Abschaffung der naturwissenschaftlichen Einzelfächer in Baden-Württemberg - was soll das?

Hallo und Guten Tag,

in der „Berliner Morgenpost“ vom 17. Februar 2014 konnte man folgenden Artikel lesen, Zitat:

BADEN-WÜRTTEMBERG

In Schwaben sind jetzt sogar die Grünen gegen Bio

Die Landesregierung will Biologie als Schulfach abschaffen. Experten sind entsetzt. Für sie macht diese Maßnahme deutsche Studenten in den USA und sogar in Indien endgültig zur Lachnummer.

Von Felix Mescoli

Der schwerfällige, zehn Tonnen schwere Triceratops mit seinem mächtigen Nackenschild war als Fortbewegungsmittel nicht besonders gut geeignet – vor allem in Gegenden, die mit Raubsauriern verseucht waren. Für einen leichtfüßigen Raptor war es wohl ein Leichtes, den Reiter aus dem Sattel zu pflücken. Solche und andere Ungereimtheiten halten christliche Fundamentalisten in den USA nicht von ihrem Plan ab, ihr Weltbild, nach dem Menschen und Dinosaurier bis vor 4000 Jahren zusammenlebten, zum Inhalt des Biologieunterrichts an Schulen zu machen.Des Kreationismus sind die deutschen Bündnisgrünen zwar unverdächtig, an Sendungsbewusstsein mangelte es der Partei indes noch nie. In Baden-Württemberg, Land der Tüftler und Denker, will die grün-rote Regierung unter dem ehemaligen Biologielehrer Winfried Kretschmann den Biologieunterricht und weitere naturwissenschaftliche Fächer als eigenständige Schulfächer abschaffen. Was außerdem stutzig macht: Ethisch umstrittene und gesellschaftlich bedeutsame Themen wie Klonen und Pränataldiagnostik sollen aus dem Lehrplan verschwinden. Lehrer und Wissenschaftler sind empört.

Elemente aus Biologie, Chemie, Physik und Technik Die Bildungsplanreform von Kultusminister Andreas Stoch (SPD), die im Jahr 2015 wirksam werden soll, sieht vor, dass die Lebenswissenschaften am Gymnasium in den Klassen 5 und 6 zukünftig in einem sogenannten Fachverbund namens „Naturphänomene und Technik“ vermittelt werden. Eingehen in diese fachliche Chimäre sollen Elemente aus Biologie, Chemie, Physik und Technik. Dabei solle der Biologie-Unterricht von zwei auf eineinhalb Schulstunden pro Woche reduziert werden, sagen Kritiker. Hinzu kommt, dass das Fach künftig auch fachfremd unterrichtet werden kann, sofern den Schulen nicht genügend geeignete Lehrer zur Verfügung stehen. Die Zahl von Naturphänomene-Lehrern, die über ein abgeschlossenes Studium in Biologie, Chemie, Physik und Technik verfügen, dürfte indes begrenzt sein.Die Fachwelt ist empört über die Pläne aus Stuttgart. Die von der Kulturministerkonferenz vereinbarten bundesweiten Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss seien so nicht mehr erfüllbar, urteilt Peter Nick, Professor für Molekulare Zellbiologie und Studiendekan für Biologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).Manche seiner Erstsemester könnten schon heute einen Lurch nicht von einer Eidechse unterscheiden, wettert der renommierte Saurierforscher und Leiter der geowissenschaftlichen Abteilung des Naturkundemuseums in Karlsruhe, Eberhard Frey. „In den USA und selbst in Indien bekomme ich zu hören, dass deutsche Studienabgänger nichts mehr wert seien.“

