Dirigent

hallo!

ich hätte zwei fragen, mit denen ich mich derzeit beschäftige:

  1. ist jetzt weder ironisch noch sarkastisch noch gewollt-lustig gemeint, sondern beruht auf unwissenheit meinerseits: Ist alles, was karajan gemacht hat, gut?

  2. es geht um dirigenten. zuerst wusste ich gar nicht, wozu selbiger da ist. nun weiss ich es, zumal ich erfahren habe, dass der dirigent nicht bloß den takt vorgibt, sondern auch mit dem orchester probt (wie ich manchmal im zdf theaterkanal gesehen habe), einzelheiten bespricht etc.

meine frage ist nun die: wie arbeitet so ein dirigent in der regel? wird wirklich jede sekunde, sagen wir, einer Oper, durchgesprochen? oder läßt er das orchester solange vorspielen, bis er eine stelle gefunden hat, die er ändert/ändern möchte?

wieviel freiheiten hat ein dirigent, was dynamik, lautstärke und vor allem tempo angeht?

wenn ich mehrere aufnahmen derselben oper von verschiedenen dirigenten höre, fällt mir schon ein unterschied auf (z.b spielt der eine schneller, der andere spielt eine bestimmte stelle abgehakt, der andere flüssiger etc. usw.), aber wenn ich solche sachen höre (in kritiken von aufführungen etwa) wie „…und der dirigent sorgte dafür, dass jedes schöne detail hörbar wird.“ denke ich bei mir, wie soll das denn gehen? wie muss ich mir das vorstellen?

wenn zb. das orchester spielt, und ein glockenspiel eine schöne melodie dazu spielt, aber ein dirigent das glockenspiel weglässt, dann hat er doch ein schönes detail weggelassen, oder irre ich (wieder mal)? ist es denn nicht so, dass der komponist alle instrumente notiert hat, und jeder seinen part spielt, und fertig? wo soll es dann noch schöne details gehen? was sollen das für details sein? sind diese details überall in einem stück oder an bestimmten stellen?

ich hoffe, ihr könnt mir ein bisschen helfen bei meinen fragen, denn wenn ich nicht weiss, wieviel einfluss der dirigent hat und wie er probt, kann ich mir doch kein bild von schönen details machen.

P.S. ich weiss, das ist eine riesige flut von fragen, aber besser kann ich das nicht formulieren. ich habe mir diese fragen schon vorher auf einem zettel notiert und immer wieder bearbeitet, damit es noch einen sinn ergibt.

Hallo Eric,

Ich bin zwei kein Profi, aber ein paar Dirigenten habe ich schon miterlebt, deswegen kann ich dir da was verständliches aus Laiensicht sagen.

Jeder Dirigent arbeitet im Grunde anders. Ich hatte einen, der schlug fast keinen Takt und versuchte, durch seine Körpersprache auszudrücken, was er wollte. Ein anderer war sehr exakt im Taktgeben, außerdem sehr präzise, wenn er Lautstärken angab (kleine Bewegungen gegenüber großen, das fällt dir bestimmt auf, wenn du mal drauf achtest).
Dasselbe gilt auch für die Arbeit am Stück. Die meisten Dirigenten machen es so, dass sie das Stück erstmal komplett durchlaufen lassen, sodass die Musiker einen Überblick bekommen. Bei langen Stücken, wo sich Teile immer wieder wiederholen oder solchen, die markant in Partien unterteilt sind, werden auch solche Abschnitte gerne nacheinander bearbeitet.
Nach dem Durchlauf (bei dem der Dirigent tatsächlich zuhört und sich in irgendeiner Form „merkt“ was er verbessern will) geht es dann in der Tat an kürzere Sequenzen. Daran kann ich dir auch erklären, was ein Dirigent anders machen kann als ein anderer, und warum man daran dann messen kann, wie gut einer ist:

Der Dirigent kann z.B…

…an Lautstärken arbeiten. Damit ist einerseits die Gesamtlautstärke des Orchesters gemeint, viel wichtiger aber ist die Balance, also: Wie laut sind die unterschiedlichen Stimmen im Verhältnis zueinander? Oft sind die Stimmen ja im Vergleich zu anderen Orchestern unterschiedlich besetzt - trotzdem muss man z.B. als Zuhörer das Flötensolo hören, auch wenn man 20 Chelli hat (wo andere 5 haben, als Extrembeispiel). Auf diese Weise können wichtige Themen verschwinden oder besonders schön hervorgehoben werden - was im Allgemeinen als Detail zu verstehen ist. Das können auch nur drei Noten sein.

