20 Prozent auf nix mehr

Hallo Experten,

wie kann eine große Baumarkt-Kette aufgrund einer fehlgeschlagenen Rabattaktion („20 Prozent auf alles“) so in die roten Zahlen abrutschen, dass sie in die Insolvenz muss (wie in diesem Artikelbehauptet)?

Zitat:
Praktiker schreibt seit Jahren rote Zahlen. Der Baumarkt-Konzern war durch eine fehlgeschlagene Rabattstrategie („20 Prozent auf alles“) in eine schwere Krise geraten und hatte erst im vergangenen Jahr seine Finanzierung für die nächsten Jahre sichern können.
Zitat Ende

Irgendwie will mir der Zusammenhang nicht ganz einleuchten. Vielleicht auch weil ich nicht weiß in wie weit die 20%-Aktion scheiterte. Ich dachte nämlich bisher, dass das ein recht schlaues Marketing war.

Gruß,
Sax

Hallo Sax,

Irgendwie will mir der Zusammenhang nicht ganz einleuchten.
Vielleicht auch weil ich nicht weiß in wie weit die 20%-Aktion
scheiterte. Ich dachte nämlich bisher, dass das ein recht
schlaues Marketing war.

Stell dir mal vor, du hast 22% Gewinn auf deinen Artikeln.
Darauf gibst du nun 20% Rabatt.

Dann musst du die 10-fache Menge verkaufen um den selben Gewinn zu machen.
Aber dein Aufwand für Lager und Logistik verzehnfacht sich dabei auch!
Nicht zu vergessen die Garantiansprüche, Beratung usw…

Und dann kommt auch noch der Markt ins Spiel, nur weil es 20% günstiger ist, fährt man nicht 100km weiter und wirklich mehr gebastelt wird deshalb auch nicht.
Möglicherweise werden durch die Aktion Projekte vorgezogen, aber dieser Umsatz fehlt dir dann, wenn die Aktion vorbei ist.

Dann hast du noch das Problem, dass wenn du zu schnell ausverkauft bist, die Kunden verärgert sind und nicht mehr kommen. Oder du hast genug Ware an Lager, bleibst aber darauf sitzen.

MfG Peter(TOO)

Servus,

Irgendwie will mir der Zusammenhang nicht ganz einleuchten.
Vielleicht auch weil ich nicht weiß in wie weit die 20%-Aktion
scheiterte. Ich dachte nämlich bisher, dass das ein recht
schlaues Marketing war.

Stell dir mal vor, du hast 22% Gewinn auf deinen Artikeln.
Darauf gibst du nun 20% Rabatt.

Dann musst du die 10-fache Menge verkaufen um den selben
Gewinn zu machen.
Aber dein Aufwand für Lager und Logistik verzehnfacht sich
dabei auch!
Nicht zu vergessen die Garantiansprüche, Beratung usw…

Ja, aber ein guter Betriebswirt kennt doch seine Gewinnspannen, Personalkosten, Lagerkosten etc. und kann die genannten Probleme doch schon vorher ziemlich genau einschätzen und berechnen, oder nicht? Schließlich reden wir hier nicht von einem „Tante-Emma-Laden“, bei dem die Oma die Buchhaltung macht…

Und dann kommt auch noch der Markt ins Spiel, nur weil es 20%
günstiger ist, fährt man nicht 100km weiter und wirklich mehr
gebastelt wird deshalb auch nicht.

Hat man also den Markt viel zu optimistisch eingeschätzt?

Warum hat man die Aktion nicht sofort beim Erkennen, dass die Zahlen nicht aufgehen wieder beendet, sondern über Jahre ständig mit ähnlichen Aktionen weitergemacht (20% auf alles außer Tiernahrung, 20% auf alles mit Stecker, etc.)?