Experten protestieren
Mit großer Bestürzung" reagiert die Fachschaft Biologie am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Heidelberg auf die Pläne des Kultusministeriums. „Wir sehen keinen einleuchtenden Grund dafür, diesen künstlichen Verbund einzuführen“, heißt es in einer Stellungnahme an Kultusminister Stoch. Biologie sei eines der beliebtesten Unterrichtsfächer, die intensive Beschäftigung mit Lebewesen spreche die Kinder an. Der Unterricht durch fachfremde Lehrer könne nun zu einem „massiven Niveauverlust im Fach Biologie führen.“ Schon die Konzepte zur Erprobung des neuen Fächerverbundes orientierten sich nicht an den geltenden Standards für den Biologieunterricht, bemängeln die Didaktiker.Ohnehin hätten sich Fächerverbünde insgesamt in vielen Fällen nicht bewährt. Die methodischen und inhaltlichen Schnittmengen der hier zugrunde liegenden Fächer seien viel zu gering. Es käme doch auch kein Schulpolitiker auf den Gedanken, die Fächer Englisch, Französisch und Spanisch zu einem Fächerverbund „Moderne Fremdsprachen“ zusammenzuschließen, argumentiert ein Praktiker aus der Lehrerausbildung, der seinen Namen aus Angst vor Repressalien aus dem Kultusministerium nicht in den Medien lesen will.Um die erwünschte höhere Durchlässigkeit zwischen den Schularten zu erreichen, sei es sinnvoller, in den Klassen 5 und 6 aller Schulen Biologie als Unterrichtsfach einzuführen, ergänzt KIT-Biologe Nick. Dass Schulwechsler beim Übergang ans Gymnasium behindert würden, weil sie dem Biologieunterricht nicht folgen könnten, bezweifelt er.

Ministerium kann keine Unterstützer nennen
Das Kultusministerium ficht das alles nicht an: Der neue naturwissenschaftliche Fächerverbund führe zu einer Stärkung der wissenschaftlichen Grundbildung, und in der Wissenschaft finde die Reform große Zustimmung, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums auf eine Anfrage des FDP-Fraktionschefs im Stuttgarter Landtag, Hans-Ulrich Rülke. Auf eine Nachfrage von Vertretern der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Januar, wer denn die angesprochenen zustimmenden Vertreter der Wissenschaft seien, konnte das Ministerium indes keine Namen von Fachwissenschaftlern nennen, versprach aber, diese zu recherchieren. Das geht aus einem Gesprächsbericht der GEW hervor.Zudem muss sich die grün-rote Landesregierung von Rülke fragen lassen, inwiefern sich ihr Agieren mit den von ihr stets hochgehaltenen Prinzipien der Transparenz und des Gehörtwerdens vertrage. Denn auf drängender werdende Nachfragen und Kritik aus der Lehrerschaft reagiert Minister Schoch verschnupft, was vielleicht damit zusammenhängt, dass die Pädagogen offiziell erst einbezogen werden sollen, wenn alles vorbei ist.Der Minister teilt mit: Die Fachberater, die Lehrer im Auftrag des Ministeriums und der Regierungspräsidien in wissenschaftlichen und didaktischen Fragen beraten, also für die Umsetzung der umstrittenen Reformpläne zu sorgen hätten, würden ab Juli diesen Jahres in Lehrgängen in Kenntnis gesetzt und erhielten dabei Gelegenheit zur Stellungnahme. Bis dahin sind Einwände offenbar unerwünscht. Nach Informationen der „Welt“ wurden Fachberater angehalten, ihre Bedenken nicht öffentlich zu äußern. Bei Zuwiderhandlung drohen disziplinarische Maßnahmen bis zur Suspendierung. Dozenten in der Lehrerausbildung und Lehrern erging es ähnlich.

Kretschmann gegen Max Weber
Siegbert Sonnenberg, Schulleiter des Kepler-Gymnasiums in Pforzheim, will sich den Mund dennoch nicht verbieten lassen. „Ich wundere mich sehr über diese Kritikunfähigkeit“, sagt er. Die gleichen politischen Kräfte, die jetzt versuchten, tadelnde Stimmen mundtot zu machen, hätten Lehrer, die offen Kritik an der Bildungspolitik der vorherigen Regierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus geäußert hätten, stets massiv unterstützt. „Durch die Bildungsplanreform besteht nach momentanem Stand die Gefahr, dass das Niveau des Gymnasiums auf das der Gemeinschaftsschulen heruntergeschraubt wird“, meint der erfahrene Lehrer.In seiner berühmten Schrift über „Die ,Objektivität’ sozialwissenschaftlicher Erkenntnis“ stritt Max Weber einst für eine Entpolitisierung der Wissenschaft. Denn diese vermöge „niemandem zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann und – unter Umständen, was er will“. Die Regierung des Biologen Kretschmann, die vorgab mit Umweltschutz, Transparenz und Bürgerbeteiligung punkten zu wollen, scheint nun den umgekehrten Weg zu beschreiten.

http://www.morgenpost.de/kultur/article124938515/In-…Jetzt frage ich: Was soll das, warum wird das überhaupt für notwendig gehalten und welchem Zweck soll das dienen, in den Schulen von Baden-Württemberg naturwissenschaftliche Fächer einfach zusammenzulegen?

