Guten Abend.
Ich bin wieder zu faul und fasse zusammen.
Ein System, das Bildungschancen aufgrund weltanschaulicher
Standpunkte vergibt, kann m.M. nach nicht gerecht sein.
Was ist weltanschaulich?
Meinst Du den politischen Druck?
Oder meinst Du die Ideologie, das Weltbild?
Die DDR erreichte die Chancengerechtigkeit und die (kurzfristige) Offenheit des Bildungssystem mit Hilfe von Quotenregelungen und Sonderhilfen für Arbeiterkinder.
Eine reine Leistungsauslese versagt völlig, wenn alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft gleiche Bildungschancen erleben sollen. Die sehr schulisch orientierten Familien würden bevorzugt werden und es brächte wieder die uralten deutschen Mißstände zu Tage, daß theorielastiges, schulisches Lernen höher geschätzt wird als produktive Tätigkeit.
Hier muß ich mich wider Willen auf die Seite der vermeintlichen Kommunisten stellen, denn Leistungsprinzip und familiäre Herkunft müssen zusammen betrachtet werden.
Bei diesem Punkt sieht man, welche gefährlichen Meinungen in unserer Gesellschaft sich festigen konnten, wenn arme Familien durch die Blume als „geistig zurückgeblieben“ hingestellt werden. Nichts anderes geschieht nämlich, wenn betruchte Leute arrogante Reden schwingen, daß die Eltern die Kinder unterstützen müssen und daß die Armen selbst schuld seien, und, und, und.
Selbstverständlich müssen die Eltern die Kinder in den ersten Jahren erziehen, doch die Sache polemisch immer so zu drehen, und meistens wie einen Vorwurf zu formulieren, daß alle Armen automatisch dumm und ungebildet wären…
Viele können sich ein teures Bildungssystem wie in Deutschland einfach nicht leisten, und entgegen der Wunschträume vieler konservativen Kulturkämpfer kommen eben nicht die begabten Kinder der benachteiligten Familien zu höherer Bildung, weil die Selektions- und Separationsmaschinerie die familäre Herkunft betont und nicht die Leistungen. Besonders in den süddeutschen dreigliedrigen Systemen ist das „Niveau“, beziehungsweise das, was dem Rest der Republik unter dem Wort „Niveau“ eingeredet wird, reine Frühselektion und institutionalisierte Trennung mitsamt der dadurch möglichen Drohkulisse. Schon die blanke Drohung „Hauptschule“ baut hier eine abartige Spielart des Leistungsdruckes auf.
Daß wir uns richtig verstehen: Die Einheitsschule machte auch Druck, mehr als heutzutage, aber anders, psychologisch. Einerseits: Konkurrenz, Wettkämpfe, Straße der Besten, Lob vor der Schule, Abzeichen, Medaillen, hohen Idealen und erstrebenswerten Eigenschaften nacheifern. Andererseits: Hohe Anforderungen wurden mit viel Hilfe verbunden. Die Schule wandte sich dem Schüler zu und versuchte ihn nicht, auf mindere Schulformen zu zwängen.
In diesem Sinne müßte unsere Schule dringend wieder „weltanschaulich“ werden, wenn „weltanschaulich“ heißt, mit dem gesunden Menschenverstand tatsächlich die Welt anzuschauen und die Kinder nach hochgreifenden Idealen zu erziehen.
Das ist leider das Schlechte mit dem „allseitig entwickelten sozialistischen Menschen“ - die Gleichsetzung von Weltanschauung mit der politischen Linie der SED beschmierte die vielen erstrebenswerten Ideen, denen die DDR hinterherrannte.
Ein Beispiel:
Ignoriert man in den Gesetzestexten die „Parteilichkeit“ und den „festen Klassenstandpunkt“, könnte das Wort „sozialistisch“ beliebig durch „demokratisch“ ersetzt werden und 95% der Bundesbürger würden ein solches Schulgesetz begeistert unterschreiben, ohne mitzuschneiden, daße es sich eigentlich um abstraktes DDR-Gedankengut handelt.
Es sind wirklich schräge Dinge gelaufen, wenn es um den Zugang zu
EOS und Studium ging.
Das mag richtig sein. Es sind aber viel öfter normale Dinge gelaufen.
Das heutige Schulsystem ist mit seiner Ungerechtigkeit und seinem Niveaumangel keinen Deut besser. Auch die Schulen kann keineswegs frei gewählt werden. Der Bürger muß nehmen, was ihm obrigkeitsstaatlich vorgesetzt wird. Schüler werden nicht auf Schulformen stabilisiert, sondern bei Schwierigkeiten abgeschult. Die Durchlässigkeit des gegliederten Schulsystems ist erstens schlecht und zweitens sehr einseitig: „Runter geht’s immer, rauf geht’s nimmer.“
Was gefällt dir denn an Rainer Geißler nicht
Ich weiß es nicht mehr; mir hat vor Jahren ein Buch von ihm beim Lesen irgendwie nicht gefallen. Ich lese mich nochmal ein, wenn ich Gelgenheit habe, und äußere mich dann wieder.
