FreiStaat Sachsen bei Pisa vorn?!

Hi,

ich nehme Dir Deine entschuldigung ab, du hast mich zwar nicht verstanden, aber ich glaube Dir, dass es dir leid tut, und darum geht es ja.

Die Gründe dafür, dass ein Bildungssystem mit nur 10% Hochschulabsolventen nicht (mehr) funktionieren kann, sind dir aber sicher bekannt, oder?

Weil es dann nicht genug Akademiker gibt für die vielen Jobs, in denen man Akademiker braucht?
Du hast nicht gelesen, was ich geschrieben habe, und du weißt nicht genug über die DDR. Man brauchte für wahnsinnig viele Tätigkeiten, für die man jetzt ein studium braucht, in der DDR kein Studium. Daher brauchte man auch wesentlich weniger Abiturienten. Außerdem bedeutet Planwirtschaft nicht nur, dass vorherbestimmt wird, wovon wieviel produziert wird - damit wird auch die Anzahl der Arbeitskräfte, die man in einem bestimmten Bereich braucht, zumindest berechenbarer (ein Teilaspekt der Arbeitsplatzgarantie, die es gab, wie ich schon mal schrieb).
Außerdem gab es die Möglichkeit einer Berufsausbildung mit Abitur - 1 Jahr länger, mehr Schule, dafür Fachabitur. Aus meiner Klasse gingen 2 zum Abitur und mind 1 zum Fachabitur.
Diese Berufsausbildung mit Abitur wird gerade in Bayern unter dem Namen DBFH (Duale Berufsausbildung mit Abitur) als DIE Neuerfindung gefeiert. DEr Wahnsinn, sowas großartiges, mich haut es aus den Socken. Ist ja völlig neu!

So, ich hör jetzt auf, ich hab zu Deinen Fragen alles geschrieben, was ich sagen kann, und kann Dich jetzt erst mal lesen lassen.

die Franzi

Hallo!

Hm. Ich glaub, das gibts überall…

Ich habe hier keine Exlkusivität in Anspruch genommen. Wirklich herausragend ist wohl nur die Rückkehr zum lupenreinen dreigliedrigen Schulsystem (übrigens einer der seltenen Fälle, wo Politiker ihre Wahlversprechen wirklich gehalten haben).

Aus Lehrersicht würde ich aber als Kernproblem die
Reformeritis nennen und eine daraus folgende erhebliche
außerunterrichtliche Belastung.

Dazu kann ich jetzt nichts sagen, ich unterrichte ja noch
nicht selbst… Stimmt es, dass man mehr mit Bürokratie zu tun
hat als mit dem eigentlichen Job?

Im Mittel sicher nicht, aber Phasenweise hat man für Schüler kaum noch den Kopf frei. Das ärgerliche ist dass vieles davon so offensichtlich Schwachsinnig ist. Neben dem auch schon ziemlich sinnfreien einpflegen aller möglicher Reförmchen, in denen die Fächer Stundetafleln usw. immer mal wieder wahllos neu zugeschnitten werden, damit man nur ja nie dazu kommt, eine Unterrichtssequenz in einem zweiten Durchlauf vielleicht noch mal verbessern zu können, sitzt dann schon mal das ganze Kollegium stundenlang, sogar TAGELANG in TQM-Schulungen, Konferenzen und Dienstbessprechungen, in dem offensichtlich zum Scheitern verurteilten Versuch QM-Mechanismen der Industrie auf Schule anzuwenden. Dazu dann noch Projekt-, Steuerungs-, Auswertungs-, Befragungs-, Bereichs- und wwi-gruppen, die analysieren, formulieren, operationalisieren, dokumentieren, priorisieren, terminieren, evaluieren und schließlich … abheften.
Da werden an einer Schule ohne Übertreibung tausende Lehrerarbeitsstunden abgefackelt damit nach drei Jahren als Bilanz das Schwarze Brett ordentlich ist und für jeden Toilettengang eine Dienstanweisung hinterlegt ist. Der Lehrer ist ja ein EHDA-Faktor, wie meine Wirtschafts-Kollegen immer sagen. Den muss man in Kostenanalysen nicht berücksichtigen.

Für die Schüler stehen m. E. als Problem im Vordergrund die
Rückkehr zum steinzeit-dreigliedrigen Schulsystem mit
geschwächten Grundschulen, Schulzuweisung nach der vierten
Klasse,

Also ich hab irgendwo, weiß aber leider nicht mehr wo,
gelesen, dass es in Bundesländern mit verbindlicher
„Empfehlung“ Migrantenkindern …

Dazu kann ich dir gar nichts sagen. Ich wollte hier auch nicht das Fass Elternwille (der gilt hier immer noch) vs. Lehrerdiktatur aufmachen. Da habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Das Problem ist die viel zu frühe Selektion nach der 4.

die de Facto Abschaffung von integrierten
Gesamtschulen und für die Gymnasien natürlich das allseits
beliebte G8 mit seinem Rattenschwanz an Problemen.

Da bedingt doch das eine (also das G8) das andere, oder? bei
meiner Tante an der Gesamtschule (Hessen) war das zumindest
so.

Ja, hier auch. Zuerst hatten die Gesamtschulen (wie die Beruflichen Gymnasialen Oberstufen) noch Sonderrechte und machten das Abitur weiterhin in 13 Jahren. Da die Gesamtschulen aber von der Regierung ohnehin nur als Altlasten geduldet werden, und als deutlich wurde, dass viele Eltern ihre Kinder nun gezielt dorhin schicken wollten um dem Druck des G8 zu entgehen, hat man nun zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Diesen Weg zum G9 verbaut und gleichzeitig die Gesamtschulen vernichtet, ohne es formal beschließen zu müssen.

Gruß
Werner

Hallo,

ich nehme Dir Deine entschuldigung ab, du hast mich zwar nicht
verstanden,

Das tut mir nun noch mehr leid.
Allerdings hast du mich zumindest in einem Punkt auch missverstanden. Das Problem des begrenzten Hochschulzuganges stellt sich ja nicht nur in Form möglicher Günstlingswirtschaft, sondern wahrscheinlich viel ausgeprägter in Form eines Ausschlusses bestimmter Menschen aufgrund politischer Vorgaben vom Studium, obwohl sie es hätten schaffen können.
Dort fanden die Einbrüche in Lebensplanungen und die willkürliche Fremdbestimmung statt.