Ich meine: Was ist denn die offizielle Begründung dafür? Was ist die Idee dahinter? Das ist doch eigentlich der helle Wahnsinn, oder?

Vielen Dank im Voraus für Antworten, 

Jasper

Das ganze gibt’s in RLP schon länger und nennt sich Naturwissenschaften.
Beinhaltet Biologie, Chemie und Physik.

Da das Fach Nawi dadurch 3 bzw. 4 Wochenstunden belegt anstatt jedes einzelne Fach eine Wochenstunde oder im Wechsel ein Halbjahr 2 Stunden, ein Halbjahr gar nicht - kann der Unterricht wesentlich besser gestaltet werden.
Es ist schon ein Unterschied ob ich ein Thema in 4 Wochen durchgehen kann oder das über 3 Monate verteilt habe.
Kommen dann noch Ferien dazwischen schreibt der Fachlehrer dann einen Langtest über die letzten 10 Unterrichtstunden verteilt über 3 Monate.

Krümelchen

Hallo,
das ist in Rheinland-Pfalz schon seit einigen Jahren der Fall: In der Orientierungsstufe, also den Klassen 5 und 6, gibt es anstelle von 2 WS Biologie und 1 bis 2 WS Physik/Chemie (ja, das war vorher auch schon ein Kombifach) 3 bis 4 WS das Fach Naturwissenschaften („Nawi“).
Nach den üblichen Anlaufschwierigkeiten (es gab zunächst weder Lehrpläne, noch Lehrer, die „Nawi“ studiert hatten) hat sich der Sturm mittlerweile gelegt und die Sache läuft eigentlich rund: unterrichtet wird das Fach - wenn noch keine Nawi-Lehrer zur Verfügung stehen - im Wesentlichen von Lehrern, die Biologie und Chemie als Unterrichtsfächer haben, gelegentlich auch Chemie/Physik, aber selten.
Lehrpläne sind mittlerweile da und die Kinder kommen durchaus nicht weniger gut vorgebildet in die Sekundarstufe I, wo die Fächer Bio, Physik und Chemie weiterhin ganz normal unterrichtet werden.
Der Vorteil ist übrigens unter anderem, dass Nawi als 4-stündiges Fach einen anderen Stellenwert für die Versetzung hat als Bio mit 2 WS - eine 5 in Nawi kann nur mit einem anderen 4-stündigen Fach, also Deutsch, Mathe, 1. oder 2. Fremdsprache ausgeglichen werden. Insofern hat für die Klassen 5 und 6 (insbesondere 6, in 5 gibt es hier keine Versetzung) durschaus eine Aufwertung der Naturwissenschaften stattgefunden.
Gruß Orchidee

Hallo Jasper,

und in Bayern heißt es „Natur und Technik“ und bezieht sich ebenso auf die Klassen 5 und 6 beschränkt.

Gruß, Karin

Ein weiterer Vorteil eines gemischten Faches Naturwissenschaften besteht darin, dass die Themen, die zwei oder mehrere Bereiche betreffen, optimaler behandelt und vernetzt werden können.
z.B. hat mein Kind gerade Aufgaben zur Bio-Olympiade bekommen, wo es um Stoff-Nachweise geht, da handelt es sich aber eigentlich um Chemie (und das hatten sie noch gar nicht).

Beatrix

Guten Tag,

in England heißt das „science“ als Schulfach. Niemand lacht.

MfG
GWS

Hallo orchidee,

ist dann also diese Behauptung aus dem Artikel: „Für sie macht diese Maßnahme deutsche Studenten in den USA und sogar in Indien endgültig zur Lachnummer.“ - etwa NICHT zutreffend?

Hallo Jasper,
also mal ehrlich - weil sie mit 11 und 12 Jahren nicht Bio als Unterrichtsfach hatten, sondern Nawi??
Gruß Orchidee

Moin auch,

ist dann also diese Behauptung aus dem Artikel: „Für sie macht
diese Maßnahme deutsche Studenten in den USA und sogar in
Indien endgültig zur Lachnummer.“ - etwa NICHT zutreffend?