Diese völlig dämliche Einschränkung meine ich. Obwohl drei
Kinder intellektuell in der Lage wären, Abitur zu machen, wird
es aus politischen Gründen nur einem gestattet. Ist doch
absurd!
Ja.
Allderings: Die Berufsausbildung und die Weiterqualifizierung wurde in der DDR anders organisiert. Man konnte ohne Abitur ein erfolgreiches Berufsleben führen, welches dem eines Akademikers nicht nachzustehen brauchte.
Wie manch einer Lehrer wurde, ist ja immer wieder interessant.
Ja, die „Umlenkungsgespräche“.
Ein Lehrer meinte einmal, daß das Studium manches biegen konnte, denn es wurde handwerklich unterrichtet, ohne Affentanz. Ich würde mutmaßen, daß auch Menschen, die man eigentlich nicht im Klassenzimmer sehen möchte, ein solides Unterichten erreichen können. Wenn es die richtige Ausbildung und die richtigen Hilfen gibt.
die aufgrund einer Kapazitätenbegrenzung keinen
Studienplatz erhielten
Gab es nicht. Alle EOS-Absolventen hatten einen Studienplatz.
Ich müßte es nachlesen, doch die intensive Berufsberatung brachte die Berufswünsche in eine erstaunlich große Übereinstimmung mit den Planzahlen. Die Quote der Bürger, die nach der Wende sagten, sie mußten einen Beruf aufnehmen, den sie ursprünglich nicht wollten, liegt bestimmt niedriger als die Quote der unzufriedenen Jugendlichen heutzutage, die keine über Jahre gezogene Beratung erhielten, die mit 14 oder 15 keine Ahnung haben, wie ihr Leben sein soll, die einen unter mehreren tausend Berufen wählen dürfen.
Wir geraten hier gerade etwas Off-Topic, aber ich finde es
spannend. In welchem Zusammenhang beschäftigst du dich mit der
DDR-Bildungspolitik?
Einfach aus Interesse.
schlecht für nen Arbeiter- und Bauernstaat .
Ja, vielleicht.
Was für kreative Winkelzüge hat es denn erfordert?
Kind Nr. 1 durfte auf die EOS.
Danach mußten alternative Routen zum Reifezeugnis benutzt werden.
Kind Nr. 2 nahm nach dem Abschluß der 10. Klasse ein Fachschulstudium auf, um Unterstufenlehrerin zu werden. Der Fachschulabschluß erteilte die Hochschulreife.
Kind Nr. 3 konnte in die Berufsausbildung mit Abitur.
Die Abbrecherquote an französischen Unis beträgt 50%…
Wir leben in Deutschland und wollen besser als die Franzosen sein.
Dann müssten es in den USA und England ein viel höherer
Anteil nicht schaffen.
Dort funktioniert die Studienfinanzierung völlig anders.
Bei mir nicht, ich bekomm jederzeit Hilfe.
Die meisten Studenten beklagen die schlechte Betreuung in vielen Universitäten und ich erlebe dies auch. Man kämpft gegen Windmühlen - wenn die Herren Professosores nicht wollen, wollen sie nicht. Pädagogische Ansinnen haben so gut wie keine Durchschlagskraft.
*räusper* erm, ja. Solche kenn ich. manchmal ist aber auch der
Professor pädagogisch versiert, aber die Prüfungsordnung ist
Schrott.
Hmm.
Das heißt also, unsere Kinder sollen (USA) dumm werden, aber
alle das Abitur schaffen oder (Japan) Lemminge werden und kein
Englisch mehr können?
Ich habe in beiden Ländern gearbeitet und bewundere immer wieder den teutonische Überlegenheitsdogmatismus. Am teutschen Bildungswesen soll die Welt… oder wie?
dass die Absoventenqote bei 12-14 % lag. Das ist für mich aber nicht
wirklich ein Geleichstand, auch wenn ich tatsächlich einen größeren
Unterschied vermutet hätte.
Ich weiß leider nicht mehr, wo ich das mit der Absolventenquote las.
Doch sowas läßt sich recherchieren.
dann kann aber was mit der Nichtbenachteiligung nicht stimmen.
Die Studie meinte, daß die immer unterstellte vermeintliche Unterdrückung der Intelligenz-Kinder statistisch nicht stattfand.
Die Kinder dieser Familien setzten sich über alles gesehen immer durch, trotz Quotenregelungen für Arbeiterkinder und teilweise gelockerten Zugangsvoraussetzungen (50er, Sonderregelungen für die nachzuweisenden Leistungen).
Und mit dem sachten Kurswechsel in den 70ern erlebten die Intelligenz-Kinder eher Aufschwung, wenn auch die Restriktionen und der politische Druck deutlich zunahmen.
Gute Nacht