…Tempi festlegen: Oft besteht ein Stück nicht nur aus einem Tempo (das steht oben drüber als „Allegro“ oder „Andante“, manchmal auch präziser als SChläge pro Minute. Außerdem werden manche Stellen verzögert oder das Tempo wird stark angezogen. Hier muss der Dirigent zeigen, wo’s lang geht, sonst geht alles durcheinander. Er hat nur bedingt Freiheiten, aber es können sich - wie du ja schon selber festgestellt hast - enorme Unterschiede ergeben.

…den Ausdruck eines Stückes bearbeiten. Ein Dirigent von mir hat mal gesagt: „Es gibt Piratenmusik und Liebeslieder. Eins von beidem ist jede Musik.“ Das ist natürlich übertrieben, aber es zeigt doch, dass man ein und dasselbe Stück in ein und demselben Tempo spielen kann - und trotzdem zwei unterschiedliche Stücke dabei raus kommen können. Nimm die deutsche Nationalhymne - sie kann fiedlich gespielt werden, wie eine sanftmütige Elfe schwebt das Stück. Man kann aber auch ordentlich reinhauen und einen Elefanten daraus machen. Das passiert z.B., indem man die Noten absetzt, sie mit Akzenten versieht oder kaum Lücken zwischen ihnen lässt, sie „einschleichend“ statt schlagartig beginnen lässt.

Letztendlich funktioniert ein Dirigent (und das alles von oben) aber nur, wenn das Orchester auch tut, was er angibt, ihn versteht. Manche verstehen es besser, dem Orchester deutlich zu machen, was sie wollen. Andere werden von den Musiker mehr oder weniger bewusst ignoriert. Ich habe mal irgendwo gehört oder gelesen, dass die Spitzenorchester, die manchmal nur eine Probe mit dem Dirigenten vor dem Konzert haben, einfach ihr Ding durchziehn und gar nicht mit dem Dirigenten spielen, wie es andere tun.

Das ist jetzt doch ganz schön viel geworden, ich hoffe, es hilft dir. Vielleicht suchst du dir mal ein Orchester in deiner Nähe und schaust dir ne Probe live an. Das sagt eigentlich am meisten.

Lena

hi!

danke erstmal für die antwort. mich stört die länge überhaupt nicht, denn wenn es ums beschreiben von musik und interpretationen usw. geht, dann kann man nicht einfach das thema mit 2, 3 sätzen abtun.

wegen dem schluß: darf man das denn, bei so einer probe zusehen? wenn ja, wäre das schon toll!

Hallo,

Ist alles, was karajan gemacht hat, gut?

es kommt darauf an, was du als „gut“ empfindest. Ich zum Beispiel finde, dass Karajan manche Stücke viel zu schnell spielt, womit unter Umständen die vom Komponisten intendierte Wirkung verlorengeht. Aber man kann sich natürlich auch auf den Standpunkt stellen, dass der Komponist gerade dieses Tempo angetrebt hat, denn so ganz genau weiß man das ja nicht. Andererseits kann man sich auch fragen, ob man überhaupt die Intention des Komponisten unbedingt ausdrücken muss, oder ob man als Dirigent nicht weitergehende Freiheiten hat.

Die Interpretationsbreite betrifft aber vor allem die Schnelligkeit und die Lautstärke, ganze Instrumente wegzulassen ist eigentlich nicht erlaubt, denn dann handelt es sich im Grunde schon um eine Bearbeitung.

wird wirklich jede sekunde, sagen wir, einer Oper,
durchgesprochen?

Im Prinzip ja, solange der Dirigent mit dem Ergebnis zufrieden ist, wird er aber keine Änderungen verlangen.

oder läßt er das orchester solange
vorspielen, bis er eine stelle gefunden hat, die er
ändert/ändern möchte?

Im Normalfall gibt er zunächst bekannt, was er vom Orchester erwartet, wie er sich das Stück, das gerade geprobt wird, vorstellt. Und dann korrigiert er, wenn das Orchester es nicht so macht, wie er es sich vorstellt.

wieviel freiheiten hat ein dirigent, was dynamik, lautstärke
und vor allem tempo angeht?

Prinzipiell hat er diesbezüglich sehr große Freiheiten, solange es nicht völlig absurd ist, etwa wenn er ein sehr schnelles Stück sehr langsam spielen würde (oder ein sehr leise gedachtes sehr laut usw.).

„…und der dirigent sorgte dafür, dass jedes schöne detail
hörbar wird.“ denke ich bei mir, wie soll das denn gehen? wie
muss ich mir das vorstellen?

