'Konstruktive Kritik'

Hallo,
mir ist bei dem „Argumentations“-Thread aufgefallen, daß „konstruktive Kritik“ bei mir nur ein schwammig umrissender Begriff ist. Mich würden daher Meinungen anderer und insbesondere exaktere Begriffsbildungen interessieren. Der Fokus liegt dabei mehr auf den zulässigen Argumentationsmustern, als auf den Umgangsformen. Ein simples Bsp. dazu. Person A diskutiert mit Person B. A argumentiert für etwas und B antwortet mit:

  1. „die Behauptung ist falsch“
    IMO nicht konstruktiv, da A’s Behauptung ohne Begründung und Alternative gekippt wird.
  2. „die Behauptung ist falsch, weil …“
    Schon besser aber ist das „konstruktiv“, wenn ich die Fehler aufzeige, damit die Argumentation von A als falsch nachweise aber keinen Gegenvorschlag mache ? Durchaus denkbar, wenn A’s Annahmen oder Schlußfolgerungen widersprüchlich sind.
  3. „die Behauptung ist falsch, weil … Statt dessen müßte es heißen …“
    IMO konstruktiv. Behauptung wird widerlegt und eine Alternative dargestellt.

Zusatzfrage: Gibt es einen Bezug des „konstruktiv“ in „konstruktive Kritik“ zu dem „konstruktiv“ in „konstruktiven Logiken“, also jenen deren Beweise (in einen geeigneten Kalkül) eine nicht-triviale inhaltliche Bedeutung zugemessen werden kann und die daher im Bezug auf zulässige Folgerungen gegenüber ihrer „unkonstruktiven Variante“ eingeschränkt sind ?

Gruss
Enno

Hallo Enno.

  1. „die Behauptung ist falsch, weil … Statt dessen müßte es
    heißen …“
    IMO konstruktiv. Behauptung wird widerlegt und eine
    Alternative dargestellt.

Entscheidend bei der konstruktiven Kritik ist m.E., daß dem Kritisierten aufgezeigt wird, wo der Fehler lag und wie er es in Zukunft besser macht. Dazu gehört also m.E. nicht nur die richtige Lösung aufzuzeigen, sondern sozusagen auch den Lösungsweg. Also: „Die Behauptung ist falsch, weil…Stattdessen müßte es heißen…, weil…“

Gruß,
Christian

Hallo,
ja war so gemeint.

Gruss
Enno

Hi Enno,

neben dem inhaltlichen Aspekt der „konstruktiven Krisik“ ist m. E. die Form wichtig - also: Wie kommt die Kritik rüber. Beispiel: Statt zu sagen „dies oder jenes ist nicht gut bzw. hast Du falsch gemacht oder so …“ gibt man ein Feedback mit persönlichem Bezug „Für mich ist dies oder jenes nicht klar, nachvollziehbar odgl - ich wünsche mir/ich brauche mehr/für mich wird es deutlicher/…, wenn …“

Dadurch muss sich der Kritisierte nicht „angegriffen“ fühlen und kann leichter sein Gesicht wahren.

Ist das noch ‚Kritik‘?
Hallo,

recht interessant finde ich in dem Zusammenhang, was mir mal eine gute Bekannte als Tipp gegeben hat - sie ist Partnerin bei einer internationalen Unternehmensberatung und hat viel mit Amerikanern zu tun.

Kritik äußert sie stets in Form von „Ja, dieser Vorschlag hat Potenzial. Was halten Sie davon, wenn wir ihn … weiterentwickeln / abwandeln?“. Ihrer Meinung nach ist das die einzige Form der Kritik, die den anderen nicht das Gesicht verlieren lässt.

Was haltet Ihr davon? Würdet Ihr sowas überhaupt noch als Kritik empfinden?

Neugierige Grüße
Katharina

Hallo,
sicher, insbesondere wenn die „Weiterentwicklung“ meinen Vorschlag dann doch zerstückelt *g*. Das sind IMO Höflichkeitsfloskeln, die zwar definitiv Einfluß darauf haben, wie das Gespräch sich im weiteren entwickelt aber letztlich doch eine Form von Kritik - ansonsten wäre eine „Weiterentwicklung“ ja nicht mehr nötig. Aus dem gemeinsam „weiterentwickeln“ würde ich aber schließen, daß die nachfolgenden Details der Kritik „konstruktiv“ angegangen werden.

