das zu individuell beeinflußt?

Gibt’s zu den „Prototypen“ irgendwelche Literatur die Du mir empfehlen könntest?

Lieben Dank

Petzi

Hab ich etwas anderes gesagt?
Hallo Oliver,

danke für die behavioristischen Blumen :wink:

Die Prototypen-Theorie finde ich sehr spannend - aber in deiner
Antwort vermisste ich Beispiele und deren Begründung. Vielleicht
kannst du da noch etwas nachliefern? (Mit weniger
Fachchinesisch, wenn’s geht … danke :smile:

Ich habe versucht, Gründe zu finden, die meiner „laienhaften
Auseinandersetzung mit dem Wesen des Zweibeiners“ entspringen.
Und da ich mich mit Sprache, Emotionen und Verhaltensmustern
befasse, stellte ich diese zur Diskussion. Interessiert mich
immer noch, welche Reaktionen von euch dazu kommen …

Viele Grüsse
Ute
***

Von Kategorien, Prototypen und Vorurteilen
Hallo Petzi,

zu Deinen Fragen:

Kann ich jetzt ganz lachs und unpsyochologisch sagen, daß das
daran liegt daß wir alle die mehr oder weniger gleichen
Bilderbücher gelesen haben und gelernt haben „Werkzeug = Hammer“
und erst viel später „Werkzeug = Kombizange“? Oder - wie bei der
Farbe - daß die Wurzeln viel tiefer liegen?

Ja, das ist alles richtig. So in etwa kann man es sich vorstellen. Ich würde zwar nicht behaupten wollen, daß wir viel später „Kombizange“ gelernt haben, aber daß „Hammer“ unserer typischen Auffassung von einem Werkzeug mehr entspricht. Vielleicht liegt es am Lernprozeß. Hinsichtlich der Farbe wird es vermutlich auch am Lernprozeß liegen, aber daß gerade Rot der Prototyp ist, liegt wahrscheinlich daran, daß Rot biologisch gesehen eine besondere Bedeutung hat, was wohl evolutionstheoretisch erklärt werden könnte.

Gibt’s eigentlich noch mehr solcher „Prototypen“?

Ja. Man kann sich viele Kategorien vorstellen und diese beinhalten nach der Vorstellung von Frau Rosch Prototypen - also idealtypische Mitglieder der Kategorie, zu denen alle anderen
Mitglieder Ähnlichkeiten aufweisen. Wenn Du wissen willst, welche Prototypen es noch gibt, dann muß Du so etwas wie eine psychologische Untersuchung machen: Frag doch mal in Deiner
Bekanntschaft, welche Beispiele ihnen zu bestimmten Kategorien ganz schnell einfallen. Frau Rosch hat Fragebogen benutzt und Leute gefragt, wie gut ein Wort in eine Kategorie paßt. Die
Leute haben es auf Skalen angekreuzt.

Und funktioniert das auch auf Menschen bezogen?

Du meinst: Wenn man als Kategorie eine Gruppe von Menschen nimmt? Na klar. Z.B. was fällt Dir unter Schornsteinfeger ein? Oder Großvater? Oder Diktator? Oder Ausländer?

Kommen da vielleicht auch manche Vorurteile her? Oder ist das
zu individuell beeinflußt?

Das Beispiel der Kategorie „Ausländer“ sollte zeigen, daß Kategorien etwas mit Vorurteilen zu tun haben. Aber von einer Kategorie bis zu einem Vorurteil ist es noch ein Schritt.
Vorurteile kann man als negative Einstellungen auffassen. Die Kategorien haben aber ersteinmal nichts mit Bewertungen von Dingen zu tun. Sie beziehen sich darauf, wie Dinge kognitiv geordnet sind. Erst wenn die negative Bewertung der Dinge in einer Kategorie dazu kommt und sich die Kategorie auf eine soziale Gruppe bezieht, würde die Definition von Vorurteil zutreffen. Das soll heißen: Kategorienbildung ist notwendig für ein Vorurteil, aber nicht hinreichend.

