Jugendkultur, Politik und Trends
Hallo Elke,
Ich kenne die Behauptungen, dass sie politisch sein sollte.
Nur überzeugen mich die Behauptungen, Reden und Statements
dazu (von den damals beteiligten) nicht wirklich.
ich denke, das kommt darauf an, was man unter „politisch“ versteht. Die Love Parade war bis Mitte/Ende der 90er Auswuchs einer Gruppe junger Menschen, für die Musik und Party Ausdruck einer gewissen Lebenseinstellung war. Aufgewachsen im Schatten des kalten Krieges mit der greifbaren Gefahr eines alles vernichtenden Krieges war das sozusagen die zweite Generation der Friedensbewegung - nur ohne Pali-tuch, Gesundheitsschuhe und Jutetasche, dafür aber mit lauter schneller Musik und grellen Klamotten.
Die politische Botschaft der ersten Love Parades aber auch anderer Veranstaltungen, die nicht so bekannt und langlebig wurde, war letztlich „bringt den Laden in Ordnung, sorgt für Frieden und laßt uns unser Ding machen“. Natürlich durchwaberte dieser Geist nicht alle Clubs und Hirne, aber im Prinzip war er da. Eine Generation, die ins Berufs-)Leben trat, während um sie herum die Mauer fiel.
Die damals mehr oder weniger eingeführte Maßeinheit bpm (=beats per minute) verdeutlichte das ganze noch ein bißchen: die Bässe der schnellen Stücke aus den späten 80ern und frühen 90ern bewegte sich mit 120-150 im Bereich des menschlichen Herzschlages unter Belastung.
Hinzu kommt als weiteres Element die Technisierung/Computerisierung der Welt. Acid House kam ja mehr oder weniger unmittelbar vor Techno auf. Diese Musikrichtung wäre ohne die Roland 303, einen Synthesizer, nie in der Form entstanden. Auf einmal war jeder in der Lage mit diesen Geräten aber auch auf dem Atari ST und im Notfall auch mit dem Amiga Musik zu machen. Das ganze mischte sich mit Scratch-und Sample-Elementen aus dem Rap (politisch!); kurz: die DJ-Kultur entstand.
Ich will nicht sagen, daß mir gerade hochpolitische Gedanken durch den Kopf schossen, als ich in den 80ern im alten Ratinger Hof zum Acid-Gefiepse zappelte oder 1991 im Camden Palace The KLF zu einer für mich damals neuartigen Ton- und Lichttechnik hörte, aber doch wage ich zu behaupten, daß für unsere Generation diese Musik schon mit Aufbruch, Zukunft und einem gewissen Lebensgefühl verknüpft war.
Insofern: ob politisch im engeren Sinne sei dahingestellt, aber ein Element der Jugendkultur mit Sicherheit und damit ist es dann doch wieder eine gesellschaftliche Sache gewesen - und damit ist die Politik im eigentlichen Sinne des zugrundeliegenden griechischen Wortes dann doch wieder tangiert.
Ganz ohne Zweifel hatten die Massenveranstaltungen von 1995/1996 an damit nur noch wenig zu tun. Die wurden dann von Jugendlichen dominiert, die die Gelegenheiten für Alkohol- und Drogenexzesse nutzten. Zu der Zeit konnte man auch nur noch an den Augen und am Geruch - aber eben nicht mehr an der Uhrzeit - erkennen, ob die Leute von einem Rave kamen oder sich auf dem Weg dahin befanden.
Es war damals wie so oft: wenn die Mehrheit einen Trend entdeckt, ist er eigentlich schon tot. Dafür hat sich die Love Parade aber ganz gut gehalten und die Mayday lebt ja auch noch.
Gruß
Christian