Achilles und Schafgarbe

Moin,

die Schafgarbe heißt Achillea millefolium und hat einen Bezug zu Achilles. Ich las, dass er den Rat bekam, eine Verletzung an der Verse mit Schafgarbe zu heilen, daher der Name.

Meines Wissens nach war die Verletzung an der Achillesverse aber tödlich. Geht es bei der Schafgarbenbehandlung um eine vorherige, weniger schwere Verletzung? Oder ist es vielleicht eine alternative Geschichte?
In der Ilias ist der Tod Achilles’ ja nicht enthalten, vielleicht gibt es in den darauf folgenden Werken eine höhere Variabilität.
Wer weiß was? Wer kennt Quellen dazu?

Grüße

„…botanischer Name Achillea stammt von dem griechischen Helden Achilles. Der Legende nach heilte er mit der Gewöhnlichen Schaf-Garbe die Wunde eines Soldaten.“

https://www.baumschule-horstmann.de/gewoehnliche-schafgarbe-698_78008.html

Die Quelle dieser story kenne ich freilich nicht…

Ich googelte gerade nochmal und fand spontan:
Er heilte „eine“ Wunde an der Verse, er heilte „seine“ Wunde an der Verse, er heilte die Wunde seines Freundes, er heilte die Wunden „seiner Feinde“.
Also da scheint ja alles mit dabei zu sein!

Es gibt diverse Spekulationen, wie z. B. hier erwähnt → Myths, Legends, Tales …:

grafik

oder hier → S 182 Rust of Achilles:

Eine belastbare Quelle wird allerdings bei keiner dieser Storys angegeben …

Gruß
Kreszenz

1 Like

Mit Homers Versen über die Ferse des Achilles hat das schlicht gar nichts zu tun und auch die anderen hier angeführten Stories sind blanke Fantasie.

Bei den Mythen um Achilles gibt es ein berühmtes Heilungsmotiv, speziell in Verbindung mit dem mysischen König Telephos. Das Motiv findet sich nicht in den homerischen Epen, jedoch in der etwas jüngeren Kypria, die bis auf einige Zitate bei verschiedenen antiken Autoren zwar verschollen, deren Inhalt aber durch eine Zusammenfassung des Eutychios Proklos bekannt ist. Bekannter, freilich auch jünger, ist die Behandlung dieses Motivs in Euripides’ (nur fragmentarisch überlieferter) Tragödie ‚Telephos‘, deren zentrales Handlungsthema es auch ist. Das die Heilung schildernde Fragment findet sich bei Plutarch. Die Kypria diente Euripides mit ziemlicher Sicherheit als Quelle bzw. Vorlage seiner Tragödie.

Allerdings findet sich in dem Euripides-Fragment (noch) kein Hinweis auf die Schafgarbe; in der Urfassung des Mythos wird die von Achill mit der von Hephaistos geschmiedeten Lanze verursachte Wunde des Telephos mit von der Lanze abgeschabtem Grünspan geheilt - ein recht altes mythologisches Motiv, wobei die Waffe, die die nicht heilen wollende Wunde verursachte, diese auch heilt (curatio per simile). Parsifal lässt grüßen …

Eine Verbindung zur Schafgarbe findet man erst ein halbes Jahrtausend später, bei Gaius Plinius Secundus Maior. Die Pflanze war zu Plinius’ Zeiten jedenfalls bereits als Achillea bekannt. Die Quellenlage lässt zwei Hypothesen zu: entweder gab es einen parallelen (evt. jüngeren, ‚realistischeren‘) Mythos zur Heilung mit Grünspan oder es handelt sich lediglich um eine zufällige Namensähnlichkeit und die auf Plinius (bzw. einen unbekannten Gewährsmann des Plinius) zurückgehende Überlieferung einer Verbindung Achillea - Achilles ist lediglich eine Rationalisierung des Pflanzennamens.

Die entsprechende Fundstelle bei Plinius - mW die älteste bekannte Quelle für die Verbindung der Schafgarbe mit der Heilung des Telephos durch Achilles - ist jedenfalls Naturalis historia 25,42,1. Hier in der etwas altertümlichen Übersetzung (aus dem Jahr 1765) von Johann Daniel Denso:

Es hat auch der Achilles, ein Schüler Chirons ein Kraut, mit welchem er Wunden heilete, erfunden, welches deswegen Feldgarbe [Randnotiz c): achilleum.] genennet wird. Man sagt, er habe den Telephus damit geheilet. Andre sagen, er habe zu erst den Kupferrust [Randnotiz d): aerngo.] erfunden, daher wird er gemalt, wie er denselben mit der Schwertspitze von seinem Spieße in des Telephus Wunde herab reibet. Andre sagen er habe sich beyder Mittel bedient. Einige nennen dieses Heilkraut, das herculische [Randnotiz e): heracleon.], andre Gliedkraut [Randnotiz f): sideritis.] und bey uns Schafgarbe [Randnotiz g): millefoliam.], welche einen ellenlangen Saamenstiel hat, ästig ist …"

usw. usf.

Freundliche Grüße,
Ralf

1 Like

Um es vorweg zu nehmen: In dem heutigen botanischer Namen Achillea millifolium in der binären Nomenklatur von Carl von Linné sind die in der Botanik des 17. Jhdts bereits geläufigen Gattungsnamen „Achillea“ und „Millefolium“ für die Schafgarbe zusammengefasst. Daß der Name mit dem griechischen Superstar Achilleus assoziiert wird, geht tatsächlich letztendlich auf eine Passage in Homers Ilias zurück. Siehe unten.