Gibt’s zu den „Prototypen“ irgendwelche Literatur die Du mir empfehlen könntest?

Literatur zu dem Thema „Prototypen“ gibt es natürlich. Leider kenne ich nur einige Beiträge dazu in Lehrbüchern der Psychologie (Stroebe, Hewstone, Stephenson. Sozialpsychologie.
J. Springer Verlag. - Anderson. Kognitive Psychologie. Spektrum.) und in Fachzeitschriften (alles in Englisch natürlich). Das ganze ist recht schwere Kost, d.h. selbst für
Studenten in den ersten Semestern nicht so leicht verständlich.

Schön, daß Dich psychologische Fragen so interessieren, v.a. weil die Prototypenfrage eine Frage ist, die direkt aus der wissenschaftlichen Psychologie kommt.

Gruß,

Oliver

Von Prototypen und Verstärkungen
Hallo Ute,

danke für die behavioristischen Blumen :wink:

Oh! Habe ich welche verteilt? Bei so viel Kognitivismus in meinen beiden Artikeln!
Ich fühle mich positiv verstärkt. Du willst mich doch nicht operant konditionieren, Du? :wink:

Die Prototypen-Theorie finde ich sehr spannend - aber in deiner
Antwort vermisste ich Beispiele und deren Begründung.
Vielleicht kannst du da noch etwas nachliefern?
(Mit weniger Fachchinesisch, wenn’s geht … danke :smile:

Die Beispiele hatte Petzi schon gebracht. Ich habe einen Erklärungsansatz aus der Kognitiven Psychologie ins Netz gestellt. Daher mußte ich Deinen Artikel als „Laienpsychologie“ brandmarken :wink:. War aber nicht so gemeint, sondern ich wollte nur auf den Unterschied hinweisen, daß mein Artikel auf einen wissenschaftlichen Erklärungsansatz referiert, Dein Artikel mir aber mehr das persönliche Erleben und die Alltagsgedanken dazu widerspiegelt. Finde ich beides o.k.

Laienpsychologie ist übrigens unter Psychologen kein Schimpfwort, sondern nur die Bezeichnung für psychologische Ansichten von Leuten, die keine Psychologen sind (daher LAIENpsychologie).

Die Begründungen für die Prototypentheorie sind die Überlegungen von Frau Rosch und anderen Kognitionspsychologen und deren Forschungsergebnisse. Meine Begründung war, daß Prototypen sehr schnell aus dem Gedächtnis abrufbar sind, wenn die Kategorie aktiviert wird(sprich: Wenn man „Farbe“ sagt, fällt mir spontan „rot“ ein, weil es der Prototyp meiner Kategorie „Farbe“ ist.) Prototypen - so habe ich vermutet - bilden sich während der Entwicklung jedes einzelnen Menschen (Stichwort: Lernen als Kind). Welche Prototypen es konkret sind (ob rot, ob blau), hängt vermutlich von der Kultur, in der man aufwächst,
und - im Falle der Farbe - von der Evolution ab (weil Rot biologisch auch als Warnfarbe vorkommt). Und weil wir Deutsche in der gleichen Kultur aufgewachsen sind und in unserer
Kindheit eine bestimmte Erfahrung gemacht haben (immer Papis Hammer aus dem Werkzeugkasten geklaut, in den Kinderbüchern den Hammer als Werkzeug kennengelernt), sagen die meisten von uns bei der Nennung z.B. der Kategorie „Werkzeug“ „Hammer“ - als wär´s eine konditionierte Reaktion (

Also bei mir war nur das Werkzeug übereinstimmend, bei meiner Schwester nur die Farbe und bei meinem Freund sogar garnichts *g*

Gruß
Claudia…

siehste … geht doch …
Hallo Oliver,

na also … jetzt hab sogar ich alles kapiert. Dankeschön! Und
wegen der Blumen und der Konditiodingsda … es liegt mir fern,
dich zu verstärken *g* (Macht aber trotzdem Spaß).

