Hi Michael,
hier machst du meiner Meinung nach einen Denkfehler:
Ich meine: nicht umsonst wird man für Arbeit bezahlt. Ist ja
auch ganz logisch: Wenn die Arbeit riesigen Spaß machen würde,
bräuchte man nicht dafür bezahlt werden, sondern würde es
freiwillig machen.
Man wird nicht bezahlt, weil der AG etwas braucht um den AN zum Arbeiten zu „überreden“. Sondern man bekommt seinen Anteil davon ausbezahlt, was du geleistet hast und was deine Arbeit eingebracht hat. Die Summe, die du verdienst, hängt davon ab wie „außergewöhnlich“ und gefragt deine Fähigkeiten sind. Etwas, das „jeder“ kann, wird weniger gut bezahlt werden. Etwas, bei dem viel Verantwortung übernommen werden muss, wird besser bezahlt.
Wenn es nach deiner Definition ginge, müsste ein Müllmann ja mit am besten bezahlt werden, da man viel „Motivationsgeld“ braucht. Berufe, die Spaß machen wie zB. Fußballprofi (ja, die Beispiele sind blöd, aber sie sollen nur zeigen, dass das Gehalt nicht proportional zum Motivationsgrad steht) müssten ja dann ein geringes Gehalt bekommen, da die Ausübung an sich ja schon Spaß macht und für andere ein Hobby ist. Tatsächlich ist es aber andersrum. Warum?
Vielleicht muss ich zur Erklärung meiner Person sagen, dass
ich kein allzu materialistisch orientierter Mensch bin, und
jemand, der den Erwartungen unser Leistungsgesellschaft nicht
einfach so konform werden möchte. Vielleicht klingt das für
manch einen jetzt nach Langzeitstudent, Kiffer oder Hippie
oder so. Aber ich bin einfach jemand, der sich nicht mit
seinem materiellen Errungenschaften (teures Auto, etc.)
beweisen muss, dementsprechend weniger Geld vermieden muss,
und der seine Freizeit lieb hat. Und das ist meiner Meinung
nach kein allzu verwerfliches Dogma.
Auch wenn ich ganz anders ticke als du und ein 30-Stunden-Vertrag für mich nicht in Frage käme, kann ich deine Meinung nachvollziehen. Du setzt eben deine Prioritäten anders. Es kommt nur etwas seltener vor (denke ich) und daher reagieren manche vielleicht mit Unverständnis. Ein Chef sowieso, denn der möchte natürlich sehen, dass die Arbeit für dich an allererster Stelle steht und du wenn’s hart auf hart kommt auch fleißig Überstunden machst Mein Chef ist da anders, der erinnert meine Kollegen und mich regelmäßig daran, dass es noch ein Leben neben der Arbeit gibt und man doch mal Feierabend machen soll. Ich muss zugeben, dass mich das jedes Mal irritiert, das passt nicht in mein „Weltbild“.
Wie wäre es, wenn du einfach mal ausprobierst, wie ein Chef darauf reagiert? Bewirb dich anfangs bei Firmen, die für dich nicht die erste Wahl sind. Im Vorstellungsgespräch rückst du mit deinem 30-Stunden-Wunsch raus und schaust, wie dein Gegenüber reagiert. Falls er entsetzt reagiert, ist es nicht so schlimm, du wolltest den Job ja eh nicht haben. Du nimmst auf jeden Fall Erfahrung mit aus dem Gespräch und kannst nichts verlieren (außer ein bisschen von deiner Freizeit *g* die aber bestimmt gut investiert sein wird). So kannst du üben, wie weit du gehen kannst.
Falls die Chefs überwiegend negativ darauf reagieren, würde ich einen annehmen, auch wenn 40 Stunden im Vertrag stehen. So hast du erstmal einen Fuß in der Tür und kannst deinen Chef davon überzeugen, dass du die Arbeit auch in 30 Stunden gut erledigst, wofür andere vielleicht länger brauchen. Oder du handelst erstmal Homeoffice heraus um schließlich auf 30 Stunden runterzugehen. Aber so ist erstmal der Anfang gemacht.
Viel Erfolg bei deinen Bewerbungen!
Steffie
Passend dazu fällt mir die Geschichte vom zufriedenen Fischer von Heinrich Böll ein:
In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas, liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen, schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze. Klick. Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt. Aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit, ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.
„Sie werden heute einen guten Fang machen.“
Kopfschütteln des Fischers. „Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.“ Kopfnicken des Fischers.
„Sie werden also nicht ausfahren?“ Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit. „Oh? Sie fühlen sich nicht wohl?“ Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über.
„Ich fühle mich großartig“, sagt er. „Ich habe mich nie besser gefühlt.“ Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch.“
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum fahren Sie dann nicht aus?“ Die Antwort kommt prompt und knapp.
„Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin.“ „War der Fang gut?“
„Er war so gut, dass ich nicht noch einmal auszufahren brauche. Ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen.“
Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen auf die Schulter. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis. „Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug!“ sagte er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen?“
„Ja, danke.“
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick. Der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen. „Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus, und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen. Stellen Sie sich das mal vor!“
Der Fischer nickt.
„Sie würden“, fährt der Tourist fort, „nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren - wissen Sie, was geschehen würde?“
Der Fischer schüttelt den Kopf.
„Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen - eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden…“, die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme, „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber herumfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben, sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann…“ - wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. „Und dann“, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache. Der Fischer klopft ihm auf den Rücken wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragt er leise.
„Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken.“
„Aber das tu ich ja schon jetzt“, sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.“
Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von Dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, aber es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.