Gruß,
Sax

Hallo Sax,

Ja, aber ein guter Betriebswirt kennt doch seine
Gewinnspannen, Personalkosten, Lagerkosten etc. und kann die
genannten Probleme doch schon vorher ziemlich genau
einschätzen und berechnen, oder nicht? Schließlich reden wir
hier nicht von einem „Tante-Emma-Laden“, bei dem die Oma die
Buchhaltung macht…

Und dann kommt auch noch der Markt ins Spiel, nur weil es 20%
günstiger ist, fährt man nicht 100km weiter und wirklich mehr
gebastelt wird deshalb auch nicht.

Hat man also den Markt viel zu optimistisch eingeschätzt?

Die schönste Berechnung nützt nichts, wenn die Leute nicht kaufen kommen!

Der Markt ist ein sehr komplexes Gebilde und reagiert sehr unvorhersehbar, bzw. auf alle Möglichen Dinge.

z.B. wenn am WE schönes Wetter ist grillen die Leute, diese entscheiden sich aber kurzfristig am Fr. oder Sa. Der Fleischer muss aber seine Ware fürs WE schon am Mittwoch bestellen …

Um auf deine Ausgangsfrage zurückzukommen, Praktiker hat kein Monopol, die Konkurrenz macht auch Werbung und Aktionen und dies meldet die Konkurrenz nicht im voraus an Praktiker!

Dann spielt es eine grosse Rolle, wie die Kunden die Wirtschaftslage beurteilen, hat jeder Angst demnächst seinen Job zu verlieren, dann versucht man zu sparen und stellt nicht Dringendes zurück. Kartoffeln sind für’s Überleben nun mal wichtiger als eine neue Bohrmaschine.
Für die subjektive Beurteilung der Wirtschaftslage sind vor allem die aktuellen Themen im TV und der Presse wichtig und da weiss man nie was nächste Woche gerade auf gepuscht wird.

Grundnahrungsmittel verkaufen ist da wesentlich einfacher, Reis, Kartoffeln, Teigwaren usw. braucht jeder und das erst noch täglich. Aber auch da hat Tante Emma Probleme mit dem Supermarkt nebendran.

Unterm Strich gibt es nur zwei Möglichkeiten, was da bei Praktiker abgelaufen ist.
Entweder hat man sich mit der Strategie verrechnet oder das Ding bewusst gegen die Wand gefahren.

MfG Peter(TOO)

Hallo,

nur am Rande:

Bei deinem Beispiel (22 % „Gewinn“ und 20 % Rabatt) sollte man überhaupt nichts verkaufen. da man bei jedem Verkauf (unanhängig von anderen Faktoren) Verlust macht.

Beispiel:

EK-Produkt: 100 €
Aufschlag: 22 %
VK-Produkt: 122 €
20 % Rabatt: 24,40 €
VK-reduziert: 97.60 €
Verlust je Einheit: 2,40 €

Grüße

fribbe

Hallo!

Ja, aber ein guter Betriebswirt…

Solche soll’s tatsächlich geben. Aber längst nicht jeder Betriebswirt, der sein Geld bekommt, weil der Monat zu Ende ist, hat auch nur den Schatten einer Ahnung von dem Unternehmen, für das er seine Zeit totschlägt. Von den Waren schon gar nicht. Dafür sind andere Leute zuständig. Die verstehen davon zwar auch nichts, kennen aber den Knopf, den sie drücken müssen, um die Waren zu finden. Was der Kunde mit der Ware will und macht, wissen sie zwar nicht, aber sie finden die Datei mit dem Lagerfach des Prospekts. Den können sie vorlesen. Manchmal.

