Bettler, Geist und Reich Gottes
[sorry - leider sehr lang, aber diesmal liegts nicht an mir, sondern am gestellten Problem *ggg* - ist jedenfalls ein kleiner religionshistorischer Exkurs]
Hi Carlos
[danke für die freundliche Extraeinladung ]
tatsächlich kann man sich mit diesen wohl meistzitierten Stellen (die Seligpreisungen aus der „Bergpredigt“) des NT nicht gründlich befassen, ohne mit sämtlichen Übersetzungstraditionen in Konflikt zu geraten.
die übliche Übersetung von Matthäus lautet:
„Selig sind die im Geist Armen, denn ihnen gehört das
Himmelreich.“ (Mt, 5,3).
So ist es, und damit entstehen gleich drei ganz exquisite Übersetzungsprobleme. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich kenne recht viele Übersetzungen des NT, aber es ist keine darunter (und damit ist die sog. Interlinearübersetzung incl. gemeint, die den griech. Text wörtlich - und Wort-für-Wort lesbar - wiedergibt), die bzgl. des sorgfältigen Umgangs mit den Urtexten der Neue-Welt-Übersetzung auch nur annähernd Konkurrenz bieten kann (und möchte dir hiermit nochmal publice für die Hardwarevermittlung danke sagen).
Es zeigt sich nämlich, daß die Übersetzungen:
„Glücklich sind die, die sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt sind, da das Königreich der Himmel ihnen gehört“
und
„Glücklich sind die, die Bettler um den Geist sind,…“
die sowohl dem Inhalt nach als auch der korrekten Übersetzung nach die dem Text am ehesten angemessenen sind. Alles andere ist irreführend.
Im Folgenden das ganze mal im Detail aufgedröselt (wenn auch nur angedeutet):
Die drei Probleme betreffen die Interpretation des griech. Wortes πτωχος ptochos (fast penetrant mit „arm“ übersetzt), dann (in diesem Kontext hier) des Wortes πνευμα pneuma („Geist“) und natürlich auch die Frage nach dem, was sich als Ausdruck „Himmelreich“ festgefressen hat.
hier mal das Original:
μακαριοι οι πτωχοι τω(ι) πνευματι, οτι αυτων εστιν η βασιλεια των ουρανων
makarioi oi ptôchoi tô(i) pneumati, oti autôn estin hê basileia tôn ouranôn
Wort für Wort:
glückselig die Bettelnden dem pneuma [nach], denn ihrer ist das Königreich der Himmel
oder:
glückselig die pneuma-mäßig Bettelnden, denn …
oder:
glückselig die Bettelnden nach pneuma, denn …
1. Reich der Himmel
Das letztere heißt wörtlich „Königreich der Himmel“ und ist zunächst am wenigsten problematisch. Es ist gleichbedeutend mit dem „Königreich (des) Gottes“ an vielen anderen NT-Stellen. Der Plural „die Himmel“ ist ein sog. Hebraismus, der das hebr. shamajim widergibt (z.B. Genesis 1.1. „Am Anfang schuf Elohim die Himmel und die Erde…“). Das hat mit der israelitisch/altsyrischen Kosmologie zu tun, wo die Himmel zugleich die Vorräte des für den Regen zuständigen Süßwassers enthielten - tatsächlich „kammer“-artig.
Viel interessanter ist die Frage, wo denn eigentlich der Ausdruck „Reich Gottes“ überhaupt herkommt. Und - um das Teilproblem hier nur kurz anzureißen - die Spur führt keineswegs in das ältere Israel oder in die noch älteren semitischen Religionen, sondern nach - Westpersien, wo (irgendwann zwischen dem 9. und 7. Jhdt. v. Chr) ein gegen die vedischen und brahmanistischen Traditionen auftretender Reformator agierte: Zarathustra.
In den sehr wahrscheinlich von ihm selbst gedichteten gathas (Gesängesammlungen) und überhaupt in seiner Theologie (in der ahura mazda - Herr des Wissens - als oberstes Prinzip die Hauptrolle spielt) ist der Ausdruck chshathra einer der Zentralbegriffe: Es ist das Reich, in dem diejenigen daena (= Ich, Selbst, Persönlichkeit) ihre Erfüllung finden werden , die sich in freier Entscheidung gegen das „böse Denken“, aka manah, wenden („böse“ im Sinne des Täuschens und des Betrugs - altiranisch drug) und dem „guten Denken“, vohu manah, zuwenden.