Gruss
Enno

Hallo,
das zielt ein wenig in die Richtung, daß „konstruktiv“ das Streben nach einem gemeinsamen Konsens impliziert, ähnlich wie bei Katharinas Posting. Das hatte ich mir auch schon überlegt, bin aber jetzt der Meinung, daß auch Diskussionen die ohne Konsens enden „konstruktiv“ geführt werden können.

Gruss
Enno

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Ja, Katharina, auch das ist meiner Meinung nach Kritik, aber mir geht dieses „Ja, aber“ Gesülze bereits mächtig auf die Nerven.

Ich sehe mittlerweile schon „rot“, wenn es da heißt:

„Sehr interessant, absolut wunderbar, eine hervorragende Idee, wirklich sehr innovativ, äußerst kreativ…, aber…“ und zuletzt bleibt im Klartext übrig, was für ein Sch*… das eigentlich ist.

Mir ist ein klares „Nein“ und unverblümte Kritik mittlerweile schon fast lieber, denn ich fühle mich mit dieser Methode sehr oft verar*… Ich habe dann immer das Gefühl, als ob man mich für so blöd hält, dass ich nicht zwischen den Zeilen „hören“ kann bzw. 1 und 1 nicht zusammenzählen kann.

Auf der anderen Seite: ein hingeblafftes „das ist falsch“ ohne nähere Erklärung dazu, macht mich auch wütend, erstaunlicherweise aber wesentlich weniger.

Grüße
Irene

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Zu Deiner Zusatzfrage
Hallo Enno,

ja, besser formuliert, wäre meine Frage wohl gewesen: Ist dies für Otto Normalverbraucher noch als Kritik zu identifizieren? :smile:

Nun habe ich die Zusatzfrage gelesen und mir ein paar Gedanken dazu gemacht:

sicher, insbesondere wenn die „Weiterentwicklung“ meinen
Vorschlag dann doch zerstückelt *g*.

Ok, eigentlich haben wir dann eine „dekonstruktive“ Kritik, die zuerst mal alles auseinanderstückelt und dann neu zusammensetzt:

Aus dem gemeinsam
„weiterentwickeln“ würde ich aber schließen, daß die
nachfolgenden Details der Kritik „konstruktiv“ angegangen
werden.

Eine Parallele zwischen „konstruktiver Logik“ und „konstruktiver Kritik“ sehe ich im Weglassen von allem, was nur willkürlich und „schmückend“, jedoch nicht vernünftig und funktional ist, soll heißen: Konstruktive Kritik ist sachlich, ohne persönliche Angriffe oder auch Schmeicheleien. Somit ist eine Höflichkeitsfloskel keine konstruktive Kritik.

„Technisch“ gesehen, muss eine Konstruktion ja auch tragfähig sein (der Begriff der konstruktiven Logik wird auch in der Architektur verwendet), und auf inhaltlslose Floskeln kann man eben keine „Konstrukte“ aufbauen…

So, ich hoffe das war nicht zu sehr konstruiert *ggg*

Gruß
Katharina

1 Like

Hi,

Kritik äußert sie stets in Form von „Ja, dieser Vorschlag hat
Potenzial. Was halten Sie davon, wenn wir ihn …
weiterentwickeln / abwandeln?“.

Abgesehen davon, dass dies bei vielen Kulturen nicht gut ankommt:
Der Ansatz ist gut, aber auch hier bleibt es lediglich bei einer reinen Floskel. Derartige Wortspielereien lernt man bei eintägigen Führungs- und Kommunikationsseminaren. Das Ziel hierbei aber bleibt dennoch, seine Meinung durchzupauken. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man auch damit nicht mehr weiterkommt.
Erfolgreiche Kritik beginnt erst, wenn man sich entsprechend verhält:
Den Standpunkt des Anderen von seiner Warte aus als gut und richtig erkannt zu haben und dies dem Gegenüber auch kundtun.

Ihrer Meinung nach ist das die
einzige Form der Kritik, die den anderen nicht das Gesicht
verlieren lässt.

Wie schon gesagt, das ist bloss eine Floskel.
Um diese Form der Kritik zu lernen, braucht es entweder:
Jahrelange Erfahrung, entsprechende Begabung, oder ein zumindest wochenlanges Kommunikationstraining oder Coaching.
Gruss,

Wie wärs mit einer pragmatischen Definition:

Konstruktiv war die Kritik, wenn letztendlich für den
Kritisierten was besseres rauskommt, als vorher
da war.

So kann auch eine vernichtende Kritik konstruktiv
sein, eine höfliche aber heuchlerische Kritik wird
selten in obigem Sinne konstruktiv sein.