Schließlich reden wir hier nicht von einem „Tante-Emma-Laden“, bei dem die Oma die
Buchhaltung macht…

Möglicherweise liegt genau da der Hund begraben. Nur weil jemand kein ausgelagertes Rechenzentrum beauftragt, jeden einzelnen Posten im Lager selbst in der Hand hatte, womöglich sogar versteht, womit er handelt und seine Buchhaltung selbst erledigt, ist der Laden noch lange nicht unzeitgemäß oder schlecht geführt. Mancher persönlich haftende Inhaber braucht eine Bank nur, weil es eben ohne Bankverbindung nicht geht, braucht aber niemals Kredit. Manche können sogar in die Zukunft gucken, wissen aufgrund vieler Jahrzehnte am Markt ganz genau, wer wann was braucht. Unter den biederen Kleinen gibt es manche Perle, von deren zuverlässig erwirtschafteter Rendite die Großen nicht mal zu träumen wagen. Sie haben i. d. R. nur eine mäßige Eigenkapitalrendite, was aber einfach daran liegt, daß sie gar kein Fremdkapital einsetzen. Sie können sich sowas leisten, weil sie sich nicht als Hampelmann vor einer Eigentümerversammlung rechtfertigen und glänzend aussehende, aber dennoch nur von Abhängigkeit kündende Zahlen präsentieren müssen.

Warum hat man die Aktion nicht sofort beim Erkennen, dass die
Zahlen nicht aufgehen wieder beendet, sondern über Jahre
ständig mit ähnlichen Aktionen weitergemacht (20% auf alles
außer Tiernahrung, 20% auf alles mit Stecker, etc.)?

Manche Leute agieren mit Sachkunde, Innovationen und Qualität am Markt. Ist nicht jedem gegeben. Die tragischen Fälle ohne Sachkunde, ohne Innovationsfähigkeit und ohne Qualitätsanspruch, die können eben nur billig. Irgendwie müssen die Chinesen ihren minderwertigen Kram ja unters Volk bringen. Dieser schönen Aufgabe haben sich neben zahllosen Ebay-Hökern eben auch Praktiker & Co. verschrieben.

Gruß
Wolfgang

Mahlzeit,
bin zwar kein Betriebswirt aber:

EK-Produkt: 100 €
Aufschlag: 22 %

22% Gewinn heißt nicht 22% auf dem EK.
Sondern EK+Lagerkosten+Personalkosten+Vertrieb+Miete+usw und danach kommt der Gewinn.

Dann sind wir nämlich nicht bei:

VK-Produkt: 122 €

sondern (einfach mal als Zahl) 175 Euro.

Grüße RS99

Grüße

fribbe

Hallo fribbe,

Bei deinem Beispiel (22 % „Gewinn“ und 20 % Rabatt) sollte man
überhaupt nichts verkaufen. da man bei jedem Verkauf
(unanhängig von anderen Faktoren) Verlust macht.

Beispiel:

EK-Produkt: 100 €
Aufschlag: 22 %
VK-Produkt: 122 €
20 % Rabatt: 24,40 €
VK-reduziert: 97.60 €
Verlust je Einheit: 2,40 €

Ich habe anders gerechnet:

VK = 100€
EK = 78€
VK-reduziert = 80€

Wobei EK falsch ist, da musst du GK verwenden!

MfG Peter(TOO)

Servus,

schon klar, aber die genannten Punkte sind dann eher allgemeine unternehmerische Fehlleistungen und Fehleinschätzungen und die Rabattaktion war hierbei evtl. lediglich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Wobei es schon überrascht, wenn bei einem Unternehmen, welches nach eigenen Angaben 3 Mrd. pro Jahr umsetzt, die fehlende Finanzierung von 20-30 Mio., also gerade mal 1% des Umsatzes, schon die Insolvenz ausmacht…

Scheint mir hier schon seit einiger Zeit alles ziemlich „auf Kante genäht“ worden zu sein…

Gruß,
Sax

Servus,
Scheint mir hier schon seit einiger Zeit alles ziemlich „auf
Kante genäht“ worden zu sein…

manchmal klappt es, manchmal eben nicht. Die Konkurrenz ist hart.

Gruß,
T.

