Hallo Claus,
ich beschränke mich auf Anmerkungen zum letzten Absatz Deines Postings, weil das z.T. wirklich haarsträubend ist, was Du da schreibst.
Nach Buddhas Tod gab es aber sofort über 30 verschiedene
Lehren,
Eine erste Spaltung (in 2 Schulen, Sthavira und Mahasanghika) gab es auf dem 2. Konzil (sangiti) von Pataliputra. Je nach Datierung (es gibt erhebliche chronologische Probleme) zwischen 100 und 140 Jahren nach Buddhas Tod. In der frühen Phase des Buddhismus werden 18 verschiedene Schulen gezählt, die durch weitere Aufspaltungen entstanden - keinesfalls „sofort“, sondern natürlich im Verlauf mehrerer Jahrhunderte. Standardwerk zum Thema ist André Bareaus ‚Les sectes bouddhiques du Petit Vehicule‘, E.F.E.O. Paris, 1973.
die den Buddha völlig verschieden auslegten
Wer sich ein wenig mit den (allerdings z.T. schwierig bzw. gar nicht zu rekonstruierenden) Lehren dieser Schulen auseinandersetzt, bekommt den Eindruck eher marginaler Unterschiede. Vielleicht mit Ausnahme der Vatsiputriyas (Personalisten). Empfohlene Lektüre: Edward Conze, ‚Buddhistisches Denken. Drei Phasen buddhistischer Philosophie in Indien‘, Suhrkamp 1994.
und sich
in ihrem Anspruch auf die einzige und absolute „Wahrheit“
bekriegten.
Ich weiss nicht, wo Du diesen - entschuldige - Unsinn her hast. Soweit sich die Verbreitungsgebiete einzelner Schulen überschnitten, nutzten sie gemeinsam Klöster und Universitäten. Auch noch, als dann die Mahayana-Schulen hinzukamen. Nach Schulen getrennte Einrichtungen entstanden erst recht spät - in Japan und dann auch Tibet. Dort (in Tibet), wo diese Klöster dann auch politische Herrschaft ausübten, kam es dann auch tatsächlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Allerdings nicht wegen des Anspruches auf Besitz einer „absoluten Wahrheit“ sondern aus viel naheliegenderen Gründen. Und Buddha war da im Übrigen auch schon gut zwei Jahrtausende tot. Der buddhistische Wahrheitsbegriff ist übrigens ein hochkomplexes Thema - und die (begrenzte) Gültigkeit unterschiedlicher relativer Wahrheiten im Rahmen spezifischer didaktischer Konzepte im Buddhismus allgemein akzeptiert. Da „absolute Wahrheit“ (paramarthasatya) nach buddhistischem Verständnis nicht kommunizierbar (nur erfahrbar) ist, eignet sie sich auch nicht als Kriegsgrund.
Aber vielleicht hast Du mit dem „bekriegten“ ja nur den intellektuellen Disput gemeint. Die Diskussionskultur (durchaus auch polemisch gewürzt) war und ist im Buddhismus in der Tat hoch entwickelt - begünstigt durch das Fehlen einer obersten Instanz, die inquisitorisch über eine vorgegebene Orthodoxie wacht.
Deshalb kamen die Klügsten zu dem provokanten
Spruch: „Wenn du Buddha triffst, schlag ihn tot!“
Der „Spruch“ stammt von Linji Yixuan (jap. Rinzai Gigen, gest. 866/867) und ist im Linji Lu überliefert (deutsche Ubersetzung: Linji Yixuan: ‚Das Denken ist ein wilder Affe. Aufzeichnungen der Lehren und Unterweisungen des großen Zen-Meistes‘, Übers. Ursula Jarand, O.W. Barth Bern, 1996). Um das Zitat richtig zu verstehen, ist es empfehlenswert, den ganzen Abschnitt im Zusammenhang zu lesen.
Ohne Linjis Aussage nun weiter vertiefen zu wollen - ich kenne keine buddhistische Schule, die nicht den Primat authentischer eigener Erfahrung gegenüber Glauben (eigentlich shraddha, Vertrauen) betont. Das ist buddhistische Grundschule, eigentlich eher Kindergarten. Um an diesem nicht ganz ganz unwichtigen Punkt exemplarisch zu zeigen, wie eine buddhistische Propädeutik als Grundlage weiterführender Lehren aussieht, hole ich hier etwas weiter aus.
