Accessoires anziehen?

hallo dialektkenner,

mir ist des öfteren im fernsehen aufgefallen, daß im ruhrgebiet leute dinge anziehen, die man anderswo aufsetzt, umbindet o.ä.
also mützen, uhren, schals usw.
ist das tatsächlich dialekt oder sprachschluderei? in welchen gegenden ist das verbreitet?
es klingt in meinen ohren doch sehr exotisch.

jetzt schon ein danke von

strubbel
d:open_mouth:)

Hallo strubbel,

also ich komme aus Nordhessen, und wir sagen im Alltag auch: Ich ziehe mir einen Schal, eine Mütze, die Handschuhe usw. an. In meinen Ohren würde es exotisch klingen, wenn wir sagen würden: Ich setze mir eine Mütze auf, ich lege mir einen Schal um, ich streife mir Handschuhe über. Das ist für uns eher Schriftdeutsch und so spricht kaum jemand, auch nicht in anderen Gegenden Deutschlands, denke ich.
Aber ich lasse mich auch gern eines besseren belehren und bin gespannt auf die anderen Antworten!

Liebe Grüße
Birgitt

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Hallo strubbel!

mir ist des öfteren im fernsehen aufgefallen, daß im
ruhrgebiet leute dinge anziehen, die man anderswo aufsetzt,
umbindet o.ä.
also mützen, uhren, schals usw.

Als ich vor über 30 Jahren von Berlin nach Düsseldorf zog, fiel mir das auch auf.
Am hübschesten fand ich immer, wenn sich Leute Brillen anziehen. Oder Schmuck.
Aber man gewöhnt sich an allem.

Anziehende Grüße
Castafiore

Moin, strubbel,

im Ruhrgebiet ist das gang und gäbe, beachte jedoch die Feinheiten: Die Brille ziehe ich nicht an, sondern auf :smile:))

Gruß Ralf

ist das tatsächlich dialekt oder sprachschluderei? in welchen
gegenden ist das verbreitet?

Tach Strubbel,

zuerst mal: nicht alles, was Deinen Ohren fremd klingt, ist „Sprachschluderei“.
Zweitens: Im Ruhrgebiet spricht man ein eigenes Idiom; ob man das Dialekt nennen kann, weiß ich nicht. Es ist jedenfalls eine eigene Sprache mit ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten.

Beispiel gefällig?
Sie zu ihm: Weiß du, wat Du mich biss? Du biss mich dat Liebste auffe Welt!
Er zu ihr: Weiß du, wat du mich biss? Du biss mich ne Latte am machen.

Sowas finde ich großartig - das bringt kein anderer Dialekt - so sehr ich das Schwäbische schätze (grüß Dich, Fritz!) - in Deutschland zustande.

Gruß - Rolf

Hallo, Rolf!

zuerst mal: nicht alles, was Deinen Ohren fremd klingt, ist „Sprachschluderei“.

Das ist ja nun ganz und gar richtig!
Und wer über seinen Tellerrand zu schauen imstande ist, wird
mit Bezeichnungen „falsch, schlecht, schludrig“ vorsichtiger
umgehen.

Zweitens: Im Ruhrgebiet spricht man ein eigenes Idiom; ob man das Dialekt nennen kann, weiß ich nicht. Es ist jedenfalls eine eigene Sprache mit ganz eigenen Ausdrucksmöglichkeiten.

Auch das stimmt; aber ein Dialekt ist es dennoch. Der freilich
sehr frei mit den grammatischen Regeln umgeht und eigene
entwickelt hat.

Und bei manchen Redenwendungen, wie die mit der Latte, habe ich bisweilen den Verdacht, ob da nicht Kabarettisten, wie etwa der gute alte Tegtmayer, ihr Scherflein beigetragen haben, um diese verzwickten Wendungen zu verbreitern.

Sowas finde ich großartig - das bringt kein anderer Dialekt - so sehr ich das Schwäbische schätze (grüß Dich, Fritz!) - in Deutschland zustande.