Hallo Sax,

Wobei es schon überrascht, wenn bei einem Unternehmen, welches
nach eigenen Angaben 3 Mrd. pro Jahr umsetzt, die fehlende
Finanzierung von 20-30 Mio., also gerade mal 1% des Umsatzes,
schon die Insolvenz ausmacht…

Scheint mir hier schon seit einiger Zeit alles ziemlich „auf
Kante genäht“ worden zu sein…

Das ist meistens so!
Das dauert seine Zeit, deshalb schrieb ich vorhin: „bewusst an die Wand gefahren“.

Eine plötzliche Insolvenz gibt es eigentlich nur, wenn z.B. ein Grosskunde wegbricht, weil dieser überraschend Zahlungsunfähig ist.

MfG Peter(TOO)

Hallo,

Das dauert seine Zeit, deshalb schrieb ich vorhin: „bewusst an
die Wand gefahren“.

die Praktiker-Märkte hatten ja schon vor einem Jahr Probleme.
Also kam ein Teil zu den Bahr Märkten, die zur gleichen Dachgesellschaft gehören,
den Rest liess man wohl einfach laufen, solange es noch ging.

Gruß
T.

im Baumarkt nichts neues
Hallo,

wie kann eine große Baumarkt-Kette aufgrund einer
fehlgeschlagenen Rabattaktion („20 Prozent auf alles“) so in
die roten Zahlen abrutschen, dass sie in die Insolvenz muss
(wie in diesem Artikelbehauptet)?

die meisten Baumärkte verkaufen ihre Produkte über den Preis und sind somit auf einen schnellen Warenumschlag angewiesen. Um diesen zu steigern, hat Praktiker die ständigen Rabattaktionen gefahren, die dazu führten, daß die Kunden zwischen den Aktionen entweder zu anderen Märkten gegangen sind oder einfach auf die nächste gewartet haben.

Da die Margen gerade bei den großen Baumarktketten ausgesprochen spärlich sind, führt das ganze Konzept nicht unbedingt zu großer Ertragskraft. Das Unternehmen kratzte daher schon seit längerem an der Pleite entlang.

Da man sich gegen die großen Konkurrenten Bauhaus, Obi und Toom auch mit Rabattstrategie nicht durchsetzen konnte, kaufte man 2007 die Kette Max Bahr, die eher im höherpreisigen Segment tätig ist. Das Max Bahr-Konzept sollte nun nach und nach auf die anderen Praktiker-Märkte übertragen werden. Dazu ist es nun nicht mehr gekommen.

Im übrigen überraschen mich die mehr oder weniger deutlichen Andeutungen, da sei etwas gemauschelt worden oder der Vorstand habe die Bude bewußt an die Wand gefahren. Seit etwa 2008 waren die Probleme von Praktiker immer wieder Gegenstand der Berichterstattung; natürlich nicht auf der ersten Seite, sondern im Wirtschaftsteil.

Auch kann nicht die Rede davon sein, daß die Probleme plötzlich aufgetreten sind. Es kostet nicht viel Mühe, herauszufinden, daß das Unternehmen 2008 das letztmalig einen Jahresüberschuß ausgewiesen hat. Seitdem sind bei einem von seinerzeitig 4 Mrd. Euro auf inzwischen 3 Mrd. gefallenen Umsatz über 700 Mio. Euro Verluste angefallen

Hinzu kommt, daß in den Geschäftsberichten für die Jahre 2011 und 2012 nachzulesen ist, „dass der Fortbestand des Konzerns von der erfolgreichen Umsetzung des neu ausgerichteten Restrukturierungsprogramms abhängt.“

Wenn man u.a. den Risikobericht verständig liest, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß der Konzern die Ziele eben nicht erreicht hat, dementsprechend gegen Klauseln aus Kreditverträge verstieß, die dann zu Kreditkündigungen geführt haben.

Insofern hat hier der lehrbuchmäßige Fall einer Unternehmenspleite stattgefunden: Strategiekrise, Ertragskrise, Liquiditätskrise, Exitus.

