Hallo Kathy,
Er will ja, dass der dritte Stand „Mitspracherecht“ in der
Politik hat.
So weit, so richtig.
Aber welche Legitimationsgrundlage fehlt den
ersten beiden Ständen, die der dritte Stand hat?
Kuriose Frage. Stell dir vor, über den Haushalt der Bundesrepublik und die Besteuerung der Bürger würde nicht der Bundestag entscheiden, sondern der Rat der EKD, die deutsche Bischofskonferenz und der Verband deutscher Großgrundbesitzer. Dann stell Dir die Frage noch einmal: welche Legitimationsgrundlage fehlt diesen illustren Herrschaften, die z.B. der Bundestag hat?
Bestreitet denn Sieyès die Legitimation der Vertreter von Adel und Klerus, in den Generalständen für ihren Stand zu sprechen? Keineswegs. Sieht er gar die Verteter des dritten Standes als einzig legitimiert? Erst recht nicht. Wie Du selbst sagst - es geht in dieser Schrift um angemessene Mitsprache, nicht um einen Alleinvertretungsanspruch oder eine Diktatur des Proletariatsdritten Standes. Wenn den ersten beiden Ständen eine Legitimationsgrundlage abgesprochen wird, dann lediglich die, für den dritten Stand zu sprechen, weil ihre Interessen als Privilegierte (wobei hier das wichtigste Privileg Steuerfreiheit ist) zu denen des dritten Standes (dem zur Sanierung des Staatshaushaltes in die Taschen gegriffen werden soll) in Widerspruch stehen. Was ist daran so schwer nachzuvollziehen?
Was er verlangt, ist eigentlich recht bescheiden - nämlich zunächst, dass die Vertreter des dritten Standes in den Generalständen diesem dritten Stand auch selbst angehören:
_ Première demande
Que les représentants du tiers état ne soient choisis que parmi les citoyens qui appartiennent véritablement au tiers._
[Erste Forderung - dass die Repräsentanten des dritten Standes ausschließlich aus Bürgern ausgewählt werden, die dem dritten {Stand} auch tatsächlich angehören]
dann, dass der dritte Stand, der weit über 80% der Bevolkerung ausmacht, in den Generalständen zumindest paritätisch mit Adel und Klerus vertreten ist:
_ Deuxième demande du tiers
Que ses députés soient en nombre égal à ceux des deux ordres privilégiés._
[Zweite forderung des dritten {Standes} - dass seine Deputierten in der Anzahl jener der beiden privilegierten Stände gleich sind]
und schließlich, dass - seinerzeit noch lange nicht selbstverständlich - dann gemeinsam abgestimmt werden soll und nicht jeder Stand mit einer Stimme votiert (wobei de facto der dritte Stand stets 2:1 überstimmt würde):
_ Troisième et dernière demande du tiers état.
Que les états généraux votent non par ordres, mais par têtes._
[Dritte und letzte Forderung des dritten Standes - dass die Generalstände nicht nach Ständen, sondern nach Köpfen abstimmen]
Freundliche Grüße,
Ralf