Ich habe die 12. Klasse High School in den USA hinter mir. Das ist immerhin die Abschlussklasse und da gab es genau 0 (in Worten: Null) naturwissenschaftlichen Unterricht. Noch nicht einmal Mathematik. In Bezug auf den Vergleich Gymnasium vs. High School ist die Bahauptung also definitiv nicht zutreffend.

Aber: Das Schulsystem in den USA ist nun mal ein ganz anderes als in Deutschland. Deswegen hinken sowieso alle Vergleiche.

Ralph

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Wie gesagt: im englischen System (also auch im indischen) und im amerikanischen System gibt es die Aufsplittung Bio, Chemie, Physik überhaupt nicht. Das ist „science“.

MfG
GWS

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Hallo,
das bestätigt wieder einmal die Schwabenfeindlichkeit der Berliner.

Die Berliner Post ist da übrigens etwas hinterher in der Zeit.

In BW gibt es zumindest auf Haupt-Werkreal-und Realschulen schon seit einigen Jahren kein reines Fach Biologie mehr. Und das beschlossen nicht die Grünen, sondern die damalige CDU-Regierung.

Da gibt es Fächerverbünde, also ein Fach zusammengeführt durch Bio, Physik, Chemie.

Aber ich meine gehört zu haben, soll genau das ab 2015 langsam wieder rückgängig gemacht werden.

Grüße
Stefan

Hallo,

Du hast ja bereits ganz gute Erläuterungen bezüglich der Zusammenlegung bekommen.
Ich wohne in Berlin und da beginnt die weiterführende Schule (Gymnasium oder Sekundarstufe) mit der 7. Klasse. Es gibt bei einigen humanistischen Gymnasien Ausnahmen, wo sie bereits mit der 5. anfangen, aber die Regel ist eben mit der 7. Klasse.

So betrachtet fällt die 5./6. Klasse in die Grundschulzeit. In den ersten Klassen der Grundschule gibt es kein Biologie, Chemie oder Physik, sondern man fasst es noch weiter mit Geschichte und „das allgemein Leben in dieser Welt“ in dem Fach Sachkunde (Science) zusammen. Themen sind der Körper, Elektrizität, Licht, Tiere, Müllentsorgung genauso wie aktuelle Wahlen oder die alten Ägypter.

Danach wird das Fach Sachkunde differenziert in Erdkunde, Geschichte und Nawi (Naturwissenschaften). Danch erfolgt erst die Aufteilung der Naturwissenschaften in Biologie, Physik und Chemie.

Das ist auch nicht besonders neu - als ich vor 20 Jahren zur Schule ging war das auch schon so und heute geht mein Sohn in der 4. und es hat sich daran nichts geändert.

Warum ein Stundent in Indien oder USA sich darüber amüsieren sollte was wie bei uns in der Grundschule bzw. early Gymnasienzeit unterrichtet wird, erschließt mir nicht ganz.

Es wird nichts abgeschafft, sondern übergreifend unterrichtet - nenne es mal ganzheitlich.
Kein Grund zur Panik - da gibt es andere Baustellen, die weitaus kritischer zu betrachten sind, z.B. der Zustand der Schulen, das Fehlen vor Fachlehrkräften, die schlechte Rechtschreibung und das allgemeine Absinken des Standards durch Normscheuklappen verursacht durch Überforderung der Schulen / Lehrer.

Viele Grüße

Hallo.

Da das Fach Nawi dadurch 3 bzw. 4 Wochenstunden belegt

3 Wochenstunden für einen solchen Fächerkomplex ist nichts.
In Sachsen z.B. macht schon ein Schüler der Mittelschule mehr.

http://www.revosax.sachsen.de/GetXHTML.do?sid=614111…

(Anlage 3a - Mittelschulen)

Addiert man die Fächer Biologie, Technik/Computer und Physik, komme ich für die Mittelschule auf 4 Wochenstunden in der 5. Klasse und 5 Wochenstunden in der 6. Klasse. Und wo ist in diesem Fächerkatalog eigentlich die Geographie? Als ich in die Schule ging, beinhaltete Geographie hauptsächlich naturwissenschaftliche Inhalte und das Fach durfte im Abitur als schriftliche naturwissenschaftliche Prüfung (Arbeitszeit 300 Minuten!) gewählt werden! Lernt man in der 5. Klasse nicht mehr grundlegende astronomische Zusammenhänge (Stellung der Erde im Universum) und dann die geologische und klimatische Beschaffenheit der Heimat (Bundesland, Deutschland)?