Irgendwie will mir der Zusammenhang nicht ganz einleuchten.
Vielleicht auch weil ich nicht weiß in wie weit die 20%-Aktion
scheiterte. Ich dachte nämlich bisher, dass das ein recht
schlaues Marketing war.

Die Strategie war einfach untauglich. Auf dem deutschen Markt war einfach nicht genug Platz für vier große Baumarktketten, die ihre Produkte über den Preis verkaufen. Einen erwischt es dann am Ende zwangsläufig und welcher das ist, hängt von den Gegebenheiten ab. Daß es Praktiker sein würde, war im Prinzip 2005/2006 absehbar, als nämlich Metro sich von den Anteilen an Praktiker trennte. Vorher wurde die Braut noch einmal aufgehübscht und dann vor den Altar gestoßen, wobei man schon damals erkennen konnte, daß das Kleid an einigen Stellen geflickt war und die schlimmsten Macken im Gesicht von Schminke überdeckt worden waren.

Insofern: keine geheimnisvolle Geschichte, sondern schlichtweg Marktgeschehen.

Gruß
C.

P.S.
Was hat die Frage mit Finanz- und Wirtschaftspolitik zu tun?

Guten Abend, Christian!

Im übrigen überraschen mich die mehr oder weniger deutlichen
Andeutungen, da sei etwas gemauschelt worden oder der Vorstand
habe die Bude bewußt an die Wand gefahren. Seit etwa 2008
waren die Probleme von Praktiker …

Aggressive Rabattaktionen rufen bei mir die genau gegenteilige der von den Machern erhofften Reaktion hervor. Ich hab’ wenig Lust, mich in Gesellschaft der so angelockten Sorte Publikum aufzuhalten und noch weniger Lust auf-geschenkt-noch-zu-teuer-Produkte. Ungeachtet dessen erinnere ich mich vage, in den letzten Jahren irgendwas von Problemen bei Praktiker gehört zu haben. Wenn ich in grenzenloser Naivität davon ausgehe, daß das Praktiker-Management auch irgendwas mitbekommen hat, passen die Nachrichten auf N3 von heute ins Bild. Demnach wurden 50 Mio. € für Berater ausgegeben. Falls die Meldung zutrifft, ist es eine der klassischen Methoden, den Patienten vor seinem absehbaren Ableben noch einmal kräftig zur Ader zu lassen. Beratungsbedarf für solche Beträge gibt es schlicht nicht. Wer sowas macht, fährt ein Unternehmen vorsätzlich an die Wand und stößt sich dabei rechtzeitig gesund.

Wenn ein Unternehmen seit Jahren rote Zahlen schreibt, sollte die Leitung eigentlich merken, dass irgendwas am Konzept nicht paßt. Für solche Erkenntnis sollte niemand Jahre benötigen. Falls die Erkenntnis flotter vonstatten ging, aber die Entwicklung eines tragfähigen Konzepts und seine Realisierung sind nicht binnen sehr überschaubarer Zeit realisiert, kann irgendwas mit der Unternehmensführung nicht stimmen.

Den Verdacht, daß gemauschelt wurde, halte ich deshalb nicht für abwegig.

Gruß
Wolfgang

Hallo,

Aggressive Rabattaktionen rufen bei mir die genau gegenteilige der von den Machern erhofften Reaktion hervor. Ich hab’ wenig Lust, mich in Gesellschaft der so angelockten Sorte Publikum aufzuhalten und noch weniger Lust auf-geschenkt-noch-zu-teuer-Produkte.

Jedes Unternehmen versucht eben eine bestimmte Konsumentengruppe anzusprechen. Solche Strategien gehen auf oder nicht. Das ist der Markt.

Ungeachtet dessen erinnere ich mich vage, in den letzten Jahren irgendwas von Problemen bei Praktiker gehört zu haben.

