130.000 neue Stellen. Größte Sorge der Unternehmer: Fachkräftemangel. Sind das Fake-News?

Ja, die Welt ist ja so einfach. Einfach höhere Löhne zahlen, und schon kommen die Bewerber angerannt. Nur blöd, wenn sie trotzdem nicht angerannt kommen, weil keiner da ist, der angerannt kommen könnte.

Wir haben das Spiel gerade mal wieder durchgemacht. Da der Kunde wichtig ist, und ausnahmsweise sogar mal für vor-Ort-Personal an einem bestimmten Standort (weder Arktis noch Sahara, sondern mittelgroße Stadt mit anständiger Infrastruktur im Osten Deutschlands) tiefer in die Tasche greift und wir sogar bereit sind, im konkreten Projekt drauf zu legen (Mischkalkulation mit anderen Kundenprojekten), haben wir nach und nach die Konditionen bis letztendlich auf ein Maß verbessert, was sich (für sich genommen) nicht mehr ansatzweise rechnet oder vergleichbar wäre. Wir haben ein halbes Jahr gebraucht, um jetzt wenigstens die Minimalbesetzung zu erreichen! Klar, die Anforderungen sind schon etwas gehoben, aber auch nur die, die tatsächlich benötigt sind. Nur wenn ich z.B. dann sehe, wie wenig Leute wenigstens Englisch in einer annähernd brauchbaren Art und Weise sprechen, die nun mal nötig ist, um Herstellerdokumente zu lesen, oder Herstellersupport aus Übersee nutzen zu können, wird mir immer ganz anders.

Aber dummerweise sind die Projekte, bei denen man bzgl. der Mitarbeiter-Konditionen aus dem Vollen schöpfen kann, die ganz große Ausnahme. Die Leistungen werden ausgeschrieben, die Abrechnungsmodelle haben sich in den letzten Jahren gewandelt und extrem verschärft, und die Bereitschaft des Kunden, für Service aus Deutschland tiefer in die Tasche zu greifen, bewegt sich monetär im Centbereich. Und dann kannst Du Dir überlegen, ob Du 100 Arbeitsplätze hier zu mäßigen Konditionen schaffst, oder den Auftrag gleich komplett nach Indien gehen lässt/Dich mit einem der Inder zusammentun, um wenigstens Teile der Leistung dann hier zu durchsetzbaren minimal höheren Kosten erbringen zu dürfen.

Und bei den höherwertigen Jobs in der IT wird nach wie vor sehr ordentlich bezahlt. Da kann es wohl kaum eine Frage des Geldes sein, dass sich da niemand findet. Der Markt ist einfach leer. Und ja, wir bilden aus, bieten auch Duales Studium an, haben interne Qualifizierungen, … Selbst unsere beiden osteuropäischen Töchter haben inzwischen Personalnot vor Ort. Wir lassen gerade einige Testballons in Südeuropa starten.

Im Pflege- und Gesundheitswesen hängen die Anbieter größtenteils an Preisen, die sie kaum selbst beeinflussen können. Da finanziert schon heute der ein oder andere Selbstzahler oft genug die Leistungserbringung zum Standardtarif mit, oder lebt der Anbieter von Zusatzleistungen die eine hoffentlich vorhandene Klientel aus eigener Tasche finanziert. Wo sollen da höhere Löhne her kommen?

Ist Dir noch gar nicht aufgefallen, dass inzwischen durchschnittliche Handwerksbetriebe weit überregional Radiowerbung betreiben, um Auszubildende und Mitarbeiter zu bekommen? Mein Sanitärinstallateur ist eine wirklich nette Truppe, und ausgebeutet und verarmt wirken die alle nicht. In den letzten beiden Jahren hatten die keinen einzigen Azubi mehr. Das Unternehmen schrumpft inzwischen deutlich, weil der Nachwuchs (auch an extern anzuwerbenden) Gesellen fehlt. Als ich unsere Dachsanierung letztes Jahr ausschreiben ließ, haben diverse Betriebe gleich abgewunken, weil sie nicht in der Lage gewesen wären, die Auftrag auch nur annähern in einer akzeptablen Zeit zu beginnen. Die Auftragsbücher sind voll, alleine es fehlt an Personal. Letztendlich bekamen wir genau zwei realistische Angebote die so aussahen, dass da jemand diesen Auftrag auch tatsächlich haben wolle, und erfüllen konnte.

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Hallo,

mein reißerisches Posting brauchst Du nicht zu lesen.

Aber lies doch bitte mal, was hier Menschen schreiben, deren Aufgabe es ist, Fachleute zu finden.

Leben die auf einem anderen Planeten?