Gruss, Marco

Hallo,

Konstruktiv war die Kritik, wenn letztendlich für den
Kritisierten was besseres rauskommt, als vorher da war.

„besser“ sicher aus Sicht des Kritisierten ? Das wäre dann wieder die Richtung gemeinsamer Konsens rsp. Happy End *g*.

Gruss
Enno

Hallo,

ja, besser formuliert, wäre meine Frage wohl gewesen: Ist dies
für Otto Normalverbraucher noch als Kritik zu identifizieren? :smile:

anfangs vielleicht nicht aber Mensch ist ja lernfähig. In einer ruhigen Minute oder unter Mithilfe von anderen, wird ihm das schon bewußt werden.

Ok, eigentlich haben wir dann eine „dekonstruktive“ Kritik,
die zuerst mal alles auseinanderstückelt und dann neu zusammensetzt:

Aber immerhin nett eingeleitet *g*.

„Technisch“ gesehen, muss eine Konstruktion ja auch tragfähig
sein (der Begriff der konstruktiven Logik wird auch in der
Architektur verwendet), und auf inhaltlslose Floskeln kann man
eben keine „Konstrukte“ aufbauen…

Nehmen wir mal an, jmd. argumentiert für etwas, und ich widerlege seine Behauptung oder eine essentielle Annahme (mit Begründung). Ist das konstruktiv ?

Gruss
Enno

Hallo,

Nehmen wir mal an, jmd. argumentiert für etwas, und ich
widerlege seine Behauptung oder eine essentielle Annahme (mit
Begründung). Ist das konstruktiv ?

ME ja, genau dann, wenn diese Entgegnung funktional im Sinne von zielführend ist. Du ersetzt somit einen nicht tragfähigen Baustein des Lösungsgebäudes durch einen geeigneteren.
„Konstruktiv“ ist - wenn man von der lateinischen Wurzel ausgeht - etwas, was „aufbauend“ ist. Berechtigterweise müsste man sich aber gleich fragen, ob Kritik nicht grundsätzlich erstmal etwas abbaut (das Falsche), bevor sie das Richtige weiter aufbauen kann.

Spannende Frage, oder?

Gruß
Katharina

genauere Definition.

Hallo,

Konstruktiv war die Kritik, wenn letztendlich für den
Kritisierten was besseres rauskommt, als vorher da war.

„besser“ sicher aus Sicht des Kritisierten ? Das wäre dann
wieder die Richtung gemeinsamer Konsens rsp. Happy End *g*.

Ich habe absichtlich nicht geschrieben
„aus Sicht des Kritisierten.“ Denn wenn
es Anlass zur Kritik gibt, dann ist es oft
gleiczeitig so, dass der Kritisierte erst
nach langer Zeit eine Verbesserung erkennt,
kurzfristig aber nicht.

So eine Friede-Freude-Eierkuchen-Kritik
hat oft entweder eine geringe oder gar keine
Wirkung.

Mal probieren, Indizien für eine
konstruktive Kritik zu geben:

  • Die Kritik soll ankommen.
  • Die Kritik soll eine Verbesserung bewirken.
  • Die Kritik soll auch langfristig eine Verbesserung bewirken.
  • Die Kritik soll deutlich sein.
    (Der Grat zwischen deutlich und verletzend ist ziemlich schmal…)
  • Die Kritik soll eine neue Lösungsmöglichkeit beinhalten.
  • Die Kritik soll nachhaltig wirken.
    … ???

Gruss, Marco

Hallo Enno,

mir ist bei dem „Argumentations“-Thread aufgefallen, daß
„konstruktive Kritik“ bei mir nur ein schwammig umrissender
Begriff ist.

ja, das ist wohl einer dieser Worthülsen, in der sich alles Mögliche an Begriffen und Deffinitionen füllen läßt.

Mich würden daher Meinungen anderer und
insbesondere exaktere Begriffsbildungen interessieren. Der
Fokus liegt dabei mehr auf den zulässigen
Argumentationsmustern, als auf den Umgangsformen.

Mir ist klar, worauf du mit deinen Beispielen hinaus willst. Aber mir fällt auf, dass die Aussagen immer noch viel Raum für (Fehl-)Interpretationen zulassen.
also:

  1. „die Behauptung ist falsch“
    IMO nicht konstruktiv, da A’s Behauptung ohne Begründung und
    Alternative gekippt wird.

Sie fallen so schnell unter den Tisch, wie A es zuläßt. Es besteht ja noch die Möglichkeit nachzufragen, um B zum Begründen zu animieren.

