Nochmal: Der IS und die Jesiden

Servus,

Chan, mit dem Du Dich sicherlich wunderbar verstanden hättest, mochte unter dem neuen Layout nicht mehr schreiben. Ich habe allerdings so ein Gefühl, als wüßtest Du mehr von ihm.

Disclaimer: Diese zwei Sätze enthalten wohlgemerkt keine Aussage über die Experteneigenschaft irgendwelcher Personen.

Schöne Grüße

MM

Hallo liebe Islam-Experten (… wo seid Ihr denn alle?),

durch meine Antwortergänzung zu einer anderen Frage im Rechtsbrett bin ich an einen Vers im Koran (Sure 9,6) erinnert worden, der sich zwar nicht mit anderen Versen von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Existenz von „gläubigen Sklaven“ streiten würde, aber m.E. (auf den ersten Blick) rechtlich über diesen allen stehen, bzw. mit Sure 24,33 (dort der 2. Satz) harmonieren würde.

Wurde ein solcher Aspekt in der Fachliteratur bereits irgendwo erörtert oder gäbe es in den Koranen ggf. zurückweisende Andeutungen?

Vielen Dank im Voraus für hilfreiche Bemühungen!

LG
Semsi

Hallo,

ich weiß nicht wirklich, welche Frage Du eigentlich hast und inwiefern Deiner Meinung nach Sure 9:6 mit Sure 24:33 harmoniert.

Sure 9:6 räumt „Götzendienern“ Asyl ein, um Allahs Wort zu hören. Wenn sie sich nicht bekehren, sollen sie in Sicherheit, nach einer Auslegung in ihr Land, gebracht werden. Dies soll nach einem Tafsir (Muhammad Rassoul) für jeden Muslim, der sich im Kampf befindet, zu allen Zeiten und an allen Orten gelten. Nach einem anderen Tafsir (Samir Mourad, der angibt, sich auf authentische Überlieferungen, die Kommentare von Ibn Kathir und von at-Tabari zu stützen) gelten die Verse der Sure 9 speziell für die Situation auf der Arabischen Halbinsel zur Zeit des Propheten, um diese Halbinsel von allen „Götzendienern“ und auch Juden und Christen zu befreien, denn diesem Kommentar zufolge sollte das Kernland des Islam nach Wunsch des Propheten Mohammed frei sein von allen anderen Religionen. Die Verbindung zu Sure 2:256 (Es gibt keinen Zwang im Glauben) wird von mehreren Kommentatoren hergestellt.

Sure 24:33, in der besagt wird, daß Sklaven auf Wunsch freigelassen werden sollen (gegen Zahlung einer Geldsumme oder eines klar definierten Dienstes an seinen Herrn / seine Herrin nach Muhammad Asad) , soll die allgemeine Intention des Korans nach Abschaffung der Sklaverei ausdrücken (nach dem Tafsir von Muhammad Asad). Rassoul kommentiert u.a.: „In einem Ḥadīṯ ist es überliefert, dass Ḥuwaiṭib Ibn ‘Abdul‘uzza einen Sklaven namens Aṣ-Ṣabīḥ hatte, der seinen Patron um einen Freibrief bat. Der weigerte sich jedoch, worauf der vorliegende Vers herabkam“, daß man seinen Sklaven einen Freilassungsbrief geben soll, wenn man Gutes von ihnen zu berichten weiß.

In keinem der mir vorliegenden Kommentare habe ich eine Verbindung zu Sure 24:33 gefunden. Aber ich habe nicht alle der mehrere hundert Seiten dieser Kommentare durchgeforstet, sondern nur die Anmerkungen zu den beiden genannten Versen und zu Sure 2:256.

Übrigens: Die jesidische Religion wird Berichten zufolge vom IS nicht als Buchreligion wie Judentum und Christentum angesehen, sondern als eine vorislamische Religion vergleichbar mit den Religionen, die auf der Arabischen Halbinsel zu Mohammeds Zeiten existierten. Das soll Berichten zufolge nach Ansicht des IS die Vernichtung der jesidischen Religion und ihrer Anhängerinnen und Anhänger rechtfertigen.

