Körpersprache wird nicht gespiegelt, sondern entgegengesetzt beantwortet

Hi,

vor einigen Tagen waren wir mit ein paar Kollegen mittags essen und dabei saß ich einer Kollegin gegenüber. Wir kennen uns alle schon länger als ein Jahr, d.h. wir waren also nicht zum erstenmal essen. Diesmal ist mir bei meiner Kollegin aufgefallen, dass sie sich vorbeugte, wenn ich mich zurück lehnte. Beugte ich mich vor, lehnte sie sich zurück. Streckte ich meine Hände auf dem Tisch aus, zog sie ihre zurück. Zog ich meine Hände zurück, streckte sie ihre deutlich vor. Teilweise weit über die Hälfte des hinaus.
Zuerst dachte ich an einen Zufall und bewegte mich mit Absicht. Die Reaktion kam jedoch immer sofort.
Das Ganze hatte etwas surreales und es sah aus als ob wir eine Art Schattenboxen betrieben. Wir verstehen uns gut und ich seh eigentlich keinen Grund warum wir „boxen“ sollten. Daher frage ich mich nun was das bedeutet. Hab ich da ein Problem mit einer Kollegin, was ich nur noch nicht verstanden habe?

Hi,

Nein, nicht mit deiner Kollegin, aber mit einem viel allgemeineren, das du halt noch nicht kennst. Das Stichwort heißt „Distanzzone“, und es hat mit Körpersprache (Körperhaltung, Gestik, Mimik) nur indirekt zu tun.

Menschen (aber ebenso auch alle Säugetiere) haben eine Anzehl unterschiedlicher Distanzen, auf die sich ein anderer unter bestimmten Bedingungen annähern darf. Wieviel und Welche das sind und wie groß diese sind, ist Gegenstand der sog. → „Proxemik“ (siehe auch → hier).

Vor allem ist die Distanz, auf der die persönliche Unterhaltung mit einem Unvertrauten als angenehm empfunden wird, auch individuell sehr verschieden. Auch wie jemand auf eine Distanzunterschreitung eines Gesprächspartners reagiert, ist sehr individuell. Manche Menschen sind bezüglich der Annäherung anderer äußerst sensibel, andere sind unangenehm unsensibel in der Kontrolle ihrer Annäherung an den anderen.

In dieser Hinsicht hat es also zwischen dir und der Kollegin harmonisch geklappt: Sie hat jeweils für die ihr angenehme Distanz gesorgt, und diese „Wohlfühl“-Distanz entsprach möglicherweise nicht der deinigen.

Gruß
Metapher

Okay, das mit den Distanzzonen find ich sehr interessant. Ich hoffe nicht, dass ich ihr zu nahe gekommen bin. Bei 55cm Tischbreite wäre das keine böse Absicht gewesen.
Wenn ich das so recht verstehe, dann hat sie also dafür gesorgt, dass immer ca. 50 cm zwischen uns lagen. Entweder zwischen den Händen oder den Gesichtern. Aus der Beschreibung der Distanzzonen wäre das die Grenze zwischen Intim-und Persönlicher Distanz.
Könnte man das, was ich als „Kampf“ angesehen hatte (Zurückweichen und Nachsetzen), eher so verstehen, dass sie den Abstand gering halten wollte. Wenn sie sich auch zurückgelehnt und die Hände zurückgezogen hätte, wäre der Anstand vermutlich über einen Meter gewesen und damit in der Sozialzone und das wollte sie wohl nicht.

Da ist sicher keine Sorge nötig. Sie wäre dir dann bei deiner umgekehrten Bewegung ja nicht wieder näher gekommen. Zur „Wohlfühl-Distanz“ - z.B. eines Gesprächs mit einem nicht Vertrauten - gehört ja nicht nur ein Distanz-Minimum, sondern auch ein Distanz-Maximum: Wenn der Gesprächspartner zu weit weg ist, kann es ebenfalls unangenehm werden …

Dieses Phänomen der Distanzzonen und ihrer Regulierungen ist zwar pauschal schnell umschrieben, ist aber im Detail höchst komplex und nicht in ein paar Worten erschöpfend zu beschreiben. Deshalb hab ich es oben nur andeuten können. Nicht nur - wie in den Links auch gesagt, sind gesellschaftliche und kulturelle Traditionen zu berücksichtigen, auch nicht nur - wie ich dazufügte - individuelle Bevorzugungen. Es kommen noch situative und atmosphärische („Stimmung“) Randbedingungen dazu, und vor allem Bedingungen im Sympathie-Antipathie-Spektrum. Die Einteilungen in wohldefinierte Zonen - „Intimdistanz“, „Soziale Distanz“ usw. - sind alle nur Arbeitsmodelle und durchweg auch strittig.

Daher lassen sich nicht wirklich, wie den Kontroversen über zugehörige Studien und Hypothesen ja auch erkennbar, generelle Distanzen definieren. Ganz sicher aber tragen Eigenarten des Distanz-Verhaltens - ebenso wie des dialogischen Verhaltens - zu individuellen Persönlichkeits-Profilen bei.

So gibt es Persönlichkeiten, die äußerst aggressiv auf zu große Annäherung von Fremden reagieren, die nicht zu ihrer eigenen „Integrationssphäre“ gehören. Und anderseits Persönlichkeiten, die dazu neigen, die Distanzgrenzen erheblich zu überschreiten: So pflegte z.B. Michel Friedmann als Moderator in seinen Talkshows seinem Interviewpartner erheblich mit den Händen vor der Nase herumzufuchteln. Der Populärphilosoph Richard David Precht pflegt in seinen Talkshows ziemlich permanent seine Hände auf der Tischseite seines Gastes deponiert zu halten …

So bedeutet dein Downvoting meines Artikels oben hoffentlich nicht, daß ich dir mit der Antwort zu nahegetreten bin :wink:

Gruß
Metapher

4 Like

Deine Antwort hat mir weitergeholfen. Die Kollegin wollte in dieser Situation mich auf einer gewissen Dinstanz halten. Ob das nun die Intims- oder Persönliche Distanz war, kann man pauschal gar nicht sagen. Es war auf jedenfall eine Distanz, die ihr gefiel. Mehr kann man nicht sagen. Es auch keine negativ besetzte Situation, wie ich ursprünglich vermutete.
Bzgl. des Downvoting muss ich gestehen, dass ich nicht weiß was das ist bzw wie das geht. Ist also auch ncht persönlich gemeint oder sollte deine Antwort kritisierenn

vielleich hat er den Button als „Runterscrollpfeil“ mißverstanden…

Ob es ihr gefiel, kann man nun nicht sagen oder feststellen. Vielleicht hat sie mit dir gespielt, oder sie empfindet eine gewisse grundsätzliche unangenehme Abhängigkeit, vielleicht wollte sie dich und deine Reaktion bewusst herausfordern, möchte deinen Job, oder dich heiraten. Diese Vielfalt würde ja schon von M. angesagt.

Dass du, bezogen auf deine Eingangsfrage, ein Problem mit der Kollegin hast, ist klar. Du solltest daher weniger über die Kollegin nachdenken, sondern über dich, weshalb du dein Spielchen gemacht hast, sie getestet hast, usw.

Solche Spielchen macht man entweder aus Albernheit heraus oder aus einem bestimmten Interesse.

Franz