Wie so oft, wenn es sich um Grundlagen buddhistischer Lehre handelt, ist ein Blick in den Palikanon zu empfehlen. Eine gute Grundlage gibt hier das Vimamsaka Sutta, M.47 (http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m047z.html). Es ist nicht allzu umfangreich, deswegen greife ich hier keine speziellen Passagen heraus, um sie zu zitieren.
Hier wird deutlich, dass auch Buddha selbst nicht von dem Prinzip ausgeschlossen ist, den Lehrer gründlich zu prüfen. Im Schlußsatz wird deutlich gemacht, dass das Vertrauen (shraddha, Pali saddha) „von Gründen gestützt, in Schauung verwurzelt“ und dadurch stark ist.
Shraddha, das Vertrauen in den Erwachten und die Wirksamkeit seiner Lehre, ist also bedingt - während z.B. der christliche Glaube ein bedingungsloser ist. Shraddha beruht auf Weisheit (prajna), wie es ausdrücklich im Pathama Sutta S.48.45 (http://www.palikanon.com/samyutta/sam48.html#s48_45t48) heisst:
„Eine einzige Fähigkeit, ihr Mönche, muß der triebversiegte Mönch entfaltet und ausgebildet haben, um das höchste Wissen derart zu erklären. Welche eine Fähigkeit? Dem edlen Jünger, ihr Mönche, der Weisheit besitzt, festigt sich demzufolge das Vertrauen …“.
Diese Weisheit (prajna, Pali panna) muss von dem Vertrauenden tätig selbst erworben und vertieft werden. Eingehend erläutert wird dieser Prozess im Canki Sutta M.95 (http://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m095z.html) dargestellt:
„Wenn ein Mann Vertrauen besitzt, Bhāradvāja, so erhält er die Wahrheit aufrecht, wenn er sagt: ‚Ich vertraue auf das‘; aber er kommt noch nicht mit Bestimmtheit zu dem Schluß: ‚Nur dies ist wahr, alles andere ist falsch.‘ Auf diese Weise, Bhāradvāja, gibt es ein Aufrechterhalten der Wahrheit; auf diese Weise erhält er die Wahrheit aufrecht; auf diese Weise beschreiben wir das Aufrechterhalten der Wahrheit. Aber noch gibt es da kein Erwachen zur Wahrheit.“
Das ist also eine erste Stufe von shraddha, ein initialisierendes Vertrauen. Die zweite Stufe setzt dann zunächst Prüfung (wie auch in M.45 beschrieben) und Auswahl eines Lehrers voraus:
„Wenn er ihn untersucht hat und gesehen hat, daß er von Geisteszuständen, die auf Verblendung beruhen, geläutert ist, dann setzt er sein Vertrauen in ihn; voll Vertrauen besucht er ihn und erweist ihm Respekt; nachdem er ihm Respekt erwiesen hat, hört er genau zu; wenn er genau zuhört, hört er das Dhamma; wenn er das Dhamma gehört hat, merkt er es sich und untersucht die Bedeutung der Lehren, die er sich gemerkt hat; wenn er ihre Bedeutung untersucht, erlangt er ein reflektives Annehmen dieser Lehren; wenn er ein reflektives Annehmen dieser Lehren erlangt hat, tritt Eifer hervor; wenn Eifer hervorgetreten ist, wendet er seinen Willen an; wenn er seinen Willen angewendet hat, prüft er genau; wenn er genau geprüft hat, bemüht er sich; wenn er sich entschlossen bemüht, verwirklicht er mit dem Körper die letztendliche Wahrheit und sieht sie, indem er sie mit Weisheit durchdringt. Auf diese Weise, Bhāradvāja, gibt es ein Erwachen zur Wahrheit; auf diese Weise erwacht man zur Wahrheit; auf diese Weise beschreiben wir das Erwachen zur Wahrheit. Aber noch gibt es da kein endgültiges Erlangen der Wahrheit.“
Aus dem Vertrauen in den Lehrer ergibt sich also nicht ein bedingungsloses Annehmen dessen, was er lehrt - es muss sich vielmehr um ein „Untersuchen“, „reflektives Annehmen“ und „genaues Prüfen“ handeln; dies sind Bedingungen, die zum Erwachen zur Wahrheit (zur eigenen Einsicht) führen und dann durch „Wiederholung, Entwicklung und Entfaltung“ (beständige Übung) zum endgültigen Erlangen der Wahrheit. Dies ist dann kein shraddha mehr, kein Vertrauen in Lehren Anderer, sondern in der Tat durch subjektive Erfahrung erworbenes (wenn auch nicht notwendig objektivierbares) Wissen.
Freundliche Grüße,
Ralf