Der entscheidende Begriff ist der der „Werktreue“. Karajan ist dafür bekannt, dass er Werktreue anstrebt, also die Intention des Komponisten getreu dessen Vorstellungen realisiert. Diese Vorgehensweise ist aber nicht zwingend. Die gespielte Länge einer Oper kann im Extremfall durchaus von Dirigent zu Dirigent um sogar eine ganze Stunde differieren (im Extremfall!).

wenn zb. das orchester spielt, und ein glockenspiel eine
schöne melodie dazu spielt, aber ein dirigent das glockenspiel
weglässt,

Das darf er eigentlich nicht, wie ich oben schon sagte.

Ein Dirigent ist wie ein Pianist im Grunde frei in der Vorstellung des Werkes. Hör dir einmal - mir fällt gerade nur dieses Beispiel ein, das leider keine Oper ist, aber dasselbe Phänomen gibt es auch bei Opern - die beiden Interpretationen der Goldberg-Variationen an, die Glenn Gould eingespielt hat. Sie differieren erheblich in der Gesamtdauer und auch in der Interpretation der einzelnen Teile. Oder vergleiche die Einspielung der neunten Sinfonie von Beethoven von Karajan mit der vom Leipziger Gewandhausorchester. Das sind Welten. Aber man darf durchaus die These vertreten, dass die Leipziger Interpretation besser ist, obwohl sie vielleicht nicht so schnell (und also nicht nur korrekt, sondern auch virtuos) gespielt wird.

Gruß

Bona

Hallo,

darf man das denn, bei so einer probe zusehen?

es gibt Dirigenten, die das gar nicht mögen, aber natürlich auch solche, die das zulassen. Frag einfach einmal brieflich oder telefonisch beim Theater vor Ort an. Für Musikstudenten gibt es diese Möglichkeit z. B. regelmäßig, warum also nicht auch für andere Hörer?

Gruß

Bona

Halllo,

zu 1)
ich bin zwar kein großer Karajan-Fan, muss aber trotzdem zugeben, dass er einige vorbildhafte Aufnahmen gemacht hat. Mir gefallen vor allem die ganz späten Interpretationen, vor allem Vivaldis „4 Jahreszeiten“ mit Anne-Sophie Mutter finde ich sehr beeindruckend.
Genaueres sollte aber ein echter Karajan-Kenner dazu sagen.

zu 2)
Ich fange mal mit der Aufgabe eines Dirigenten an:
Im Gegensatz zur Pop/Rockmusik wird in der klassischen Muik überwiegend Musik von meist längst verstorbenen Komponisten aufgeführt. Wenn du wissen willst, wie ein Lied von Queen zu singen und zu spielen ist, dann hörst du dir eine Aufnahme davon an.
Wie macht man das aber z.B. bei Mozart, der bereits seit über 200 Jahren tot ist? Da gibt es keine Originalaufnahme.
Der Dirigent nimmt sich die Noten her und studiert diese Note für Note. Aufgrund seiner Erfahrung, seinem Wissen über die Zeit Mozarts und vielleicht auch durch den Vergleich von Aufnahmen durch unterschiedliche Dirigenten und Orchester überlegt er sich nun, wie er sich den Klang vorstellt (das kann sich ein Dirigent im Kopf vorstellen!).
Wenn er sich nun diese exakte Vorstellung der Komposition erarbeitet hat, muss er nun versuchen, dem Orchester diese Vorstellung zu vermitteln. Das ist nicht immer leicht, denn wenn so mancher Musiker seit 25 im Orchester spielt, dann hat er manche Sachen schon unzählige Male gespielt und vielleicht seine ganz eigene Vorstellung (das wird v.a. dann zum Problem, wenn sich Orchester und Dirigent nicht sonderlich gut verstehen).
Kann der Dirigent seine Vorstellung dem Orchester gut vermitteln, dann muss während der Proben sicherlich nicht abgebrochen werden. Aber das hängt nstürlich sehr stark von dem Stück ab und davon, wie gut Orchester und Dirigent aufeinander eingespielt sind.
Ein Dirigent sollte immer versuchen, ein Stück so originalgetreu wie möglich zu interpretieren. Deswegen wird er ein Glockenspiel nicht weglassen, wenn es vom Komponisten vorgesehen war. Aber die Abstimmung der Lautstärke des Glockenspiels im Verhältnis zu den anderen Instrumenten ist selbstverständlich Aufgabe des Dirigenten.
Dies macht dann ja auch den Reiz unterschiedlicher Interpretationen aus, weil jeder Dirigent andere Details hervorhebt.

