Hallo!
Jetzt habe ich der Vorrednerin eine Mail geschrieben, und nachdem ich dein Posting gelesen habe, habe ich mir gedacht, ich kann die Mail ja doch mal hier veröffentlichen; ich verstehe genauso wenig wie du, wieso immer alle denken, es ginge immer um „Nationen“ bzw. „Nationalstaaten“, die es ja früher gar nicht gegeben hat.
Levay
Servus!
Ich habe eben erst gesehen, dass es auf meine Anfrage bei www zahlreiche Antworten gab; irgendwie muss ich wohl vergessen haben, die automatische Benachrichtigung einzuschalten. Ich sah dein PS:
„PS: Und ich fühle mich persönlich als Österreicherin angefriffen, wenn behauptet wird, wir hätten keine eigene Nationalgeschichte, immerhin haben wir 600 Jahre lang, die Geschicke der damalig bekannten Welt gelenkt und immerhin war die Großzahl der römisch-deutschen Kaiser Österreicher aus dem Hause Habsbug.“
Und wollte mich dazu mal äußern. Ich weiß zwar nicht ganz, in welchem Zusammenhang dieses PS zu meiner Anfrage steht, aber ich fand es jedenfalls sehr interessant, das zu lesen. Es ist historisch natürlich nicht ganz korrekt zu sagen, „Ihr“, also „die“ Österreicher haben die Geschicke der Welt gelenkt. Schon gar nicht 600 Jahre, denn wenn das Haus Habsburg den römisch-deutschen König und Kaiser stellt, ist das eben das Haus Habsburg und nicht ganz Österreich. Abgesehen davon schwankt die Macht des Kaisers in der Geschichte, es lässt sich ja schwer sagen, dass der Kaiser allein alle Entscheidungen getroffen hat. Gerade im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war das ja mitnichten der Fall, und grob gesagt schwand der Einfluss mit Fortschreiten der Geschichte.
Man denke nur an Karl V. (Habsburger), der sich gegen die Kurfürsten nicht durchsetzen konnte und somit seine einzige Chance verpasste, der Reformation ein Ende zu setzen. Karl V. war übrigens am Ende seines Lebens nicht zuletzt davon so zerfressen, dass er als einer von nur sehr wenigen Kaisern die Krone niederlegte. Wir wollen übrigens auch nicht vergessen, dass Karl V. und viele andere letztlich nur Kaiser wurden, weil sie die meisten Bestechungsgelder aufbringen konnten, mit anderen Worten: Wer den besten Kontakt zum Haus Fugger hatte, wurde eben Kaiser…
Was mich aber an deinem PS eigentlich mehr interessiert, ist dass du meinst, jemand wolle Österreich eine eigene Geschichte absprechen. Wenn du das schreibst, kannst du doch nicht im gleichen Atemzug die gesamt-deutsche Geschichte nennen, denn das ist ja gerade nicht eigene Nationalgeschichte Österreichs. Wenn du auf die habsburgerischen Kaiser ansprichst (die du „österreichisch“ nennst, obwohl Habsburger ursprünglich nicht aus Österreich kommen und übrigens Karl V. auch nicht, er sprach auch kaum Deutsch), dann nennst du hier ja eher ein Beispiel der gesamt-deutschen Geschichte.
Irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, Österreicher würden glauben, es gäbe eine deutsche und eine österreichische Geschichte. In Wahrheit war die meiste Zeit über der Geschichte „Deutschland“ kein Staat, sondern ein Gefüge mehr oder minder eigenständiger Territorien. Wenn man von „deutscher“ Geschichte spricht, muss man bis 1806 zwangsweise auch Österreich dazu zählen, denn das war eines dieser Territorien. Das ändert nichts daran, dass jedes Territorium eine eigene Geschichte hat, egal ob Österreich, Bayern oder Sachsen. Dies umso mehr, als dass im Heiligen Römischen Reich ja einzelne Territorien ja auch sehr selbstständig handeln konnten; so führten die Österreicher Krieg gegen Napoleon, als Österreich noch kein eigenes Kaiserreich war. Das entstand erst 1804, und erst 1806 erlosch das Deutsche Kaiserreich, weil Franz II. die Krone niederlegte und das Reich für erloschen erklärte.
Es bis heute so: Während etwa Frankreich zentralistisch ist, gibt es in Deutschland (und in Österreich) Föderalismus. Die Bundesländer haben nicht mehr die eigene Bedeutung wie zu Zeiten des Heiligem Römischen Reiches Deutscher Nation, aber so selbstständig sind Verwaltungsbezirke in Frankreich und anderen Ländern ganz und gar nicht. Ich nehme an, der Föderalismus ist in Österreich ähnlich ausgeprägt wie in Deutschland, und das beruht eben auf der Geschichte.
Ich verstehe Österreicher nicht ganz – was ist so schlimm daran, dass Österreich früher ganz selbstverständlich zu „Deutschland“ gehörte? Nicht zum „Staat Deutschland“, den es ja gar nicht gab (den ersten deutschen Einheitsstaat gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und hier gehörte Österreich in der Tat nicht zu, es war bereits ein eigener Staat) sondern als eines von vielen deutschen Territorien? Ist das irgendwie was Unanständiges? Ich frage, weil ich einen Österreicher kenne, der das ganz heftig bestreitet. Für ihn hat es immer Deutschland und Österreich gegeben, zwei souveräne Staaten nach heutigem Staatsverständnis (was ja sowieso nicht stimmt, weil Deutschland viel später als andere Länder zum „Staat“, vor allem zu einem Einheitsstaat wurde).
In Wahrheit haben sich Österreicher als Deutsche empfunden. So wie sich Bayern ja auch als Deutsche empfunden haben. Ich bin heute Deutscher und gleichzeitig Europäer, das sind ja keine Widersprüche. Egal ob nun Mozart oder Maria Theresia oder Sigmund Freud oder Franz Joseph, diese ganzen Österreicher haben Zitate hinterlassen, die das „teutsche Selbstverständis“ einsichtig belegen. Dieser Zitate würde es eigentlich gar nicht bedürfen, weil es so evident ist, wenn man sich mit der Geschichte ein wenig beschäftigt.
Warum ich das wissen will?
Ich frage dich, weil ich es beleidigend finde; ich finde es beleidigend, wenn jemand in den Geschichtswissenschaften unbestrittene Tatsachen leugnet, jedenfalls diese Tatsachen. Denn dann kann es für mich nur eine Erklärung geben: Jemand, der so etwas tut, muss ein Interesse daran haben. Der Gedanke, dass Österreich 1.000 Jahre selbstverständlicher Bestandteil „Deutschlands“ war, muss im zuwider sein, sonst würde er doch so was nicht leugnen. Und daraus muss ich doch schließen, dass er Deutschland mit Abscheu betrachtet. Und du wirst verstehen, wenn dann ich beleidigt bin und gekränkt.
Chris alias Levay