Hallo!
Hm, machst du dir auch Sorgen, was passiert, wenn die USA den Iran nicht angreifen?
Afghanistan ist ein auf Dauer unhaltbares Pulverfaß. Der Irak ist destabilisiert. Im Iran würde im Falle militärischer Aktionen das gleiche Ergebnis erzielt. Ich halte es für aussichtslos, den Ländern in Nahost mit US-Methoden demokratische Verhältnisse bringen zu wollen. Das bisherige Militärengagement ist ein einziges Desaster.
Einen Iran mit Atomwaffen halte ich auch nicht gerade für eine lustige Sache.
Bisher ist eine atomare Bewaffnung des Iran ähnlich realistisch wie das Chemiewaffenarsenal im Irak. Es handelt sich um eine Behauptung, man kann auch freie Erfindung sagen.
Wenn man den Nahen Osten dauerhaft befrieden will, müssen alle Beteiligten bereit sein, einen Preis dafür zu bezahlen. Israels Zielsetzung darf sich nicht darin beschränken, die Hisbollah entwaffnet zu sehen. Man muß bereit sein, einen souveränes Palästina zu akzeptieren. Man muß bereit sein, sich über (Ost-)Jerusalem zu einigen und man muß bereit sein, restlos alle besetzten Gebiete zu räumen.
Bisher ist nicht zu erkennen, daß diese Bereitschaft in Israel vorhanden ist und ebenso ist nicht erkennbar, daß die radikalen palästinensischen Gruppen zum Gewaltverzicht und zur Anerkennung des Existenzrecht Israels bereit sind. Von daher folgt die Entsendung deutscher Marine dem gleichen konzeptlosen Strickmuster wie alle anderen Militäraktionen in Nahost: Der Einsatz wird bestenfalls in perspektivloser Destabilisierung enden. Deutsche Marine wird keine einzige Waffenlieferung/keinen einzigen Waffenschmuggel verhindern können, aber die Marine ist in der Region präsent und wird im Falle der Eskalation Teil derselben sein. Deutsche Soldaten werden unter keinen Umständen als neutrale Gewalt agieren, sondern parteiisch die Position Israels stärken und damit werden deutsche Streitkräfte Kriegspartei.
Der gesamte Nahost-Konflikt ist in Palästina lösbar, aber er ist nicht militärisch lösbar. Militärisch ist nicht einmal die bessere Verhandlungsposition durchsetzbar. Wenn die Verantwortlichen in Israel und den USA gewollt hätten, gäbe es schon seit Jahrzehnten Frieden. Mit Maximalpositionen ging es seit Jahrzehnten nicht und wird es auch zukünftig nicht gehen. Schon Generationen von Palästinensern lernten nie etwas anderes als Lagerleben kennen. Unter solchen Umständen darf sich niemand über Radikalisierung wundern. Deutsche und überhaupt die EU darf sich mit niemandem in ein Boot setzen, der die bestehenden Verhältnisse zementieren will. Aber genau das macht israelische und amerikanische Politik: Keinen Milimeter zurück, kein Zugeständnis an das Lebens- und Existenzrecht anderer und dabei gehen die vorgeblich verteidigten Werte zuerst den Bach herunter.
Es wird nur eine Frage kurzer Zeit sein, bis die USA und/oder Israel zum Militärschlag gegen Syrien und gegen den Iran ansetzen, um gewaltsam versuchen, der arabischen Welt ein westlich geprägtes System aufzuzwingen. Gewollt oder nicht, dabei eskaliert ein Konflikt der Kulturen.
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die der Entsendung von Militär zustimmten, zeigten sich erkenntnisresistent. Der vermeintlich gegen den Terror gerichtete Einsatz in Afghanistan brachte das Land keinen Millimeter in Richtung Demokratie. Im Irak ist ein Bürgerkrieg zwischen Schiieten und Sunniten wahrscheinlicher als eine Befriedung und schon diese beiden Konflikte haben das Potenzial für eine großflächig unkontrollierbare Situation. Trägt man diesen Konflikt auch noch in den Iran, herrscht zwischen dem Mittelmeer und Pakistan Krieg mit ungewissem Ausgang. Nebenbei müssen wir damit rechnen, daß ein beträchtlicher Teil der Erdöl- und Erdgasreserven der Erde für unabsehbare Zeit, wenn nicht sogar auf Dauer durch den Einsatz von ABC-Waffen für eine Förderung unzugänglich wird. Ferner ist damit zu rechnen, daß ein eskalierender Konflikt in Nahost auf etliche vom Islam geprägte Staaten überspringt.
Ich halte jede - auch militärische - Hilfe für Israel für angemessen, aber nicht bedingungslos. Zuerst muß die Bereitschaft für eine Zweistaatenlösung, für eine Lösung des Jerusalem-Problems und für die Freigabe aller besetzten Gebiete vorhanden sein. Ohne diese Bereitschaft wird entsandtes Militär über kurz oder lang Bestandteil einer Mord- und Selbstmordaktion ohne die leiseste Chance auf tragfähige Lösungen.
In den 60er Jahren wurde Schülern in Westdeutschland erzählt, die Amerikaner würden in Vietnam unsere Freiheit verteidigen. Peter Struck stellte sich hin und erzählte etwas von der Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch. Nach einigen Jahrzehnten Beobachtung der Szenerie bin ich überzeugt, daß die verantwortlichen Politiker seit Kennedy unfähige Holzköpfe sind, die bedenkenlos über Leichenberge steigen. Die Leute, die den Afghanistan-Einsatz mittragen und die Leute, die der Entsendung der Marine zustimmten, gehören in die gleiche Kategorie. Wenn sie nicht verantwortungslos sind, sind sie mindestens gefährlich dumm und unfähig, aus der Geschichte zu lernen.
Gruß
Wolfgang