Wenn du bis hierher durchgehalten hast, dann hier noch eine Anekdote:
Ein Orchester wollte den Dirigenten auf die Probe stellen (ich glaube es war Furtwängler). Also machten sie aus, dass der 2. Klarinettist (also eine Stimme, die nicht besonders im Vordergrund steht) ein paar Takte falsch spielen soll. Bei der Probe bricht der Dirigent nicht ab, daraufhin fragt ihn ein Musiker, ob ihm nichts aufgefallen sei. Da der Dirigent dies verneinte, wurde der 2. Klarinettist gefragt, welche Töne er an der betreffenden Stelle gespielt hat. Da antwortete, der Klarinettist, dass er sich nicht getraut habe, die falschen Töne zu spielen.
Aber wenn er falsch gespielt hätte, dann hätte das der Dirigent durchaus hören sollen, sonst wäre er beim Orchester schnell unten durch.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig helfen. Falls noch Fragen offen sind, einfach melden.

Gruß,
Booze

zunächst einmal vielen dank für die tollen antworten, jetzt sehe ich das ganze um einiges klarer.

jedoch, eines verstehe ich trotzdem nicht ganz: du schreibst von den intentionen des komponisten.

wenn ein komponist z.b die noten c-a-c-d-e nacheinander aufschreibt, und dazu vermerkt, in welchem tempo und in welcher lautstärke das zu spielen ist, dann denke ich mir, da gibt es doch keine intentionen? diese noten müssen genauso gespielt werden, oder nicht?

überhaupt, dieser begriff „intentionen“, wie soll ich diesen verstehen? denkt so ein komponist z.b an die landschaft, wenn er etwas probt, oder an einen harem in der türkei, und versucht, da irgendetwas zu vermitteln von der umgebung oder so?

vielen lieben dank!!!
ich finde euch alle toll.

mir ist bei einigen konzerten, die ich im fernsehen sehe, aufgefallen, dass der dirigent oft da steht, und kein einziger musiker schaut ihn an, obwohl der dirigent oft wie wild artikuliert. jeder musiker schaut auf sein notenblatt.

kann ein orchester denn nicht einfach mit einem orchester proben, und bei der aufführung ohne ihn spielen?

Hallo,

kann ein orchester denn nicht einfach mit einem orchester
proben, und bei der aufführung ohne ihn spielen?

der Dirigent hat so lange (so intentiv) mit den Instrumentalisten geprobt, dass sie eigentlich auch ohne ihn spielen können, er ist aber zur Not da und außerdem als Urheber der Interpretation.

Gruß

Thomas

Hallo,

wenn ein komponist z.b die noten c-a-c-d-e nacheinander
aufschreibt, und dazu vermerkt, in welchem tempo und in
welcher lautstärke das zu spielen ist, dann denke ich mir, da
gibt es doch keine intentionen? diese noten müssen genauso
gespielt werden, oder nicht?

das ist prinzipiell richtig, nur ist nicht eindeutig, was „schnell“ bzw. „langsam“ usw. bedeutet, denn letztendlich ist es subjektiv, was jemand darunter versteht.

denkt so ein komponist z.b an die landschaft, wenn
er etwas probt, oder an einen harem in der türkei, und
versucht, da irgendetwas zu vermitteln von der umgebung oder so?

Die Aufgabe des Dirigenten besteht darin, die Intention des Komponisten zu entdecken und umzusetzen. Natürlich kann er die Sicht des Komponisten verfehlen oder missinterpretieren, aber die Beurteilung der Leistung des Dirigenten unterscheidet sich natürlich auch von der Beurteilung der Leistung des Komponisten. Eine schlechte Komposition gut zu präsentiern ist natürlich möglich, aber ziemlich unwahrscheinlich. Eine gute Komposition hingegen kann man sowohl gut als auch schlecht präsentieren - und genau diese Präsentation ist die Aufgabe des Dirigenten. Die Beurteilung seiner Interpretation aber hängt von vielen verschiedenen Parametern ab. Letztendlich steht die Frage im Raum, ob die Interpretation des Dirigenten dem Stück angemessen war oder nicht.

