'ad-orare', 'an-beten'

hallo,

im Chor singen wir derzeit „adeste fideles“ und dabei diskutiere ich mit unserem Chorleiter über lateinische Wortrennungen. heißt es „a-do-re-mus“ oder „ad-o-re-mus“?
Er meint die erste Variante ist richtig weil es (leider) überall so gesungen wird (meiner Meinung nach nur Nachlässigkeit oder Unwissenheit), ich bin für die zweite Variante, da „ad“ eine Vorsailbe zum Verb „orare“ ist. Leider finde ich im ganzen Internet nichts richtiges, das meine Meinung bekräftigt. Selbst in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Adeste_Fideles) wird falsch getrennt: „A-deste“ statt „Ad-este“. Oder bin ich da auf dem Holzweg? Wer kann mir kompetent helfen?

Andreas

Moin,

über richtig oder falsch kann ich nichts sagen, weil ich es nicht weiß. Ich frage mich überhaupt, ob es Regeln zur Worttrennung gibt die schon in klassischer bis mittelalterlicher Zeit festgelegt wurden.
Bei einem deutschen Chor klingt auf jeden Fall die Trennung „a-do-re-mus“ und „a-deste“ besser. Wir Deutsche sprechen nämlich weiche Konsonanten am Silbenende hart aus, und so wird bei der Trennung „ad-o-re-mus“ aus dem weichen d ein explodierend behauchtes th.
Dieselbe Erscheinung findet man bei
b->ph und g->kh.

Dann erhält im Deutschen jeder Vokal am Anfang einer Silbe einen Knacklaut, der sich beim Gesang nicht schön anhört. Geübte Sänger trainieren diesen Knacklaut weg, aber das braucht seine Zeit und ich frage mich, ob man das einem ganzen Chor beibringen kann.

Falls also jemand bestätigt, dass die Trennung „a-do-re-mus“ eigentlich richtig ist, erzähl das nicht dem ganzen Chor. Die Ohren des Publikums werden es Dir danken :wink:

Grüße
Pit

Hallo,

Ich frage mich überhaupt, ob es Regeln zur
Worttrennung gibt die schon in klassischer bis
mittelalterlicher Zeit festgelegt wurden.

Ja, die gibt/gab es. Die Silbentrennung war vor allem für die Betonung wichtig. Da macht es einen großen Unterschied, ob eine Silbe offen („a-doremus“) oder geschlossen („ad-oremus“) ist. Nicht in diesem Fall, aber generell.
Die Silbentrennung im Lateinischen war/ist der des Deutschen sehr ähnlich, bis auf wenige Ausnahmen (wenn überhaupt) identisch. So gehört in eigentlich allen Sprachen bei einer Kombination von CVCV… (C=Konsonant; V=Vokal) der 2. Konsonant auch zur zweiten Silbe, nicht zur ersten. Silben, die wirklich komplett ohne Konsonant (und dazu zählt der Glottalverschluss) beginnen (also V oder VC), gibt es im Deutschen und Lateinischen höchstens nach Silben, die auf Vokal auslauten, also CV.VC zum Beispiel.

Zurück zum Thema: man kann Wörter nach Silben (Aussprache) trennen, und nach Morphemen (also Bestandteilen). Bei „adeste“ wäre die Silbentrennung „a.des.te“ und die Morphemgrenzen bei „ad-es-te“ (Glossierung: an-sein.IMP-IMP.PL). Bei „adorare“ entsprechend „a.do.ra.re“ bei der Silbentrennung und „ad-ora-re“ (an-beten-INF), wenn mich meine Lateinkenntnisse nicht täuschen.

Dann erhält im Deutschen jeder Vokal am Anfang einer Silbe
einen Knacklaut, der sich beim Gesang nicht schön anhört.
Geübte Sänger trainieren diesen Knacklaut weg, aber das
braucht seine Zeit und ich frage mich, ob man das einem ganzen
Chor beibringen kann.

Dazu gibt es ein paar Ausnahmen in Dialekten (schweizerdeutsches „bearbeiten“ hat diesen Knacklaut nicht) und einigen Fremdwörtern („Chaos“ ist zweisilbig, sollte aber auch im Hochdeutschen keinen Glottalverschluss haben). Aber generell stimmt’s natürlich.

Unsere Begründungen sind in etwa gleich, ich wollte nur noch einmal den Unterschied zwischen Trennung nach Silben und Trennung nach Morphemen hervorheben, der den Ursprungsfragesteller wohl verwirrt hat.