Dieses Reich chshathra ist zugleich das Reich der Gerechtigkeit(!), asha, der Wahrheit, der Glückseligkeit(!), der Befreiung(!) von Belastung, der Erfüllung jeden Mangels und das, wo der „böse Geist“, (angra maninyav, der „Geist der Lüge“, später zu ahriman komprimiert) vom „heiligen(!) Geist“, spnta mainyav, endgültig besiegt ist: es ist das Reich des ahura mazda und zugleich das Reich des „heiligen Geistes“. Dieses Reich, das auch awestisch pairi daeza (= „Paradies“, lieblicher Garten) heißt, liegt im Unterschied zu dem Garten edän der Genesis nicht in der mythischen Vergangenheit, sondern in der mythischen Zukunft.
Dieses Reich entspricht also zunächst komplett dem, was in den Seligpreisungen Matth. 5.5-12 versprochen wird. Und ich habe die begründete Auffassung, daß aus diesen Quellen sowohl die neutestamentliche Rede vom „Reich Gottes“ bzw. „Reich des Himmels“ stammt, als auch die Grundzüge des Begriffs vom „heiligen“ Geist.
2. Geist
Der griech. Ausdruck pneuma (neutr.!) ist keineswegs mit dem lat. intellectus, intelligentia kompatibel. Allerdings sind die Bedeutungen im NT sehr vielfältig und keineswegs eindeutig. Die häufigsten bedeutungen sind:
a. Geist = Gesinnung, Denkungsart. So fast durchgängig bei Paulus, aber auch bei den Synoptikern (Matthäus, Markus, Lukas) sehr häufig. Dieser Audruck fällt auch mit dem altiranischen „manah“ (siehe oben) zusammen. Im AT entspricht er auch teilweise der hebr. ruah (fem.), wie z.B. in Ps. 51.10 und 51.12 (zu 51.11 siehe unten). Im griech. würde man ihn auch mit thymos „Mut, Gesinnung“ und mit phronesis „Denken, Denkweise, Denkungsart“ und mit kardia „Herz, Gemüt“ synonym setzen.
b. Geist = daimonion, „unreiner Geist“, „böser Geist“, also das, was vom Menschen Besitz ergreifen und ihm seine Autonomie nehmen kann, und was man, wenn man konnte, zu exorzieren pflegte. Dies entspricht wiederum dem altiranischen angra mainyav.
c. Geist = Helfer, Begleiter, Tröster(!), von Gott ausgesandter(!) und den Menschen unterstützender Geist. Auch der kommt dem Ps. 51.10 und 51.12 sehr nahe, und wird in 51.11 auch direkt „heiliger Geist“ ruach-kadosh genannt (wenn ich nicht irre die einzige Stelle im AT). Vom der Konzeption her ist er komplett identisch mit dem spnta mainyav in den yasnas des Zarathustra. Auch der wird von ahura mazda ausgesendet - und hat ebenfalls hier die Funktion des Helfers, Begleiters, Trösters…
d. ist aber auch eine Erscheinungsform von ahura mazda selbst (siehe Joh. 4.24 „Geist ist der Gott“, wo aber zugleich von „… „im“ Geist und „in“ der Wahrheit“ die Rede ist) oder ist gar identisch mit ihm. Also als direkt „heiliger Geist“ bezeichnet spielt er eben auch im NT eine entscheidende Rolle (auch bei Paulus). Wegen der „Personalunion“ mit dem Gott selbst wurde er dann ja auch in die späteren Trinitäts-Konstruktionen eingefaßt.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die charakteristische Vielgestaltigkeit des pneuma-Begriffes im NT sich nur rudimentär mit dem hebr. ruach deckt, jedoch exakt mit den mainyav- und manah-Begriffen in der Theologie und „Heilslehre“ des Zarathustra (wie der ins NT kommt ist eine andere Frage, das ist too much für hier und jetzt)
3. arm, demütig, elend, sanftmütig
Und damit wären wir bei dem Begriff, um den es ja in den Fragestellungen um Matth 5.3. fast immer geht:
Die Grundbedeutung von griech. ptôchos ist „bettelnd“, und dann erst „bettelarm“. Es bezeichnet also nicht zuerst den Zustand, der dem reich-sein entgegengesetzt ist, sondern den, in dem man (andere) dringlichst um (Lebens-)Hilfe anfleht. Alo in völliger Übereinstimmung mit der von Carlos zitierten „Neue Welt“-Übersetzung.
