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Hallo Jartul!
Ich hatte mir feste vorgenommen, in diesem Subforum der Feindseligkeit und der Vorurteile überhaupt nicht zu schreiben, Deine Anfrage ist aber weit genug vom Hauptfeuer des Haßes, auf daß ich mir traue, etwas dazu zu schreiben, zumal Du so schnodderig vom meinem Vorredner abgebügelt worden bist.
Die Position der Türkei ist in etwa folgende: „Eine Unabhängigkeit der Kurden im Irak würde unser Land destabilisieren, weil damit separatistische Bestrebungen bei uns dann gefördert würden.“
Ob diese Position tatsächlich konsistent ist, ob nicht für die Türkei auch andere Optionen ihrerseits bestünden, ist eine andere Frage. An den Haaren herbeigezogen sind die türkischen Befürchtungen allerdings nicht.
Deine zweite Frage wird von meiner obigen Antwort hinreichend fürs erste abgedeckt.
Die Bayern haben einen eigenen Staat, wie aus Deiner Erwähnug des Begriffes „Freistaat (=Republik)“ hervorgeht.
Ihr Staat ist jedoch nicht unabhängig, somit souverän, sondern lediglich (teil-)autonom, innerhalb des Bundes „BRD“.
Abgesehen von dem interessanten Neben-Aspekt, das zur Zeit die Souveranität und Unabhängigkeit der BRD dramatisch und rapide innerhalb der EU schwindet, ohne daß die Bevölkerung dies tatsächlich registrieren würde, ist die relevante Frage: wie autonom ist Bayern? Weit, weit weniger als ein Schweitzer Kanton, weit weit mehr als Südtirol oder Jaulisch Venetien/Friaul in Italien.
Nun schon diese hier von mir erwähnten italienischen Sondernautonomien wären der Türkei in puncto türkischer kurdischer Gebiete inakzeptabel.
Es gibt allerdings im politischen Spektrum eine (eher bescheidene der Wirkmacht nach) Minderheitsposition (der gegenüber die Armeeführung allerdings in toto ablehnend steht), welche bereit wäre, den geschlossenen kurdischen Siedlungsgebieten eine sehr schwache Autonomie zu konzedieren, in etwa vielleicht vergleichbar mit den derzeitigen schwachen regionalen Autonomie-Entwürfen aus Frankreich oder Polen.
Was die Repressalien angeht, muß man selbverständlich sehr nach den jeweiligen Zeitbezügen gehen.
Wenn ich lediglich die Jetztzeit nehme, so werden die kurdischen Sprachen (eine anerkannte Gesamtsprache ist immer noch nicht endgültig entstanden, obwohl die Moderne ihre Entstehung natürlich nachhaltig fördert), immer noch lediglich in wenigen Nischen geduldet.
Lokale kurdische Parteien werden weitgehend unterdrückt (sie widersprechen auch eigentlich dem bisherigen Selbverständnis der Türkei), kurdische kulturelle Bestrebungen mißtrauisch beobachtet, häufig mehr oder weniger unterflurig mit Hindernissen konfrontiert, gelegentlich unterdrückt.
Nach dem Zerfall des osmanischen Staates war eine weitgehende territoriale Teilung vorgesehen, welche wenige kleine türkische Kerngebiete übrig gelassen hätte.
Atatürk fürhte die Kriege, welche zur Gründung der Türkei führten. Die Griechen wurden zurückgeschlagen, mit der Folge einer immensen Flucht/Vertreibung, welcher sich etliche kleinere Nationalitäten (teil-)anschlossen.
Die türkische moderne Sprache entstand, der Kemalismus wurde eingeführt.
Die kurdischen Stämme waren mit sich selbst und ihrer Ablehnung der Moderne beschäftigt, zumal von jenseits der Grenze die Impulse nicht kamen, welche aus dem etwas reicheren Rest-Kurdistan hätten kommen können, da die Gebiete dem künstlich geschaffenen Irak zugeschlagen wurden.
Die kleineren Kriege, welche Atatürk infolge gegen Kurden führte, waren in der Hauptsache die Bekämpfung von Antimodernisierungs-Aufständen.
Eine Autonomie wurde nicht vorgesehen (schon gar keine kulturelle), weil die neue Idee des Türkentums durchgesetzt werden sollte.
Der Türkei gelang, jede Minderheit in ihr als lediglich religiöse Minderheit international ansehen zu lassen, womit die Kurden für längere Zeit „inexistent“ wurden.
Ähnlich der Berberfrage im Maghreb, mit der Analogien bestehen, ist die Sache dadurch kompliziert, daß die Kurden mittlerweile auch im Westen vertreten sind, so daß, um ein Beispiel zu zitieren, teile von Istambul eindeutig „kurdisch“ sind (allerdings waren ja die Berber vom Anfang an „da“).
Wie bei den Berbern ist es schwierig, eine Abgrenzung vollzuziehen: Weite Teile der türkischen Bevölkerung wären eigentlich in einem Übergangsbereich zwischen Kurdentum und Türkentum anzusiedeln.
Der Kemalismus ist im großen und ganzen vielleicht gescheitert: die Mehrheit der Bevölkerung ist zutiefst antidemokratisch, antiwestlich und islamistisch orientiert, obgleich in allen diesen Punkten gleichzeitig (!) sehr zwiespältig und sehr widersprüchlich.
Sollte die Macht der Armee gebrochen werden, was zumindest möglich erscheint, wird vom Kemalismus (von dem es unklar sein dürfte, ob sein Scheitern eher immanent angelegt war, oder von den Kemalismus-Abschwächungen in der Nachkriegszeit herruhrt) lediglich die rethorische Hülle (teil-)bleiben. Das ist deswegen nicht unhereblich, als die angeblich moderaten Islamisten von ihrem Selbverständnis her einer Autonomie der Kurden nicht gänzlich abgeneigt wären, anderseits bei einer Schwächung der Türkei um ihre Machtposition dann doch bangten.
Was die Analysen der Armee-Experten angeht, bin ich mir im Unklaren, ob sie recht haben, mit ihrer Annahme, daß jede bedeutende Konzession einen Erosionsprozeß für den Bestand der Türkei zur Folge hätte.
Die Positionen der Armee werden durch die derzeitige Konfrontationen indirekt gestärkt.
Zu dieser Frage käme hinzu eine Analyse der irakischen Situation (die kaum oder gar nichts mit angeblicher Abwehr der Amerikaner zu tun hat, sondern mit Ursprungskünstlichkeit des Iraks und der beinah logisch darauffolgenden generationenlangen bestialischen Unterdrückung seitens Königtums zunächst, dann Baath-Herrschaft anderseits [beide de facto arabisch-sunnitisch] der Kurden und der Schiiten bei späterem mählichem Zusammenbruch der Sunniten-Macht und gleichzeitiger Explosion der demographischen Schiitenmacht und Etablierung organisatorisch geordneter und entwickelter sowie auch wirtschaftlicher Kurdenmacht).
Hinzu käme die Analyse der im Ausland kaum bekannten Instabilität des Irans, in dem viele Völker zentrifugal agieren, (beinah) in erster Linie die Kurden.
Da hätte man vieeel Arbeit und würde sich dem Zentrum des geistigen Haß-Hurrikans auch dieses Boards so weit nähern, daß ein vermünftiges halbwegs gelassenes Analysieren nicht mehr möglich wäre.
abifiz
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