Gruß

Bona

verzeih bitte meinen schnitzer, es sollte natürlich heißen „kann ein orchester denn nicht mit einem DIRIGENTEN proben und dann ohne ihn spielen“

woher will man denn die intentionen eines komponisten rausfinden, wenn da nur ein paar noten stehen? woher weiss der dirigent, wie er das zu spielen hat?

und überhaupt, was ist schlecht und gut? abgesehen davon, wie du selber sagtest, wenn es unsinn ist (wie das mit dem leisen stück dass zu laut gespielt wird etc) denke ich, dass das eher bei jedem einzelnen unterschiedlich ist vom geschmack her.

deswegen lese ich auch prinzipiell keine kritiken von konzerten, weil wenn mir jemand kommt mit solchen aussagen wie „…obwohl in der technischen ausführung super, hat das orchester und der dirigent farbe und struktur vermissen lassen.“

abgesehen davon, dass ich da kein wort von verstehe, denke ich mal, dass das unterschiedlich ist. dem einen gefällt ein schneller, flüssiger lauf besser, dem anderen ein abgehakter z.b. (blödes beispiel eigentlich). ich weiss nicht.

Hallo,

woher will man denn die intentionen eines komponisten
rausfinden, wenn da nur ein paar noten stehen? woher weiss der
dirigent, wie er das zu spielen hat?

je nachdem, wie ausführlich die Partitur (also die Noten) vom Komponisten aufgeschrieben sind, hat der Dirigent mehr oder weniger Möglichkeiten. Es gibt Komponisten, die schreiben einfach nur „Allegro“ (Schnell) oder „Adagio“ (Langsam) über die entsprechende Stelle, andere drücken sich ausführlicher aus („Langsam und schmachtend“, Wagner), beschreiben also auch die zu erwirkende Stimmung, wieder andere geben ganz genau das Tempo an, im dem die Komposition auszuführen ist (das geht mit Metronomangaben).

Je mehr solche Angaben in den Noten gemacht werden, umso gebundener ist der Dirigent. In manchen Fällen steht auch gar nichts da (gelegentlich bei Bach z. B.), so dass der Dirigent in der Fantasie frei ist. Aber meistens hat sich in solchen Fällen ein Standard herausgearbeitet.

und überhaupt, was ist schlecht und gut? abgesehen davon, wie
du selber sagtest, wenn es unsinn ist (wie das mit dem leisen
stück dass zu laut gespielt wird etc) denke ich, dass das eher
bei jedem einzelnen unterschiedlich ist vom geschmack her.

Die Frage ist berechtigt. Bei der Beurteilung eines Dirigenten geht es aber nicht nur darum, ob das Stück mir in seiner Fassung gefällt , sondern auch darum, ob seine Interpretation überhaupt vertretbar ist. Nicht vertretbar wäre es z. B., wenn der Dirigent eine Metronomangabe schlicht ignoriert und doppeltes Tempo spielt. Dann wäre das Ergebnis vielleicht interessant, aber nicht mehr werktreu (wobei man sich natürlich wieder darüber streiten kann, ob Werktreu überhaupt sinnvoll ist, aber davon gehe ich jetzt einfach mal aus).

deswegen lese ich auch prinzipiell keine kritiken von
konzerten, weil wenn mir jemand kommt mit solchen aussagen wie
„…obwohl in der technischen ausführung super, hat das
orchester und der dirigent farbe und struktur vermissen lassen.“

Der Kritikerjargon treibt schon manchmal komische Blüten. Das liegt wohl daran, dass manche Kritiker ihre Kritiken selbst für Kunst halten.

abgesehen davon, dass ich da kein wort von verstehe, denke ich
mal, dass das unterschiedlich ist. dem einen gefällt ein
schneller, flüssiger lauf besser, dem anderen ein abgehakter
z.b. (blödes beispiel eigentlich)

Nein, durchaus kein blödes Beispiel, das gibt es wirklich. Und gerade wenn der Komponist wenig oder gar keine genaueren Angaben zur Ausführung macht, können die Interpretationen sehr voneinander abweichen. Ein anderen Beispiel wäre die Benutzung von Originalinstrumenten (statt der heutigen), wie es N. Harnoncourt häufig praktiziert, also ein Beispiel extremer Werktreue. Da die Instrumente anders klingen als die heutigen, werden unsere Hörgewohnheiten dadurch in Frage gestellt. Diesem Ansatz wird z. B. die schlichte Antwort „das gefällt mir (nicht)“ nicht ganz gerecht.

Gruß

Bona

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mir ist bei einigen konzerten, die ich im fernsehen sehe,
aufgefallen, dass der dirigent oft da steht, und kein einziger
musiker schaut ihn an, obwohl der dirigent oft wie wild
artikuliert. jeder musiker schaut auf sein notenblatt.

