Abstrakte Malerei

Hallo Wissende,

wie interpretiert man ein abstraktes Bild? Wir haben in der Gemeinde ein Glasfenster eines hochgelobten Malers - es sei eine Landschaftsdarstellung - ich finde aber dazu keinen Zugang und sehe nur dunkle Farbkleckse.

Kann mir vielleicht jemand ein Buch zum Thema empfehlen? Was ich bisher ergurgelt habe macht mich nicht an.

Herzlichen Dank!

Wolfgang D.

Hallo Wolfgang,

erst mal schaut man sich das Bild an, wenn es eine abstrakte Komposition ist, sollte das Motiv keine Landschaft darstellen. Hier ist die Interpretation schon etwas verquer.
Sollte man noch Reste einer Landschaft erkennen können, dann wäre die Komposition abstrahiert.

Schau dir das Bild an, beschreibe, was du siehst, dabei kommen automatisch Assoziationen auf, die von deinen Sehgewohnheiten abhängen. Wenn du das Bild analysieren möchtest, musst du dir ähnliche Motive von verschiedenen Künstlern anschauen - und Vergleiche anstellen:
z.B. was ist dargestellt, was wollte der KĂĽnstler ausdrĂĽcken, ist ihm dies nach deiner Ansicht gelungen? Ist die malerische Umsetzung ĂĽberzeugend: Duktus, Farbgestaltung usw.
Wenn dich das Kunstwerk nicht überzeugt, dann wird das wahrscheinlich nicht besser, wenn andere etwas hinein interpretieren, was du nicht nachvollziehen kannst. Argumentiert der Künstler z.B. überzeugend, könnte es sein, dass sich, die dir vorerst verschlossene Komposition dann doch noch erschließt.

Kunstbeurteilung hat viel mit Seherfahrung, Vorlieben, Kunstkenntnis (kunstgeschichtliche Verortung) zu tun. Aber zuerst liegt die Bewertung im Auge des individuellen Betrachters.
Ein Buch, mit dem ein Betrachter loszieht, um ein Bild zu begutachten, gibt es m.E. nicht, ich kenne jedenfalls keins.
Hier hilft nur das Moto: Übung macht den Meister. Erfahrung mit Kunst kann man sammeln, wenn man möglichst viele Ausstellungen anschaut, andere Meinungen mit der eigenen vergleicht usw.

GruĂź
Robertaa

Hi Wolfgang,

Nein, ein Buch darĂĽber kann ich dir leider nicht empfehlen.

Hallo Wissende,

wie interpretiert man ein abstraktes Bild?

Ich glaube das ist etwas zu schweres zu erklären. Und ich denke, mit einem Buch ist es lange nicht getan. Und entweder handelt es sich bei dem Buch, um dieses einen Bild, oder wird es einem mMn. kaum weiter helfen.

M.E. diese Fähigkeit erwerbt man, indem man sich oft mit dieser Malerei auseinander setzt. Und irgendwann mal, fängt an manches „Verstecktes“ hinter des eigentlichen Bildes zu entdecken.

Ich glaube, einen guten Einstieg sind viele der Gemälde Dalís, aber nich alle. Zum Beispiel „Der großer Masturbator“ ist dafür zB nicht geeignet. Aber schaue dir dieses eine Bild GENAU an:

http://3.bp.blogspot.com/_uqXyAKfVUDE/SRzBAI98_HI/AA…

Und wenn du willst, sage mir was du da siehst. Das einzige was ich dazu sagen will ist, das dieses Gemälde „El hombre invisible“ heisst.
Der Rest ist deine Arbeit.

Und so, langsam, Schritt für Schritt, entwickelt man das Gespür, solche Sachen zu sehen. Und glaube mir: Es öfffnet sich vor deinen Augen ein ganzes, wunderschönes, unendliches Universum.

Was ich bisher ergurgelt habe macht mich nicht an.

Das glaube ich dir sofort!

Herzlichen Dank!

Ich hoffe das war eine Hilfe!

Schöne Grüße,
Helena

Hi Robertaa,

Ich finde lustig, dass ohne deinen Beitrag im Vorfeld gelesen zu haben, haben wir Wolfgang so ziemlich dasselbe gesagt und empfohlen.

Ich finde das schön!

Schöne Grüße,
Helena

Synästhesie, Komposition und Qualia
Hi.

wie interpretiert man ein abstraktes Bild? Wir haben in der Gemeinde ein Glasfenster eines hochgelobten Malers - es sei eine Landschaftsdarstellung - ich finde aber dazu keinen Zugang und sehe nur dunkle Farbkleckse.

Es gibt mehrere Ansätze, deine Frage zu beantworten. Ich wähle einen anderen als Robertaa und Helena und halte es mit Jean Piaget, dem zufolge man etwas am besten verstehen kann, wenn man weiß, wie es entstanden ist.