Gruß, Hans-Jürgen Schneider

Doch, das hilft auch dann! Wenn man die einmal gewählte und durchgezogene Ausbildung nicht einfach als „das war es jetzt, das reicht fürs Leben“ abhakt, sondern als Grundlage betrachtet, auf der man aufbauen kann, dann hat man sich damit die Basis und das nötige Rüstzeug geschaffen, sich auch mit anderen Themen zu beschäftigen, den Horizont zu erweitern, … Denn dann weiß man nicht nur wie man eine Säge bedient, sondern auch wie man den Umgang mit bis dahin unbekannten Werkzeugen lernt. Egal ob die Bohrer, Hammer oder CNC-Fräse heißen.

Das Beispiel Schriftsetzer kenne ich aus dem familiären Umfeld sehr gut. Da gab es natürlich Leute, die einfach in die Arbeitslosigkeit gegangen sind, oder sich dann mit unqualifizierten Tätigkeiten durch den Rest des Arbeitslebens geschlagen haben. Es gab aber auch die, die sich erst Fotosatz und dann DTP angeeignet haben. Die Grundkenntnisse von Typographie, die sie mal gelernt hatten, brauchte man auch da noch. Ich weiß auch von Leuten, die nicht nur stur in die Tasten gehaut hatten, und dann den Weg in Richtung schreibender Zunft gegangen sind. Die hatten nämlich ein gutes Gespür für das Texten entwickelt, weil sie den ganzen Tag fremder Leute bessere und schlechtere Texte nicht nur stur abgeklopft, sondern auch gelesen und verstanden hatten.

Wenn ich mir meine Branche, die ja gar nicht meine Branche ist, wenn man mal vom Studium und Abschluss ausgeht, ansieht, dann ist die voll mit Leuten, die keine einschlägige Ausbildung/kein einschlägiges Studium haben. Aber das sind Leute, die gelernt haben, strukturiert zu denken, sich schnell in neue Sachverhalte und Technologien einzuarbeiten, egal wie die nun konkret heißen. Und auch da gibt es diejenigen, die irgendwann mal Cobol, Assembler und Fortran gelernt haben, und heute als Dinosaurier die letzten uralten Großrechner-Programme künstlich am Leben erhalten, und diejenigen, die mal gelernt haben, was es heißt, sich eine Programmiersprache drauf zu schaffen, und die heute JAVA, C#, … genau so fließend sprechen.

Aber das setzt natürlich alles persönlichen Einsatz jenseits von 7,5h voraus. Und da ist dem ein oder anderen dann eben sein Fußballverein, der Stammtisch mit den Kumpels, … wichtiger, als sich noch mal mit Dingen zu beschäftigen, die beruflich voran bringen könnten, und insbesondere alternative Wege eröffnen können, wenn es mal notwendig werden sollte, vom ursprünglich eingeschlagenen Weg abweichen zu müssen.

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Einigen hilft es. Andere wurden und werden schlicht wegrationalisiert. Oder meinst Du, dass man heute soviel DTP-Erfahrene benötigt wie es früher Schriftsetzer/Grafiker gab?

Ich glaube das nicht.

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Wie schon geschrieben: Einige sind auch selbst in die schreibende Zunft gewechselt. Andere sind in andere Bereiche im grafischen Gewerbe gewechselt, …

Natürlich sind die ursprünglichen Stellen entfallen, und selbstverständlich war das keine breite Autobahn, auf der jeder klassische Setzer im Luxusbus zum DTP-Arbeitsplatz gefahren wurde. Aber wer einen etwas breiteren Horizont hatte, der ist eben abgebogen, und für den haben sich durchaus nicht wenige Alternativen gefunden, die vielleicht auf den ersten Blick nicht so offensichtlich waren, die aber durchaus spannende und angemessen bezahlte Jobs bedeuteten.

Und genau darum geht es doch! Nicht zu sagen: „Es braucht keinen Bleisetzer mehr, und am DTP-System ist auch nur Platz für einen von fünf“, sondern sich zu überlegen, was man sonst noch aus dem machen kann, dass man nicht nur die eine Maschine bedienen konnte, sondern gelernt hat, wie man lernt, mit einer unbekannten Maschine umzugehen, sich die sonstigen Aspekte der bisherigen Arbeit vor Augen führt, und überlegt, was man dabei gelernt hat, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, und neugierig zu sein, sich weitere Qualifikationen zu schaffen, …

Wir leben nun mal in einer schnelllebigen Zeit, und die Arbeitswelt hat sich nicht nur in den letzten Jahrzehnten gewandelt, sie wandelt sich auch weiterhin. Und die beste Qualifikation, die man erwerben kann, ist der positive Umgang mit genau dieser Entwicklung. Wer meint, vom Schulabschluss bis zum Renteneintritt nach Schema F ohne weitere Entwicklung durchzukommen, der hat tatsächlich verloren. Das ist dann aber eigene Schuld.