Im Deutschen gibt’s noch eine Trennung: die orthografische, nicht nicht immer mit der Sprechsilbentrennung übereinstimmt. Soweit ich weiß, wird „Elefant“ und „Ameise“ schriftlich immer noch als „Ele-fant“ und „Amei-se“ getrennt, während gesprochen nachtürlich die Silbengrenzen als „E-le-fant“ und „A-mei-se“ verlaufen.
Eine Trennung nach Morphemen ist im Deutschen hier nicht sinnvoll, da beide Wörter nicht aufteilbar sind (sie sind monomorphemisch).

Viel-e Grüß-e aus der süd-chinesisch-en Stadt Kunming,
Vie.le Grü.ße aus der süd.chi.ne.si.schen Stadt Kun.ming,

  • An.dré Mül.ler*

P.S.: Bei meinem Nachnamen „Müller“ ist die Silbentrennung nicht ganz so leicht, da nur ein [l] gesprochen wird und die Silbengrenze je nach Theorie entweder genau darauf liegt, oder davor. Das nennt man Silbengelenk, aber in der Germanistik wird oft gesagt, dass es sowas nicht gibt, dort wird dann meines Wissens in der Aussprache [ˈmʏ.lɐ] getrennt…

Nachtrag
Im verlinken Wikipediabild zu „A-des-te fi-del-es“ wundert mich stark die Trennung bei „-del-“. Soweit ich weiß, wird nach Sprechsilben dort „fi-de-les“ getrennt. Eventuell Einfluss der englischen Orthographie, die nicht nach Sprechsilben, sondern nach relativ abstrusen Regeln trennt?

  • André

Hi,

man muss zwei Dinge auseinanderhalten: Morpheme und Sprechsilben. Adorare wird ad-ora-re in Morpheme geteilt (ad + orare = ansprechen) und so ist dann auch die Silbentrennung (wann die Silbentrennungsregeln fürs Lateinische entstanden sind und ob es überhaupt originär lat. Trennungsregeln gibt oder ob man einfach deutsche Regeln überträgt, weiß ich nicht.) Adeste wird ad-este getrennt (Präfix ad + Simplex este von esse). Ausgesprochen sollte es aber a-do-ra-re sowie a-des-te werden. So nämlich würde ein Italiener oder Franzose oder anderer Romane sprechen, und deshalb war im Lateinischen so die Aussprache, soweit man rekonstruieren kann. Ich bin der Meinung, dass lateinische Texte soweit wie möglich authentisch ausgesprochen werden sollten, es klingt viel besser. Die Aussprache athʔorare hört sich schrecklich an. Ich weiß, dass man die antike Aussprache nicht erreichen kann, aber man kann sich bemühen, die Regeln, die man rekonstruieren kann und die man nachahmen kann, ohne sich die Zunge zu verrenken, zu befolgen. Und man sollte übrigens auch versuchen, sich den Knacklaut vor Vokalen am Wortanfang wegzutrainieren.

Viele Grüße

Marco

@gargas, André, Marco

danke für Eure Antworten. Aber so richtig glücklich bin ich damit noch nicht. Nach Euren Erklärungen und aufgrund der weitreichenden Übereinstimmung der Trennung im Lateinischen und im Deutschen müßte man dann bei uns ja auch anders trennen und bei der Aussprache jeden Schlußkonsonanten der Vorsilbe zum Anfangsvokal des Stammwortes hinzufügen:

Die Teppich-reinigung und die Ve-reinigung sind beides Reinigungen. Die Teppich-reinigung reinigt Teppiche. Was aber reinigt die Ve-reinigung?

Außerdem: e-robern, No-tarzt, au-sufern, en-tweder … :frowning:

Ist das richtig, nur weil es auch viele Deutsche falsch aussprechen? Oder steht es gar irgendwo in der Rechtschreibreform? Mich schüttelt es, wenn ich die vorgennannten Beispiele so ausspreche, wie ich sie geschrieben habe.

Kleiner Exkurs: Wenn Marco sich auf die Aussprache der alten Lateiner beruft, dann könnten ja auch die Franken sich auf ihre Aussprache berufen und als richtig erklären. Oder ein Franzose beruft sich auf die Aussprache des Franken, weil der ja Deutscher ist und es folglich richtig macht. Beispielsatz: Beder seddsd sich an sein Schreibdisch.

Nun ja, wahrscheinlich werden wir das hier nicht abschließend klären können. Nochmals Danke

Andreas

Hallo Andreas,

Die Teppich-reinigung und die Ve-reinigung sind beides
Reinigungen. Die Teppich-reinigung reinigt Teppiche. Was aber
reinigt die Ve-reinigung?