Entstanden ist die abstrakte Malerei als Folge von synästhetischen Visionen des Russen Wassily Kandinsky. Er hatte während einer Lohengrin-Aufführung Farb-Visionen, die ihn dazu anregten, ungegenständliche Bilder zu malen, die nur aus Farben und Formen bestehen.

Andere Maler wie Gustave Moreau und Mikalojus Ciurlionis experimentierten vorher schon in abstrakter Manier, aber Kandinsky machte als erster daraus einen konsequenten Stil auf einem klassisch zu nennenden hohen Niveau.

Impressionismus und Expressionismus waren die entscheidenden Vorstufen der Abstraktion. Bereits dort spielte der Gegenstand nur eine untergeordnete Rolle, der Akzent lag auf formalen Experimenten, beim Impressionismus mit extrovertierter und beim Expressionismus mit introvertierter Ausrichtung.

Abstrakte Visionen als Synästhesie-Effekt deuten darauf hin, dass abstrakte Kunst einem tiefenpsychologischen Bedürfnis entgegenkommt bzw. in einer unbewussten seelischen Tiefenschicht Resonanz auslöst. Das gleiche gilt ja für Musik, worüber sich seltsamerweise keiner wundert, obwohl es doch erstaunlich ist, dass Klänge so starke Wirkung auf das menschliche Gemüt erzielen können. Das Geheimnis liegt in der Art und Weise der Anordnung der Töne - bzw., in der Malerei, der Farben und Formen. Es geht um Komposition, um Strukturierung des Rohmaterials. Aber auch das Rohmaterial (einzelne Komponenten wie z.B. Klavierton oder Farbe Rot oder Kreisform usw.) hat per se einen Effekt auf die Psyche. Durch die harmonische oder disharmonische Anordnung mehrerer Komponenten kommt es zu einer tiefenpsychologisch wirksamen, komplexen Resonanz im Unbewussten des Hörers/Betrachters.

Rot z.B. hat einen sinnlichen, erregenden Effekt, Blau einen beruhigenden, quasi mystischen (wie die Weite des Himmels), Schwarz wirkt bedrohlich und/oder geheimnisvoll, Gelb strahlend und warm usw. Das sind Tasten, auf denen der Maler spielen kann wie auf einem Klavier. Hinzu kommt die Kombinierbarkeit mit Komplentärfarben, also die Bildung von Farbkombinationen, bei denen sich die Komponenten wechselseitig verstärken (z.B. blau-orange, grün-rot). Die Vermischung von Komplementärfarben führt zu einem spannungslosen Grau, was zeigt, dass die Einzel-Farben in einem starken und doch implizit harmonischen Verhältnis zueinander stehen.

Neben den Farben spielen die Formen eine Rolle. Bekannt ist der Goldene Schnitt als Kompositionsmittel, auch die Diagonale hat eine wichtige kompositorische Bedeutung, da sie Dramatik suggeriert. Symmetrie erzeugt Ruhe, Asymmetrie Spannung. Der Goldene Schnitt gilt als ideale Synthese beider Aspekte.

Wie wichtig diese abstrakten Komponenten (von Farbe und Form) sind, zeigt sich bereits in ihrer Anwendung im gegenständlichen Bereich. Sie sind es, die einem gegenständlichen Bild die eigentliche künstlerische Wirkung verleihen - und nicht der Gegenstand.

Die abstrakte Malerei ist nicht anderes als die Anwendung der Erkenntnis, dass der Gegenstand im Gemälde nur ein Vehikel für die Wirkung abstrakter Kompositionsmittel ist. Konsequenterweise wird der Gegenstand also weggelassen (abstrahiert), was der Entfaltung von Farbe und Form uneingeschränkten Raum gibt.

Es gibt verschiedene theoretische Erklärungsansätze für den Reiz, den die Abstraktion auf den Menschen ausübt. Warum haben Farben und ihre Kombinationen eine solche Wirkung? In der „Philosophie des Geistes“ z.B. gibt es den Begriff der „Qualia“. Sie gelten als psychische Qualitäten, in welche die physischen Sinnesreize (z.B. Lichtschwingungen, Luftschwingungen) übersetzt werden. Vereinfacht dargestellt:

Luftschwingungen z.B. werden im Ohr in Nervenimpulse transformiert, die im Gehirn (auf eine noch ungeklärte Weise) in psychische Qualia umgeformt werden. Jeder wird zugegeben, dass es prinzipielle Unterschiede zwischen a) Lichtschwingungen, b) elektrischen Nervenimpulsen (von der Netzhaut ans Gehirn gehend) und c) der faktischen Farberfahrung (z.B. Rot) gibt.

