Hallo Carlos,
ich danke dir sehr herzlich für deinen Beitrag und deine
offene Stellungsnahme.
Bitte sehr.
Auf einer Hauptschule wäre ich an der Gewalt und Repression
zerbrochen.
Du stellst es so dar, als wären alle Hauptschulen Räuberhöhlen. Das ist so nicht in Ordnung. In Hamburg, wo ich arbeite, gibt es gar keine selbständigen Hauptschulen, sondern nur noch kombinierte Haupt-Realschulen. Und an den meisten dieser Schulen kann man sich als Schüler durchaus wohlfühlen! Vielleicht reden wir ein wenig aneinander vorbei, weil die schulische Situation in Hamburg anders ist als deine!
Was für ein offenes Messer soll das sein? Das die Kinder nicht
mithalten, sitzenbleiben oder auf die Realschule runtergestuft
werden?
Genau. Das ist völlig versagen, das Gefühl haben, sie können nichts und einen erneuten Schulwechsel erleben müssen.
Ist es etwa für ein intelligentes Kind leichter in der
Hauptschule zu sitzen? Ist dir eigentlich klar, dass du mit
einer solchen Enscheidung einen Menschen, der eine akademische
Laufbahn eingeschlagen hätte, zu der Stellung eines
Hilfsarbeiters verurteilen kannst?
Wie gesagt, in Hamburg gibt es keine reinen Hauptschulen.
Und die Empfehlung ist nicht bindend! Der Elternwille ist entscheidend!
Wenn ich aber irgend davon ausgehe, dass ein Kind das Gymnasium schaffen kann, werde ich es freudestrahlend dafür empfehlen! Im letzten Jahrgang habe ich übrigens zwei „Wackelkandidaten“ fürs Gymnasium empfohlen. Beide sind leider nach einem Jahr gescheitert.
Was ich fordere,
was ich von ganzem Herze wünsche,
ist für solche Kinder das Recht und die Chance sich bewähren
oder versagen zu dürfen.
Natürlich kann man auch sagen: O.K., versuch es einfach, wenn es nicht klappt, wechselst du eben auf eine Haupt-/Realschule. So etwas habe ich zur Zeit mit einer Schülerin im Sinn. Wenn das Kind so etwas gut verkraftet, kann man es versuchen.
Kein ruhiger Arbeitsplatz zu Hause? Dann soll das Kind sich
irgendwo, sei es in der Schule oder bei Freunden oder an einem
öffentlichen Ort einen Platz zu suchen.
Dein Wort in Gottes Ohr! Das erzähle ich bei jedem Elterngespräch und jedem Schülergespräch.
Die Eltern unterstützen die Kinder nicht emotional? Dann muss
sich das Kind allein durchschlegen und Menschen suchen, die
ihm Rat und Beistand geben.
In meiner Klasse ist ein Mädchen aus einer asiatischen Familie, der ich genau das zutraue. Klar, manche schaffen es ganz alleine. Das Problem sind die Kinder, denen man „eigentlich“ das Gymnasium zutrauen würde, die aber eben nicht ganz allein auf sich gestellt sich durchbeißen können.
Die Generation, die diese Land aufgebaut hat, ist in Trümmern
aufgewachsen. Für sie hattten die Eltern keine Zeit und es gab
keine Förderung. Dennoch brachte sie exzellente Ingenieure,
Wissenschafteler und Führungskräfte hervor. Auch unter
widrigen Umständen können aus Kindern großartige
Persönlichkeiten hervorgehen.
Natürlich.
Wenn du nun diesen Text liest, hast du den Eindruck, dass er
von einem dumben Kanacken stammt?
Komisches Wort. Ich arbeite übrigens sehr gern mit Kindern ausländischer Herkunft zusammen. Ich fände es sehr langweilig, wenn alle die gleiche Hautfarbe, die gleiche Religion und die gleiche Sprache hätten!
Aber vielleicht ist ein Kind in deiner Klasse, mit einer
ähnlichen Ausgangslage, wie bei mir, mit ähnlichen Wünschen
und ähnlichen Ehrgeiz. Und diese Kind wird von DIR in eine
Laufbahn der schlechtesten Bildungsmöglichkeiten geschoben,
aus der es aus eigener Kraft nicht mehr heraus kommt.
- Nein! So ein Kind bekommt natürlich die Gymnasialempfehlung! Ich kenne meine Klasse seit dreieinhalb Jahren und kann bei den meisten sehr klar einschätzen, ob Gymnasium in Frage kommt (ich weiß nicht, ob du dir darüber im klaren bist, wie gering die Leistungen zum Teil in einer Brennpunktschule sind!).
- Mein Verhältnis zu den Kindern aus 7 Nationen ist zum Glück sehr freundschaftlich, liebevoll. Ich werde also alles (nein, aber sehr vieles) tun, damit sie so erfolgreich wie möglich sind. Da kannst du sicher sein!
- Die meisten Kinder gehen auf die nebenan gelegende Gesamtschule.
Bitte lass dir mein Plädoyer zu Herzen gehen. Und wenn nur ein
einziges Kind deswegen schließlich die Chance zu einem Studium
ergreifen kann, dann kann ich beruhigt schlafen.
Wofür plädierst du? Soll ich alle Kinder meiner Klasse aufs Gymnasium schicken, auch die, die kaum Deutsch sprechen und einfache Plusaufgaben aus der 2. Klasse falsch rechnen?
Wenn dein Plädoyer heißt, mach dir die Entscheidung nicht leicht und guck ganz genau hin, dann will ich es gerne berücksichtigen!
Deine Empfehlung ist bindend! Die bildungsfernen Eltern
hören auf dich und wer hört schon auf die Wünsche eines
zehnjährigen Kindes.
Bitte behaupte nicht Dinge, die du nicht wissen kannst! Auch bildungsferne Eltern sind oft der Meinung, selbst am besten zu wissen, was für ihr Kind richtig ist. Habe ich schon öfter erlebt und das Kind darunter leiden sehen! Und natürlich höre ich auch auf den Willen des Kindes!
Schlusswort: Du gehst sehr stark von dir und deinem Werdegang aus. Das kann Anregungen geben. Dennoch ist nicht alles, was für dich richtig war, für andere richtig. Es gibt Kinder, die sich auf einer Haupt-Realschule wohlfühlen, die stolz sind, einen Realschulabschluss zu machen und die zu mehr beim besten Willen nicht in der Lage sind! Auch wenn ich zugebe, dass heute ein Realschulabschluss nicht mehr so viel wert ist, halte ich nichts davon, jedes Kind mit Gewalt und gegen seinen Willen aufs Gymnasium zu bringen!
Gruß!
Christian