Der Zustand - vielleicht sollte man hier schon „Geisteshaltung“ sagen - ist also, wenn man den Dativ „dem Geist“ im griech. Wortlaut noch gerecht werden will, in erstaunlicher Übereinstimmung mit den yasnas des Zarathustra, in zweierlei Weise zu fassen;
a. bettelnd um „gute“ Gesinnung (ergänze: "und Überwindung der übelwollenden, betrügerischen Gesinnung)
b. flehentlich suchend nach Erfüllung, Befreiung, „Erlösung“ (von Trauer, siehe Matth. 5.4, Belastung, Unrecht, siehe Matth. 5.6) dem Geist nach (Dativ!) bzw. im Denken
c. Mangel leidend im „Herzen“ (kardia, siehe oben und Matth. 5.8)
Das heißt aber, daß die Seligpreisungen in zwei Gruppen aufteilbar sind:
a. In die, wo nach Erfüllung eines „geistigen“ Mangels gesucht wird (Trauer, Ungerechtigkeit, Gesinnungs-Verfolgung, Matth. 5.11) - hier wird Erlösung versprochen
b. in die, wo von einer „guten Denkungsart“ (vohu manah) schon ausgegangen wird (Friedfertigekeit/Sanftmut, Barmherzigkeit, „rein im Herzen“) - hier wird Lohn versprochen
Nebenbei - Ich brauch nach dem oben gesagten nicht zu erwähnen, daß alle diese Aussagen vielfältig belegbar auch in den yasnas des Zarathustra zu finden sind.
Die Frage stellt sich nun, wie kommt es zu der Interpretation des ptôchos im Sinne von Armut als Gegensatz gegen Reichtum?
Die Idee, daß mit Mangel an intellektueller Kapazität zu identifizieren ist natürlich eh völliger Unsinn, weil das griech. pneuma = „Geist“ diese Bedeutung gar nicht hergibt. Diese Begriffsvariante von „Geist“ = Denkvermögen, Bildung usw. kommt erst 1800 Jahre später auf, nachdem „Geist“, bei Hegel natürlich aus dem johanneischen pneuma-Begriff hergenommen, vermittelt über die deutsche Mystik zwischen Meister Eckkart und Jakob Böhme, zu einem philosophischen Terminus umgestaltet wurde.
Es ist doch leicht zu erkennen in den Aufzählungen des Matth. daß alle diese Ausdrücke rein metaphorisch gemeint sind:
„hungern und dürstend“ (nicht nach Nahrung, sondern nach Gerechtigkeit)
„sanftmütig“ (damit kann man keine Macht konstituieren, daher gewinnen sie nicht die Herrschaft über den Staat, sondern über die „Erde“ (γε, Lebenswelt, Leben - dieser Begriff spielt ja auch sonst eine so herausragende Rolle im AT und im NT)
„rein“ (nicht hygienemäßig, sondern im „Herzen“)
Der Schlüssel ist nach meiner Auffassung darin zu finden, daß bereits die griechischen Autoren die Vokabel etwas mißverständlich gewählt haben - und zwar schon in der Septuaginta
(also ca 200 Jahre vor dem NT). Ganz eindeutig bezieht sich nämlich die Stelle auch auf dieses wichtige Zitat aus Jesaia 61.1 , wie man aus den Parallelstellen Lukas 4.18, Matth. 11.5 und 11.28-30 leicht erkennen kann:
Dort werden Belastete befreit, Blinde werden sehend usw. - aber seltsamerweise werden arme nicht reich! Vielmehr bekommen diese eine „frohe Botschaft“ bzw. „gute Kunde“. Wenn mit den Armen besitzmäßg Arme gemeint wären: was wäre das denn für ein Trost?
Aber an der Stelle bei Jesaia, wo auch Menschen mit gebrochenem Herzen getröstet werden und Gefangene befreit werden, wird auch einigen eine „frohe Kunde“ gebracht, aber da sind es (wohlgemerkt im hebr. Original, nicht in den griech.Übersetzungen!!) nicht die „Armen“, sondern die Sanftmütigen, bzw. Demütigen (anuwim). Sieh mal an: genau das, wovon auch in Matth. 5.5. (nicht in 5.3!) die Rede ist. Aber Lukas, dem ja nach heutiger Auffassung der Matth.-Text vorgelegen hat, zitiert den Jesaia 61.1 (siehe Luka 4.18) mit dem griech. Wort ptôchos und nicht, wie es eigentlich heißen müßte πραεις „sanftmütig, friedfertig“ (wie z.B. im Matth. 5.5).
Und auch hier muß ich wieder der „Neue Welt“-Übersetzung ein Kompliment machen: In allen (deutschen) Übersetzungen, die mir vorliegen, wird die Jesaia-Stelle ebenfalls, wie schon bei Lukas, mit „die Armen“ übersetzt, nur dieser Text hat an der Stelle „die Sanftmütigen“ stehen.
Schlussfolgerung: Wenn auch die Stelle Matth. 5.3 dem Zusammenhang nach und der Religionshistorie nach eindeutig im obigen Sinne mit „bettelnd, flehendlich suchen“ zu übersetzen ist, so macht doch die häufige Thematisierung reich/arm im NT (siehe vor allem auch Jakobus 2.2.-2.7!!) die Mißinterpretation naheliegend - und die etwas unglückliche Wortwahl bei der Jesaia-Übersetzung bereits durch die griech. Autoren (mit der schillernden Bedeutung des ptôchos) tut und tat das ihrige dazu.
Grüße
Metapher