Viele Philosophen und Naturwissenschaftlier ziehen daraus den Schluss, dass Farben (und Klänge) keine Objekte sind, die von der Psyche beobachtet werden, sondern innerpsychische Qualitäten bzw. Eigenschaften der Psyche, welche ´aktiviert´ werden, wenn der Input (Schwingungen und Impulse) sie auslöst.

Woraus folgt: Farben sind unmittelbare Eigenschaften der Psyche bzw. ein Teil von ihr (also nichts Externes). Genau das könnte den Reiz ungegenständlicher Farbkompositionen erklären - in ihnen spiegeln sich Aspekte des Psychischen, die Psyche ´genießt´ sich selbst. Übrigen erklärt dieser Ansatz auch die Farbhaltigkeit von Träumen. Auch in diesen werden Farben manifest ohne jeden Bezug zu einer (objektiven, also externen) Gegenständlichkeit.

Chan

Zum Synästhesie-Thema siehe auch:

http://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie

aus der Sicht eines Malers
Hallo Wolfgang

Als einer, der selber vorwiegend abstrakt malt, habe ich einen etwas simpleren Zugang «anzubieten» als meine Vorposter. Die bisherigen Antworten würden mir nicht weit helfen, weil ich ganz vom sinnlichen Erleben her komme, und mit meiner Malerei auch kaum etwas anderes ansprechen will.

wie interpretiert man ein abstraktes Bild?

Das klingt, als erwartest du, es gäbe eine Art der Rezeption.
Wahrscheinlich meinst du das nicht so, und ich bestätige dies gern.
Man muss nicht einmal interpretieren, es genügt in vielen Fällen das reine Schauen!

Farbe
Das Zusammenspiel von Farben allein ist mir oft Thema und Bildinhalt genug! Wobei Wohlklang und Schönheit nicht das einzige Ziel sein müssen!
Ich studiere auch Reibungen und Disharmonie. Und vor allem vermeide ich, nur mit «Lieblingsfarben» zu malen! In unbekannte Zonen der Farbenwelt einzudringen ist bedeutend aufregender …

Kann sein, dass Eure Glasfenster ganz auf dieser Ebene betrachtet und genossen werden sollten.

Form
Die Flächeneinteilung des Bildes ist meine zweite Faszination.
Wenn kein Motiv aus der dinglichen Welt erkennbar bleibt, dass muss die Anordnung der Formen (oder sogar bloss die Malstruktur, also die Spuren von Pinsel und anderem Werkzeug) das Auge faszinieren.
Mit einer rhythmischen Gestaltung fĂĽhre ich den Blick im Bild herum. Wenn das gelingt, dann ist es wie eine Magie, der sich ein offener Betrachter kaum entziehen kann.
(Grundlagen dafĂĽr habe ich in der Ausbildung zum Grafikdesigner erlernt und eingeĂĽbt.)

Das Zusammenspiel von Farbe und Form (und die davon hervorgerufenen Assoziationen und Gefühle) machen dann letztlich den Reiz des gegenstandslosen Bildes aus – bei mir jedenfalls.

Glasbilder in einer Kirche tragen möglicherweise inhaltliche Lasten mit sich herum (salopp gesagt). Vielleicht geht es um biblische Geschichten, um Auferstehung, Erlösung oder um sonstige Themen der Kirche. Dann ist das abstrakte Bild Ausdruck einer inneren Schau des Künstlers, eine künstlerische Umsetzung seiner Interpretation des christlichen Botschaft.
Das geht einen kleinen Schritt von der absoluten (zweckfreien) Kunst hin zur angewandten Kunst. Dann wĂĽrde ich mich an deiner Stelle freuen, dass Euer KĂĽnstler nicht in die Niederungen der platten Bildpredigt herabgestiegen ist!

Freundliche GrĂĽsse
scalpello

Korrektur: Landschaft
Während ich meine Antwort schrieb, hatte ich deine Frage nicht vor Augen.
Also Landschaft, kein biblisches oder kirchliches Thema.

Hm …
… als ich noch der Landschaftsmalerei frönte, musste in meinem Bild etwas vom Erlebnis der Landschaft drin stecken. Die mediterrane Hitze, die klammen Finger im Winter, der Durst, das euphorische Stimmung im Frühling, die Bezauberung durch blühende Obstbäume …
Nur was ich wirklich draussen gemalt habe, hatte diese Qualität in sich.
Ich konnte nie (wie meine Kollegen es taten) draussen nur skizzieren und dann im Atelier in Ruhe malen. Das war mir nicht authentisch genug, nicht wahrhaftig genug.

Heute arbeite ich anders. Da kommt es vor, dass «draussen» entstandene Skizzen die Basis für eine fortgesetzte Abstraktion bilden. Meist geht es bis zum reinen Spiel von Farben und Formen, das für mich die Qualität des Erlebnisses noch in sich trägt.

