Was hat Evangelist Markus mit Yuval Noah zu tun?

Hallo!

den folgenden Text verstehe ich leider nicht. Kann jemand mir weiterhelfen? Was hat Sprachlosigkeit mit Dummheit zu tun?

Danke

Der Evangelist Markus
berichtet in aller höflichen Zurückhaltung
von einem Vater, der aus dem Volk
ruft:„Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht
zu dir, der hat einen sprachlosen
Geist.“Dumme gibt es immer noch. Deswegen
tat es not, dass der alles andere als
sprachlose Meister-Historiker Yuval Noah
Harari jetzt einmal über die Dummheit gesprochen
hat. Harari kennt und beschreibt
das Wettrennen des menschlichen Geistes
seit Jahren wie kein Zweiter. Mit Blick auf
die bedrohlicheWeltlage sagte er jetzt dem
Spiegel, dass man„die menschliche Dummheit
nie unterschätzen darf“.

Hallo,

Für Dummheit gibt es im Deutschen viele poetische Umschreibungen.
„intellektuell mit leichtem Gepäck unterwegs“ (mein persönlicher Liebling)
„hat beim Denken besonders viel Pech“
„geistig unbewaffnet“
„schlichtes Gemüt“

Genau das meint der „sprachlose Geist“. Der „Geist“ steht im Deutschen ja nicht nur eine körperlose Gestalt wie ein Gespenst, sondern auch das denkende Bewusstsein, den Verstand eines Menschen. Wenn man nur wenig bzw. sehr langsam denkt, kommt natürlich nur wenig aus dem Geist heraus - er ist sprachlos.

Mit dem Einstieg des Markus-Zitates möchte der Autor klar machen, dass es auch heute noch viele dumme Menschen gibt, dass aber auf den im Anschluss zitierten Historiker Yuval Noah Harari, offenbar das Gegenteil zutrifft.

Grüße
Pierre

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Meiner Meinung nach geht es bei diesem Beispiel nicht um Dummheit oder Intelligenz.

Es war eine Krankheit die in der Bibel auch genau dargestellt wird (vermutlich Epilepsie) und die wurde natürlich einem Geist zugeschrieben der verständlicherweise nicht sprach. Nach Besprechung durch Jesus fuhr dieser Geist heraus und das Kind war geheilt. Also praktisch das Vorbild für Exorzismus wie er in der katholischen Kirche noch praktiziert wird.

Jesus sagt dann auch zum Abschluss „dieser Geist kann nur durch Gebet geheilt werden“.

Vom Autor meiner Meinung nach bei dem Thema ein eher schlecht gewähltes Beispiel.

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Deshalb verstehe ich es nicht. Er versucht mit dieser Verrenkung, den Himmel und die Erde zusammenzubringen.

Grüße

Bin ich der einzige, der da leichten Spott herausliest? (Also aus dem Originaltext, nicht aus deiner Antwort.)

Bei mir kommt da an: Früher hat Christus die Menschen von der Dummheit erlöst, heute macht das Yuval Noah Harari, der sich für einen mindestens ebensogroßen Heilsbringer hält, aber am Ende dann doch nur nur einen sehr banalen Allgemeinplatz reproduziert.

Gruß,
Max

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Nun ja, vielleicht ist es auch nur der verzweifelt humorige Versuch eines durchschnittlich begabten Schreiberlings, der als Journalist angestellt wurde, einen guten Einstieg in die Einschätzung von Harari zu finden…

Man müsste mehr vom Bericht lesen. Habe ich darauf Lust? Nein. :wink:

Grüße
Pierre

Es wird wahrscheinlich problematisch, den ganzen Artikel im Forum zu kopieren :thinking:

ist nicht nötig: https://www.sueddeutsche.de/politik/glosse-das-streiflicht-1.5540719

Gruß
Kreszenz

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Ich habe den Artikel eben überflogen und soweit ich sagen kann sind es wirklich einfach nur Allgemeinplätze über die Dummheit in der Wechselwirkung mit dem Bösen. Mit Markus hat das absolut nichts zu tun.

Eben!
Das einzige, was Y.N. Haran mit dem Markus-Ev. zu tun hat, ist Folgendes:

  1. Der aktuell viel beachtete Historiker Haran wird als „nicht sprachlos“ präsentiert (Wer hätte das gedacht!).
  2. In der Episode Mk. 9.14 ff kommt das Wort „sprachlos“ vor.

Mit anderen Worten: Es ist ein unglaublicher Schwachsinn, was der Autor dieser Glosse sich hier leistet.Sowas als Dummheit zu bezeichnen, wäre ein unangebrachter Euphemismus.

Wenn man genauer hinsieht, ist der Schwachsinn noch größer: Der Autor zitiert hier die Markus-Episode offenbar aus einer Luther-Übersetzung, wo „sprachloser Geist“ steht. Das scheint der Autor als „Dummheit“ zu verstehen. Wovon er offenbar keine Ahnung hat: Hier ist von einem Kind die Rede, das von einem Dämon (griech. „daimonion“) besessen ist. In diesem Kontext ist griech. „pneuma“ (= „Geist“) eine übliche alternative Bezeeichnung für „Dämon“ („akatharton pneuma“ = „unreiner Geist“). Daß viele Kranheiten als „Besessenheit von einem unreinen Geist“ interpretiert werden, gehört zu den antiken mediteranen und mesopotamischen Krankheitstheorien.