Das stimmt. Einerseits brauchen die Musiker die Noten, denn das ist so kompliziert, da ist nicht viel mit Auswendiglernen, wenn das nicht das einzige Stück ist, das man spielt.
Dann höre ich persönlich sehr intensiv, so dass ich bei manchen Sachen nicht gucken muss, weil ich weiß: Da spielt die Oboe ihre drei Töne, und dann bin ich dran.
Drittens gibt es den oder die Konzertmeister/in, bzw. den/ die Stimmführer/in. Die spielen im Idealfall so „sichtbar“, dass man weiß, wo es lang geht.
Und als letztes: Ich gucke viel aus den Augenwinkeln. Also: Eigentlich gucke ich in die Noten, aber ich sehe trotzdem, in welchem Tempo sich der Dirigent bewegt. Und so viele Einsätze gibt es nicht, als das ich immer gucken müsste. (Außerdem bahnen die sich ja in den Noten an.)

Bei den Einsätzen sollte man dann aber trotzdem gucken. Oder wenn sich am Tempo was tut.

verzeih bitte meinen schnitzer, es sollte natürlich heißen
„kann ein orchester denn nicht mit einem DIRIGENTEN proben und
dann ohne ihn spielen“

Hallo,

es gibt einige Orchester, die ohne separaten Dirigenten proben und spielen (z.B. Orpheus Chamber Orchestra). Einen Dirigent als „Erfindung“ gibt es eigentlich noch gar nicht so lange (schau doch mal im Lexikon/Musiklexikon nach, oder, klar, im Internet).

Ich finde ganz ulkig, dass Dirigenten extrem unterschiedlich sein koennen und je nach Geschmack der Gesellschaft auch unterschiedlich angesehen werden; es gab echte Diktatoren (Gustav Mahler zum Beispiel), die auch so herrisch sein sollten und eher Pragmatiker heutzutage (Sir Simon Rattle wuerde ich sagen, gehoert wohl dazu).

Der Dirigent ist heutzutage wohl eher ein „Coach“, um das beste aus einem Ensemble von Profis herauszuholen (anstatt ihnen etwas aufzuzwingen), obwohl die im Prinzip wohl auch ohne ihn spielen koennten. Ist ja aehnlich bei Spitzensportlern und Kuenstlern oder Musikern: wenn es ehrgeizige Profis sind, wollen sie sich staendig weiterentwickeln, selbst wenn der Grossteil des Publikums wohl kaum einen Unterschied hoeren kann.

Die Hauptarbeit des Dirigenten liegt unbedingt im Ausformen in den Proben, die Auffuehrung ist oft dann nur der Sahnetupfer, wenn sich alle miteinander anstrengen und konzentrieren, und dann evtl. ein echter Funke ueberspringt, auch auf das Publikum. Die Berliner Philharmoniker fanden damals, dass Karajan den idealen Stil und die ideale Persoenlichkeit fuer sie hatte und sie genug stimulierte, inspirierte und auch herausforderte.

Sepp

Hallo,
was in all den Beiträgen übersehen wurde ist, dass man nicht all die Musik von frühbarocker Triosonate bis zur Mahlersymphonie alles in einen Topf werfen kann. Bitte darüber mal nachdenken!

1.) Hängt die Notwendigkeit eines Dirigenten vor allem von der Größe des Apparates ab. Bei 4 (Triosonate) Musikern ist es völlig unnötig und bloß lächerlich zu dirigieren, bei 200 (Mahler)Beteiligten ist das unbedingt notwendig.

2.) hängt es von der Komplexität des Notentextes ab. Homophone Musik des 18. Jh. kann ich leicht ohne Dirigenten machen, polyphone Moderne Musik mit tausend Taktwechsel sehr schwer.

3.) ist die Epoche entscheidend. Dirigenten in unserem Sinne gibt es erst seit der Zeit Beethovens. Die Musik davor (also auch Mozart) ist ursprünglich weitgehend ohne Dirigenten aufgeführt worden. Dabei war die Besetzung allerdings noch kleiner, siehe Punkt 1.)

4.) Es macht einen Unterschied, ob es sich um ein Bühnenwerk handelt. Die Koordination mit den Sängern verlangt meist einen Dirigenten.

Zus.: es ist ein völlig anderes Spielgefühl ohne Dirigenten im Kammerorchester, bloß mal weglassen ist nicht möglich, das muss trainiert werden. Authentischer sind Aufführungen von Barocker und Klassischer Musik mit kleiner Besetzung und ohne Dirigenten.