Die Gründe dafür, dass ein Bildungssystem mit nur 10% Hochschulabsolventen nicht (mehr) funktionieren kann, sind dir aber sicher bekannt, oder?

Weil es dann nicht genug Akademiker gibt für die vielen Jobs,
in denen man Akademiker braucht?
Du hast nicht gelesen, was ich geschrieben habe,

Doch.

…und du weißt nicht genug über die DDR.
Man brauchte für wahnsinnig viele
Tätigkeiten, für die man jetzt ein studium braucht, in der DDR
kein Studium. Daher brauchte man auch wesentlich weniger
Abiturienten.

Das ist mir bekannt. Es mag auch sein, dass in der DDR-Planwirtschaft das irgendwie funktionierte (obwohl auch das zu bezweifeln ist), nur sind wir 20 Jahre weiter und die Ansprüche an die Tätigkeiten sind weiter gewachsen und damit auch an die Qualifizierung der Arbeitnehmer.
Die Möglichkeiten einer außeruniversitären Qualifizierung etwa als Meister, Spezialisten oder in Technikerschulen gab und gibt es ja auch im Westen. Die kommen zur Zahl der notwendigen Hochschulabsolventen noch dazu. Auch außeruniversitäre und „zweite“ Bildungswege, die letztlich auch zu entsprechenden Abschlüssen führen, gab es im Westen und gibt es bis heute. Die Fachhochschulen (die es in der DDR m. W. nicht gab) werden etwa in großen Teilen von ehem. Berufsschülern besucht.

Diese Berufsausbildung mit Abitur wird gerade in Bayern unter
dem Namen DBFH (Duale Berufsausbildung mit Abitur) als DIE
Neuerfindung gefeiert. DEr Wahnsinn, sowas großartiges, mich
haut es aus den Socken. Ist ja völlig neu!

Ist es wirklich nicht, das gab es theoretisch auch im Westen (aber vielleicht nicht in Bayern) vor 30 Jahren schon, es wurden nur kaum Ausbildungsplätze angeboten, weil die Betriebe die Leute dann ohnehin ins Studium entfleuchen sahen. Ich glaube dass aus diesem Grund das auch in Zukunft kein Massenphänomen werden wird.

Aber damit sind wir sehr weit vom Ursprungsthema weg und müssten diese Diskussion nun wohl schon zur Geschichte verschieben.

Gruß
Werner

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Hallo,
also mein Einstieg in die Chemie liegt ja nun schon etwa 30 Jahre zurück. Da hat aber niemand irgendwie auch nur einen Andeutung gemacht, Frauen könnten das nicht, Auch nicht unser 60 Jähriger äußerst studienrätlicher (aber humorvoller) Lehrer.
Unsere Klasse war etwa paritätisch besetzt, und die beiden Besten in Chemie waren Mädchen. In Physik wurden sie knapp von einem Jungen geschlagen (ich gehörte in beiden Fächern nicht zur Spitze, in Chemie hielt ich eher die rote Laterne). Ich würde zwar auch sagen, dass im Durchschnitt die Mädchen in diesen Fächern etwas schwächer waren, aber das Phänomen einer vorauseilenden Abqualifizierung muss wohl eher „süddeutsch“ sein oder neu.

Gruß
Werner

1 Like

Hallo!

Es sind eben zwei Perspektiven: im Bildungssystem zu arbeiten oder ein Bildungssystem zu durchlaufen. Das sächsische Schulsystem würde nicht so gut funktionieren, wenn es nicht so viele Lehrer geben würde, die nicht Dienst nach Vorschrift schieben, sondern sich über das arbeitsrechtlich notwendige Maß hinaus engagieren. Wohl gemerkt: Viele werden seit nahezu 20 Jahren als Teilzeitarbeiter bezahlt, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Das Verständnis bröckelt…

Deine Kritik am sächsischen Hochschulsystem mag berechtigt sein, keine Ahnung - ich habe anderswo studiert. Ich meinte auch eher deine „Ossi“-„Wessi“-Vergleiche mit einen latenten Hang zum Jammern. Es herrscht Freizügigkeit in Deutschland - wenn dir die Uni vor der Haustür von ihrer personalen und technischen Ausstattung nicht gefällt, dann pack deine Sache und such dir was besseres. Hab ich auch gemacht. War eine gute Erfahrung, mal über den Tellerrand zu schauen. Und man merkt recht schnell, dass der „Wessi“ auch ein sehr netter Mensch ist.

Grüße!

Hallo!

schon diese Bestrebung existierte in der DDR nicht - es
reichte, was gutes zu werden, also einen Beruf zu lernen und
Geld zu verdienen, es gab ja eine Garantie auf einen
Arbeitsplatz. Warum jetzt im DEtail diese
Karriereversessenheit nicht existierte, kann ich nicht sagen).

Ich klinke mich mal kurz ein:
Der Zugang zu weiterführenden Schulen und zum Studium in der DDR war sozial wesentlich selektiver als heute, besonders gegen Ende hin. Es fand eine Reproduktion innerhalb des Systems statt, was aus menschlichen Ermessen völlig logisch ist. Im Jahr 1988 stammten beispielsweise 78% der Studierenden an Unis aus sog. Intelligenzfamilien, während nur 7% aus Arbeiterfamilien kam. Klar, jemand, der früher selbst aufgestiegen ist (und zu Anfang der DDR war das auch möglich und wurde klar gefördert), wird einen Teufel tun und sein Kind bewusst zu einem „Arbeiter“ erziehen, damit Arbeiterkinder endlich an die Unis kommen. Ich empfehle Reiner Geißler zum Einstieg, er legt das ganz gut dar.
Zum Zweiten bestand auch keine Notwendigkeit, Abitur zu machen und ein aufwendiges Hochschulstudium anzustreben - also das, was du „Karriereversessenheit“ nennst -, weil es sich finanziell einfach nicht lohnte. Wenn jemand nach 10 Jahren Schule und einer Berufsausbildung ebenso viel Geld verdient wie ein Doktor der Medizin nach zwölf Jahren Schule und vielleicht 7jährigem Studium, dann ist es schon idealistisch, dass überhaupt noch jemand an die Uni ging. Das hing dann wohl eher mit individueller Bildungsmotivation zusammen, und wer das nicht vorgelebt bekommt, der wird diese nicht groß haben.

