Gottessöhne und Menschentöchter
Hi doodie,
1.Mose 6.2: „Da sahen die Kinder Gottes nach den Töchtern der Menschen …“
und 6.4: „Es waren auch zu den Zeiten Tyrannen auf Erden …“
das ist die Version der Luther-Übersetzung, die sich nicht an den Wortlaut des hebräischen Textes hält, sondern schon eine Interpretation vorgibt.
Tatsächlich ist aber da die Rede von „Söhnen des Gottes“ (hebr. bene ha_elohim) und „Töchtern des Menschen“ (hebr. benoth ha_adam). Und in dem anderen Satz ist nicht von „Tyrannen“ die Rede, sondern von „Riesen“, hebr. nephilim, griech. gigantes.
Da dies die einzige Stelle im Tanach (bzw. Altes Testament) ist, wo der Ausdruck „Söhne Gottes“ vorkommt, gab es schon in den Jahrhunderten v.u.Z. Probleme, wie das zu verstehen sei. Das ursprüngliche Wissen darum ist schlicht verloren. Bereits die jüdischen Gelehrten, die ca. 300. v.u.Z. den Text ins Griechische übertrugen, waren sich nicht mehr klar darüber.
Das erkennt man daran, daß es Textvarianten gibt (z.B. Codex Alexandrinus), in denen statt des griech. Wortes hyioi ("Söhne) steht: aggeloi („Engel“). Das entspricht einer zu der Zeit schon in Vorläufern vorhandenen Strömung von Mythologie (die sich ein paar Jarhunderte später konkretisiert und heute unter dem Namen „Gnostizismus“ zusammengefaßt wird), die dem (jüdischen) Gott „Emanationen“ zuschreibt: Abkömmlinge in Form niederer göttlicher Gestalten, mithin Zwischenwesen zwischen Gott und den Menschen.
Dagegen wandte sich sehr heftig die spätere rabbinische Deutung, die die Stelle nicht mehr mythologisch sah, sondern anthropologisch: Man faßte die „Söhne Gottes“ und die „Menschentöchter“ als Angehörige zweier extrem differenter Gesellschaftsschichten auf und verstand den Text als Einleitung und Begründung des darauffolgenden Flutberichtes.
Diese „Engel“-Deutung, die teils noch bis ins 4. Jhdt. vertreten wurde, spielte eine Rolle in der christlichen Angelologie im Mythos vom „Fall der obersten Engel“. Sie wurde dann abgelöst durch die sog. „Setitendeutung“: Die „Gottessöhne“ aus 6.2 wurden als gottbegünstigte Nachkommen des Seth, und die Menschentöchter als Nachkommen des Kain gedeutet. In der „Civitas dei“ des Augustinus spielt diese Interpretation eine wichtige Rolle.
Die Engeldeutung wurde dann auch wiederum scharf abgelehnt und sogar als Häresie bezeichnet: Denn eine solche sexuelle Handlungsweise konnte man den „christlichen“ Engeln nicht zuordnen, weil sie ja geschlechtslos gedacht waren.
Erst in der Zeit der Aufklärung (ca. 18. Jhdt), als beide Auffassungen (die mythologische bzw. dämonologische der Engeldeutung, als auch die rein „menschliche“ Deutung) als nicht mehr haltbar aufgefaßt wurden, konnte man die Frage neu stellen: Was haben denn eigentlich die ursprünglichen Autoren in der (vermutlichen) Zeit der Abfassung dieser Texte (9.-7. Jhdt. v.u.Z.) damit gemeint? Und so wurde der Weg frei zu einer religionshistorischen Interpretation. Nur die katholische Exegese hielt noch an der „Setitendeutung“ fest - mit zum Teil recht kuriosen Varianten.
Die Fortschritte der Religionshistorie wiesen dann in eine ganz andere Richtung, die heute als die wahrscheinlichste gilt: Das Umfeld der anderen semitischen Religionen im Lebensraum der Israeliten und darunter besonders der ständigen Nachbarn (die Kanaanäer) der ugaritischen Religion verstand unter „Göttersöhnen“ nämlich keine dämonen- oder engelartigenartigen Zwischenwesen, sondern schlicht Teile des Götterpantheons selbst. Daher vermutet man in dieser Stelle einen Rest eines alten Mythems einer Götter-Menschenpaarung, das die israelitischen Autoren aus irgendeinem nicht mehr nachvollziehbaren Grund als aufhebenswert erachteten.
Den Satz 6.4, in dem von Riesen die Rede ist, faßt man daher auf als einen (ebenfalls nicht mehr entschlüsselbaren) Zusatz der Autoren, die das Mythem damit in die israelitische Gotteskonzeption hinüberziehen wollten.
Diese Deutung wird durch die religionshistorische Tatsache gestützt, daß in den Anfängen des ersten Jahrtausends im Mittelmeerraum das Mythem einer „Paarung“ des Himmels mit der Erde kursierte: In der Theogonie des Hesiod z.B. paart sich Gaia (Erde) mit Ouranos (Himmel), woraus unter anderem auch Riesen(!) als Kinder hervorgingen: die Giganten, die Kyklopen und die Hundertarmigen.
Gruß
Metapher