Aber erstmal etwas weiter ausgeholt:
Der Sagenkreis um Achilleus - d.h. die Sammlung von literarischen Erwähnungen über Geburt, Jugendzeit, Heldentaten, Tod und vor allem sein Leben nach dem Tod - gehört zu den umfangreichsten über einen der griechischen Superhelden überhaupt. Allerdings sind die meisten der antiken Literaturen nicht im Original erhalten, sondern über Zitate jüngerer Autoren überliefert. Es gibt sogar Hinweise, daß die mythische Gestallt sogar vorgriechische Vorläufer hat.

Die unmfangreichste Sammlung, der επικος κυκλος („der Epische Kreis)“) zu dem z.B. auch die erwöhnten Kypria gehören, und die sog. „Kleine Ilias“, stammt aus der Zeit Homers und sie enthält das älteste Sagenmaterial. Es wird daher vemutet, daß auch Homer auf bereits in Umlauf befindliche Sagendetails zurückgegriffen hat. Andere Autoren, von Pindar, die Achilleis-Trilogie des Aischylos, der (verlorere) Telephos des Euripides, aber auch dessen Iphigenie in Aulis und Medea, ferner die Orphischen Argunautika des 5.Jhdts, Eratosthenes, Apollodoras, Plutarch bis zu Plinius, Ovid, Vergil, vor allem auch die (byzantinische Sammlung älterer Quellen) Scholia ad Illiadem: Sie alle enthalten Details über das Leben, die Taten und Fähigkeiten des Achilleus.

Die Unverwundbarkeit des Achill „bis auf seine Ferse“ stammt jedoch gar nicht von Homer, sie wird weder in Ilias noch in Odyssee erwähnt. Der Tod des Achill wird zwar in Odyssee Buch 24.35ff erwähnt, aber nicht, wer ihn tötete. Es war nach anderen Quellen Apollon, der ihm einen Pfeil in die Ferse schoß.

Nach den Orphischen Argonautika und nach Pausanias wurde Achilleus von dem Kentauren Cheiron erzogen und von diesem wiederum unter anderem mit Asklepios, dem Gott der Heilkunst zusammengebracht. Nach den Scholia ad Illiadem und Plutarch wurde ihn dabei insbesondere die Heilkunde gelehrt.

Die Heilung der Oberschenkelwunde des Telephos durch den Speer des Achilleus, wird von diesem nach dem Scholium ad Illiadem und Hyginus durch von ihm abgeschabtes Eisen seines Speers durchgeführt. Bei Plinius in Buch 34.135, durch Rost („Est et robigo ipsa in remediis“), bzw. durch Bronze (aerea) bzw. Eisenspäne (ferrea) von seinem Speer: Aber allein in Buch 25.42, wie von @Tychiades erwähnt, heile er - so Plinius - entweder durch Bronze (aeruginea) oder durch Heilmittel, die als „Achilleos“ (Plural) bezeichnet seien (an dieser Stelle ist die von @Tychiades zitierte Übersetzung von Johann Daniel Denso falsch), und auch den Telephos habe er so geheilt.

Und wieder nach einigen - so Plinius - sei das Kraut, das Achilleus benutzte, ein Wundermittel (panax) namens heraclia, oder eine Pflanze, die man „bei uns“ als milifolia (sic!) bezeichne.

Und diese lateinische Milifolia ist unsere Schafgarbe. Daß damit die „Achilleos“ gemeint seien, war nach Plinius ja nur die Meinung einiger. Aber bereits im 1. Jhdt. n. Chr. wurde das „Achilleion“ mit „Millefolium“ identifiziert, z.B. bei Pedanios Dioskurides. Siehe → hier.

Die Quelle dieser römischen Tradition, die Heilkunst des Achilles als „Achilleos“ bzw. „Achilleion“ zu bezeichnen, ist zweifellos die Ilias des Homer: In Ilias Buch XI Vers 830-848 heißt es (ich zitiere die Übersetzung von Johann Heinrich Voß, 1793):

Wasche das schwärzliche Blut; auch lege mir lindernde Salb’ auf,
Heilsame, welche du selbst von Achilleus, sagt man, gelernet
Ihm, den Cheiron gelehrt, der gerechteste aller Kentauren.


Ihm antwortete drauf Menoitios’ tapferer Sprössling:
Wie kann solches geschehn? was machen wir, Sohn des Euaimon?
*Eilend muss ich Achilleus dem Feurigen melden die Botschaft, *


Sprach’s und unter der Brust den Völkerhirten umfassend
Führt’ er ins Zelt; ein Genoss dort breitete Felle der Stier’ aus.
Hierauf streckt’ ihn der Held, und schnitt mit dem Messer den scharfen
Schmerzenden Pfeil aus der Lend’; auch rein mit laulichem Wasser
Wusch er das schwärzliche Blut; dann streut’ er bittere Wurzel
Drauf, mit den Händen zermalmt, die lindernde, welche die Schmerzen
Alle bezwang; und es stockte das Blut in erharschender Wunde.

Die „bittere Wurzel“ (ριζαν πικρην) des Homerischen Achilleus ist dann offenbar später als das Millifolium identifiziert worden, weil es ja eben diese Fähigkeit des Blutstillens hat.

Gruß
Metapher

3 Like

Addendum

Der Verwundete hier in der Ilias-Szene ist Eurypylos, und der Heilende ist Patroklos, der geliebte Freund des Achilleus.

Hi @Paul_6a77cf

du hast vor mehr als 1 Woche Antworten zur Lösung deiner Problemstellung bekommen. Sogar recht aufwendige. Es wäre sehr willkommen, zu erfahren, ob du sie überhaupt wahrgenommen hast.

Freundlichen Gruß
Metapher

2 Like