Zum Hingucken: da muss man wirklich nicht ganz genau hinschauen, im Augenwinkel bekommt man praktisch allles mit. Ich schaue auch nicht jeder Verkehrstafel 2 Sekunden nach…

Zu Karajan und Intuition: Bitte unterscheiden ob Vivaldi oder Bruckner!!!
In der Barockmusik wurde bis auf Satzbezeichnungen und hin und wieder mal ein forte fast nichts vorgeschrieben. Jeder wusste damals, wie die Dinge gemeint sind.
In der Romantik geht es soweit dass alles, tw. sogar Fingersätze und Bogenstriche, vorgeschrieben ist.
Und das macht bei der Interpretation einen riesigen Unterschied: während in der Romantik der Dirigent quasi ein Orchesterdomteur ist, der ihm alles abverlangen muss, was in den Noten steht, ist in der Barockmusik großer Spielraum vorhanden, mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muss.
Hier muss der Leiter (bewusst nicht unbedingt Dirigent) sich intensiv mit den Gepflogenheiten in der jeweiligen Zeit (und auch der Region!!) auseinandersetzen und historische Quellen studieren, um ein Werk adäquat zur Aufführung zu bringen. Die Noten alleine sind da erst der Anfang!! Es geht um Besetzungsgröße, Instrumente (oft sind die genauen Instr. nicht vorgeschr., nur Stimmen) Tempi, Betonungen, Dynamik, Wiederholungen, etc. etc.

Und um dies alles hat sich Karajan überhaupt nicht gekümmert. Er hat Barockmusik wie Romantik gespielt, und somit ganz und gar nicht im Sinne der Komponisten. Viel zu groß besetzt, viel zu streicherlastig, Tempi ohne Grundlage, Dynamik wie in der Romantik, die auf alten Instrumenten gar nicht möglich war, etc. etc…

Mein Schluss: Karajan war ein großartiger Dirigent, ein unglaublich charismatischer Mensch, hat Romantik toll interpretiert. Bei der Barockmusik und bei Mozart hat er allerdings einiges verbrochen!
Lg.Peter

Interpretation
Moin,

ich hätte zwei fragen, mit denen ich mich derzeit beschäftige:

Zu deinen „zwei“ Fragen hast du ja schon reichlich Antworten und Kommentare bekommen.
Da kann meiner vielleicht noch ein wenig ergänzen.

Ich erkläre die Arbeit des musikalischen Leiters (diese u.ä. Ausdrucksweisen bevorzuge ich, weil man sonst auf’s Dirigieren = Taktieren reduziert wird) gerne mit dem Vergleich zu einem Pianisten.
Man nehme:
ein beliebiges (bekanntes) Klavierstück, gerne die Träumerei von Schumann.
Man schätze die ungefähre Zahl der eingespielten Aufnahmen.
Und jetzt frage man sich, warum es so viele davon gibt.
Wenn Musik wirklich auf die Angaben des Notentextes (also wie du angibst: die Tonhöhe, Notenwerte, von mir aus noch Tonart, Takt, Tempo, Dynamik) reduziert würde, wäre nach einigen Aufnameversuchen ja sicherlich das perfekte Ergebnis (eben getreu der geschriebenen Angaben) erreicht.
Jede weitere Version wäre überflüssig.
Jede weitere Aufführung könnte nur zurückstehen hinter dieser (mathematisch) perfekten Aufnahme.

Es ist aber - Gott sei Dank - so, dass jede neue Interpretation Teile oder Feinheiten, Akzente anders wertet, anders durchführt … anders „interpretiert“.
Es gibt enorm viele Möglichkeiten, eine Flügeltaste runterzudrücken, und verschiedene Effekte zu erzielen, eben nicht nur kurz oder lang, laut oder leise.
Und mit der Vielzahl der Noten (der Kombination) potenzieren sich diese Möglichkeiten.
Bei Pianisten selbst gibt es größte „Qualitätsunterschiede“, nur die Technik zu beherrschen, und die Noten „richtig“ zu spielen (wie notiert) ist mir zu wenig.
Dir vermutlich auch, wenn du mal einige Sachen miteinander verglichen hast.
Das meinen Kritiker dann, wenn sie von technischer Brillanz (o.ä.) aber eben lebloser Interpretation sprechen.

Nun haben diese vielen Pianisten die Möglichkeiten auf vielen verschiedenen Instrumenten zu spielen (vom Schülerklavier bis zum Grand Steinway oder Bösendorfer), mit entsprechend unterschiedlichem Klang, Verhalten, Stimmung und Intonation usw.

Und nun übertrage ich diese Gedanken auf die Vielzahl an Musikdirektoren (Dirigenten) in Kombination mit den verschiedenen Orchestern. Welche enorme Vielfalt an Interpretation kann also entstehen.
Ein ‚Dirigent‘ spielt auf seinem Instrument: dem Orchester !