Wie verhält es sich daran anknüpfend mit dem Themenkomplex Umweltverschmutzung? Ich erinnere mich, daß eines unserer jüngeren Kinder 1989 aus der Schule kam (4. Klasse, Polytechnische Oberschule) und uns vom Ozonloch berichtete, und wie lange das dauern würde, bis sich die Ozonschicht wiederherstellt, wenn wir von heute auf morgen keine Abgase mehr in die Luft blasen würden („Vati, das ist länger als ich alt werden kann!“).

Wenn man ein Fach „Naturphänomene und Technik“ macht, dann bitte ordentlich und nicht wieder typisch deutschen, halbgaren Unfug. Vermutlich sollen langfristig Personalkosten gespart werden, denn ein Lehrer für drei bzw. vier eigentlich separate Fächer ist billiger als drei bzw. vier Fachlehrer für je ein Fach.

Historisch ist diese immer wieder hochköchelnde Maßnahme interessant: Zusammengewürfelt werden sollen immer nur Physik, Chemie und Biologie! (Geographie muß in die Ecke und darf aus unerfindlichen Gründen nicht mitspielen.)

Wieso werden nicht mal Fremdsprachen zusammengewürfelt? Englisch, 3. Fremdsprache, 4. Fremdsprache - das ließe sich doch prima in einem Fach unterrichten.
Zuerst wird der Stoff auf Englisch besprochen und dann in den anderen Sprachen. Wenn es keine Lehrer für die 3. bzw. 4. Fremdsprache gibt, machen wir das fachfremd.

Nein?

Und was ist mit den musischen Fächern? Musik, Zeichnen/Kunsterziehung und Architektur in ein Fach. Geschichte und Religion kriegen wir sicherlich auch irgendwie reingebastelt. Zur Not fachfremd. Geht ja schließlich in Physik, Chemie und Biologie.

Man kann an diesem Vorschlag die typische Schlagseite des westdeutschen Gymnasiums ablesen. Wer ein wenig bewandert ist, kennt nämlich den Tutzinger Maturiätskatalog, das „ideologische“ Rahmendokument für die höhere Lehranstalt des nach dem Krieg restaurierten dreigliedrigen Schulsystems. Die Festlegungen von damals sind implizit noch heute in Kraft - eine Revision der Bildungsschwerpunkte wie 1958-60 gab es seitdem nie - und zeigen sich exemplarisch an Versuchen wie „Naturphänome und Technik“. Das westdeutsche Gymnasium ist traditionell sprachen- und textlastig und behandelt die naturwissenschaftlichen Fächer nicht gleichwertig. Geisteswissenschaftliche Bildung genoß Vorrang vor naturwissenschaftlicher Bildung. Darauf wurde sich in Tutzing geeinigt. Technikunterricht kommt am Gymnasium überhaupt nicht vor.

Bisweilen gewinnt man den Eindruck, daß für viele ministeriale Beamte (oftmals Anwälte und Lehrer des Schulverwaltungsapparates), Physik, Chemie und Biologie sowieso das gleiche ist.
Neben dieser Inkompetenz lassen sich Motive wie späte Rache oder Gleichgültigkeit ebenfalls nicht ausschließen, wenn die von der unbarmherzigen privatwirtschaftlichen Lebenswelt gezeichneten Beamten hinter dem allmächtigen bürokratischen Schreibtisch in Stellung gehen und den Rotstift schwingen.

„So! Was streichen wir denn als erstes zusammen? Ah, Naturwissenschaften! Braucht eh kein Mensch. Überflüssiger Mist. Die Kinder lernen das heutzutage von allein. Von diesen autoritären Lehrern mit ihrer diffusen mathematischen Taschenspielertricks habe ich immer nur Dreien und Vieren gekriegt. Kommt weg. Die sollen sich bloß nicht so zimperlich haben, wenn wir jetzt ein Fach drausmachen.“

Man kann noch weitere interessante historische Zusammenhänge finden. Der reine Fachlehrerunterricht ist eine wesentliche Errungenschaft des preußischen Schulsystems gewesen. Ein unglaublicher Fortschritt gemessen an den typischen Lehranstalten der damaligen Zeit. In den Nachkriegsjahren kann man z.B. an Hand des Wiederaufbaus des Schulsystems in der Sowjetischen Besatzungszone nachvollziehen, daß Fachunterricht für ein hohes Niveau unbedingt notwendig ist. In den vertraulichen (= unverfälschten) Statistiken sind immer die Landschulen mit Mehrstufenklassen Schlußlicht gewesen, das heißt Schulen, wo in Ermangelung von Ressourcen wenige Lehrer alle Fächer erteilen mußten. Das ganze jahrgangsübergreifend.