Mein Vater beispielsweise hat POS gemacht, dann Ausbildung mit Abitur, anschließend Meister - am Ende hat er drei Jahre lang den Hof gefegt, weil er aus der Partei ausgetreten ist und es einfach nichts mehr zu tun gab. Möglichkeiten der formalen Ausbildung - keine Frage, die waren auch nach dem normalen Schulweg sicher nicht verkehrt. Aber man muss es eben auch verwerten können.

Grüße!

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Hi,

ich schließe doch gar nicht aus (wobei ich diese Formulierung jetzt nicht als Prozentangabe verstanden wissen möchte), dass Parteizugehörigkeit hilfreich (bzw. bei Nichtvorhandenssein schädlich) sein konnte. Es ging aber auch anders.

Der Zugang zu weiterführenden Schulen und zum Studium in der DDR war sozial wesentlich selektiver als heute

Finde ich bis zu einem gewissen Grade normal. Ich finde es genauso schlimm, auf Krampf in der sozialen Schicht bleiben zu wollen, wie sie auf Krampf verlassen zu wollen. Was will jemand, der das geistige Zeug dazu nicht hat, auf dem Gymi / beim Studium? Warum soll sich jemand, der ein begabter Theoretiker ist und zwei linke hände hat, mit einer Handwerksausbildung quälen (wenn der Zweck ist, dann dabei zu bleiben?

weil es sich finanziell einfach nicht lohnte.

viele meiner Schüler sind zB Chemikanten. Die verdienen mehr netto als ein angestellter Lehrer (was in vielen Bundesländern die Regel ist, in bayern wohl bald auch die Regel sein wird und durch die neuen Tarifverträge auch nicht verbessert wurde) und die Ärzte an Krankenhäusern (ebenfalls angestellt nach TVöD), und zwar deutlich mehr. Auch als Autobauer bei Opel scheint man mehr zu verdienen (neulich im TV gesehen. Weiß nicht, was er für eine genaue Position hatte, aber er kriegte 2500 netto. Als Lehrer oder Arzt, angestellt nach TVöD, bekommt man 2700 Euro. Brutto.

die Franzi

Hallo!

viele meiner Schüler sind zB Chemikanten. Die verdienen mehr
netto als ein angestellter Lehrer (was in vielen Bundesländern
die Regel ist, in bayern wohl bald auch die Regel sein wird
und durch die neuen Tarifverträge auch nicht verbessert wurde)
und die Ärzte an Krankenhäusern (ebenfalls angestellt nach
TVöD), und zwar deutlich mehr. Auch als Autobauer bei Opel
scheint man mehr zu verdienen (neulich im TV gesehen. Weiß
nicht, was er für eine genaue Position hatte, aber er kriegte
2500 netto. Als Lehrer oder Arzt, angestellt nach TVöD,
bekommt man 2700 Euro. Brutto.

Es lohnte sich damals oftmals nicht, eine höhere schulische Laufbahn und ein Hochschulstudium abzuschließen, da die akademischen Berufe damals nicht höher bezahlt wurden als ‚einfache‘ Berufe mit ‚einfacher‘ Ausbildung. Auch wenn ich kein Anhänger der FDP bin, ist an dem Spruch „Leistung muss sich lohnen“ durchaus was dran. V.a. muss man irgendwann das investierte Geld (und sei es nur Verlust wegen fünf Jahre späterem Berufseinstieg) wieder rein holen.

Dass das heute anders ist, ist klar (und gut). Wobei heute kein Lehrer nach TVöD mit 2.700 Euro nach Hause geht (wenn überhaupt, dann nur im ersten Jahr). Ich denke, wir Lehrer sollten mal nicht so arg über unsere Bezahlung jammern. Klar hat man in einer gesuchten Branche der sog. „freien Wirtschaft“ eine bessere Verhandlungsposition. Aber Lehrer werden in den meisten Ländern nach wie vor verbeamtet, was eine enorme Einkommenssteigerung bedeutet. Ich sage immer, wir leben in einem freien Land, und wer mit seinem Leben an einem Ort nicht zufrieden ist, soll halt woanders hingehen. Ich verkaufe mich hier nicht billig für Zwangsteilzeit und TVöD und gehe deshalb weg. Das ist die Option, die ich als jemand, der mehr oder weniger im ÖD arbeiten muss, habe: „Nein danke und auf Wiedersehen“ zu sagen.

Grüße!

die Franzi

1 Like

Hi,

die zahlen, die ich dir gab, sind 2010, Bayern.

Wobei heute kein Lehrer nach TVöD mit 2.700 Euro nach Hause geht (wenn überhaupt, dann nur im ersten Jahr).

Nein, es kommen ja noch die gesetzlichen Abzüge weg, es ist also weniger. Jeder, der zB jetzt in Bayern von Ingenieur auf Lehrer umsatteln will (MAthe, Physik sind Mangelware) und einen Angestelltenvertrag kriegt, hat als Anfangsgehalt brutto 2700. Auch der Familienvater. Und wenn er über 45 ist, hat er keine Chance, verbeamtet zu werden und nach A13 zu kommen. Habe ich grad alles durch - vor knapp 5 Jahren Planstelle angetreten, nicht verbeamtet worden, Einstieg nach BAT IIa mit ca3500 brutto. Glückwünsche des Personalrates zu einem der letzten Verträge nach Bundesangestelltentarif und ERklärung von TVöD.

Ich jammere auch nicht über meine Bezahlung. Aber es stimmt nicht, dass man in einem akademischen Beruf heutzutage automatisch mehr Geld bekommt als in einem nicht-akademischen.

Aber is ja eh wurscht, was solls.
die Franzi

Hallo!

Nein, es kommen ja noch die gesetzlichen Abzüge weg, es ist
also weniger.

Das ist schon klar, dass das weniger ist, war sicher falsch ausgedrückt mit dem „nach Hause gehen“. Also mit 2700 brutto steigt man 2010 aber nur bei E12 ein, und wie gesagt, nur im 1. Jahr, dann steigt man auf. Wer von Ingenieur auf Lehrer umsattelt, sollte sich das natürlich gut überlegen, denn Ingenieure verdienen, je nach Branche, vom Berufseintritt weg mehr als Lehrer, zumindest mehr als die angestellten. Auf der anderen Seite bekommen die Ingenieurs-Lehrer aber ihr Geld sehr regelmäßig, haben einen relativ sicher Arbeitsplatz (in Bayern können ja selbst angestellte Lehrer nicht oder nur unter extremen Bedingungen (die im persönlichen Bereich liegen) entlassen werden). Der Ingenieur bei Siemens, der in guten Zeiten mehr Geld hat, wird gerade entlassen. Wenn er über 45 ist, dann kriegt er in einem Jahr nicht nur keine 2.700 Euro brutto, sondern Hartz IV.