Beste Grüße

Oliver

bestätigen meine Ausführungen in meinem obigen Posting dazu, daß dem Koran die Abschaffung der Sklaverei ein Anliegen ist und daß die Jesiden vom IS nicht als Schriftbesitzer angesehen werden, sowie meine Ausführungen in meinem früheren Antworten an Dich, daß die Versklavung jesidischer Mädchen und Frauen durch den IS und ihr „Gebrauch“ als Konkubinen sich nicht mit einigen Koran-Kommentaren zu einschlägigen Stellen deckt.

Beste Grüße

Oliver

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Servus

Zu meinen Islam-Fragen hatte ich alle von w-w-w vorgeschlagenen Experten angeklickt/eingeladen, bislang hat aber keiner geantwortet; außer einem User, der mir als Nachricht mitteilte, dass er gar kein Islam-Experte sei … obwohl er in seinem Profil unter Expertenthemen den „Islam“ angegeben hatte. Es gäbe, neben „Volksislam“ als eine moderne wissenschaftliche Größe, allerdings mehrere verschiedene „Islam“, so (nach einem Hadith des umstrittenen Geschichtenerzählers Abu Huraira) den „Islam des Menschen“, der weder mit Allah, noch mit dem Koran, sondern nur mit zwischenmenschlichen Beziehungen, Sozialverhalten etwas zu tun hätte.

Die Fragen zum „Islam“ hier bei w-w-w, soweit ich sie für die zurückliegenden Jahre überfliegen konnte, sind sehr flach, die Antworten größtenteils noch viel platter, als „Antworten“ gar nicht erkennbar, eher vielleicht als eine Art „Echos“? Den von Dir angeführten User kenne ich nicht (er war allerdings als „Experte für Islam“ aufgeführt), wüsste auch nicht, warum ich mich mit ihm hätte verstehen können/sollen.

Meine Fragen können nicht mit c&p aus Wikipedia o.ä. beantwortet werden, ebenso wären sie mit einem Wissen allein über Behauptungen aus der Regenbogenpresse oder dem Rundfunk nicht verständlich. Dein obiger Kommentar ist wohlgemerkt keine Antwort auf meine Frage.

Schönere Grüße
Semsi Semsi

Hallo, vielen Dank für Deine Bemühungen.

Die Bibliothek der Zusatzliteratur zu den Koranen ist außerordentlich groß und relativ unübersichtlich, leider nicht vernachlässigbar, da sie (bzw. Fragmente/Details deren Inhalte) in den vergangenen Jahrhunderten zu den Grundlagen der Glaubensansichten gemacht wurde („Islam“ Nr. III bis LXXIII); dazu kommt, dass die darin vorherrschende Sprache (Arabisch) nicht meine Muttersprache ist und die (seltenen) Übersetzungen von Ausschnitten daraus in die Weltsprache Englisch nicht sehr vertrauenswürdig sind. Hatte bislang nie Probleme mit Sklaven und nicht alles noch immer im Kopf, was ich zu diesem Thema mal gelesen hatte.

Kalif Al-Baghdadi hatte es freigestellt, seine Worte und Taten auf Rechtmäßigkeit zu überprüfen, ihn zu korrigieren, falls er nicht richtig liegen würde: http://madrasah.de/leseecke/islam-allgemein/offener-brief-al-baghdadi-und-isis#_ftn3

Leider war den über 120 hohen Geistlichen zum Thema nichts anderes eingefallen als Lügen, Verdrehungen und nutzloser Schwachsinn (Punkte 11. und 12. des offenen Briefes) und leider wurde auch die relativ gute Frage hier bei w-w-w über den ISIS und die Sunna für etwas ganz Anderes missbraucht …

2x Beste Grüße
Semsi

Die von mir (aus der Erinnerung) angegebenen Nummern „11.“ und „12.“ (die Punkte des offenen Briefes) sind natürlich falsch und irreführend, richtig wären die Nummern 12. „Jesiden“ und 13. „Sklaverei“. Danke, dass Du meinen Fehler stillschweigend übergangen hattest!