Diese Schulen hatten sehr schlechte Resultate und sahen sich in den 50ern wegen des zentralistischen und eisernen Lehrplans unglaublich hohen Sitzenbleiber- und Abbrecherquoten gegenüber. 30% der Schüler, vereinzelt mehr, blieben sitzen und/oder flogen durch die Abschlußprüfung der 8. Klasse. Die Lehrplananforderungen konnten nicht erreicht werden und in den zentralen Zwischenprüfungen und Prüfungen krachte es dann. 15-20 Jahre brauchten die Ossis, bis die letzten Mehrstufenklassen im ländlichen Raum endlich verschwunden waren.
Man stelle sich das vor: So lange brauchten selbst die Kommunisten mit all ihren undemokratischen Abkürzungen („Wir legen hiermit von heute auf morgen fest, daß…“), um dieses Relikt des 19. Jahrhunderts aus dem öffentlichen Schulsystem zu bannen.

Und im Jahr 2014, im tiefsten Süden, wo bekanntlich die naturwissenschaftliche Bildung ohnehin nicht besonders ist, werden jetzt die ältesten Kamellen des Feudalismus vom Dachboden gekramt.

In den unteren Klassen liegen die Vorteile beim Klassenlehrerprinzip - ok. Spätestens ab der 5. Klasse liegt der Vorteil beim getrennten Fachlehrerunterricht. Lehrer- und Lehrplankoordination stellen mehr Interdisziplinarität her als wenn die Fächer einfach irgendwie in einen Topf geworfen werden.

oder im Wechsel ein Halbjahr 2 Stunden, ein Halbjahr gar nicht

Diese Unsitte gibt es sowieso nur in den alten Bundesländern.
In Thüringen oder in Sachsen käme niemand auf die Schnapsidee, einmal begonnene Fächer zu unterbrechen.

Grüße
reinerlein

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3 Wochenstunden für einen solchen Fächerkomplex ist nichts.
In Sachsen z.B. macht schon ein Schüler der Mittelschule mehr.

Bei gleichbleibenden 30 Wochenstunden hat dann wohl ein anderes Fach weniger.

Und wo ist in
diesem Fächerkatalog eigentlich die Geographie?

Erdkunde ist ein eigenständiges Fach mit 2 Wochenstunden.

Als ich in die
Schule ging, beinhaltete Geographie hauptsächlich
naturwissenschaftliche Inhalte
und das Fach durfte im Abitur
als schriftliche naturwissenschaftliche Prüfung (Arbeitszeit
300 Minuten!) gewählt werden!

wir sprechen von Klasse 5 und 6

Lernt man in der 5. Klasse nicht
mehr grundlegende astronomische Zusammenhänge (Stellung der
Erde im Universum) und dann die geologische und klimatische
Beschaffenheit der Heimat (Bundesland, Deutschland)?

Natürlich lernt man das. In Erdkunde hat mein Kind z.B. auch Deutschland/Europa/Welt - Städte, Länder, Gebirge usw. gelernt da der Lehrer der Meinung ist, dass das wichtiger ist als irgendwelche Bergwerksstollen zu benennen.

Wie verhält es sich daran anknüpfend mit dem Themenkomplex
Umweltverschmutzung? Ich erinnere mich, daß eines unserer
jüngeren Kinder 1989 aus der Schule kam (4. Klasse,
Polytechnische Oberschule) und uns vom Ozonloch berichtete,
und wie lange das dauern würde, bis sich die Ozonschicht
wiederherstellt, wenn wir von heute auf morgen keine Abgase
mehr in die Luft blasen würden („Vati, das ist länger als ich
alt werden kann!“).

Auch das lernen sie nach wie vor.