Man muss halt Prioritäten setzen.

Ich jammere auch nicht über meine Bezahlung. Aber es stimmt
nicht, dass man in einem akademischen Beruf heutzutage
automatisch mehr Geld bekommt als in einem nicht-akademischen.

Das habe ich ja auch nicht gesagt. Aber dass ein Arzt oder ein Lehrer oder ein Ingenieur oder Architekt oder Historiker mehr verdient als ein Melker oder eine Schneiderin und eine geringer Arbeitslosigkeitsbedrohung hat, ist im Normalfall schon so. Es ging ja mehr um die Frage, warum in der DDR scheinbar keine große Bildungsmotivation herrschte. Weil es sich eben nicht nur manchmal nicht lohnte, sondern sehr häufig nicht. Und weil der Zugang zu Bildung stark eingeschränkt war. Und weil es keinen Zwang gab, gut zu sein, denn jeder bekam „Arbeit“, auch wenn die bei hochqualifizierten, motivierten Arbeitern manchmal darin bestand, das Auto des Chefs zu putzen oder den Hof zu kehren, was auch die gemacht haben, die heute als „Bildungsversager“ bezeichnet werden würden.

Grüße!

1 Like

Hallo,

Deine Kritik am sächsischen Hochschulsystem mag berechtigt
sein, keine Ahnung - ich habe anderswo studiert. Ich meinte
auch eher deine „Ossi“-„Wessi“-Vergleiche mit einen latenten
Hang zum Jammern. Es herrscht Freizügigkeit in Deutschland -

Ich jammere nicht, bzw ging es mir nicht darum - es störte mich nur, wenn ich ein Forenthema lese in dem es für mich sehr danach klingt, dass ein Ossi-Wessi „Konflikt“ aufkommt und sich der Wessi einfach nicht vorstellen kann, dass es auch gute Ossis gibt. Ich mag das fehlinterpretiert haben, aber es klang für mich so.

Grüße

Guten Abend.

Der Zugang zu weiterführenden Schulen und zum Studium in der DDR war
sozial wesentlich selektiver als heute

Für die 80er mag dies stimmen, für die 50er und 60er ist es falsch.
Nebenbei: Geißler ist mit Vorsicht zu lesen.

Daß die EOS sich für Arbeiterkinder (wie mich) Ende der 70er zusehends schloß, hat mehrere Gründe:

  1. Ulbricht wurde entmachtet. Ich lese gegenwärtig mehrere Hochschulschriften zum Aufbau des „einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ 1965 und hinter verschlossenen Türen zeigte sich ein Ulbricht, wie ihn sich der idealistische DDR-Bürger öffentlich gewünscht hätte.

  2. Die Einheitsschule erreichte Mitte der 60er ihre Hochform. 50% der Studenten gehörten zur „Arbeiterklasse“.

  3. Die SED-Bürokraten stellten in den 70ern fest (nach der Abkehr von der Linie Ulbrichts), daß etwas getan werden mußte, um die Macht bei den Parteifunktionären des Zentralkomitees zu stabilisieren. Die politischen Bürger mußten bevorzugt werden.

  4. Eine Studie und Hochschulschrift legte 2007 dar, daß die DDR-Schule die auf deutschem Boden einmalige Leistung tatsächlich für eine bestimmte Zeit erreichte, Bildung und gesellschaftliche Herkunft völlig voneinander zu entkoppeln (in den 60ern).

  5. Die gleiche Studie stellte fest: Die Schüler aus Familien der Intelligenz wurden auf lange Sicht - von Einzelschicksalen abgesehen - nicht benachteiligt und wurden auch nicht durch die Sonderhilfen und Quoten für Arbeiterkinder aus den erweiterten Oberschulen gedrängt. Kinder aus Familien, die gute Bedingungen für Schul- und Lebenserfolg schaffen, würden sich, so die Studie, in allen Bildungssystemen früher oder später durchsetzen.

  6. Die gleiche Studie bestätigte des weiteren, daß sich Bildungsaufstieg auf die Kinder übertragen läßt. Arbeiter, die es auf Grund der gesellschaftlichen Offenheit der Einheitsschule in einen akademischen Beruf schafften, konnten diesen Status an die Kinder weitergeben.

  7. Die Bildungspolitik der DDR führte zu einer stark ausgedehnten Intelligenz, die zugleich die Arbeiterklasse schrumpfen ließ. Ich bin ein klassisches Arbeiterkind, wurde in der Schule wegen meiner familiären Herkunft speziell gefördert, durfte auf die EOS und erwarb einen, später einen zweiten, Hochschulabschluß. Aus diesem Grund wurde ich in den Statistiken „Intelligenzler“. Meine Frau, auch ursprünglich ein Arbeiterkind, erhielt noch mehr Hilfe, denn sie wurde frühzeitig auf mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Berufe orientiert und entsprechende gefördert.

Unsere fünf Kinder erreichten ausnahmslos das Abitur, drei in der DDR (was sehr viele kreative Winkelzüge verlangte, denn in den 80ern durfte in einer Akademikerfamilie meistens nur ein Kind auf die EOS).

individuelle Bildungsmotivation

Ich stelle mir nichts Schöneres vor, als einen Arzt der aus reinem Willen und reinem Idealismus Arzt geworden ist und nicht wegen des vermeintlichen Prestiges, wegen des vielen Geldes oder, oder, oder.

Wenn vom heutigen Blickwinkel über die geringe Abiturientenquote und die geringe Stundentenzahl der DDR gesprochen wird, wird normalerweise vergessen, daß die Absolventenquote der DDR de facto der der BRD entsprach. In den Berufen Lehrer und Ingenieur verließen mehr Akademiker die Hochschulen der DDR wie in der BRD.

Die Abbrecherquote betrug echte Akademiker dar; Akademiker, die tatsächlich gebraucht wurden und für die es in der Wirtschaft auch Arbeit gab.

