Reisekutsche im 18. Jahrhundert

Ich habe sie mir stark vergrößert (und damit verpixelt) angesehen und denke, die Details sollte man nicht überbewerten. Ich suchte nach der Möglichkeit, die Fenster zu kippen / klappen.

Aber ich habe nichtmal die Art des Türgriffs bestimmen können.

Allerdings sind mir zwei Leinen aufgefallen, die womöglich durch die Karosse nach innen führen. Da sie durchhängen, scheinen sie nicht den Kutschersitz zu stabilisieren. Könnten für Richtungswünsche und das Kommando Stopp geeignet sein, die dem Allerwertesten (?) des Kutschers übermittelt wurden.
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Nachtrag: Die Fenster des Hauses sind offenbar verglast (Gardine dahinter) und auf wundersame Weise geöffnet.

Das tun sie nicht. Die beiden Gurte sind an der Kabine befestigt und führen zum Kutschbock. Sie dienen offenbar zur Befestigung der Kabine, die nicht starr auf dem Langbaum montiert ist. Der Rest ist eine nicht sehr gesund wirkende Fantasie.

Das kann man auf dem Stich nicht erkennen - es ist wahrscheinlich, aber nicht „offenbar“. Hat aber überhaupt keine Bedeutung für die Frage, ob die Kutsche verglast ist.

ist keines der Fenster. Das mittlere, an dem eine Person sitzt, ist geöffnet = ein Stück nach oben geschoben und in dieser Position fixiert. Auch das hat keinerlei Bedeutung für die Frage, ob die Kutsche verglast ist.

  • deutlicher als auf dem Stich sieht man die beiden Gurte übrigens an dieser wittelsbachischen Karosse, die man im Schloß Nymphenburg betrachten kann:

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Auf meine Frage antwortet das Mecklenburgische Kutschenmuseum:
"ich werde Ihre Anfrage an unseren Kutschenspezialisten Herrn Norbert Schönborn weiterleiten.

Aber aus Gesprächen und Führungen habe ich schon mitbekommen, dass es verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation gab.

Zum Beispiel haben wir in unserem Museum Kutschen, in denen es Kordeln mit einem Glöckchen gibt. Dann machen die Insassen vorher mit dem Kutscher aus, was einmal Läuten oder zweimal Läuten heißt. Das Gleiche trifft auch auf Klopfzeichen zu. Manche Kutschen haben auch ein Schiebefenster mit drinne.

Es gibt auch Kutschen, bei denen nur der Kutscher die Tür öffnen kann. So können die Insassen nicht einfach ohne Bezahlung die Kutsche verlassen."

Ich gebe Bescheid, falls weitere Informationen kommen.
Gruß,
Eva

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Danke.

MIr geht es um richtige verbale Kommunikation, also ein Gespräch zwischen Passagier und Kutscher in einer Privatkutsche.

Falls „Schiebefenster“, wo lag das im Verhältnis zur Frontverglasung?

Das mit den verschlossenen Türen in öffentlichen (MIet?-) Kutschen ist schon krass. Ob das nicht auch zu Problemen und Missbrauch geführt hat?

Ich habe die Mail zitiert, weil ich es spannend finde, so etwas zu erfahren. Was Deine spezielle Frage angeht, müssen wir wohl abwarten, bis der Herr Schönborn sich meldet.
Gruß,
Eva

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Hier ist die relevante Stelle aus dem Roman. Es ist evident, dass der Dialog zwischen Kutscher und Passagierin (15-jährige Pamela in Ich-Form) während der Fahrt stattfindet, zumal gelegentliche Stops der Kutsche im Text immer genau vermerkt sind.

Aus „Pamela, or Virtue Rewarded“ von Samuel Richardson (1740), von mir 2019 ins Deutsche übersetzt.

(…) and still the Man driving on, and his Horses sweating and foaming; and then I begun to be alarm’d all at once, and called to him; and he said, he had horrid ill Luck; for he had come several Miles out of the Way, but was now right, and should get in still before it was quite dark. My Heart began then to misgive me a little; and I was very much fatigued; for I had no Sleep for several Nights before to signify; and at last, I said, Pray, Mr. Robert, there is a Town before us, What do you call it? —If we are so much out of the Way, we had better put up there, for the Night comes on apace; and, Lord protect me! thought I, I shall have new Dangers, may−hap, to encounter with the Man, who have escaped the Master? —Little thinking of the base Contrivance of the latter. Says he, I am just there; 'tis but a Mile on one side of the Town before us. —Nay, said I, I may be mistaken, for it is a good while since I was this way; but I am sure the Face of the Country here is nothing like what I remember it.
He pretended to be much out of Humour with himself for mistaking the Way, and at last stopt at a Farm−house, about two Miles beyond the Village I had seen and it was then almost dark, (…)