Oh, das Schwäbische hat seine Glücksmomente auch, nur an anderen Stellen.

Das nächste Mal plaudern wir in Dilalekten, ja?

Aber nun noch zur Ausgangsfrage. Grimm unterscheidet da sehr fein zwischen anziehen, anlegen, antun und ankleiden.

_ anziehen gegensatz des abziehens, in mehrfachem sinn. [1,527]

  1. kleidungsstücke anziehen, sich oder andern, oft gleichviel mit anthun und anlegen, doch ein wirkliches ziehen oder schieben an, über den leib oder das glied des leibs voraussetzend,
    darum heiszt es den mantel anlegen, nicht anziehen (wiewol es LUTHER sagt Zachar. 13, 4), weil er an die schulter gelegt, gehangen, nicht gezogen wird;
    umgekehrt handschuhe, schuhe, strümpfe anziehen, nicht anlegen.
    anthun ist allgemein und für beides gerecht, den mantel anthun, die schuhe anthun;
    für anziehen überhaupt, ohne bezug auf die einzelnen stücke, gilt ankleiden._

Gruß - Fritz

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Hallo Fritz,

Und bei manchen Redenwendungen, wie die mit der Latte, habe ich :bisweilen den Verdacht, ob da nicht Kabarettisten, wie etwa der gute :alte Tegtmayer, ihr Scherflein beigetragen haben, um diese verzwickten :Wendungen zu verbreitern.

Den Spruch habe ich von einem Bergmann aus Kamp-Lintfort, und ich glaube nicht, daß der Tegtmeier gekannt hat.

Gruß - Rolf

hallo birgitt,

ich kenne niemanden, der so spricht, wie du es behauptest. ich hab es erst durch botschafter des unterschichtenfernsehens gehört.
also im pott und in nordhessen.

strubbel
=;O)

Den Spruch habe ich von einem Bergmann aus Kamp-Lintfort, und
ich glaube nicht, daß der Tegtmeier gekannt hat.

Hallo, Fritz und Rolf,
soweit ich dies beurteilen kann, ist hier doch die Kreativität eher in der Ausdruckswelt des Volkes zu suchen, dem J.v.Manger und seine Epigonen doch sehr aufs Maul schauten. Aus dem Völkermix und der unterschiedlichen beruflichen Erfahrung mit ihrem Reichtum an (fremd- und berufs-)sprachlichen Elementen ergibt sich neben der grammatischen Freizügigkeit auch eine sonst eher nicht übliche Vielfalt des Wortschatzes.
Gruß
Eckard
[um den Bogen zur Ausgangsfrage zu schlagen: Hier im Bergischen spricht man von „ondonn“ (antun).]

Neodialektismen
Gewiss hast du da oft Recht, lieber Eckard,

aber ich habe bei vielen solchen Sozio- oder Regiolekten bemerkt, dass es zuerst ein Phänomen gibt, das von einer Person spontan gebildet wurde und das sich von der Standardsprache unterscheidet.
Dann wird dies aber von einem medienwirksamen Solisten aufgegriffen und verfeinert und vervielfältigt, dann von irgendwelchen Medien aufgesogen, aufgebauscht und verbreitet.

Erst als die BLÖD-Zeitung anfing, die Grimmschen Märchen in Kanaksprach zu drucken, wurde die Phänomen allgemein verbreitet und die Kanaksprak trat ins Bewusstsein der Leute und wurde von diesen auch angewandt.

So kommt es, dass es Bücher über „Szenesprachen, Jugendsprachen, Kanaksprak, Russendeutsch, u. ä.“ gibt, die von Mitgleidern dieser Gruppen nicht gekannt werden.

Die Konstruktion „ich bin am * Infinitiv“ ist eine standardsprachlich anerkannte; wenn sie allerdings abundant verwendet wird und gar noch mit Ergänzungen versehen wird, wie hier:
„Ich bin am Kohldampfschieben“ oder „Ich bin eine Latte am Schieben.“
dann beginnt der Dialekt.