Damals wie heute prügeln wir im westdeutschen Schulwesen Unmengen Abiturienten durch ein Studium, die eigentlich schon nicht auf das Gymnasium gehörten. Die Abbrecherquote ist gewaltig, ja astronomisch. Außerdem scheitern Studenten, die ein Studium geistig schaffen müßten, weil die Randbedingungen katastrophal sind. Studiengebühren, ungenügende Hilfe, miserable Betreuung, pädagogisch mangelhafte Professoren, zuwenig Leistungsorientierung im Studienverlauf.

Hier muß reformiert werden, wenn Deutschland den USA oder Japan wieder Konkurrenz machen will. (Und China kommt…)

Gute Nacht :smile:

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Guten Morgen :smile:

Für die 80er mag dies stimmen, für die 50er und 60er ist es
falsch.

Wie ich auch gesagt habe. Aber die Frage ist ja, wie es sich entwickelt hätte, wenn die DDR nicht krachen gegangen wäre.
Ein System, das Bildungschancen aufgrund weltanschaulicher Standpunkte vergibt, kann m.M. nach nicht gerecht sein. Es sind wirklich schräge Dinge gelaufen, wenn es um den Zugang zu EOS und Studium ging. Ich mag da aufgrund der persönlichen Familiengeschichte etwas emotionalisiert sein. Ich behaupte nicht, dass heute alles gerecht und mit rechten Dingen abläuft. Aber eine Verklärung der Situation in der DDR macht mich echt rasend.

Nebenbei: Geißler ist mit Vorsicht zu lesen.

Ist nicht jeder Wissenschaftler mit Vorsicht zu genießen, vor allem in den Sozialwissenschaften? Was gefällt dir denn an Rainer Geißler nicht bzw. in welchen Punkten ist er in der Debatte?

  1. Eine Studie und Hochschulschrift legte 2007 dar, daß die
    DDR-Schule die auf deutschem Boden einmalige Leistung
    tatsächlich für eine bestimmte Zeit erreichte, Bildung und
    gesellschaftliche Herkunft völlig voneinander zu entkoppeln
    (in den 60ern).

Ich habe ja nichts gegenteiliges behauptet. Aber es ist logisch, dass es nicht ewig so weitergehen konnte, zumindest nicht dann, wenn es begrenzte Kapazitäten gibt.

Kinder aus Familien, die
gute Bedingungen für Schul- und Lebenserfolg schaffen, würden
sich, so die Studie, in allen Bildungssystemen früher oder
später durchsetzen.

Das leuchtet absolut ein.

  1. Die gleiche Studie bestätigte des weiteren, daß sich
    Bildungsaufstieg auf die Kinder übertragen läßt. Arbeiter, die
    es auf Grund der gesellschaftlichen Offenheit der
    Einheitsschule in einen akademischen Beruf schafften, konnten
    diesen Status an die Kinder weitergeben.

Logisch.

Unsere fünf Kinder erreichten ausnahmslos das Abitur, drei in
der DDR (was sehr viele kreative Winkelzüge verlangte, denn in
den 80ern durfte in einer Akademikerfamilie meistens nur ein
Kind auf die EOS).

Diese völlig dämliche Einschränkung meine ich. Obwohl drei Kinder intellektuell in der Lage wären, Abitur zu machen, wird es aus politischen Gründen nur einem gestattet. Ist doch absurd!

Ich stelle mir nichts Schöneres vor, als einen Arzt der aus
reinem Willen und reinem Idealismus Arzt geworden ist und
nicht wegen des vermeintlichen Prestiges, wegen des vielen
Geldes oder, oder, oder.

Das mag es geben, aber am Ende muss der Arzt auch seine Brötchen verdienen und eine Familie ernähren können, v.a. aber die Opportunitätskosten seiner Ausbildung wieder rein holen. (heute mehr als zu DDR-Zeiten, als es Stipendien gab)
Kleine Rechnung: Ich habe 5 Jahre studiert und 2 Jahre Referendariat gemacht, Studiengebühren bezahlt, Bafög bekommen. Jemand mit Ausbildung nach dem Abitur hat drei Jahre gebraucht, ehe er anfangen konnte, Geld zu verdienen, hat keine Studiengebühren und kein Bafög, das er zurückzahlen muss. Ich muss quasi allein 4 Jahre „Verlust“ aufholen plus die real angefallenen Kosten kompensieren. Ist es da nicht verständlich, dass ich ein Stellenangebot als Lehrer im ÖD ablehnen muss, das mir 1.300 Euro netto anbietet? Da mag ich den Job lieben, wie ich will - ich muss auch davon leben können.
(Das ist kein fiktives Beispiel, es ist Realität.)

Wenn vom heutigen Blickwinkel über die geringe
Abiturientenquote und die geringe Stundentenzahl der DDR
gesprochen wird, wird normalerweise vergessen, daß die
Absolventenquote der DDR de facto der der BRD
entsprach. In den Berufen Lehrer und Ingenieur verließen mehr
Akademiker die Hochschulen der DDR wie in der BRD.

Wie manch einer Lehrer wurde, ist ja immer wieder interessant. Frag mal in ostdeutschen Lehrerzimmern nach. Da sind manche so offen und erzählen, dass sie studieren wollten, sie aber aus irgendwelchen Gründen keinen Studienplatz bekamen. „Werden Sie doch Lehrer“, hat man denen geraten. Und so sind sie heute Lehrer, ohne es eigentlich gewollt zu haben. Das sind die, die hier im Forum mit „Lass es“ und „Weißt du überhaupt, was es bedeutet, diesen Job auszuüben?“ und „Werde mal erwachsen.“ zusammen gestaucht werden…

Die Abbrecherquote betrug echte Akademiker dar; Akademiker, die
tatsächlich gebraucht wurden und für die es in der Wirtschaft
auch Arbeit gab.

Das mag sein. Aber wo bleibt der Wettbewerb, wenn die Konkurrenz fehlt? Kannst du dir die Frustration derer vorstellen, die aufgrund einer Kapazitätenbegrenzung keinen Studienplatz erhielten, obwohl sie bildungsmotiviert waren? Ich halte nichts von einer Jobgarantie, die man von vornherein hat.

Wir geraten hier gerade etwas Off-Topic, aber ich finde es spannend. In welchem Zusammenhang beschäftigst du dich mit der DDR-Bildungspolitik?

