Hallo!
Nach meinem Eindruck findet zwischen der Ostküste des Mittelmeers bis einschließlich Afghanistan keine Politik mehr statt. Statt dessen militärisches Engagement, das keine erreichbaren Ziele erkennen läßt.
Afghanistan: Der Süden ist durch Aktionen der Taliban geprägt. Die Regierung in Kabul hat nichts zu melden und auch der Norden des Landes wird zunehmend unruhiger. Militär kann nur kurzfristige Erfolge erzielen, ist aber machtlos gegen uralte, in der Bevölkerung verankerte Traditionen. Ich halte es für unmöglich, einem Land, in dem große Teile der Bevölkerung in einem Glauben weitab von jeglicher Aufklärung verhaftet sind, von außen eine andere Werteordnung aufzuprägen. Das Land braucht mehrere Generationen behutsamer Entwicklung und die Zugpferde dafür müssen aus der Bevölkerung kommen. Natosoldaten, auch Bundeswehrsoldaten, sind dort Fremdkörper in einem anderen Kulturkreis und bestenfalls als nützliche Idioten geduldet, solange sie sich im Hintergrund halten und ein paar technische Dienstleistungen erbringen. Fremde Soldaten werden über kurz oder lang in unhaltbarer Situation zusehen müssen, daß sie wegkommen. Am Hindukusch kann man weder Terror bekämpfen, noch gibt es dort für uns oder andere Streitkräfte etwas zu verteidigen, geschweige denn zu gewinnen. Das Ziel, die Taliban zu besiegen, ist so unsinnig wie unerreichbar.
Irak: Über 100 Anschläge täglich, Schießereien und Kämpfe. Von einer Situation unter Kontrolle der Besatzungsmächte kann keine Rede sein. Die sich verschärfende Lage ist weder militärisch noch innenpolitisch von Briten und Amerikanern dauerhaft durchzuhalten. Die Strukturen der fast 40 Jahre lang das Land beherrschenden Baath-Partei werden ganz sicher noch vorhanden sein. Eine Perspektive hat die Besatzung unter keinen Umständen. Sie wird dem Land, das über keinen einzigen Tag Demokratietradition verfügt, keine demokratischen Verhältnisse überstülpen können. Hussein war die Führergestalt mit harter Hand, wie sie in etlichen Ländern für lange Zeit erforderlich ist, um den Laden ruhig zu halten und die alles erstickende Anarchie zu verhindern. Jeweils mit eigener Prägung, aber unter dem Strich mit ähnlichem Ergebnis, war z. B. Tito oder ist Castro so eine Figur. Heilsbringer mit einem Haufen Soldaten, die mal eben Demokratie und Freiheit vorbei bringen wollen, werden erleben, daß ihnen die Bude um die Ohren fliegt und am Ende nur Chaos, Zerstörung und Leid übrig bleiben. Deshalb bin ich mir sicher, daß Briten und Amerikaner im Irak von Anfang an nicht die Spur einer Chance hatten und es jetzt nur noch darum gehen kann, wie man aus der Nummer wieder heraus kommt.
Libanon: Wie es aussieht, werden zeitnah deutsche Soldaten eingesetzt und das auch noch in einer Weise, in der sie Zielscheibe für Raketen sind, ihren Job aber von vornherein nicht erledigen können. Eine politische Lösung des Konflikts um Israel, die besetzten Gebiete, um das Jerusalem-Problem und ein eigenständiges Palästina ist nicht in Sicht und wird nicht einmal ernsthaft angegangen. Ein militärisches Engagement kann deshalb bestenfalls die untragbare, instabile Situation aufrecht erhalten. Von einer Entwaffnung der Hisbollah ist nicht auszugehen, auch nicht von einer Unterbrechung des Waffennachschubs. Unter diesen Voraussetzungen wird nicht zu verhindern sein, daß über kurz oder lang wieder Raketen in Israel einschlagen. Ebensowenig werden sich Vergeltungsschläge Israels unterbinden lassen und UN-Soldaten können sich nur in Deckung bringen und dem Treiben zugucken. Solange offenkundig alle Beteiligten kein Interesse an einer politischen Lösung des Problems haben, kann der Einsatz von UN-Soldaten nur irgendwo zwischen Sinnlosigkeit und Fiasko enden.
In allen 3 Fällen sollen mit militärischen Mitteln Positionen gehalten werden, die gegen asymmetrische Bedrohung über längere Zeit unhaltbar sind. Es geht um längere Zeit, weil politische Lösungsansätze fehlen. Jeder Abgeordnete, der unter den derzeitigen Voraussetzungen in Nahost der Entsendung deutscher Soldaten im Bundestag zustimmt, ist persönlich für jeden einzelnen Soldaten verantwortlich, der nicht mit heiler Haut wieder nach Hause kommt. Der ohne konkrete politische Lösungsansätze von vornherein unsinnige Einsatz der Bundesmarine, zudem unter den vom Libanon gestellten haarsträubenden Bedingungen, ist eine gefährliche Dummheit!
Es scheint eher um die Demonstration zu gehen, daß die Bundesrepublik zum Existenzrecht Israels steht. Die Bedrohung ist ohne weiteres zu erkennen. Es ist aber nicht zu erkennen, daß seitens Israels alles unternommen wird, um zu friedlicher Nachbarschaft zu kommen. Manche dafür erforderlichen Schritte sind für die meisten Israelis indiskutabel. Ich halte es für verfehlt, die Hardliner mit ihrer Kopf-durch-die-Wand-Mentalität zu unterstützen. Die Demonstration der Unterstützung und tätige Hilfe müssen an die Bereitschaft zum Interessenausgleich mit allen Nachbarn geknüpft sein, wenn man nicht in lebensgefährliche Kadavergefolgschaft abgleiten will.
Die ganze Region von der Ostküste des Mittelmeers bis Afghanistan, Syrien und Iran inbegriffen, könnte in Brand geraten, wenn es ohne politische Problemlösung bei der Entsendung von Militär, der erbärmlichen Zitterei vor der Macht iranischen Öls, vor ein paar Dollar beim Ölpreis und ergebener Leisetreterei gegenüber Israel bleibt. Mit Soldaten im Libanon geht es nur um die Symptome eines Konflikts; die Ursachen bleiben völlig unberührt. Wie lange dauert es noch, bis irgendein Irrer unter beliebigem Vorwand zum Angriff auf den Iran bläst und die Bundeswehr mittendrin steckt?
Gruß
Wolfgang