Frustrationstoleranz
Hi Pustepluhme
zunächst eínmal ein Kompliment an dich, denn du stellst dieses für dich problematische Verhalten mit solcher Gelassenheit und mit einer solchen Fähigkeit zur Selbstdistanz dar, wie man sie sonst bei Menschen mit diesen Eigenschaften sehr selten findet.
Trotzdem - der erste Ausdruck in deiner Beschreibung hat Seltenheitswert:
Ich glaube, ich leide unter Aggressionen.
denn es ist vermutlich doch eher so, daß deine Umwelt darunter leidet, und nicht du selbst - oder? *smile* So jedenfalls hast du deine Beispielsituationen ausgesucht.
Aber du äußerst ja den Wunsch, diese offenbar blitzschnellen und unwillkürlichen Reaktionen in den Griff zu bekommen. Klar, denn wie du ja auch schreibst, wirkt das in jeglicher zwischenmenschlichen Beziehung störend, wenn nicht sogar - auf die Dauer - zerstörend.
Mit deiner Selbstbeschreibung:
wenn mir einer blöd kommt oder ich mich in irgendeiner Weise angegriffen fühle, ticke ich total aus…
und
ich habe mich in solchen Momenten einfach nicht unter Kontrolle.
und
Ich bin außerdem nämlich auch ziemlich empfindlich, eifersüchtig und schnell beleidigt…
(wobei bei dem letzteren sicher noch zu ergänzen wäre: extrem ungeduldig, vor allem mit anderen, die langsamer sind als du, oder die nicht so wollen, wie du… stimmts?)
triffst du ziemlich genau das, was man in der Psychologie „geringe Frustrationstoleranz“ nennt. Frustationstoleranz ist - umgangssprachlich ausgedrückt - die Spannweite im „Nervenkostüm“, die jemand zur Verfügung hat, ehe er „in die Luft“ geht bzw. bis er überhaupt meint, auf etwas, das ihm in die Quere kommt oder ihm zuwider ist, reagieren zu sollen.
Wenn diese „Reaktions-Schwelle“ sehr schnell überschritten wird, hat das fast immer den Grund, daß der Betreffende sich von etwas sehr tief und existentiell angegriffen, sogar bedroht fühlt, was ein anderer (mit einer „größeren Frustrationstoleranz“) als Lappalie abtun würde, oder was ihm nicht wichtig genug erschiene, überhaupt darauf zu reagieren. Das Extrem in der einen Richtung ergäbe so etwas, was man Lethargie nennt, das andere Extrem liegt halt in der Richtung, die du selbst erlebst. Beide - als Extreme - machen das Zusammenleben mit anderen jedenfalls problematisch. Die einen „kriegen den Arsch nicht hoch“, die anderen „kommen von der Decke nicht mehr runter“.
Um dieses Verhalten in ein lebbares Mittelmaß zu kriegen, ist es günstig, wenn du zunächst einmal dahinterkommst, was in solchen bltzschnellen Reaktionen bei dir („innerlich“) eigentlich abgeht (das geht in der Regel mit einem Gesprächspartner, der auf solche Gespräche geschult ist, etwas leichter, als allein). Wenn du also z.B. erkennen würdest, daß du selbst eigentlich nicht aggressiv bist, sondern daß du lediglich etwas, daß dir quer kommt, als heftigen Angriff auf dich erlebst , dann könne dich das weiterbringen in deiner Bemühung.
Nochnmal mit anderen Worten - und ob dies bei dir so ist, kann man aus der Ferne nicht sagen, aber du weißt, ob du dich in dieser (Um-)Deutung hier wiederfindest, oder halt nicht: Was du erlebst, ist nicht, daß du übertrieben auf einen geringen Anlaß reagierst, sondern, da0 du angemessen reagierst auf einen von dir als Angriff erlebten Anlaß (der aber in Wirklichkeit keiner war).