Grüße und einen sonnigen Tag wünscht
Sonne

1 Like

Hallo!

  1. Eine Studie und Hochschulschrift legte 2007 dar, daß die
    DDR-Schule die auf deutschem Boden einmalige Leistung
    tatsächlich für eine bestimmte Zeit erreichte, Bildung und
    gesellschaftliche Herkunft völlig voneinander zu entkoppeln
    (in den 60ern).

Ich würde sagen, dass diese Leistung nicht deutschlandweit, sondern weltweit einmalig ist…

  1. Die Bildungspolitik der DDR führte zu einer stark
    ausgedehnten Intelligenz, die zugleich die Arbeiterklasse
    schrumpfen ließ.

Ganz schlecht fü nen Arbeiter- und Bauernstaat :wink:.

Ich bin ein klassisches Arbeiterkind, wurde
in der Schule wegen meiner familiären Herkunft speziell
gefördert, durfte auf die EOS und erwarb einen, später einen
zweiten, Hochschulabschluß. Aus diesem Grund wurde ich in den
Statistiken „Intelligenzler“. Meine Frau, auch ursprünglich
ein Arbeiterkind, erhielt noch mehr Hilfe, denn sie wurde
frühzeitig auf mathematisch-naturwissenschaftlich-technische
Berufe orientiert und entsprechende gefördert.

Unsere fünf Kinder erreichten ausnahmslos das Abitur, drei in
der DDR (was sehr viele kreative Winkelzüge verlangte, denn in
den 80ern durfte in einer Akademikerfamilie meistens nur ein
Kind auf die EOS).

Das ist aber auch wieder unfair, oder? Was für kreative Winkelzüge hat das denn erfordert?

individuelle Bildungsmotivation

Ich stelle mir nichts Schöneres vor, als einen Arzt der aus
reinem Willen und reinem Idealismus Arzt geworden ist und
nicht wegen des vermeintlichen Prestiges, wegen des vielen
Geldes oder, oder, oder.

Oder weil er ja die Note dafür hatte, nur um das mal zu vervollständigen :wink:.
Leute, die es wirklich wollen, schaffen es meistens nicht, weil die Abiturnoten „zu schlecht“ waren (je nach Uni ist man manchmal schon mit 1,3 zu schlecht…). Natürlich kann man bei echter Motivation auch warten etc. Aber das machen wohl irgendwann auch die Eltern nicht mehr mit…

Damals wie heute prügeln wir im westdeutschen Schulwesen
Unmengen Abiturienten durch ein Studium, die eigentlich schon
nicht auf das Gymnasium gehörten.

Heute ja, damals: nein.

Die Abbrecherquote ist
gewaltig, ja astronomisch.

Die Abbrecherquote an französischen Unis beträgt 50%…

Außerdem scheitern Studenten, die
ein Studium geistig schaffen müßten, weil die Randbedingungen
katastrophal sind.
Studiengebühren,

Dann müssten es in den USA und England ein viel höherer Anteil nicht schaffen.

ungenügende Hilfe,

Bei mir nicht, ich bekomm jederzeit Hilfe. Vielleicht bin ich aber auch nicht prototypisch, wegen Winzuni.

miserable Betreuung,

Gibts bei mir ebenfalls nicht. Gibts auch nicht bei ner Freundin, die in München (LMU) studiert.

pädagogisch mangelhafte Professoren,

*räusper* erm, ja. Solche kenn ich. manchmal ist aber auch der Professor pädagogisch versiert, aber die Prüfungsordnung ist Schrott. Hab ich erst gestern erlebt (die Modulbeschreibung schreibt aber x vor! - ja, aber das bringt nichts. - Sie schreibt es aber vor!!!)

zuwenig Leistungsorientierung im Studienverlauf.

Hier muß reformiert werden, wenn Deutschland den USA oder
Japan wieder Konkurrenz machen will. (Und China kommt…)

Das heißt also, unsere Kinder sollen (USA) dumm werden, aber alle das Abitur schaffen oder (Japan) Lemminge werden und kein Englisch mehr können? :wink:

LG, Sarah

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Hallo,

Ich kenne nun keine Spezialliteratur dazu, darum wirst du wahrscheinlich recht haben. Aber mit den Einzelinformationen die ich zur Absolventenzahl habe passt die Behauptung die Absolventenquote sei in ost und West fast gleich gewesen nicht wirklich zusammen.
In den 80ern lag die Quote der Studienanfänger im Westen bei etwa 20 %. Ich weiß, dass die Absolventenquote in den 90ern stark eingebrochen ist, aber in den 80ern lag sie m. W. noch bei um 85 %. Das wären dann etwa 17 % Absolventen. Für den Osten habe ich da bislang keine Kenntnisse gehabt und darum nun mal online versucht rauszufinden, wo diese Quote lag. Dazu habe ich die Angabe gefunden, dass die Absoventenqote bei 12-14 % lag. Das ist für mich aber nicht wirklich ein Geleichstand, auch wenn ich tatsächlich einen größeren Unterschied vermutet hätte.

In deiner Schilderung beisst sich m. E auch etwas ein wenig.
Auf der einen Seite führst du aus, dass bis auf Einzelschicksale bildungsmotivierte Kinder aus entsprechenden Schichten nicht benachteiligt wurden, dann erzählst du uns aber, dass du selbst zwei deiner Kinder nur mit Tricks soweit gebracht hast. Wenn solche Trick nicht völlig normal und in der Regel erfolgreich waren, dann kann aber was mit der Nichtbenachteiligung nicht stimmen.
Außerdem ist es natürlich auch eine Frage was man sich unter Einzelschicksale so vorstellt. Z. B. Kinder von Systemkritikern oder Pastoren sollen ja auch nur recht selten zu akademischen Laufbahnen zugelassen worden sein (ohne dass ich dazu jetzt belastbare Quellen beibringen könnte) und das waren dann insgesamt doch mehr als ein paar Hände voll.

Gruß
Werner

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Hi,

Du hast überlesen, dass sich nach dem Tode von Walter Ulbricht das Bildungswesen ändert, es also einen Unterschied machte, ob man in den 60er bzw 70er Jahren in die Schule ging oder in den 80ern.

Situation Ende der 70er:

Daß die EOS sich für Arbeiterkinder (wie mich) Ende der 70er zusehends schloß, hat mehrere Gründe:

Kinder aus Familien, die gute Bedingungen für Schul- und Lebenserfolg schaffen, würden sich, so die Studie, in allen Bildungssystemen früher oder später durchsetzen.