Und jeder spielt anders. Und jedes Instrument klingt und verhält sich anders.
Und einige spielen auch nicht wirklich selbst auf ihrem Instrument, sondern sie geben das Tempo und den Einsatz und leisten anschließend keinen nennenswerten Widerstand mehr (kleiner Scherz).

So jetzt ist’s genug.

Den eigentlichen Satz, den ich die mirgeben wollte, noch einmal:
Ein ‚Dirigent‘ spielt auf/mit dem Orchester wie ein Pianist auf dem Flügel (oder jeder andere beliebige Musiker auf seinem Instrument).

Weiter neugierig bleiben…
Gruß
Herm

PS.
Mich würde nach deinen insgesamt gestellten (sehr engagierten!) Fragen dein musikalischer Hintergrund interessieren.
Wie alt bist du und was machst du so…?

hallo!

ich hätte zwei fragen, mit denen ich mich derzeit beschäftige:

  1. ist jetzt weder ironisch noch sarkastisch noch
    gewollt-lustig gemeint, sondern beruht auf unwissenheit
    meinerseits: Ist alles, was karajan gemacht hat, gut?

Nachdem dieser Aspekt bisher in den Antworten ein wenig kurz kam, noch ein paar Bemerkungen zu Karajan.
Natürlich ist nicht alles gut, was Karajan gemacht hat. Das ist etwas, was er mit jedem anderen Künstler teilt (auch so manche Aufführungen Furtwänglers oder Toscaninis waren „waffenscheinpflichtig“). Nichtsdestotrotz gilt er noch immer als einer der einflußreichsten Dirigenten des zwanzigsten Jahrhunderts, und seine Plattenfirmen verdanken ihm nach wie vor einen guten Teil ihres Umsatzes.
Das Problem mit Karajan ist seine ganz spezifische Ästhetik. Man kann in seiner Entwicklung verschiedene Phasen unterscheiden: die fünfziger Jahre, als er das Philharmonia Orchestra London leitete, die sechziger und siebziger Jahre und seine späte Phase (etwa ab 1982/83) Für ihn stand immer die Klangästhetik im Vordergrund, dem sich anderes weitgehend unterzuordnen hatte. In seiner Londoner Zeit wurde dies ausgeglichen durch die Fähigkeit zu Dramatik und Disposition (wobei der Produzent Walter Legge sicher einen maßgeblichen Einfluß hatte). Die Aufnahmen aus diesen Jahren sind für mich - als Faustregel betrachtet - seine besten. Später ertrinken seine Aufführungen allzuoft in reinem Schönklang - bei den Opern wurde diese Tendenz oft noch dadurch verstärkt, daß er die Gesangspartien eine Nummer zu klein besetzte und die Dominanz des Orchesters dadurch noch größer wurde. In seiner letzten Phase, die durch gesundheitliche Probleme beeinflußt wurde, kam es bisweilen zu einer „Alterssprödigkeit“, so daß damals manches Interessante entstand (etwa seine behutsame Annäherung an Mahler). Grundsätzlich ist aber festzuhalten: Wenn Karajan, dann im Zweifel eher die früheren Aufnahmen ; von seinen Interpretationen der Wiener Klassiker (Haydn, Mozart) oder Bachs eher die Finger lassen, Beethoven in jedem Fall mal antesten (die Londoner Einspielung oder die erste Berliner), beie Sibelius und anderen Werken, die besonders vom Klang leben, zugreifen - und immer auch einen Vergleich mit anderen Doirigenten ziehen, etwa seinem großen Antipoden Furtwängler…

Hallo,

ich gehöre zur dirigerenden Zunft habe ein wunderbares Beispiel dafür, wie man die Arbeit eines Dirigenten erklären kann - ich hoffe zumindest, dass es hilfreich ist :smile:

Wenn Du zwei oder mehreren Leuten eine kurzes Gedicht gibst mit der Bitte, es vorzutragen wirst Du feststellen, dass es jeder anders vorträgt, obwohl es die selben Buchstaben isnd und der selbe Inhalt ist.

Genauso ist es mit Noten. Man weiß zwar, wie die Töne klingen, aber das Tempo, die Betonung oder auch die Vorliebe für bestimmte Instrumente - die heraus gehört werden sollen. Und da jeder Orchestermusiker das Werk bestimmt anders interpretieren würde, muss der Dirigent glaubhaft seine Weise vermitteln. Kleines Beispiel: Über einem Werk steht die Tempoangabe „Presto“ - sehr schnell. Was ist jetzt sehr schnell?? Man muss dabei die heieklsten Stellen kennen um zu wissen, in welchem Tempo die noch spielbar sind usw…

That’s the art of conducting…

Liebe Grüsse

Bau

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