Zu 13. „Sklaverei“: Abgesehen davon, dass „Abschaffung der Sklaverei“ und „Aufhebung von Sklavenverhältnissen“ zwei verschiedene Dinge wären und wer jeweils was meinte: Nirgends im Koran fänden sich Anzeichen dafür, dass die (von den vorislamischen Arabern übernommene) Sklaverei als solche abgeschafft werden, bzw. langsam zum Erliegen kommen sollte. Die Sklaverei ist ein unabänderlicher Bestandteil der islamischen Gesellschaftsordnung, sei es einerseits durch die Pflicht einer Freilassung bzw. eines Loskaufes von Sklaven bei bestimmten Verfehlungen als deren Sühne, sei es andererseits als Vergeltung mit Gleichem nach einem Angriffskrieg Ungläubiger auf eine islamische Gemeinde, deren dadurch notwendig gewordene Verteidigung und Mehrbelastung der Angehörigen und Familienmitglieder („Dschihad“), ungeachtet eines evtl. Todes oder einer schweren, Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit verursachenden Verwundung ihres Ernährers im aufgezwungenen Verteidigungskrieg. Das ist Koran, es führen keine Wege daran vorbei.

Scheich Saleh ibn Fawzan, Mitglied des Ständigen Komitees für Rechtsfragen in Saudi Arabien fasste diesen Umstand kurz und treffend zusammen: „Sklaverei ist Teil des Islam“ und „Sklaverei ist Teil des Dschihad, und der Dschihad wird solange bleiben, wie es den Islam gibt“ (zitiert u.a. bei Wikipedia), was kein Widerspruch zu der Behauptung in dem offenen Brief an Kalif Al-Baghdadi wäre, denn diese Ausführungen dort („Keiner der Gelehrten des Islams bestreitet, dass einer der Ziele des Islams die Aufhebung der Sklaverei ist.“) beziehen sich auf einen ganz anderen „Islam“, nämlich den „Islam der Menschen“ des sunnitischen Märchenerzählers Abu Huraira … hoppla, wo sind wir denn nun gelandet? Ich spare mir alle weiteren Kommentare!

Zu 12. „Jesiden“: Du bezogst Dich bei Deinen Ausführungen wohl auf einen Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“, hier ein Zitat:

"Vom Ton und vom Argumentationsstil gibt der Aufsatz vor, sich in der Form einer traditionellen Rechtsauslegung zu bewegen. Diese beginnt bei der Frage, ob die Jesiden innerhalb der muslimischen Gemeinschaft einen geschützten Minderheitenstatus beanspruchen können, etwa durch Zahlung der Unterwerfungssteuer, wie es der Koran für die Buchreligionen Christentum und Judentum vorsieht. Oder weil es sich um eine abtrünnige, ursprünglich aber muslimische Gruppe handele. Vor der Einnahme des von Jesiden bewohnten Berges Sindschar hätten sich Scharia-Studenten des Islamischen Staates mit dieser Frage beschäftigt, behauptet der Artikel.
Dabei sei man zum Ergebnis gekommen, dass es sich bei den Jesiden nicht um eine ehemalige muslimische Sekte handele, sondern um eine heidnische Religion aus vorislamischer Zeit, die im Laufe der Zeit nur durch die umgebende muslimische Bevölkerung „islamisiert“ worden sei. Die Gruppe könne sich auch nicht durch Schutzzahlungen wie Christen oder Juden vom Missionierungs- und Unterwerfungsgebot des Propheten Mohammed befreien. Deshalb habe man beschlossen, die Jesiden als Götzendiener zu behandeln (Muschrik). Nach islamischem Recht sei man damit auch berechtigt, jesidische Frauen und Kinder zu versklaven."

Aus Deinen Ausführungen könnte nun aber eine gewisse Missliebigkeit herausgelesen werden, nämlich der Vorwurf, dass der IS die Jesiden als „Schriftbesitzer“ hätte anerkennen müssen, solches aber nicht hatte … was eher an den bei Wikipedia veränderten Welt-Artikel (die derzeit einzige Quelle!) erinnern würde; hier Zitat aus Wikipedia:

„Scharia-Studenten des IS hätten die Jesiden nicht als ehemalige islamische Sekte eingestuft, sondern als eine heidnische Religion aus vorislamischer Zeit, somit als Muschrik (Götzendiener, also eine abwertende Bezeichnung für Polytheisten)“

