Hallo StudIng
Ein einfaches Beispiel, was ich an der Stelle immer gerne
bringe.
Nimm Dir Shakespeare. Übersetze ein Werk von ihm selbst unter
Aufbeiten aller lyrischen Kniffe, die Du im Deutschen drauf
hast.
Lies die adäquate deutsche Übersetzung und schäme Dich in
Grund und Boden.
Fehlt mir die Zeit zu. Aber dass ich mich schaemte, da bin ich mir
nicht sicher. Die eigenen Kinder sind einem doch die liebsten.
Bei poetischen Übersetzung ist der aktuelle Zustand genau der
Sprache wichtig, in die portiert werden soll (die
Zielsprache).
Was ist das, „der aktuelle Zustand einer Sprache“?
Dabei gibt sich ein unschöner Effekt zu erkennen -
Sprachwissenschaftler behaupten allgemein immer „Sprache an
sich ist hochdynamisch“. Das stimmt auch in dem Sinne so,
leider lassen - wider besseren Wissens - die meisten dann den
Pferdefuß weg: Sprache mag an sich dynamisch sein, hat aber
immer eine drastische Tendenz sich lediglich nach unten zu
öffnen. Was viele immer so als das Dynamische preisen, ist oft
ein „Verfall“, ein Wegbrechen in (überzeichnet!)
„Gossenjargon“.
Was meinst du mit „Sprache ist dynamisch“ und „nach unten oeffnen“
und „Verfall“? Aus deinem folgenden Beispiel wird das nicht klar.
Gossenjargon gab es auch zu Shakespeares Zeiten.
Bestes Beispiel MACHEN. Dem einschlägigen Sprachliebhaber
bereitet dieses Wort Alpträume.
Was ist ein „einschlägiger Sprachliebhaber“?
„Sinn machen“ hat sich im journalistischen Bereich schon fest
durchgesetzt, obwohl es ein seltendämliches Beispiel für
mangelndes Deutsch ist (und mangelndes Englisch). „Sinn
machen“ hat sich vom „make sense“ eingeschliffen und heißt im
Deutschen eigentlich „Sinn ergeben“. Vor 70 Jahren hätte
niemand die Idee gehabt, zu sagen „Mach die Tür zu“ - da hieß
das anständig „Schließe die Tür“.
„Ich mach nach hause“, „Ich mach raus“ …
Es gibt unzählige weitere Beispiele.
Heißt, Deine Shakespeare-Version wird mit der hochpoetischen
Übersetzung wenig gemeinsam haben, dazu hat heute fast niemand
mehr ausreichend Sprachgefühl (abgesehen von den Studierten in
diesen Gebieten).
Kannst du hellsehen? Meinst du, ich wuerde Shakespeare in meine
Alltagssprache uebersetzen? Und nach welchen Kriterien wertest du
Sprache? Warum ist „er machte die Tuer zu“ schlechter als „er schloss
die Tuer“? Du begehst hier den Fehler vieler Laien, naemlich alte
Sprachformen und Ausdrucksweisen als besser hinzustellen als die
neuen.
Stelle dir die Sprachentwicklung als Zeitstrahl vor, der, sagen wir,
im Jahre 1000 beginnt und im Jahre 3000 endet. Fuer das Jahr 1000
tragen wir fruehes Mittelhochdeutsch ein und fuer das Jahr 3000
irgendeinen Kauderwelsch-Mix aller europaeischer Sprachen mit vielen
chinesischen Lehnwoertern. Was du jetzt tust, ist folgendes: Du
schreibst an die im Jahr 1958 erschienene Shakespeare-Uebersetzung
„gut“ und an meine Shakespeare-Uebersetzung aus dem Jahr 2006
„schlecht“. Allgemeiner: Du machst eine geschweifte Klammer, die von
1800 bis 1900 reicht und schreibst „gut“ darunter und schreibst unter
eine geschweifte Klammer, die den Zeitraum von 1980 bis heute umfasst
„schlecht“.
Jetzt nimmst du zwei Meter Abstand und stellst fest, wie willkuerlich
du in diesem Kontinuum der Sprachentwicklung Wertekennzeichen fuer
bestimmte, kleine, Zeitausschnitte angebracht hast.
Eigentlich bedauerlich, denn Deutsch ist defacto die tiefere
und gewandtere Sprache. Das Deutsche bietet wesentlich mehr
Möglichkeiten sich extrem bildhaft und lyrisch auszudrücken.
Unsinn. Du bist nicht nur willkuerlich, was Entwicklungsabschnitte
angeht, sondern uebersiehst auch die Aequivalenz aller natuerlichen
Sprachen. Jeder naive Muttersprachler kann sich nicht vorstellen,
dass andere Sprachen so viele Ausdrucksmoeglichkeiten haben wie seine
eigene. Manchmal ist auch ein Fremdsprachlerner beeindruckt von den
scheinbar ueberlegenen Ausdrucksmoeglichkeiten seiner Fremdsprache.
Aber niemals halten solche Urteile objektiven Betrachtungen stand.
Glaube mir: Alle Menschen koennen sich in ihrer Muttersprache im
Durchschnitt gleich gut ausdruecken und gleich gut mit der Sprache
spielen. Es gibt keine ueberlegenen natuerlichen Sprachen.
Die abweichende Satzgliedstellung erweist sich oft als sehr
hart - sie verträgt viel an Verbiegungen, Auseinandersetzungen
und Verschachtelungen.
Das ist im Deutschen genauso problematisch wie in anderen Sprachen
auch. Nur, dass diese Unsitte hier mehr gepflegt wird als in anderen
Sprachen.
Lustig immer bei einer UN-Vollversammlung: Fällt eine witzige
Bemerkung mit diversen Verneinungen, so lacht der Deutsche oft
zuletzt, weil es die formale Satzgliedstellung nicht anders
hergibt (die Übersetzer im Ohr portieren ja eher sachlich).
Was willst du damit zum Thema sagen?
Du steckst also in einem Dilemma: Einerseits ist Dir durch
fehlendes Sprachgefühl in der Fremdsprache die Erschließung
der ganzen Poesie eher verschlossen.
Danke fuer dein treffendes Urteil. Du kennst kennst mich gut.
(Ironie)
Ich würde grob
überschlagen, daß sich erst nach Jahren im Ausland so langsam
die Türchen öffnen, die man braucht, um wirklich intuitiv
bspw. Englisch zu sprechen. Der erste Schritt ist ja das
bekannte „Englisch träumen“.
Andererseits fehlen Dir hervorstechende Fähigkeiten im
Deutschen, damit die poetische Dimension auch erhalten bleibt
(bezogen auf einen normalen Menschen).
Was du alles ueber mich weisst, erstaunlich. Beweise deine Aussagen
doch bitte an meiner Uebersetzung des Liedes.
Das ist bspw. etwas, was in den Schulen absolut zu kurz kommt:
idiomatische Redewendungen. Eigentlich die perfekte
Spielwiese, um dem Schüler die Kultur zugänglich zu machen.
Daß zum Beispiel der „Sturm im Wasserglas“ von den Engländern
in die Teetasse verlegt wird.
Was tut dieses Beispiel zur Sache?
Ich komme wahrscheinlich etwas genervt rueber, aber ich bin ganz
entspannt. Ich versuche nur deutlich zu machen, dass ich dein Posting
nicht nachvollziehen kann. Du behauptest viel, belegst aber wenig und
wenn, dann nicht stichhaltig.
Gruss, Tychi