Man sollte in diesem Zusammenhang die segensreiche Rolle der Dialektbands wie BAP, Spider Murphy Gang, Torfrock, Grachmusikoff, usw. nicht vergessen.

Und was den „Volksmund“ angeht, so scheint er mir eine Chimäre zu sein wie die Volkskunst, die Volksmusik und alle anderen völischen Phänomene.

Gruß Fritz

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hallo dialektkenner,

Servus strubbel

mir ist des öfteren im fernsehen aufgefallen, daß im
ruhrgebiet leute dinge anziehen, die man anderswo aufsetzt,
umbindet o.ä.
also mützen, uhren, schals usw.

und Zahnprothesen - ich schwöre!

Kai

Ankleiden, anlegen, anziehen ist immer ‚aalège‘
Guten Tag, Strubbel

Im Berndeutschen (Schweiz) existiert für ‚ankleiden, anziehen,
anlegen, aufsetzen, überziehen, umhängen‘ nur ‚aalège‘. Es wird also
nicht unterschieden, ob Kleider ange’zogen’ (Strümpfe) oder
ange’legt’ (Mantel) oder umge’hängt’ (Pelerine) werden.

Gang dì étz ga aalège!
(Geh dich jetzt ankleiden!)

D Méitschi lège Häntschen aa ù d Buebe louffe gschwìng.
(Die Mädchen ziehen Handschuhe an und die Jungen gehen schnell.)

Leg d Chappen aa, s ìsch chaut dùsse!
(Setz die Mütze auf, es ist kalt draussen!)

Mir héi d Ruckseck aaggléit ù sy losmarschyert.
(Wir nahmen die Rucksäcke auf und marschierten los.)

Gruss
Rolf

Dankeschön!
vielen dank für die tollen beispiele. der ruhrpott und nordhessen sind schon exotische gegenden. aus sprachlicher sicht.
ist ja auch weit weg.

*wink*

strubbel
R:open_mouth:)

Sie zu ihm: Weiß du, wat Du mich biss? Du biss mich dat
Liebste auffe Welt!
Er zu ihr: Weiß du, wat du mich biss? Du biss mich ne Latte am
machen.

Nahmt Rolf,
ich will Dich gezz nich ärgan , iss ja auch schonn spät,aba haißt datt nich „Du biss mich ne Latte am machen dran“ ???
…geh gezz inne Heia, woll?
Finjen

[um den Bogen zur Ausgangsfrage zu schlagen: Hier im
Bergischen spricht man von „ondonn“ (antun).]

… ähnlich im Naheland:
„Ja nä, bei soeme Wedder det isch mer de Mandel aanduhn.“

Hallo strubbel,

also ich komme aus Nordhessen, und wir sagen im Alltag auch:
Ich ziehe mir einen Schal, eine Mütze, die Handschuhe usw. an.
In meinen Ohren würde es exotisch klingen, wenn wir sagen
würden: Ich setze mir eine Mütze auf, ich lege mir einen Schal
um, ich streife mir Handschuhe über. Das ist für uns eher
Schriftdeutsch und so spricht kaum jemand, auch nicht in
anderen Gegenden Deutschlands, denke ich.
Aber ich lasse mich auch gern eines besseren belehren und bin
gespannt auf die anderen Antworten!

Liebe Grüße
Birgitt

Hi Birgitt,

ich bin genau deiner Meinung und aus Mönchengladbach (NRW)

Grüße,
Sabine F.

Hallo Fritz,

Auch das stimmt; aber ein Dialekt ist es dennoch. Der freilich
sehr frei mit den grammatischen Regeln umgeht und eigene
entwickelt hat.

Eigentlich geht das Ruhrdeutsch nicht frei mit grammatikalischen Regeln um, sondern hat eigene, feste Regeln. An der Nichtbeachtung dieser Regeln (die oftmals konträr zu den Regeln des Hochdeutschen sind) kann man meist die Imitatoren (häufig in der Commedy-Szene zu finden), die das Ruhrdeutsch nur lächerlich machen wollen, erkennen.

Gruß, Hardy