Arbeiter, die es auf Grund der gesellschaftlichen Offenheit der Einheitsschule in einen akademischen Beruf schafften, konnten diesen Status an die Kinder weitergeben.

Ich bin ein klassisches Arbeiterkind, wurde in der Schule wegen meiner familiären Herkunft speziell gefördert, durfte auf die EOS und erwarb einen, später einen zweiten, Hochschulabschluß. Aus diesem Grund wurde ich in den Statistiken „Intelligenzler“. Meine Frau, auch ursprünglich ein Arbeiterkind, erhielt noch mehr Hilfe, denn sie wurde frühzeitig auf mathematisch-naturwissenschaftlich-technische Berufe orientiert und entsprechende gefördert.

Situation in den 80ern:

Unsere fünf Kinder erreichten ausnahmslos das Abitur, drei in der DDR (was sehr viele kreative Winkelzüge verlangte, denn in den 80ern durfte in einer Akademikerfamilie meistens nur ein Kind auf die EOS).

die Franzi

Hallo,
nein das habe ich nicht übersehen.
Die entsprechende Aussage zur bis auf Einzelschicksale ungehinderten Zugang von „Intelligenzkindern“ bezieht sich m. E. aber nicht auf die 60er, sondern auf die Spätphase der DDR. Oder wie soll man das „auf lange Sicht“ verstehen?

Gruß
Werner

Hi,

du beziehst dich auf reinerleins Punkt 5. Der ist Teil der Beschreibung einer Studie der Bildungssituation von Ende der 70er. Das „auf lange Sicht“ finde ich etwas komisch, kann es nicht richtig interpretieren, aber es kann sich nciht auf die 80er beziehen, da es eben innerhalb der Schilderung einer Studie aus den 70ern und der Schilderung der Bildungssituation bis zum tode Ulbrichts (und kurz danach) steht.
Reinerleins Kinder gingen, so wie ich den Text lese, in den 80ern zur Schule bzw. waren zu dem Zeitpunkt mit dem Wechsel auf die EOS beschäftigt, und hatten mit Hindernissen zu kämpfen, weil es da schwieriger war für gewisse Schichten. So lese ich das.

die Franzi

Guten Abend.

Ich bin wieder zu faul und fasse zusammen. :smile:

Ein System, das Bildungschancen aufgrund weltanschaulicher
Standpunkte vergibt, kann m.M. nach nicht gerecht sein.

Was ist weltanschaulich?

Meinst Du den politischen Druck?

Oder meinst Du die Ideologie, das Weltbild?
Die DDR erreichte die Chancengerechtigkeit und die (kurzfristige) Offenheit des Bildungssystem mit Hilfe von Quotenregelungen und Sonderhilfen für Arbeiterkinder.

Eine reine Leistungsauslese versagt völlig, wenn alle Kinder unabhängig ihrer Herkunft gleiche Bildungschancen erleben sollen. Die sehr schulisch orientierten Familien würden bevorzugt werden und es brächte wieder die uralten deutschen Mißstände zu Tage, daß theorielastiges, schulisches Lernen höher geschätzt wird als produktive Tätigkeit.

Hier muß ich mich wider Willen auf die Seite der vermeintlichen Kommunisten stellen, denn Leistungsprinzip und familiäre Herkunft müssen zusammen betrachtet werden.

Bei diesem Punkt sieht man, welche gefährlichen Meinungen in unserer Gesellschaft sich festigen konnten, wenn arme Familien durch die Blume als „geistig zurückgeblieben“ hingestellt werden. Nichts anderes geschieht nämlich, wenn betruchte Leute arrogante Reden schwingen, daß die Eltern die Kinder unterstützen müssen und daß die Armen selbst schuld seien, und, und, und.

Selbstverständlich müssen die Eltern die Kinder in den ersten Jahren erziehen, doch die Sache polemisch immer so zu drehen, und meistens wie einen Vorwurf zu formulieren, daß alle Armen automatisch dumm und ungebildet wären…
Viele können sich ein teures Bildungssystem wie in Deutschland einfach nicht leisten, und entgegen der Wunschträume vieler konservativen Kulturkämpfer kommen eben nicht die begabten Kinder der benachteiligten Familien zu höherer Bildung, weil die Selektions- und Separationsmaschinerie die familäre Herkunft betont und nicht die Leistungen. Besonders in den süddeutschen dreigliedrigen Systemen ist das „Niveau“, beziehungsweise das, was dem Rest der Republik unter dem Wort „Niveau“ eingeredet wird, reine Frühselektion und institutionalisierte Trennung mitsamt der dadurch möglichen Drohkulisse. Schon die blanke Drohung „Hauptschule“ baut hier eine abartige Spielart des Leistungsdruckes auf.

Daß wir uns richtig verstehen: Die Einheitsschule machte auch Druck, mehr als heutzutage, aber anders, psychologisch. Einerseits: Konkurrenz, Wettkämpfe, Straße der Besten, Lob vor der Schule, Abzeichen, Medaillen, hohen Idealen und erstrebenswerten Eigenschaften nacheifern. Andererseits: Hohe Anforderungen wurden mit viel Hilfe verbunden. Die Schule wandte sich dem Schüler zu und versuchte ihn nicht, auf mindere Schulformen zu zwängen.

In diesem Sinne müßte unsere Schule dringend wieder „weltanschaulich“ werden, wenn „weltanschaulich“ heißt, mit dem gesunden Menschenverstand tatsächlich die Welt anzuschauen und die Kinder nach hochgreifenden Idealen zu erziehen.

Das ist leider das Schlechte mit dem „allseitig entwickelten sozialistischen Menschen“ - die Gleichsetzung von Weltanschauung mit der politischen Linie der SED beschmierte die vielen erstrebenswerten Ideen, denen die DDR hinterherrannte.

Ein Beispiel:
Ignoriert man in den Gesetzestexten die „Parteilichkeit“ und den „festen Klassenstandpunkt“, könnte das Wort „sozialistisch“ beliebig durch „demokratisch“ ersetzt werden und 95% der Bundesbürger würden ein solches Schulgesetz begeistert unterschreiben, ohne mitzuschneiden, daße es sich eigentlich um abstraktes DDR-Gedankengut handelt.