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In Kürze die Ungerechtigkeit zusammengefasst:

Man hat einen beschissenen, offensichtlich überfordernden Auftrag angenommen, warum auch immer.

Jetzt ist es schwierig, dafür hochqualifiziertes Personal für wenig Geld an einem wenig lukrativen Ort zu generieren.

==> Fachkräftemangel!

So einfach ist die Welt?!

Franz

Digitalisierung und Automation.

Abgesehen vom konstanten oder zunehmenden „Beamtentum“ und dem „Verwaltungstum“, beides Begriffe des Statischen, gibt es bislang keine Lösung, 5 Angestellte/Arbeiter der traditionellen Arbeit auf nun 1 Digitalarbeitsplatz zu verteilen. Zudem hat die Schwemme von Arbeitskräften aus Ost- und Südosteuropa zu einer anhaltenden Reallohnstagnation geführt und den Dienstleistungssektor (aber auch Branchen wie Handwerk oder Bau) in einen Niedriglohnsektor verwandelt. Dass aufgrund der Schwemme nun alle Berufssparten zunehmend mit „günstigen“ Arbeitskräften versorgt werden, nicht zuletzt wegen der unflexiblen und auf relativ niedrigem Niveau standardisierten Ausbildung hierzulande, dürfte unbestritten sein.

Franz

Unentgeltlich, warum denn nicht :joy:

Der Auftrag ist keinesfalls beschissen und auch nicht überfordernd. Aber die dafür gezahlten Preise haben nun mal ein entsprechendes Niveau, welches nicht wegzudiskutieren ist. Das fällt ja auch nicht aus dem Himmel, sondern ist das Ergebnis unglaublich aufwändiger Ausschreibungsprozesse, Benchmarkings, … Die Zeiten hemdsärmeliger Vergaben in Mio-.Größenordnungen sind größtenteils vorbei. Die Kunden geben statt dessen Mio.-Beträge dafür aus, sich Markttransparenz zu verschaffen, und ihre Dienstleister bestmöglich zu quälen. Die sagen Dir inzwischen auf den Kopf zu, welchen prozentualen Gewinn sie dir zugestehen. Und dann legen sie dir die von ihnen akzeptierten Kosten auf den Tisch, und bieten dir „großzügig“ an, deinen Laden auf diese Kosten hin zu optimieren, wenn du dumm genug bist, dich auf eine openbook Kalkulation einzulassen, und deine tatsächlichen Kosten nennst. Und da heißt es dann ganz offen, dass man doch bitte den teuren Standort A schließen möge, um ins billigere B zu ziehen, wo man dann ja auch gleich mal 50 besser verdienende Altgediente gegen Jungspunde austauschen könne, …

Und da ist die Rechnung dann in der Tat ganz einfach: Es sein lassen, und 100 Jobs in Indien entstehen lassen, oder es trotzdem machen, und hier die Plätze zu den Konditionen anbieten, die sie eben haben, und damit auch bereits vorhandene Arbeitsplätze sichern, und sich über Skaleneffekte zu optimieren.

Es gibt niemand in unserer Branche, der vergleichbare Plätze merklich besser bezahlt schaffen könnte, weil die entsprechenden Tätigkeiten dann statt dessen irgendwo in Indien erbracht werden. Und dieses Problem haben inzwischen viele Branchen nicht nur mit Indien, sondern auch mit China, Osteuropa, … Das „Made in Germany“ ist nur so lange interessant, wie es nicht (oder zumindest nicht merklich) mehr kostet. Und das müssen auch Arbeitnehmer verstehen die zwar durchaus gesucht sind, aber trotzdem nicht mehr als das verdienen können, was man mit ihrer Arbeit verdienen kann.

OT:

Damit wir nicht ganz aneinander vorbeireden: Ich arbeite in einem multinational operierenden Konzern, mittlerer 4-stelliger Bereich Mitarbeiter, meine Sparte = Projektgeschäft, nicht 24/7, aber 220/m sind schon mal drin. Ich kenne die von dir geschilderten Probleme gut, muss sie ja auch irgendwie lösen. Aber ich denke einiges aus anderer Perspektive. Das beginnt auf Vertriebsseite, über Produktmanagement, Produktion, interne Transparenz, und den Konsequenzen daraus.

Es sind wenigstens 90% interne Unzulänglichkeiten. Die lassen sich nicht auf „Markt“ oder „Mitarbeiter“ abwälzen, auch wenn dies der einfachste und meist gewählte Weg über die Hierarchieebenen ist.

Franz

Ebenfalls, damit wir nicht aneinander vorbei reden: Wenn ich von „mäßig“ spreche, dann heißt dass, dass man sich natürlich mehr wünschen könnte, aber keineswegs, dass es hier um prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder grenzwertige Beschäftigungsmodelle geht.