Ich erinnere mich vage daran, dass die gesamte Branche seit Jahren Probleme hat. Ich nenne es einfach mal Überkapazitäten. Spontan fallen mir jetzt die Ketten Wirichs und Götzen ein, die schon vor Jahren Pleite gingen (oder zumindest kurz vor knapp übernommen worden sind) und dann viele Märkte an die Konkurrenz gingen. Praktiker war da bei Wirichs groß dabei und da gab es dann seit Jahren Städte, wo zwei Praktiker praktisch in Sichtweite auf Kunden warteten. Ich habe mich schon immer gefragt, wie/ob das dauerhaft gut gehen soll.

Wenn ich in grenzenloser Naivität davon ausgehe, daß das Praktiker-Management auch irgendwas mitbekommen hat, passen die Nachrichten auf N3 von heute ins Bild. Demnach wurden 50 Mio. € für Berater ausgegeben. Falls die Meldung zutrifft, ist es eine der klassischen Methoden, den Patienten vor seinem absehbaren Ableben noch einmal kräftig zur Ader zu lassen.

Nö. Diese Wahrnehmung ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass die Fälle, in denen solchen Beratungen zum Erfolg führen, einfach kein Medieninteresse wecken. Und das ist die Mehrheit.

Beratungsbedarf für solche Beträge gibt es schlicht nicht. Wer sowas macht, fährt ein Unternehmen vorsätzlich an die Wand und stößt sich dabei rechtzeitig gesund.

Wird es auch geben, ist aber sicher nicht in der Mehrheit der Fälle so. Lediglich in der Mehrheit der Fälle, die es bis in die Medien schaffen. Der Betrag ist bei einem Unternehmen dieser Größenordnung nicht ungewöhnlich und auch ein Arzt kann zu dem Entschluss kommen, dass der Patient bereits tot oder totsterbenskrank ist. Nur weil man sich einen Arzt holt, ist das noch keine Garantie für Gesundung.

Wenn ein Unternehmen seit Jahren rote Zahlen schreibt, sollte die Leitung eigentlich merken, dass irgendwas am Konzept nicht paßt. Für solche Erkenntnis sollte niemand Jahre benötigen.

Haben sie auch nicht. Stand schon länger in den Geschäftsberichten und es wurde einiges probiert. Hat halt nicht zum Erfolg geführt. Konnte es möglicherweise gar nicht im herrschenden Marktumfeld. Ein bißchen Glück ist auch dabei. Andere Märkte hätten vielleicht ähnliche Aktionen gefahren und wären selbst bzw. eher in die Bredouille geraten können. Oder sie hätten Kunden verloren, weil die zu Praktiker gegangen wären. Dann würden diese Ketten jetzt vollgepflaumt, warum man nicht auch mit solchen Rabattaktionen reagiert hat. Das war hier die Frage des längeren Atems. Den hatten jetzt die anderen. Irgendwer wäre jedoch Pleite gegangen, solange es mehr Verkaufsfläche als Nachfrage gibt. Auf irgendeinen hätte man immer aus irgendeinem grund runhaken können.
Natürlich hätten alle sagen können, ok wir passen mal unsere Verkaufsflächen der Nachfrage an und machen Märkte zu und entlassen Leute. Dann wären die auch die bösen Kapitalisten gewesen, die trotz Gewinnen Leute entlassen. Sowas geht ja gar nicht. Und dann hätten die sich natürlich absprechen müssen, was unter Konkurrenten eben auch nicht immer der Fall und schon gar nicht legal wäre. So ganz einfach, wie sich das vielleicht Lieschen Müller vorstellen mag, ist es nicht immer.

Falls die Erkenntnis flotter vonstatten ging, aber die Entwicklung eines tragfähigen Konzepts und seine Realisierung sind nicht binnen sehr überschaubarer Zeit realisiert, kann irgendwas mit der Unternehmensführung nicht stimmen.

