archaische Psychologien
Hi,
zu deiner ersten Frage
Nach welchem Muster wurde von den Christen die Dämonisierung der alten Götter betrieben?
fällt mir so spontan nicht viel ein. In den paulinischen Schriften und in der Apokalypse (die des NT) sind zwar zahlreiche dämonologische Konzepte angesprochen, aber nicht solche, die fremde Götter dämonisieren. Ausnahme ist natürlich der beezeboul/beelzeboub aber diese Verwandlung des kanaanäischen Hochgottes Baal Zebul zu einem „Herrn der Fliegen“ (siehe FAQ:1518) ist schon früh-israelitisch.
Ansonsten wird das Konzept des Satan als „Herrscher dieser Welt“ (schon in Joh. 12.31) und damit als Herrscher über alle anderen Dämonen voll übernommen und später zum Teufelsbegriff umgebaut.
ich meinte damit, in Gedanken an das Alte Ägypten ebenso wie
an unsere Gespensterfurcht: Bei dem ägyptischen Totenkult kann
eine Grabanlage ja schwerlich ein verrufener Ort gewesen sein,
und wieso soll in der christlichen Vorstellung der Ort der
Toten gespenstisch sein? Andererseits sind die Grabanlagen
aber in der frühen christlichen Literatur (bei den Patres
Graeci) bevorzugte Aufenthaltsorte der Dämonen, und auch auf
unseren Friedhöfen geisterte es lange.
Das ist richtig. Die Aufenthaltsorte von Dämonen, die es direkt auf die Peinigung von Menschen abgesehen haben, sind (international sozusagen) Orte, die in irgendeiner Weise unwirtlich, gefahrvoll (z.B. von wilden Tieren bewohnt), „unheimlich“ sind: Im Gebirge die Berggipfel und tiefen Täler (Bergreligionen, wie Tibet z.B., sind immer überreich an Dämonen), Höhlen, Wüsten, Quellen, und insbesondere solche Orte, an denen der Tod eh der Herrscher ist, bzw die als Eingangstore in die Unterwelt, ins Totenreich gelten: Die Gräber und Friedhöfe aber vor allem auch Ruinen, Ruinenstädte.
Ins spätere europäische Christentum mußten solche Vorstellungen gar nicht aus dem Vorderen Orient mitgeschleppt werden: Die existierten überall vor Ort in ähnlicher Weise.
Die ägyptischen Todestheorien sehen tatsächlich etwas anders aus. Die Seelenbegriffe sind dort auch etwas komplizierter: Die BA-Seele geht ja aus dem Körper und fliegt ins Reich des Todes, wo sie den Richtern vorgestellt wird. Die KA-Seele entfernt sich zwar aus dem Körper, aber sie bleibt in der Grabkammer, bzw kehrt dorthin in der Nacht immer wieder zurück. Dafür gibt es (zumindest seit dem Neuen Reich) dezidiertere Vorstellungen einer Hölle der Qualen, die übrigens auch in die Apokalypse des NT eingegangen sind (der zweite Tod im Feuersee).
Was war früher? Die Unheimlichkeit
der Begräbnisorte als solche (und dann deshalb dort auch die
Lokalisierung von Dämonen) oder die Grabanlagen als Ort der
Dämonen (und dann deshalb auch die Unheimlichkeit dort).
Das ist eine interessante Fragestellung. Man müßte dazu tief in die fundamentals der Religionswissenschaft einsteigen: Die Polarität von materiellen und immateriellen Wesenheiten, die wohl zu den ursprünglichsten Ideen gehört, die am Anfang von religiösen Vorstellungen überhaupt steht. Die immateriellen Wesen (nach Rudolf Otto das „Numinose“) treten aber in wiederum einer weiteren Polarität in Erscheinung: Als Faszinosum und als Tremendum. In dieser Polarität findet sich dann alles wieder, was die Gefühlswelt des Menschen bestimmt. Licht und Finsternis, Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, das Gute und das Böse. Das eine (Faszinosum) ist die Instanz für die Sehnsucht, das andere (Tremendum) Instanz für den Schrecken.
Damit haben diese elementaren Gefühle einen ersten „Begriff“ bekommen. Wir haben die Anfänge einer archaischen Psychologie.
Btw.: die „Erklärung“, wie es zu diesen Polaritäten kommt, ist einzig Sinn und Zweck von Schöpfungsmythen: Sie erklären nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart.
Dabei ist das Böse primär alles, was Elend, Schmerz, Krankheit, Tod ausmacht, alles was körperliches und psychisches Leid ausmacht. Das moralisch Böse ist demgegenüber sekundär: Es ist das, was in irgendeiner Weise anderen mit voller Absicht Leid zufügt.
Sofern der Mensch dieses Böse nicht von sich aus abwenden kann und auch (primär) nicht selbst erzeugt, werden dafür (mythologisch folgerichtig) eben immaterielle Wesen verantwortlich gemacht, denn diese haben, weil sie nicht an die Beschränkungen der materiellen Welt gebunden sind, jede beliebige Macht, bzw. einen ihnen jeweils zugeordneten Machtbereich.
Zu der psychologischen Dualität „Immateriell-Materiell“ gesellt sich dann auch eine räumliche bzw. topologische Dualität (die auch das Grundprinzip von allen Schöpfungsmythen ist und daher in allen auch verbalisiert ist): „Himmel und Erde“. Mit der weiteren Dualität „Faszinosum-Tremendum“ trennt sich dann dieses topologische Modell wiederum auf: Die Erde, das Materielle, steht in der Mitte zwischen dem Himmel, dem „lichtvollen“ Anteil des Immateriellen (also als Reich der postitv gedachten Götter) und der Unterwelt, dem schrecklichen, dunklen Anteil des Immateriellen, die zunächst nur das Reich der Toten ist (die Hölle als Ort der Qualen ist eine historisch relativ späte religiöse Erscheinung).
In dieser räumlichen (topologischen) Version der ursprünglichen Dualität erscheinen die Wesenheiten dann als „Herrscher“ der entsprechenden „Reiche“.
Die Frage ist dann: Wo ist der Zugang in diese Unterwelt. Das wäre dann zugleich der Ort, von dem aus die negativ gedachten immateriellen Wesen Zugriff auf die Welt der Lebenden haben. Und diese Orte sind dann alle, in denen das Leben gefährdet ist, wo Krankheit und Tod droht (die Wildnisse), wo Dunkelheit herrscht (die Nacht ganz generell) und selbstverständlich dann auch vorzüglich die Orte, wo sich die Toten selbst befinden: Die Gräber.
Diese Orte sind also nicht die, wo sie sich aufhalten, sondern nur die „Tore“, durch die sie Zugang zur Realität und damit Zugriff auf den Menschen haben.
Um also die Frage nach Henne und Ei auf dieser Grundlage zu beantworten: Es gibt weder Henne noch Ei, denn die Dämonen sind einfach nur ein anderes Mythem, eine andere Ausdrucksweise, ein anderes Symbol oder Bild für den Schrecken. Sie scheinen nötig gewesen zu sein, um den Schrecken, das Leid „begrifflich“ zu machen. Daher hat man auch Macht über die Dämonen, sobald man ihren Namen weiß. Denn ihr Name ist auch ihr „Begriff“. Die Handlungsweise von Dämonen und die Umgehensweise mit ihnen sind Bestandteil früher sowohl körperlicher als auch psychischer Krankheitstheorien und - demzufolge - Heilungstheorien.
Die Krankheit IST somit der Dämon. Das Gefühl der Angst, des Schreckens IST die Präsenz eines Dämons.
Gruß
Metapher