An dieser Stelle ist speziell von einem „stummen Geist“ („alalon pneuma“ = „stummer Dämon“) die Rede , d.h. das Kind spricht nicht bzw. kann nicht sprechen, es ist stumm. Später wird noch „stumm und taub“ = taubstumm („alalon“ und „kōphon“) erwähnt. (man wei8 meist nicht, welche Krankheiten genau jeweils bei „Bessenheit“ vorlagen, hier mutmaßlich Autismus, zusätzlich btw. zu Epilepsie). Mit „Dummheit“, also dem Thema der Glosse, hat das also nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Der Autor hat also die zitierte Passage überhaupt nichtmal gelesen. Und von dem viel beachteten Historiker Harari hat er ebenfalls null Ahnung, sonst würde er ihn nicht auf einen solchen Allgemeinplatz (wohl aus einer Titelzeile des Spiegel) reduzieren, der an Banalität nicht zu überbieten ist. Und die Zeile ist wohl der einzige Grund, Harari überhaupt zu erwähnen, denn es hat mit dessen Forschungsinhalten ganz und gar nichts zu tun.

kopfschüttelnden Gruß
Metapher

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Deshalb heißt der Artikel „Der Streiflicht“ :upside_down_face:

Nun ist es allerdings so, das man da in alten Zeiten noch nicht so fein unterschieden hat, aus welchem Grund da jemand kein vernünftiges Wort herausbringt - das zeigt schon die althochdeutsche Wurzel von „dumm“, nämlich das Wort „tumb“, das sowohl stumm als auch töricht bedeuten konnte und in dieser Doppeldeutigkeit bis heute im englischen als „dumb“ existiert. Noch im 19, Jahrhundert weisen die Gebrüder Grimm auf die Bedeutungsvielfalt von dumm in früheren Jahrhunderten hin, wo der Stumme wie der Taube als „dumm“ abgewatscht wurden:

So ganz und gar abwegig ist der Gedankensprung vom „sprachlosen Geist“ zur Dummheit also nicht, alldieweil es ja keine wissenschaftliche Abhandlung über das Wesen der Dummheit ist, sondern ein Streiflicht, in dem Kapriolen und schiefsinnige Betrachtungen nicht unüblich sind.

Beste Grüße,
Max

Vieleicht hilft das beim Textverständnis etwas weiter:

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Hallo Max,

obwohl es alles ein viel zu großer Aufwand ist für eine inhaltlich ganz und gar unbedeutende Glosse …

Nun ist die diachrone Etymologie zu „dumm“ tatsächlich äußerst interessant. Wenn man über Grimm hinaus geht z.B. zu Linguisten Julius Pokorny, findet sich „dumpf“, „Dunst, Dampf“, „duselig“ bis zu „En-thusiasmus“, und sogar griech. „theos“ unter den engsten Verwandten des Wortes. Daß die Bedeutung „töricht, tumb“ in Nebenzweigen hier und da auftaucht - z.B. gotisch, altsächsisch, altnordisch und natürlich althochdeutsch - ist erwiesen. Und sogar das rezente „taub“ und „doof“ ist nahe verwandt.

Vor einiger Zeit (April 2001) hatte ich es → hier [„Eos und göttliche Dämpfe“] mal zur Frage „4. Woher kommt der Begriff „theos“?“ zusammengefasst.

Aber egal, das rettet den Autor dieses Artikels nicht. Denn im Markus-Zitat findet er „dumm“ ja gar nicht. Er kennt davon ja nur den Ausdruck „der hat einen sprachlosen Geist“. Und das fasst er auf, als sei da von einem „dummen“ Kind die Rede. Was er - vermutlich, weil er die Passage gar nicht gelesen hat - ignoriert: Es ist vielmehr die Rede von einem „stummen“ Dämon, der - entsprechend antiker Krankheitstheorie - von dem Kind Besitz ergriffen hat.

Das ist doch gerade der Grund, weshalb der Vater sich an den Mann wendet, der - gemäß der synoptischen Jesus-Interpretation - als Heiler und Messias aufgefasst wird, weil er Macht über Dämonen hat, nicht aber, weil er tumbe, treudoofe Kinder intelligent machen kann.

Daraus dann die Brücke zu schlagen zu jemandem, nur deshalb, weil er als Geschichtsprofessor eben kein „sprachloser Geist“ ist, und weil es ein triviales Zitat von ihm gibt, in dem das Wort „Dummheit“ vorkommt, ist dann das Weitere, das jeden Leser sprachlos macht.

Aber wie gesagt - um einen anderen nicht sprachlosen Geist zu zitieren: Much Ado About Nothing.

Gruß
Metapher

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