Ab wann Verlust von Anonymität in Städten?

Hallo,

ich stelle mir schon lange die Frage, ab was für einer Einwohnerzahl die Anonymität schwindet und eher eine -jeder kennt jeden- Situation eintritt.
Dies ist natürlich ein fließender Übergang doch wo würdet ihr den Punkt setzen? Ab welcher Einwohnerzahl wäre das bei euch der Punkt?
Eine Begründung wäre nett.

Gruß

Hm. Also ich wohne in einer 50000 Einwohner-Stadt und bei uns fängt das so langsam an. Durch Kollegen, Hobbies und die vielen Studenten trifft man in der Stadt dann täglich schon sehr viele bekannte Gesichter…

Hi!

Erstmal ist das keine Frage der Einwohnerzahl, sondern hängt mehr davon ab, wie sehr das Zusammenleben abläuft. Leben die Menschen eher nebeneinander her oder gibt es viele nachbarschaftliche Kontakte? Gibt es eine große Fluktuation der Bewohner oder besteht ein gewisses soziales Gefüge schon seit mehr als einer Generation? Findet ein kulturelles Leben statt (Vereine, Kneipen, Feste, …) oder muss man zur Freizeitgestaltung seinen Wohnort verlassen? Leben die Menschen nebeneinander oder übereinander? (Lange Zeit dachte man, dass das egal ist. Ist es aber überhaupt nicht…)

Es gibt viele „Schlafstädte“, die nur dadurch entstanden sind, dass in den nahe gelegenen Großstädten, wo die Menschen arbeiten und leben wollen, die Bauplätze, Wohnungs- und Mietpreise zu hoch sind. Die sind nur wenige Tausend Einwohner groß und trotzdem kennt man sich nicht. Andererseits glaube ich, dass es in jeder Großstadt Stadtteile gibt, wo es ganz und gar nicht anonym zugeht. Allerdings bezieht sich hier die Vertrautheit natürlich nur auf die engere Umgebung, nicht auf die Stadt als ganzes.

Ich schätze, dass eine funktionierende städtische Gemeinschaft nicht mehr als 5000 bis 7000 Einwohner haben kann. Wie komme ich da drauf? Ich bin in einer Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern aufgewachsen. In dieser Stadt gab es aus historischen Gründen zwei große Sportvereine, zwei Musikvereine, drei Kirchengemeinden (zweimal evangelisch, einmal katholisch), … Es gab also zwei Ortshälften, die irgendwie nicht zusammenfanden. Ich lebte in der größeren von beiden. Und die war gerade groß genug, dass es die ersten Anzeichen von Anonymität gab.

Michael

Hallo,

ist nicht so einfach zu beantworten. Neben den schon gegebenen Antworten: Es kommt auch ganz auf den Einzelnen bzw. viele Einzelne an. In einer Stadt beliebiger Größe gibt es immer einen mehr oder weniger großen Kern besonders reger Menschen die viele Kontakte haben, und ständig im Straßenbild und auf Veranstaltungen aktiv sind. Für die gibt es untereinander auch in recht großen Städten die Situation, dass sie alle 50m angesprochen werden.

Hinzu kommt auch die räumliche Anordnung. Es gibt Städte mit einem echten und sehr überschaubaren Zentrum, und Städte ohne ein solches Zentrum. Und wenn es so ein Zentrum gibt, dass kanalisiert dies natürlich das Zusammentreffen, insbesondere dann, wenn es fußläufig ist, ganz anders, als wenn die Leute kaum die Chance haben, sich ständig in einem räumlich überschaubaren Bereich über den Weg zu laufen.

Ein schon fast Extrembeispiel aus unserer Familie war meine Tante, die in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern aufgrund des Berufs mit jeder Menge Menschen in sehr vertraulichen Kontakt kam, in Kirche und Politik aktiv war, und direkt im Zentrum einer stark zentral orientierten Stadt lebte. Die wurde alle paar Meter gegrüßt und in Gespräche verwickelt (als Kinder hassten wir das), während man sicher nicht allgemeingültig sagen könnte, dass man grundsätzlich in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern keinerlei Anonymität kennen würde.

Gruß vom Wiz

Hi,

kommt darauf an, ob ich in der Stadt geboren bin und aufgewachsen und eine Familie gegründet, dort gelebt und erfolgreich gewirkt habe, und deshalb fast alle kenne.

Wen ich zugezogen bin, kommt es darauf an, ob ich ein ‚Vereinsmeier‘ bin, der gerne in vielen Vereinen Mitglied ist, oder ein politisch engagierter Mensch, der in seiner favorierten Partei ein Amt anstrebt. Oder ob ich mich in meiner Kirche aktiv beteilige. Dadurch lerne ich rasch viele Menschen kennen und diese mich ebenfalls.

Du siehst, es kommt bei der Frage der Anonymität nicht auf die Größe der Gemeinde an, sondern auf das Wollen und die Aktivität des Einzelnen.

Gruß