  1. „die Behauptung ist falsch, weil …“
    Schon besser aber ist das „konstruktiv“, wenn ich die Fehler
    aufzeige, damit die Argumentation von A als falsch nachweise
    aber keinen Gegenvorschlag mache ? Durchaus denkbar, wenn A’s
    Annahmen oder Schlußfolgerungen widersprüchlich sind.

Wieso Gegenvorschlag? Es gibt Situationen, in der man weiß, dass die Idee falsch ist, aber keine Alternative weiß. Das habe ich oft genug erlebt. Das tut dem anderen weh, weil er gerne gelobt werden wollte, aber der Sache an sich kann bei realistischer Einschätzung nicht gedient werden.

  1. „die Behauptung ist falsch, weil … Statt dessen müßte es
    heißen …“
    IMO konstruktiv. Behauptung wird widerlegt und eine
    Alternative dargestellt.

Der Alternativvorschlag ist keine Garantie dafür, dass nicht doch ein verbaler Machtkampf zustande kommt. Warum sollte A sich über die Alternative freuen, wenn er gerne recht haben möchte.

Konstruktionen sind dann möglich, wenn keiner auf Destruktionen aus ist. Man könnte zermürbende Wortkämpfe vermeiden, in dem man sich zu erst auf das Ziel einigt „wollen wir uns zanken oder das Thema erörtern?“ Wenn der Nachbar es nicht will, kann der Frömmste nicht in Frieden leben…so einen ähnlichen Spruch gibt es doch.

In „Konstruktiver Kritik“ liegt auch eine gewisse Macht, nämlich der Versuch jemanden zu manipulieren, darum mag ich den Ausdruck nicht.

Konstruktive Kritik ist auch nicht immer ein hilfreiches Mittel, selbst hier nicht im Forum. Manchmal muss man einfach Klartext schreiben, und darum bitten dass man respektiert wird.
Außerdem sobald von einem das Diskussionsthema als Zankapfel mißbraucht wird, hat die Absicht des anderen auf konstruktiver Auseinandersetzung keine Chance.

viele Grüße
grilla
ps. deine Zusatzfrage verstehe ich nicht. Das ist wohl aus einer anderen Baustelle :wink:))

Hallo,

Sie fallen so schnell unter den Tisch, wie A es zuläßt.

Sicher wahr aber die „Kritik“ wäre für mich erst mal die Einzelaussage.

Es gibt Situationen, in der man weiß, dass die Idee falsch ist, aber keine Alternative weiß.

Ja, nur kann diese Form der Kritik dann „konstruktiv“ sein ?

Der Alternativvorschlag ist keine Garantie dafür, dass nicht
doch ein verbaler Machtkampf zustande kommt.

Auch wahr, die Frage wäre hier, ob konstruktives Kritisieren genau versucht sowas zu vermeiden. Das ist ja schon in einigen Antworten aufgetaucht, daß evtl. eher die Gesamtzielsetzung des Diskussion „konstruktiv“ ist, als deren Einzelschritte. Daraus resultieren sicher Anforderungen an die Diskussionsführung, den Höflichkeitsformen und sicher hängt das Gelingen vom Empathievermögen und der Frustrationstoleranz *g* zumindest eines Diskussionspartners ab.

ps. deine Zusatzfrage verstehe ich nicht. Das ist wohl aus
einer anderen Baustelle :wink:))

vielleicht sagt noch ein philosophisch angehauchter Mensch dazu etwas *g*. Es gibt z.B. spieltheoretische Modelle für solche Logiken, bei der die beiden Diskussionspartner als Vertreter gegensätzlicher Meinungen auftreten und nach bestimmten Regeln „kontern“.

Gruss
Enno

Hi Enno,

ein Konsens am Ende der konstruktiven Kritik ist per se doch nicht schlecht - allerdings war mein Ansatz weniger der Inhalt als die Form: konstruktive Kritik bei der sich niemand angegriffen fühlt und an deren Ende sich niemand verletzt fühlt.

Du sprichst vom Großen Ganzen? :flushed:

Gruß mki

Das sehe ich anders, persönliche Angriffe sind unumgänglich, es soll dem anderen aber überlassen bleiben, einen Schritt zur Seite zu treten, um sich selbst rauszunehmen, also Gesichtswahrung zu betreiben, um an anderer Stelle gerne wieder ins Spiel zu kommen. Wenn er was mitbringt natürlich nur…

Gruß mki