So eine ausgedehnte, wohlgesetzte Konversation, während die Pferde galoppieren und schnauben, die Kutsche quietscht, rattert und rappelt und der Wind pfeift - Respekt. Und der Kutscher muss dafür dauernd über die Schulter gucken.
Nee, nur Spaß :wink: Ich kenne solche Romane.
Vielleicht konnte man eine Hälfte des vorderen Glasfensters aufschieben, aber ich vermute, sie hat aus der Seite heraus nach vorn gerufen.
Mal schau‘n, was der Experte sagt.
Gruß,
Eva

Nun, über die Schulter gucken kann er ja mal für ein paar Momente, und was die Konversation angeht, so ist sie für beide Beteiligten von höchster Bedeutung, da es sich um eine Entführung handelt, bei welcher der Kutscher ein Mittäter ist und das Mädchen das Böses ahnende Opfer, zumal sie vom Auftraggeber des Kutschers schon zwei Mal fast vergewaltigt wurde.

Ich denke, diese Motivlage rechtfertigt diesen ausgedehnten Dialog.

Der Roman war übrigens der größte Bestseller in der englischen Literatur des 18. Jahrhunderts und gilt als Meilenstein in der Entwicklung des Romans.

Ich hoffe, man hat gemerkt, dass das keine ernstgemeinte Kritik war, nur das, was mir beim Durchlesen in den Sinn gekommen ist :wink: Ich habe solche Romane immer gern gelesen und kenne den Stil.

Wie gesagt, ich melde mich, wenn neue Infos kommen. Interessiert mich inzwischen selber brennend, wie das mit der Kommunikation Passagier - Kutscher funktioniert hat.
Gruß,
Eva

Auf meine Anfrage vom 10.03.2022 zur Funktion der Riemen antwortet das Deutsche Museum München:

Anfrage zur Kommunikation zwischen Passagieren und Kutscher

Sehr geehrte …,

vielen Dank für Ihre Mail, die von unserem Besucherservice an mich herangetragen wurde.

Die Möglichkeiten der Kommunikation wie auch die Bauweisen der Kutschen waren sehr vielfältig: Es gab die Möglichkeit, über Schiebefenster, Klappen (z.B. auch für den Bezahlvorgang im „Kutschentaxi Hansom Cab“), Zug-, Klingel- oder Klopfzeichensysteme zu kommunizieren.

Die im Stich abgebildeten Riemen hatten meiner Ansicht nach allerdings eine andere Funktion. Auch wenn das Bild die Kutsche nicht vollständig zeigt, würde ich vermuten, dass der Kasten hier in Riemen über einem federnden Baum hing, der die beiden Achsen verbindet. Der Wagenaufbau wäre also nicht direkt auf den Achsen, sondern hängend.

(Beispielskizze: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ae/Berline_als_Skizze_in_Seitenansicht.svg) Das war vor allem ein Zugewinn an Komfort für die Reisenden, wenn die Fahrt auch noch immer eine wackelige Angelegenheit war.

Ich hoffe, diese Einschätzung kann Ihnen weiterhelfen.

Viele Grüße aus München L.B.“
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Hallo!
Falls noch Interesse besteht, der Experte des Kutschenmuseums Mecklenburg-Vorpommern hat geantwortet. Leider weiß auch er nichts über die Kommunikation zwischen Fahrgast und Kutscher in verglasten Kutschen.
Er schreibt: „Es gab viele Signalelemente, über Signalhörner, spezielle Posthörner, Schnüre (Kordeln), Signalpfeifen, Sprachröhren, Mikrofone mit Lautsprecher zum Kutschbock, einfache Signalpfeifen mir Druckluftgummiball usw.
Die Kordelschnüre mit Verzierungen wurden zum Kutscher geführt und am Rock befestigt, so dass mit der Anzahl des Ziehens der Wunsch dem Kutscher mitgeteilt wurde. Abgeleitet von dieser Schnur kommt der Satz: Es geht oder läuft wie am Schnürchen.“
Wenn ich eine Vermutung äußern darf: Für eine längere Unterhaltung wie in dem Roman geschildert, dürfte die Dame sich aus dem Seitenfenster gelehnt haben und der Kutscher hat sich auf dem Bock halb umgedreht. Es gäbe noch die Möglichkeit sich hier https://en.wikipedia.org/wiki/Royal_Mews zu erkundigen. Da bekäme man es wahrscheinlich „from the horse’s mouth“ :slight_smile:
Gruß,
Eva

Hi,

falls es jemanden interessiert: Ein Enthusiast hat viele Fakten zusammengetragen, betreffs Reisen mit der Kutsche (Fahrzeugarten, Reisen per Extrapost, Kosten, etc.), nämlich am Beispiel der Reisen des Giacomo Casanova.
https://giacomo-casanova.de/cato1.htm

Gruß T

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Ganz herzlichen Dank für diesen Link, für mich zumindest äußerst wertvoll und bestimmt auch für den UP. Hätte ich schon früher sehr gut brauchen können, aber besser spät als nie. Wer weiß, was ich noch übersetzen darf.
Gruß,
Eva

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