Hallo Rolf,
ein großer Teil meiner beruflichen Arbeit besteht darin, kirchliche Mitarbeiter - vorwiegend evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen - fortzubilden in einem Zugang zu biblischen Texten, der auf der jüdischen Schriftauslegung (Midrasch) basiert.
Ich finde es regelmässig emotional ziemlich herausfordernd, wenn Bibeln auf dem Boden abgelegt werden. Ich halte das ganz schlecht aus und bitte dann darum, daß Bibeln nicht auf dem Boden abgelegt werden. Meist klappt das auch ganz gut.
Ich erinnere mich an einen Pfarrer, der meinte, ich solle mich nicht so haben. Das sei Papier und Druckerschwärze.
Ich habe geantwortet, daß ich hoffe und ihm wünsche, daß die Bibel für ihn hoffentlich mehr als Papier und Druckerschwärze sei.
Übrigens ist das teilweise durchaus auch inner-christlich unter Umständen ein Problem. Ich weiß von orthodoxen und koptischen Christen, daß sie sich mit dem Umgang evangelischer Christen mit der Bibel - konkret dem möglichen Ablegen auf dem Boden - genauso schwer tun wie ich.
Bei den Christen verhält es sich etwas anders.
Aufgrund meiner Erfahrungen im interreligiösen Gespräch würde ich sagen, daß Du Dich hier auf ein spezielles Spektrum von Christen, nämlich evangelische Christen beziehst.
Da sind die
Bibel oder Lektionare aus der Kirche einfach bloß Bücher.
Zwar kann man auch Bücher schlecht behandeln oder misshandeln
mit dem Ziel, die Menschen, die diesen Büchern besonderen Wert
beimessen, zu beleidigen. So wäre also eine öffentliche
Bibelverbrennung durch Moselsm oder Atheisten zweifellos ein
feindseliger Akt.
Aber die Tatsache, dass ich eine Bibel, die mein Bernhardiner
wegen Langeweile völlig zernagt hatte, mit dem Altpapier
entsorgt habe, ist keine Missachtung.
Schon das ist für mich sehr schwer nachvollziehbar. Wie und wo bewahrst Du denn Deine Bibel(n) auf, sodaß sie für den Bernhardiner zugänglich sind? Bei Juden, Muslimen, koptischen und orthodoxen Christen gibt es für die heiligen Schriften besondere Aufbewahrungsorte bzw. -formen. So wäre es für diese Gruppen auch nicht vorstellbar, daß eine heilige Schrift in einem Bücherstapel liegt, also andere Bücher auf ihr liegen.
Ein Buch ist ein Buch.
Und dabei ist es egal, ob es sich um den Koran, die Bibel oder
die Erstausgabe des Kommunistischen Manifests handelt.
Auch wenn formal ein Buch ein Buch ist, so gibt es da für mich unterschiedliche Wertigkeiten. Ich gehe grundsätzlich mit Büchern sehr wertschätzend und sorgfältig um, aber heilige Schriften sind noch mal eine andere Kategorie.
Interessant war für mich in einem Kurs die Erfahrung, daß ansonsten mit diesem Thema eher flapsig umgehende Kursteilnehmer sehr wohl daran Anstoß genommen haben, als ich als Jüdin ein Neues Testament auf dem Boden abgelegt habe - eine Schrift, die für mich ja nicht heilig ist.
Viele Grüße
Iris