Ambivalenz der Götter
Zu dem Problem, dir unter der Voraussetzung dieser seltsamen Aufgabenstellung Tips zu geben, hat ja sober schon einige gesagt. Du schriebst vom Fach „Religionswissenschaft“. Was ist das denn für ein Ausbildungsgang? Uni kann es unmöglich sein, denn die Dozentin ist mit Sicherheit keine ausgewiesene Religionswissenschaftlerin (sonst würde sie nicht von ‚Mythos deuten‘ reden). Gymnasium?
Du sagst, daß du Texte kennst. Welche denn? Was kann man an Vorwissen voraussetzen bei dir?
… wieso haben die Menschen damals sie dennoch verehrt?
Hast du mal den Aphrodite-Hymnos aus dem 6. Jhdt v.Chr. tatsächlich gelesen?
Hier mal eine quicky erreichbare Übersetzung: Hymnos an Aphrodite
(der sog. „Große“ Hymnus ist der dritte)
War es nicht so, dass die Frauen es sind, welche die Kinder bekommen, und deshalb haben diese auch schön züchtig und treu zu sein, während die Herren der Schöpfung gerne auch woanders als zuhause ihren Spaß haben durften?
Wie kommst du zu so einer - sorry - naiven Vorstellung über Sexualmoral der klassichen griechischen Antike?
Kennst du Homers Odyssee? Einerseits die Episode, wo Aphrodite den Kriegsgott Ares vögelt, was dem „Gatten“ Hephaistos verpetzt wird, der sich rächt, indem er das Pärchen in einem Netz fesselt - und dann der gesamte Götterhimmel drumherumsteht und sich schimmelig über die für die beiden peinliche Lage lacht.
Und zugleich geht es in dem gesamten Epos umd das Ziel der Abenteuerreise der Hauptperson: Nach Ithaka zurückzukehren, wo seine Gattin Penelope seit 12 Jahren von einem Heer von George Clooneys, Brad Pitts und Bruce Willis belagert wird und dennoch ihrem Gatten treu bleibt.
Wenn du das zusammenbringst, dann kannst du anfangen über antike griechische Erotik zu räsonnieren.
Geh mal dem Stichwort „Eros und Thanatos“ nach, das ich dir schon gab. Und hier auch noch ein recht nützlicher einführender Artikel, der dir Hinweise gibt, wo du suchen könntest:
http://www.mauler.info/khaire/archiv/64061008.htm
Also meinst du, dass ich besser eine kunstgeschicjtliche rezeption erstellen könnte, als aus der psychologischn Sicht ran zu gehen?
Wie soll ich das beurteilen können? Ich weiß doch nicht, was du schon kennst und was nicht.
Ein anders Beispiel ist, die Statuenverlobung (ein Junger Mann steckt seinen Ehering einer Aphroditefigur an den Finger, weil er Ball spielte. Als er ihn wieder holen wollte, war ihr Finger gekrümmt, denn sie nahm das ernst. Daraufhin besuchte sie ihn nachts in der Hochtzeitsnacht und als er nicht mit ihr schlafen wollte, tötete sie ihn, vor den Augen seiner Frau)
Das ist 1. eine Venus-Statue, 2. ist die Geschichte von William of Malmesbury (aus seinen „_Gesta Regum Angloru_m“) aus dem 12. Jhdt n.Chr. und 3. wird nicht der Jüngling getötet, sondern der Zauberer, der die peinliche Situation rettet.
Das alles zeigt mir, dass sie sehr auf Äußerlichkeiten bedacht ist und und gerne dieverse Liebschaften pflegt, was meiner meinung nach doch etwas öbzön erscheint, oder?
Nein. Mach dir klar, daß so ein moralisches Urteil aus einem kulturellen Hintergrund kommt, der mit dem der Antike Griechenlands nicht das geringste gemeinsam hat. Das wäre etwa so unsinnig oder paradox wie das Urteil, Rubens habe keine Ahnung gehabt, wie ein schöner weiblicher Körper eigentlich aussieht.
Menschliche Affekte, Eifersucht, Rachegelüste, Begierde, Stolz, Neid usw. auf ihre Gotteskonzeptionen zu projizieren, ist eine Eigenart antiker griechischer Psychologie. Und auch hier, wie in allen antiken Religionen, manifestiert sich der von Rudolf Otto (zuerst in „Das Heilige“ 1917) herausgearbeitete Grundzug der doppelten Erscheinung des „Göttlichen“. Als Abschreckendes und zugleich als Faszinierendes („tremendum“ und „fascinosum“). Das ist auch der Hintergrund des jetzt oft erwähnten Zusammenhangs zwischen Liebe und Tod („Eros und Thanatos“). Alle Götter wirken sowohl mit ihrer Gunst, als auch mit ihrem Zorn. Wichtig ist zu wissen (und jeder Religionswissenschaftler weiß das), daß dies nicht als Widerspruch zu beurteilen ist, sondern als Ambivalenz. Mit anderen Worten: Die „Seele“ schert sich nicht um formale Logik, ihre Logik ist eine ganz andere.
Das wäre dann auch die Brücke zu gegebenenfalls modernen psychologischen Betrachtungen. Aber verzeih mir, daß ich so arrogant bin, zu meinen, daß dich diese Betrachtungsebene restlos überfordern würde. Und deine Dozentin mutmaßlich ebenfalls. Das würde schlicht zu viel als Hintergrund voraussetzen, der jedes bloße Kurzreferat sprengen würde - und der daher hier auch nur ganz grob angedeutet werden kann.
Vielleicht ist es dir dennoch irgendwie nützlich. Wo die Grenzen eines Referates sind, und die Grenzen eines Referierenden, kann ja auch unter anderem zum Inhalt eines Referates beitragen …
Gruß
Metapher