Hi!
Beim Lesen einer ganzen Reihe von Kommentaren zum Thema „Demos Stuttgart 21“ bin ich mehrfach auf die Aussage gestoßen, die Demonstrationen seien „undemokratisch“, weil sie sich gegen etwas richten, was auf demokratische Art und Weise beschlossen wurde.
Ich halte diese Aussage für ausgesprochen gefährlich. Denn danach wären nahezu alle Demonstrationen Ausdruck einer undemokratischen Haltung.
1962 wurde die Redaktion des „Spiegel“ von der Polizei durchsucht - eine gesetzlich legitime (also demokratisch begründete) Hausdurchsuchung, abgesegnet durch richterlichen Beschluss. In diesem Zusammenhang wurden Rudolf Augstein und Conrad Ahlers verhaftet. Als Folge gab es u. a. Demonstrationen. Sind diese Demonstrationen etwa undemokratisch, weil sie sich gegen etwas richten, was demokratisch-rechtlich abgesichert war?
1968 gab einen demokratischen Beschluss namens „Notstandsgesetzgebung“, gegen den - undemokratisch? - demonstriert wurde.
1979 beschloss die Bundesregierung, dem NATO-Doppelbeschluss zu folgen. Das führte zu jahrelangen Demonstrationen gegen diese demokratisch gefällte Entscheidung. Sind diese Demonstrationen als undemokratisch anzusehen?
Jedes Mal, wenn die Bundeswehr zu größeren Einsätzen ins Ausland abkommandiert wird (Balkan, Afghanistan), gibt es in der Bevölkerung erhebliche Bedenken und entsprechende Demonstrationen. Der Auslandseinsatz der Armee ist durch Beschluss des Bundestages demokratisch legitimiert - folglich sind Demonstrationen gegen eine Einsatz von Bundeswehreinheiten etwa in Afghanistan ein Ausdruck undemokratischen Verhaltens?
Wenn das oben Genannte alles keine undemokratischen Demonstrationen sind, was unterscheidet dann die Demo in Stuttgart, dass diese „undemokratisch“ genannt wird, nur weil sie sich gegen einen demokratrisch ermittelten Beschluss wendet?
Mein Eindruck: Mit Argumenten wie „Die Demo in Stuttgart ist undemokratisch“ soll der Kadavergehorsam der Bevölkerung gegenüber Politikern und Regierungen eingefordert werden. Wenn die Regierung beschließt - und wenn es noch so sehr gegen den Willen der Bevölkerung ist -, hat die Bevölkerung zu schweigen und zu dulden.
Das ist Staatspolitik des 18. Jahrhunderts!
Grüße
Heinrich