Bei uns steht auch eine vierstellige Zahl von Leuten in Lohn und Brot, die eine gute Arbeit machen, die aber nun mal nicht endlos vom Preis her in den Himmel schießen kann, weil der Kunde dann durch Offshoring substituiert. Da muss man dann zusehen, einen geeigneten Weg zu finden, was uns auch durchaus gut gelingt, ohne Menschen auszubeuten, wie es andernorts der Fall ist, oder Menschen als beliebig austauschbares Werkzeug zu betrachten, wie es oft genug von Kunden verlangt wird. Ich würde mal sagen, dass wir wirklich noch „die Guten“ sind, und uns eben sehr viel Gedanken darüber machen, welche Aufträge wir zu welchen Konditionen wie zum Wohle aller Beschäftigten annehmen.

Und das führt eben dazu, dass man - ganz abgesehen davon, dass man wirklich bestimmte Qualifikationen gar nicht mehr bekommt, egal wie viel man bietet - die ganze Sprüche, dass man nur mehr bieten müsse, nicht mehr hören kann.

Hallo,

die Aussage ist in der Pauschalität genauso falsch wie die genau gegenteilige. Genauso könnte man behaupten, ein Bier sei in Deutschland zu teuer oder zu billig.

Die Sache muß man schon differenzierter angehen und dabei Region, Branche, Tätigkeitsbereich und Ausbildungsniveau betrachten. Die Situation der Einzelhändler im Ruhrgebiet weicht nun doch etwas von der der metallverarbeitenden Betriebe im Siegerland ab - um mal zwei Beispiele zu nennen.

Das Thema mit den angeblich flächendeckend befristeten Arbeitsverhältnissen will ich hier gar nicht groß kommentieren. Zu abenteuerlich ist das, was in den Medien kursiert und von der Politik kolportiert wird (und zum Teil selbst verursacht wurde).

Gruß
Christian

So etwas kann ich auch berichten. Düsseldorf war früher ein großer Bankenstandort mit zum Teil überdurchschnittlichen Gehältern, damit man die Spezialisten aus Frankfurt anlocken bzw. ein Abwandern nach Frankfurt verhindern konnte. Nachwuchs und Spezialisten zu bekommen, war prinzipiell kein Problem - nicht zuletzt auch, weil der Beruf noch vor 20 Jahren einen weitaus besseren Ruf hatte und sich genug junge Leute für die Laufbahn interessierten.

Heute ist der Ruf der Branche im Eimer, die WestLB als größtes Institut gibt es nicht mehr, viele erfahrene Leute sind über Abbauprogramme und auf natürlichem Wege in den Ruhestand gegangen und viele Institute sind abgewandert bzw. haben an anderen Standorten Funktionen zentralisiert.

Institute mit Sitz in Frankfurt und Niederlassungen in Düsseldorf können die Gehälter gar nicht so hoch ansetzen, um hier qualifiziertes Personal zu bekommen, weil dann die Personal- und Betriebsräte wegen der Ungleichbehandlung auf die Barrikaden gingen.

Die Leute, die in Düsseldorf noch in der Branche arbeiten, wechseln an sich schon ungern, da man nach einem Wechsel im Falle des nächsten Abbauprogrammes wieder ganz oben auf der Abschußliste steht.

Das alles führt dazu, daß es kaum möglich ist, noch gutes Personal zu finden (egal ob als Azubis oder erfahrene Mitarbeiter), was aber dringend notwendig wäre, um die teilweise katastrophale Altersstruktur zu entschärfen. Selbst, wer seinen Sitz noch hier hat, kann schon aus Kostengründen nicht einfach mal das Gehalt heraufsetzen und Nachwuchsarbeit nützt auch nicht allzu viel, wenn man vom Ruf her irgendwo zwischen Gebrauchtwagen- und Organhändler rangiert.

Letztlich wird die Gesamtsituation dazu führen, daß noch mehr Institute nach Frankfurt abwandern werden, auch wenn sie schon seit hundert Jahren oder länger in Düsseldorf sitzen.

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Ich las heute gerade eine interessante Zahl in der Zeitung, die gut zum Vorwurf passt, es würde nicht genug ausgebildet/die Firmen würden nicht in Nachwuchs investieren: Auf einer regelmäßigen Veranstaltung, auf der die hiesige Wirtschaft sich zum Thema trifft (also offenbar durchaus rege zum Thema!), wurde gestern veröffentlicht, dass letztes und vorletztes Jahr rund 30% der Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten! D.h. es geht hier definitiv nicht darum, dass die Betriebe nicht bereit wären auszubilden. Sie würden es mit Begeisterung tun, wenn sie noch irgendwie passende Bewerber finden würden.

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