Solche Konzepte kann die Unternehmensführung nicht im luftleeren Raum umsetzen. Da gibt es Randbedingungen, die sich Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter, Eigentümer und Gläubiger nennen. Nicht alle verfolgen das gleiche Ziel. Um beim Beispiel Arzt zu bleiben, es gibt da genug Patienten, die nicht glauben und nicht mitmachen wollen, was ihnen zur Gesundung verhilft. Und auch wenn es eine Wiederholung ist, es gibt auf freien Märkten keine Garantien. Entscheidungen können gut gehen oder nicht. Wenn es geklappt hat, ist man der Held und hat das natürlich vorher ganz genau gewusst. Wenn nicht, ist man eben der Dumme. Die einzige Garantie, die es wohl gibt, ist die das Nichtstun keinen Erfolg bringt.

Den Verdacht, daß gemauschelt wurde, halte ich deshalb nicht für abwegig.

Das ist natürlich ein durch nichts zu erschütterndes Indiz. Oder es paßt einfach so schön in die eigene Vorstellungswelt.
Vielleicht war es aber auch einfach nur die Erkenntnis, dass es in einem Markt mit massiven Überkapazitäten einfach keinen Sinn ergibt bzw. wirtschaftlich nicht möglich ist alle Filialen am Leben zu erhalten und die Insolvenz nun noch mit Hängen und Würgen ein paar Monate hinauszuschieben. Und dann hätte sich auch noch jemand gefunden, der Insolvenzverschleppung gerufen hätte. Und dann wäre es auch noch kurz vor Weihnachten gewesen, extra und nur um die Leute zu ärgern.

Grüße

Hallo Wolfgang,

Aggressive Rabattaktionen rufen bei mir die genau gegenteilige
der von den Machern erhofften Reaktion hervor. Ich hab’ wenig
Lust, mich in Gesellschaft der so angelockten Sorte Publikum
aufzuhalten und noch weniger Lust
auf-geschenkt-noch-zu-teuer-Produkte.

das ist für mich durchaus nachvollziehbar, nur scheinen weite Teile der Bevölkerung anders zu ticken.

Ungeachtet dessen
erinnere ich mich vage, in den letzten Jahren irgendwas von
Problemen bei Praktiker gehört zu haben. Wenn ich in
grenzenloser Naivität davon ausgehe, daß das
Praktiker-Management auch irgendwas mitbekommen hat, passen
die Nachrichten auf N3 von heute ins Bild. Demnach wurden 50
Mio. € für Berater ausgegeben. Falls die Meldung zutrifft, ist
es eine der klassischen Methoden, den Patienten vor seinem
absehbaren Ableben noch einmal kräftig zur Ader zu lassen.
Beratungsbedarf für solche Beträge gibt es schlicht nicht. Wer
sowas macht, fährt ein Unternehmen vorsätzlich an die Wand und
stößt sich dabei rechtzeitig gesund.

Ich kann nachvollziehen, daß diese Beträge erschreckend hoch anmuten und Inkompetenz des Managements vermuten lassen. Allerdings sind in solchen Situationen Berater (leider) unumgänglich. Zum einen helfen Berater, unpopuläre Maßnahmen bei Betriebsrat und Gesellschaftern durchzusetzen, weil ein Berater immer neutraler wirkt als das Management. Zum anderen befand sich das Unternehmen schon so lange und tief in der Krise, daß Kreditgeber schon aus Eigenschutz (Stichwort Insolvenzverschleppung) ab irgendeinem Punkt die Kreditvergabe an eine positive Fortführungsprognose geknüpft haben, die Sanierungsfähigkeit und -Würdigkeit bestätigte.

Nicht zuletzt fallen 50 Millionen bei einem Unternehmen mit einem Umsatz von 3 Mrd. nicht wirklich ins Gewicht, wie auch die von mir aufaddierten Verluste von rd. 700 Mio. Euro in 4 Jahren zeigen.