Ob ein fremder Betrachter das gleiche GefĂĽhl in sich spĂĽrt, muss offen bleiben. Und die Feedbacks zeigen, dass in anderen Menschen halt auch andere Assoziationen geweckt werden. Daran kann ich nichts Falsches sehen.

Könnte dies dir einen Zugang zum Kirchenfenster öffnen?
scalpello

2 Like

Warum so theoriefeindlich?
Hi.

als einer, der selber vorwiegend abstrakt malt, habe ich einen
etwas simpleren Zugang «anzubieten» als meine Vorposter. Die
bisherigen Antworten wĂĽrden mir nicht weit helfen, weil ich
ganz vom sinnlichen Erleben her komme, und mit meiner Malerei
auch kaum etwas anderes ansprechen will.

Erstens wiederholst du einige der Gesichtspunkte, die auch ich vorbrachte. Beispiele bei dir:

Das Zusammenspiel von Farben allein ist mir oft Thema und Bildinhalt genug! Wobei Wohlklang und Schönheit nicht das einzige Ziel sein müssen!

Ich studiere auch Reibungen und Disharmonie.

Die Flächeneinteilung des Bildes ist meine zweite Faszination.

Zweitens frage ich mich, wie deine Darstellung jemandem, der abstrakte Malerei nicht versteht, stante pede die Augen öffnen soll. Du sagst: „das reine Schauen“. Vielleicht wirkt diese magische Formel ja beim UP. Vielleicht auch nicht. Wenn sie aber wirken sollte, dann erklärt die von mir vorgebrachte Theorie, warum.

Meiner Ansicht nach ist mit persönlichen Faszinationsbekenntnissen, wie du sie lieferst, kein Verständnis beim andern auszulösen. Zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher Malerei liegt nämlich ein Quantensprung, und der erfordert ein radikales ästhetisches Umdenken. Der Verweis auf die Musik, die abstrakteste aller Künste, und ihre Funktion bei der Erfindung der abstrakten Malerei scheint mir ein vielversprechender Weg zu sein, um zumindest den Keim eines Verständnisses zu erzeugen, aus dem dann vielleicht ein echtes Verstehen erwächst.

Und was deinen Satz

Die bisherigen Antworten wĂĽrden mir nicht weit helfen, weil ich ganz vom sinnlichen Erleben her komme, und mit meiner Malerei auch kaum etwas anderes ansprechen will.

betrifft:

Sag das mal dem Erfinder der abstrakten Malerei, also Kandinsky. Keiner hat so leidenschaftlich wie er versucht, diese Malerei auch theoretisch zu fundieren.

Chan

(ich male ĂĽbrigens, neben meinen Erotik-Fantasy-Bildern, auch abstrakt)

gar nicht feindlich, bloss nicht so eingleisig
Hi Ch’an

Ich bin kein Feind von Theorie.
Bloss sehe ich neben dem intellektuell-akademischen Zugang einen rein sinnlichen. Und da das eine ausgiebeig zelebriert worden ist, habe ich das andere als komplementäre Möglichkeit angeboten.
Neben «Kopf» gibt es noch «Herz» und «Hand» (Pestalozzi).

Wenn sich Gesichtspunkte in beiden Zugängen finden – was stört dich daran?

Zweitens frage ich mich, wie deine Darstellung jemandem, der
abstrakte Malerei nicht versteht, stante pede die Augen öffnen
soll.

Dann fragst du eben den falschen – ich weiss aus vielen Gesprächen an meinen Ausstellungen, dass es manchen Leuten hilft.

Meiner Ansicht nach ist mit persönlichen
Faszinationsbekenntnissen, wie du sie lieferst, kein
Verständnis beim andern auszulösen.

Deine Ansicht deckt sich nicht ganz mit meinen Erfahrungen – so what?

Zudem passt der Einblickin meine Denk- und Arbeitsweise doch gar nicht so schlecht zu deinem Credo «… und halte es mit Jean Piaget, dem zufolge man etwas am besten verstehen kann, wenn man weiß, wie es entstanden ist.»
Ich werde darĂĽber jedenfalls nicht weiter streiten.

Zwischen gegenständlicher
und ungegenständlicher Malerei liegt nämlich ein
Quantensprung, und der erfordert ein radikales ästhetisches
Umdenken.

Und dazu sollen die Basics der poulären Farbenpsychologie und ein Verweis auf den stinklangweiligen Goldenen Schnitt dienlich sein?

scalpello

2 Like

ein paar Tippfehler
ausgiebig zelebriert

Einblick in meine Denk- und Arbeitsweise

Basics der populären Farbenpsychologie

Sorry
ccalpello