Gespaltene Persönlichkeit, wie kommt das zustande?

Seelen-Begriffe
Hi Uwe

deine Fragen rühren in der Formulierung an manche recht interessante Seelen-Vorstellungen (und damit zusammenhängende Krankheitstheorien und Therapiemethoden), wie man sie auch heute noch im zentral- und ostasiatischen Raum findet im sog. Schamanisus.

Aber zuerst noch eine Bemerkung zum Ausdruck „Persönlichkeitsspaltung“, zu dem ja schon einiges gesagt wurde.

Der Ausdruck bezieht sich auf den von Eugen Bleuler 1908 eingeführten Begriff „Schizophrenie“ („schizo-“ vom griech. Wort für „spalten“, „phrenia“ von einem griech. Wort für „denken“) als alternativen Ausdruck für das, was sonst damals „Dementia praecox“ genannt wurde:

Eugen Bleuler: „Die Prognose der Demetia praecox (Schizophreniegrupee)“.
In:
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und Psychisch-Geschichtliche Medizin, 65 (1908), S. 436ff.

Auch wenn Bleulers Schizophrenie-Theorie nicht unverändert und unwidersprochen blieb, so hatte sie jedenfalls nichts zu tun mit dem umgangssprachlichen (also nicht terminologisch gebrauchten) Ausdruck „Persönlicheitsspaltung“, mit dem ja meist gemeint ist, daß „die eine Hand nicht weiß, was die andere tut“. Bei Schizophrenie (auch im damaligen Sinne von Bleuler) sind ganz andere Phänomene gemeint.

Mit der ungeschickten, aber zeitweilig gebräuchlich gewesenen Eindeutschung von „Schizophrenie“ ist aber jedenfalls auch nicht, wie von einem anderen User fälschlich angenommen, die „multiple Persönlichkeitsstörung“ gemeint, die man auch mehr und mehr durch die Bezeichnung „dissoziative Identitätsstörung“ (wie in dem Referat von Oliver Walter beschrieben) ersetzt, weil diese Störung mit den eigentlichen „Persönlichkeitsstörungen“ (narzißtische, histrionische, Borderline usw usw) gar nichts zu tun hat. Sie ist sowohl in Struktur als auch in Genese völlig verschieden davon.

Wenn es nun aber psychische Störungen gibt, bei denen zwei
oder mehrere verschiedene Persönlichkeiten innerhalb ein und
desselben Körpers „wohnen“ können, dann wäre obige Theorie
schlicht „hinfällig“.

Damit sprichst du natürlich tatsächlich vermutlich die „dissoziative Identitätsstörung“ an. Das entspricht dann auch der Redeweise, wie sie oft von Personen, die „multipel“ sind, gebraucht wird, wenn man sich im Gespräch mit ihnen auf diejenige „Innen“-Person beziehen will, die z.B. von ihrem Personalausweis angegeben wird: Die „bloß objektive“ Person. Sie sagen dann z.B. „du meinst wohl den Körper“ …

Ob multiple Persönlichkeiten selbst sagen würden, daß ihre Innenpersonen je eigene Seelen haben (sofern sie also überhaupt diesen überholten Begriff zu benutzen bereit sind), ist eine interessante Frage. Da ich mit vielen von ihnen im Gespräch bin, werde ich das mit ihnen einmal diskutieren.

Ansonsten hat sich die Psychiatrie und Psychologie bereits in den Anfängen des 19. Jhrdts vom klassischen Seele-Begriff verabschiedet. Er spielt seitdem nur noch in bestimmten Religionen und in der Poesie eine Rolle: So z.B. Goethes Faust „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“.

Wie kann es sein, daß mehrere „Seelen“ ein und denselben Körper bewohnen"?

Wie schaffen „Seelen“ es, sich eines schon besetzten Körpers zu bemächtigen?

Die Formulierung deiner Fragen verweist aber in Seelen-Lehren, in denen sie ganz und gar nicht abwegig sind. Es gab in den Gebieten Tibet, Mongolei, Sibirien, China (aber auch Australien, Zentral-Afrika) äußerst komplexe Vorstellungen über verswchiedenartige Seelen, die sich in einem Körper befindet. Unter ihnen z.B. eine, die sich Traum aus ihm entfernt und beim erwachen zurückkehrt, eine, die sich im Gedanken an andere Orte oder Vergangenes aus ihm entfernt, oder auch eine, die sich beim körperlichen Tod aus ihm entfernt (die letztere scheint ein allgemeines Gedankengut der gesamten Antike in aller Welt gewesen zu sein).

Siehe hierzu auch meinen Artikel aus dem Religionsbrett über Seelenbegriffe:
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarchiv…

In Sibirien finden sich auch Seelen, die zwischen Menschen ausgetauscht werden können, oder auch „Techniken“, sich der Seele eines verhaßten Feindes zu bemächtigen, so daß dieser krank wurde. Im germanischen Raum gab es die Vorstellung, daß zB Verliebte ihre Seelen austauschen.

Die in der Antike vor allem im orientalischen Raum verbreitete Vorstellung der „Besessenheit“ ist davon aber zu unterscheiden. Hier ist es vielmehr ein Dämon, der von einer Seele Besitz ergreift, so, daß der Betroffene zeitweise nicht mehr über seinen eigenen Willen verfügt. Dasselbe gilt auch für Krankheitstheorien im sibirischen Raum: Hier können Dämonen eine Seele „stehlen“ und verstecken. Es ist dann die Aufgabe des Therapeuten (hier als Schamane bezeichnet), diese Seele in einem Zweikampf mit dem Dämon wieder zu befreien.

Gruß

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