Wenn ein Unternehmen seit Jahren rote Zahlen schreibt, sollte
die Leitung eigentlich merken, dass irgendwas am Konzept nicht
paßt. Für solche Erkenntnis sollte niemand Jahre benötigen.

Auch diese Einschätzung kann ich nachvollziehen, aber ich weiß auch aus Erfahrung, daß es eben nicht so einfach ist, wie man als Außenstehender meint. Schon der Weg zur Erkenntnis, daß die Ertragsschwäche kein vorübergehendes Problem darstellt, sondern Ursache einer strategischen Fehlausrichtung ist, dauert länger als nur ein paar Monate. Man sollte dabei auch immer berücksichtigen, daß eine strategische Neuausrichtung nichts anderes bedeutet, als daß man als Management Fehlentscheidungen und -Einschätzungen eingestehen muß. Dies ist schon in inhabergeführten Unternehmen ein langer und oft schmerzhafter Prozeß, bei einem börsennotierten Unternehmen mit betriebsfremden Investoren ein noch ungleich schwierigerer.

Wenn man sich dann dazu durchgerungen hat, das Ruder herumzureißen, ist es oftmals zu spät, d.h. die Mittel sind knapp und die Managementkapazitäten schon durch die akute Krisenbewältigung gebunden. Hinzu kommt, daß Personal und Gesellschafter in dieser Phase oft schon das Vertrauen in das Management verloren haben und einer neuen Strategie auch aus diesem Grunde grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen. Die Folge sind Wechsel im Management, langwierige Diskussionen und Verhandlungen und schließlich das Engagieren von Beratern (siehe oben).

Ein erster Strategiewechsel fand bei Praktiker 2006/2007 mit dem Erwerb von Max Bahr statt, also etwa ein Jahr nach den ersten Verlusten und gut zwei Jahre nach dem Absprung von Metro. Es folgten Veränderungen im Management und 2011 dann die Entscheidung, einen Großteil der Praktiker-Märkte auf das Max Bahr-Konzept umzustellen. Beide Schritte zeigen, daß man sich bei Praktiker durchaus Gedanken gemacht hat und Alternativen erprobte. Daß das ganze nicht schneller ging, ist schlicht und ergreifend der Größe des Unternehmens und den schon seit Jahren knappen liquiden Mitteln geschuldet.

Im übrigen ist ja auch schon die Rabattitis ein Versuch gewesen, die strategische Zwickmühle aufzulösen. Ich habe zwar schon vor Urzeiten prognostiziert, daß man das Problem der Überkapazitäten und niedrigen Margen nicht mit einem Verdrängungswettbewerb über die Preise wird lösen können, aber es war allemal ein Versuch und möglicherweise (dafür kenne ich das Unternehmen nicht gut genug), die einzige machbare/finanzierbare Alternative.

Ich habe schon Unternehmen erlebt, die ihre Strategien von mehr oder weniger heute auf morgen geändert haben und das auch relativ schnell umsetzten. Nur waren das keine Supertanker mit 3-4 Mrd. Euro Umsatz, starkem Betriebsrat, externen Eigenkapitalgebern und fünfstelliger Belegschaft, sondern Unternehmen mit 10-20 Mio. Umsatz, geschäftsführendem Gesellschafter und Mitarbeitern, die ihrem Arbeitgeber teilweise schon seit Jahrzehnten durch dick und dünn gefolgt sind. All dies war bei Praktiker nicht gegeben und so kann ich die Abläufe und die Langwierigkeit der Veränderungen durchaus nachvollziehen.

Nebenbei: es gibt kaum Unternehmen dieser Größenordnung, die aus einer Strategiekrise am Ende gestärkt hervorgehen. Viel häufiger ist jahrelanges Siechtum mit anschließender Pleite oder Zerschlagung. An Namen seien nur Karstadt, MAN Roland, Holzmann, Schlecker, Opel, Escada, Karmann und Qimonda genannt.

Gruß
C.