Es gab im alten Arabien nur eine relativ große Anzahl von (lokalen) „Göttern“ bzw. „Gottheiten“ (friedlich versammelt z.B. in der Kaaba zu Mekka) und in dessen Sprachschatz daher auch keine „Götzen“! Wikipedia wäre wirklich keine Quelle für ein Expertenforum wie w-w-w: http://www.lessan.org/de/مشرك

Die Frage, ob die Jesiden zu den „Schriftbesitzern“ gerechnet werden müssten, stellte sich gar nicht:

„Das Buch der Offenbarung“ (Kurdisch und Arabisch, mit jeweils deutscher Übersetzung):
https://archive.org/stream/denkschriften55stuoft#page/12/mode/2up

„Die Schwarze Schrift“ (Kurdisch und Arabisch, mit jeweils deutscher Übersetzung):
https://archive.org/stream/denkschriften55stuoft#page/24/mode/2up

Die Geheimschrift der Jesiden:
https://archive.org/stream/denkschriften55stuoft#page/4/mode/2up

„Das Buch der Offenbarung“ (original):
https://archive.org/stream/denkschriften55stuoft#page/n531/mode/2up

„Die Schwarze Schrift“ (original):
https://archive.org/stream/denkschriften55stuoft#page/n535/mode/2up

Nach dem Koran hatte Allah die Tora (der Juden) herabgesandt und das Evangelium (von Jesus) als Rechtleitung für die Menschen, von den v.g. Geheimschriften (der Jesiden) war nie die Rede gewesen!

Der in dem offenen Brief an Kalif Al-Baghdadi angeführte Hadith handelt von der Gleichstellung der Zoroastrier mit den Schriftbesitzern hinsichtlich deren Besteuerung; Hadithe online leider nur in englischer Übersetzung (unter „Section: Jizya on People of the Book and Magians“):
http://www.usc.edu/org/cmje/religious-texts/hadith/muwatta/017-mmt.php

Yahya related to me from Malik from Jafar ibn Muhammad ibn Ali from his father that Umar ibn al-Khattab mentioned the magians and said, „I do not know what to do about them.“ Abd ar-Rahman ibn Awf said, "I bear witness that I heard the Messenger of Allah, may Allah bless him and grant him peace, say, ‚Follow the same sunna with them that you follow with the people of the Book.‘ "

Allerbeste Grüße
Semsi

Muhammad Asad führt in seinem Tafsir für seine Auslegung, daß der Islam von Anfang an die Abschaffung der Sklaverei als soziale Institution intendierte, u.a. an:

Sure 2:177: „Die Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr euch (beim Gebet) mit dem Gesicht nach Osten oder Westen wendet. Sie besteht vielmehr darin, daß man an Gott, den jüngsten Tag, die Engel, die Schrift und die Propheten glaubt und sein Geld mag es einem noch so lieb sein den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem, der unterwegs ist (oder: dem, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; w. dem Sohn des Wegs) den Bettlern und für (den Loskauf von) Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Almosensteuer bezahlt. Und (Frömmigkeit zeigen) diejenigen, die, wenn sie eine Verpflichtung eingegangen haben, sie erfüllen, und die in Not und Ungemach und in Kriegszeiten (w. zur Zeit von (kriegerischer) Gewalt) geduldig sind. Sie (allein) sind wahrhaftig und gottesfürchtig“ (Übersetzung von Rudi Paret).

Die Wiedergabe des Kommentars von Asad dazu spare ich mir. Das kannst Du selbst nachlesen und ins Verhältnis zu anderen Auslegungen setzen. Ich schrieb Dir ja schon in einem anderen Thread dazu, daß der Gebrauch von „Lustsklavinnen“ nach anderen Auslegungen mit dem Koran zu vereinbaren ist. Mir scheint, daß - je nachdem, welche Ansicht ich beschreibe - Du dagegen argumentierst, um des Gegenargumentierens willen.

Das ist reine Spekulation Deinerseits.

Ich habe die mir bekannten Berichte zu der Haltung des IS gegenüber der jesidischen Religion wiedergegeben. Alles andere ist reine Spekulation Deinerseits.

Beste Grüße

Oliver