Es sind wirklich schräge Dinge gelaufen, wenn es um den Zugang zu
EOS und Studium ging.

Das mag richtig sein. Es sind aber viel öfter normale Dinge gelaufen.

Das heutige Schulsystem ist mit seiner Ungerechtigkeit und seinem Niveaumangel keinen Deut besser. Auch die Schulen kann keineswegs frei gewählt werden. Der Bürger muß nehmen, was ihm obrigkeitsstaatlich vorgesetzt wird. Schüler werden nicht auf Schulformen stabilisiert, sondern bei Schwierigkeiten abgeschult. Die Durchlässigkeit des gegliederten Schulsystems ist erstens schlecht und zweitens sehr einseitig: „Runter geht’s immer, rauf geht’s nimmer.“ :frowning:

Was gefällt dir denn an Rainer Geißler nicht

Ich weiß es nicht mehr; mir hat vor Jahren ein Buch von ihm beim Lesen irgendwie nicht gefallen. Ich lese mich nochmal ein, wenn ich Gelgenheit habe, und äußere mich dann wieder. :smile:

Diese völlig dämliche Einschränkung meine ich. Obwohl drei
Kinder intellektuell in der Lage wären, Abitur zu machen, wird
es aus politischen Gründen nur einem gestattet. Ist doch
absurd!

Ja.

Allderings: Die Berufsausbildung und die Weiterqualifizierung wurde in der DDR anders organisiert. Man konnte ohne Abitur ein erfolgreiches Berufsleben führen, welches dem eines Akademikers nicht nachzustehen brauchte.

Wie manch einer Lehrer wurde, ist ja immer wieder interessant.

Ja, die „Umlenkungsgespräche“.

Ein Lehrer meinte einmal, daß das Studium manches biegen konnte, denn es wurde handwerklich unterrichtet, ohne Affentanz. Ich würde mutmaßen, daß auch Menschen, die man eigentlich nicht im Klassenzimmer sehen möchte, ein solides Unterichten erreichen können. Wenn es die richtige Ausbildung und die richtigen Hilfen gibt.

die aufgrund einer Kapazitätenbegrenzung keinen
Studienplatz erhielten

Gab es nicht. Alle EOS-Absolventen hatten einen Studienplatz.

Ich müßte es nachlesen, doch die intensive Berufsberatung brachte die Berufswünsche in eine erstaunlich große Übereinstimmung mit den Planzahlen. Die Quote der Bürger, die nach der Wende sagten, sie mußten einen Beruf aufnehmen, den sie ursprünglich nicht wollten, liegt bestimmt niedriger als die Quote der unzufriedenen Jugendlichen heutzutage, die keine über Jahre gezogene Beratung erhielten, die mit 14 oder 15 keine Ahnung haben, wie ihr Leben sein soll, die einen unter mehreren tausend Berufen wählen dürfen.

Wir geraten hier gerade etwas Off-Topic, aber ich finde es
spannend. In welchem Zusammenhang beschäftigst du dich mit der
DDR-Bildungspolitik?

Einfach aus Interesse. :smile:

schlecht für nen Arbeiter- und Bauernstaat :wink:.

Ja, vielleicht. :smile:

Was für kreative Winkelzüge hat es denn erfordert?

Kind Nr. 1 durfte auf die EOS.

Danach mußten alternative Routen zum Reifezeugnis benutzt werden.

Kind Nr. 2 nahm nach dem Abschluß der 10. Klasse ein Fachschulstudium auf, um Unterstufenlehrerin zu werden. Der Fachschulabschluß erteilte die Hochschulreife.

Kind Nr. 3 konnte in die Berufsausbildung mit Abitur.

Die Abbrecherquote an französischen Unis beträgt 50%…

Wir leben in Deutschland und wollen besser als die Franzosen sein. :smile:

Dann müssten es in den USA und England ein viel höherer
Anteil nicht schaffen.

Dort funktioniert die Studienfinanzierung völlig anders.

Bei mir nicht, ich bekomm jederzeit Hilfe.

Die meisten Studenten beklagen die schlechte Betreuung in vielen Universitäten und ich erlebe dies auch. Man kämpft gegen Windmühlen - wenn die Herren Professosores nicht wollen, wollen sie nicht. Pädagogische Ansinnen haben so gut wie keine Durchschlagskraft.

*räusper* erm, ja. Solche kenn ich. manchmal ist aber auch der
Professor pädagogisch versiert, aber die Prüfungsordnung ist
Schrott.

Hmm.

Das heißt also, unsere Kinder sollen (USA) dumm werden, aber
alle das Abitur schaffen oder (Japan) Lemminge werden und kein
Englisch mehr können? :wink:

Ich habe in beiden Ländern gearbeitet und bewundere immer wieder den teutonische Überlegenheitsdogmatismus. :smile: :wink: Am teutschen Bildungswesen soll die Welt… oder wie? :smile:

dass die Absoventenqote bei 12-14 % lag. Das ist für mich aber nicht
wirklich ein Geleichstand, auch wenn ich tatsächlich einen größeren
Unterschied vermutet hätte.

Ich weiß leider nicht mehr, wo ich das mit der Absolventenquote las.
Doch sowas läßt sich recherchieren. :smile:

dann kann aber was mit der Nichtbenachteiligung nicht stimmen.

Die Studie meinte, daß die immer unterstellte vermeintliche Unterdrückung der Intelligenz-Kinder statistisch nicht stattfand.

Die Kinder dieser Familien setzten sich über alles gesehen immer durch, trotz Quotenregelungen für Arbeiterkinder und teilweise gelockerten Zugangsvoraussetzungen (50er, Sonderregelungen für die nachzuweisenden Leistungen).

Und mit dem sachten Kurswechsel in den 70ern erlebten die Intelligenz-Kinder eher Aufschwung, wenn auch die Restriktionen und der politische Druck deutlich zunahmen.

Gute Nacht

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Hallo,
Studie aus den 70ern? Dort steht doch von 2007. Kennst du die Studie, dass du weisst dass sie sich nur mit der Situation bis in die 70er befasste?

Aber abgesehen davon, selbst wenn sich diese Aussage auf die 70er bezieht, frage ich mich wo du den Hinweis auf einen weiteren Umschwung in den nächsten 10 Jahren siehst, außer du kennst die Studie im Detail, dann danke ich für die Zusatzinfo.

Gruß
Werner