Eigentlich stolpere ich nur darüber, dass ROT eine Warnfarbe
sein soll. Klar - das liest man überall und als gelernte
Mediengestalterin hab ich da auch so ein paar Werbegrundlagen im
Kopf. Trotzdem (oder ist das kein Widerspruch?) würde ich gerne
das BLUT als eine ursprünglich positive Kraft sehen wollen
(Frauen wissen hoffentlich, was ich meine). Es spendet Leben. Wo
kommt da die Warnung her? Aber das ist wohl eine anderes Brett.
Versuch ich wohl besser in der Philosophie unterzubringen …

Du hast deine Sache jedenfalls gut gemacht und kriegst von mir
ein bis drei Bonbons. Welche Sorte magste denn?

Süße Grüße
Ute
******

Hallo!
Mir fällt da was zu Rot ein: Ich habe gelesen,dass Neugeborene als erste Farbe Rot erkennen,das ist so gegen Ende des 1.Lebensmonats (deswegen soll man auch Spielzeug in rot oder rot-weiß kaufen,alle anderen Farben erkennt es erst nach dem 4. Monat).
Ich weiß nicht ob das was damit zu tun hat,dass man rot als erstes nennt,aber wenn es die Farbe ist,die man am längsten kennt,wer weiß… Naja,war nur so ne Idee!

Gruß

Debora

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo Petzi,

eine Prototypentheorie gibt es auch in der Sprachwissenschaft:

In der Prototypentheorie (Bowermann 1978) wird angenommen, dass ein Kind zunächst nur einen (oder einige wenige ähnliche) Prototypen benennt, um später den Namen auf „familienähnliche“ Dinge, um Wittgensteins (1984) Terminus zu verwenden, auszudehnen. Barrett 1982 verbindet die beiden Theorien der Merkmalssemantik und der Prototypensemantik und nimmt an, daß Kinder von einem Prototypen ausgehen, den sie dann auf Merkmale hin analysieren, um ihn so auszudehnen. Prototypen werden aufgrund von Interesse vom Kind aus seiner Umgebung aktiv ausgewählt und in neuen Situationen extendiert.

D.h. wir bilden uns eine Merkmalsstruktur zu einer Kategorie. Umfasst ein neuer Begriff alle diese Merkmale, wird er der Kategorie zugeordnet. Mit wachsender Lebenserfahrung wird die Kategorie dann immer differenzierter über vielfältige Merkmale definiert.
Beispiel:
Bildung des Begriffes „Hund“
mögliche Anfangsmerkmale: Lebewesen, Vierfüßler
Folge: Kleinkinder bezeichnen zunächst alle vierfüßigen Lebewesen als Hunde.
später erkannte Merkmale: Schwanz, Schnauze, Fell, Kläfflaut o.ä.

Indem du nach den typischen Merkmalen eines Objektes fragst, erhälst du eine Prototypenbeschreibung: So sieht nach unserer Kulturauffassung ein/e typische/r … aus.
Beispiele:
Prototyp des Vogels bei uns wäre der Spatz oder das Rotkehlchen. Wir haben uns im mitteleuropäischen Raum die Vogelmerkmale klein, spitzer Schnabel, flink, Sänger, flugfähig angeeignet. So wäre bei uns der Strauß oder der Pinguin eine Vogelart, die wir spontan nicht aufzählen würden, da sie die meisten Kennzeichen nicht erfüllen. Anders sähe die Merkmalsstruktur eines Vogels sicher in afrikanischen Ländern aus, wo man viele große, flugunfähige Schreitvögel kennt.
Prototyp des Fahrzeugs ist in unserer technisierten Gesellschaft das Auto. Ein Dreirad stünde ganz am Rande der Nennungen, da es nicht motorisiert, für mehrere Personen tauglich, vierrädrig ist.

Linguistiche Grüße von Allie.