In deinen Beispielen sähe das so aus: der Autofahrer, der deinen Radweg kreuzt, hat einen Fehler gemacht, er wollte dich nicht ärgern oder anfahren… aber du erlebst es so, als ob er dich hätte überfahren wollen. Und Dein Freund, der links will, wo du rechts willst, hat einfach im Augenblick Lust auf etwas anderes als du, aber er will dich nicht in deiner Existenz bedrohen.
Wenn du aber davon ausgehst, daß du es ja so erlebst (als Bedrohung), wenn dir das vielleicht auch so nicht bewußt sein mag, dann weißt du zumindest, daß deine Reaktionen in Ordnung sind… nur deine Wahrnehmungen der Umgebung ist mit dem, was objektiv passiert, nicht richtig koordiniert.
Das ist also ähnlich wie bei einer Allergie: Der Körper reagiert mit Abwehr (Nießen, Schnupfen, Fieber) auf etwas, das in Wirklichkeit gar keine Gefahr für den Körper war.
Du beschreibst also Situationen, in der in der zwischenmenschlichen Beziehung deine Selbstschutz-Alarmanlage zu sensibel eingestellt ist. Dein Bewegungsmelder reagiert nicht nur auf Einbrecher, sondern auch auf Katzen, die im Garten herumschleichen.
Woher kommt so was?
Da gibt es viele Möglichkeiten von Lebensgeschichten, die das als Resultat haben könnten. Wie es „funktioniert“, also abstrakt beschrieben, ist etwas zu kompliziert, um es hier zu posten, und wie es sich bei dir persönlich entwickelt hat, das kann eh keiner aus der Entfernung wissen… dazu wären lange Gespräche notwendig…
… könnte sein, daß mal irgendwer in deiner Vergangenheit dir gegenüber Grenzen überschritten hat… dir zu nahe getreten ist, ohne vorher anzuklopfen… dich verletzt hat und vergessen hat, dich um Verzeihung zu bitten… ?
Bin ich wirklich gestört?
Du meinst, ob du nicht alle Tassen im Schrank hast? Nun, den Ausdruck „gestört“ verwendet man in der Psychologie nicht für so etwas. Ja, gewiß, dein sogenanntes Sozialverhalten ist „gestört“ in dem Sinne, daß es belastend, selbstschädigend auch, für deine Beziehungen ist, beruflich und privat… das heißt aber nicht, daß du"gestört" bist… 
Kann ich das ändern und wenn ja, wie?
Vielleicht hast du ja Lust, erstmal ein feedback zu geben, ob die „Umdeutung“ (siehe oben) auf das, was du empfindest, paßt oder nicht…
Muss ich gleich in Therapie, oder kann man das irgendwie auch allein schaffen?
Das hört sich so an, als ob du bei Bauchschmerzen sagst, „muß ich jetzt gleich operiert werden?“… Du, Psychotherapeuten sind Gesprächspartner, sonst nichts… du kannst sie in Anspruch nehmen, wenn du jemanden brauchst, der von außen etwas sieht, was du von innen nicht sehen kannst… und in der Regel sind das auch Leute, die vorsichtig genug sind, dich nicht gleich mit „guten Ratschlägen“ totzuschlagen… und sie sind ehrlich genug, um dir nicht zu sagen „das ist kein Problem, du brauchst nur…“ - Wenn du was dran tun willst, ja, es ist möglich, aber es geht nicht von jetzt auf gleich durch einen sogenanten „Tip“… es ist auf jedenfall „Arbeit“ - und Geduld - notwendig.
Gibt es so was öfter …
Ja…
Übrigens hat jeder Mensch schon erlebt, daß er in besonderen spannungsreichen, angeheizten Situationen „überreagiert“, daß er „ausrastet“…und sich hinterher fragt „wie konnte ich nur?“… Das ist also gewissermaßen „normal“. Aber anderen passiert das eben auch in Situationen, die nicht offensichtlich „angeheizt“ sind…
… oder bin ich ziemlich allein mit dem Problem?
nein, du erkennst es allein daran, daß man sich schon lange auf einen Namen dafür geeinigt hat, so daß der eine gleich weiß, wovon der andere redet, ohne erst viele Beispiele erzählen zu müssen.
b.a.w. und liebe Grüße
Metapher