Hallo!
Bereits als Radios noch Röhren hatten, gab es für den Reparateur die feste Regel, als ersten Schritt die fehlerhafte Stufe zu lokalisieren, zunächst also nicht auf der Bauelementeebene zu suchen. Ausnahme von der Regel bildeten nur offenkundige und sichtbare Fehler. Daran hat sich bis heute nichts geändert, egal ob man ein Flugzeug, ein Auto, eine Werkzeugmaschine oder einen PC instand setzt.
Wenn man die betreffende Stufe als Fehlerort lokalisiert hat - aber nur dann - kann man die in Frage kommenden Bauelemente überprüfen. Zur Lokalisierung der betreffenden Stufe nutzt man die Fehlersymptomatik und/oder Messungen. In früheren Zeiten hatte man nach Dutzenden Reparaturen des gleichen Gerätetyps das Schaltbild weitgehend im Kopf, Leiterplatten gab es nicht, Multilayer schon gar nicht, die Funktion jeder einzelnen Stufe war jedem einschlägigen Fachmann bekannt und die Anzahl aktiver Bauelemente sehr überschaubar. So kam man mit der Vorgehensweise, die fehlerhafte Stufe zu lokalisieren und anschließend mit zwei, drei Messungen gezielt und zügig auf das defekte Bauelement.
Als ich vor bald einem halben Jahrhundert meine Gesellenprüfung als Radio- und Fernsehtechniker ablegte, bestand ein Teil der praktischen Prüfung aus der Reparatur eines Tonbandgerätes, eines Radios und eines Fernsehers mit jeweils einem eingebauten Fehler. Mir ist nicht mehr in Erinnerung, ob zu den Geräten Schaltpläne gereicht wurden. Jedenfalls brauchte ich sie nicht. Die Funktionsstufen waren bekannt und in den Geräten auf Anhieb schon an Röhrentypen sofort zuzuordnen. Die für die Fehlersuche benötigte Zeit wurde gestoppt und man musste in Stichworten aufschreiben, welchen Suchschritt man unternahm und warum man so vorging. Dauerte nur Minuten. Das war die Zeit, als man mit dem Serviceauto über die Dörfer fuhr und am Tag ein Dutzend Kundengeräte in deren Wohnzimmern mit Röhrenkoffer und simpelsten Hilfsmitteln instand setzte. Die Zeiten sind lange vorbei. Ohne detaillierte Unterlagen geht nichts mehr. Nur an der grundsätzlichen Vorgehensweise hat sich nichts geändert. Vom erlernten Grundsatz „Zuerst die defekte Stufe lokalisieren!“ zehre ich bis heute.
Heute scheitern Reparaturen von Motherboards an schlicht nicht vorhandenen technischen Unterlagen, so dass eine systematische Fehlersuche unmöglich wird. Auf Verdacht irgendwelche Bauelemente zu überprüfen, ist ziellose Stümperei. Zudem ist das Überprüfen einzelner Bauelemente nicht einfach, allenfalls bei passiven Teilen und Einzelhalbleitern möglich und das auch nur in ausgelötetem Zustand, wobei die Chance groß ist, dabei am Multilayer und/oder am SMB-Bauelement Schaden anzurichten. Deshalb ist eine wirtschaftlich sinnvolle Fehlersuche und Reparatur von Motherboards i. d. R. nicht möglich.
Ähnliche Probleme gibt es an elektronischen Baugruppen aller Art, z. B. bei Steuergeräten im Auto. Wenn die Baugruppen nicht mehr als Ersatzteil erhältlich sind, ergeben sich Betätigungsfelder für spezialisierte Leute, die mit kompletten Unterlagen und geeignetem Equipment bis auf die Bauelementeebene messen und instand setzen. Dabei spielt Geld keine große Rolle. Bei einem Motherboard für kleines Geld kann man nicht viel Aufwand treiben, aber bei einem Steuergerät (Auto wegen eines kaputten Thyristors verschrotten ja oder nein) sieht die Sache ganz anders aus.
Mit entsprechendem Aufwand kann man fast alles instand setzen, sofern Equipment und Dokumentation vorhanden sind. Auch an speziell hergestellten/programmierten Bauteilen kann Mühe scheitern. Das Umschiffen solcher Klippen kann sich etwa bei den erwähnten Steuergeräten für den spezialisierten Betrieb lohnen, aber ganz sicher nicht für das Motherboard eines gewöhnlichen PC. Deshalb ist es sinnvoll, solche Leiterplatten als Bauelement zu begreifen, das bei einem Defekt komplett ersetzt wird.
Gruß
Wolfgang