Wenn man ein Fach „Naturphänomene und Technik“ macht, dann
bitte ordentlich und nicht wieder typisch deutschen, halbgaren
Unfug. Vermutlich sollen langfristig Personalkosten gespart
werden, denn ein Lehrer für drei bzw. vier eigentlich separate
Fächer ist billiger als drei bzw. vier Fachlehrer für je ein
Fach.

Es unterrichten ausschließlich Fachlehrer.
Und worin besteht der Unterschied wenn 3 Fachlehrer jeweils eine Stunde unterrichten oder ein Fachlehrer 3 Stunden und das in Fächern in denen in Klassenstufe 5. und 6. das Wissen beim Lehrer für alle 3 Bereiche da sein sollte?
Wir sprechen hier NICHT von der gymnasialen Oberstufe.

Du bist jetzt nicht wirklich informiert was zur Zeit an den Schulen gelehrt wird?
Es hat sich soviel in den letzten 40 Jahren gar nicht geändert.
Physik und Chemie hatte ich persönlich erst ab Klasse 7, dann doch lieber ein Nawi welches Biologie, Physik und Chemie übergreifend unterrichtet und viele Themen auch eben auch fachübergreifend behandelt.

Diese Unsitte gibt es sowieso nur in den alten Bundesländern.
In Thüringen oder in Sachsen käme niemand auf die Schnapsidee,
einmal begonnene Fächer zu unterbrechen.

Zur Polemik dazwischen mag ich keinen Kommentar abgeben, feststeht wohl, du gehörst zu denen die die Mauer, sei es auch nur wegen dem Schulsystem, wieder aufbauen würden.
Alles westdeutsche ist schlecht… alles ostdeutsche war viel besser.

Meine Eltern erzählen auch was bei ihnen so viel besser war - sie sind jetzt beide um die 80…

Krümelchen

Nach den üblichen Anlaufschwierigkeiten (es gab zunächst weder
Lehrpläne, noch Lehrer, die „Nawi“ studiert hatten)

Es gab auch noch keine Lehrbücher sondern eher dickere Arbeitshefte die wir tatsächlich kostenlos bekommen haben - so als Test :smile:

der Sturm mittlerweile gelegt und die Sache läuft eigentlich
rund: unterrichtet wird das Fach - wenn noch keine Nawi-Lehrer
zur Verfügung stehen - im Wesentlichen von Lehrern, die
Biologie und Chemie als Unterrichtsfächer haben, gelegentlich
auch Chemie/Physik, aber selten.

Nawi-Lehrer? Gibt es jetzt 6 Jahre später bei uns immer noch nicht.
„Unser“ Nawi-Lehrer hatte Biologie und Erdkunde als Fächer und hat den physikalischen und den chemischen Teil des Unterrichts auch hervorragend hinbekommen.
Die Kinder haben nichts anderes gelernt als die Paralellklassen mit Chemie- oder Physik-Fachlehrern.

Lehrpläne sind mittlerweile da und die Kinder kommen durchaus
nicht weniger gut vorgebildet in die Sekundarstufe I, wo die
Fächer Bio, Physik und Chemie weiterhin ganz normal
unterrichtet werden.
Der Vorteil ist übrigens unter anderem, dass Nawi als
4-stündiges Fach einen anderen Stellenwert für die Versetzung
hat als Bio mit 2 WS - eine 5 in Nawi kann nur mit einem
anderen 4-stündigen Fach, also Deutsch, Mathe, 1. oder 2.
Fremdsprache ausgeglichen werden. Insofern hat für die Klassen
5 und 6 (insbesondere 6, in 5 gibt es hier keine Versetzung)
durschaus eine Aufwertung der Naturwissenschaften
stattgefunden.

Stimmt, Nawi wird als Hauptfach bewertet und nicht mehr als 3 Nebenfächer und ist versetzungsrelevant.

Bröselchen

Dann bitte auch die Rechtschreibung abschaffen
Moin!

Man hört ja auch immer, dass Sprache lebendig ist und sich weiterentwickelt. Und dagegen an soll man dann Grammatik und Orthographie mit den Schülern pauken - die in ihren Chats und SMS längst ihre eigene Abkürzungssprache iwie benutzen und ka.

Also weg mit der toten Rechtschreibung, man trifft sie eh kaum noch an und wer sie vermisst ist von gestern.

So!

Fo!