Dass sind gute Beispiele, aber bei der Silbentrennung geht es nicht nach der Schreibung, sondern nach der Aussprache. Und siehe da: das „ver“ in Vereinigung endet gar nicht auf einen Konsonanten, während „ei“ auch nicht mit einem Vokal beginnt. Das /r/ wird hier als Vokal gesprochen, weit wichtiger ist aber, dass „Einigung“ mit einem Konsonanten beginnt, und zwar dem Glottalverschluss [ʔ] (glottal stop): [fɛɐ̯.ˈʔaɪ̯.ni.ɡʊŋ], das trifft auch auf die Wörter hier zu:

Außerdem: e-robern, No-tarzt, au-sufern, en-tweder … :frowning:

[ʔɛɐ̯.ˈʔoː.bɐn], [ˈnoːt.ʔaɐ̯t͡st], [ˈʔaʊ̯s.ʔuː.fɐn], [ˈʔɛnt.veː.dɐ], alle diese Silben fangen mit einem Konsonanten an, auch wenn der nicht immer geschrieben wird (würde man ihn mitschreiben, hieße es z.B. er’obern, Not’arzt, aus’ufern, Ver’einigung, der Apostroph stellt hier den Konsonanten dar.
Es sind nur relativ wenige Wörter, wo die Silbentrennung wirklich zwischen zwei reinen Vokalen stattfindet, ich hatte das Beispiel „Chaos“ [ˈkʰaː.ɔs] genannt, evtl. ließe sich das aber auch mit Glottalverschluss aussprechen, also wie „Kah-oss“.

Ist das richtig, nur weil es auch viele Deutsche falsch
aussprechen? Oder steht es gar irgendwo in der
Rechtschreibreform? Mich schüttelt es, wenn ich die
vorgennannten Beispiele so ausspreche, wie ich sie geschrieben
habe.

Im Süddeutschen (ich denke da an die Schweiz) werden die Glottalverschlüsse meist nicht mitgesprochen, dort sagt man in der Tat „e-ro-bern“ und dergleichen. Ob das Auswirkungen auf die (nicht-orthographische) Syllabifizierung, spr.: Versilblichung, hat, weiß ich leider nicht.

Kleiner Exkurs: Wenn Marco sich auf die Aussprache der alten
Lateiner beruft, dann könnten ja auch die Franken sich auf
ihre Aussprache berufen und als richtig erklären. Oder ein
Franzose beruft sich auf die Aussprache des Franken, weil der
ja Deutscher ist und es folglich richtig macht. Beispielsatz:
Beder seddsd sich an sein Schreibdisch.

Das versteh ich nun irgendwie nicht ganz… wieso Franken? Wieso sollte sich an der Aussprache (in Bezug auf die Silbeneinteilung) des Lateinischen etwas geändert haben?

Nun ja, wahrscheinlich werden wir das hier nicht abschließend
klären können. Nochmals Danke

Och, eventuell doch… nur die Schreibweise im verlinkten Wiki-Bild ist mir ein wenig schleierhaft… dieses „-del-“ passt da gar nicht rein.

Grüße,

  • André

aufgrund der
weitreichenden Übereinstimmung der Trennung im Lateinischen
und im Deutschen

hier sagte ich ja, dass ich nicht sicher bin, wann die Trennungsregeln entstanden sind. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich, dass wir in Deutschland einfach die deutschen Trennungsregeln übertragen. Im antiken Rom jedenfalls gab es keine Trennungsregeln, auf Inschriften wurde getrennt, wie Platz auf dem Stein war. Deshalb darf man aus der Übereinstimmung der Trennungsregeln nicht zuviel schließen.

müßte man dann bei uns ja auch anders trennen
und bei der Aussprache jeden Schlußkonsonanten der Vorsilbe
zum Anfangsvokal des Stammwortes hinzufügen:

Die Teppich-reinigung und die Ve-reinigung sind beides
Reinigungen. Die Teppich-reinigung reinigt Teppiche. Was aber
reinigt die Ve-reinigung?

Ich hatte gehofft, es wäre aus meiner ersten Antwort klar geworden, dass man Silbentrennung und Aussprache trennen muss. Die Ver-einigung trennt man ja so, weil es so zusammengesetzt ist, und im Norden des deutschen Sprachgebiets spricht man so auch aus (mit Knacklaut vor dem Ei). Die süddeutsche Aussprache Ve-reinigung ändert an den Morphemgrenzen nichts. Genauso wenig wie die Aussprache a-dorare etwas daran ändert, dass das Wort aus ad und orare zusammengesetzt ist.

Außerdem: e-robern, No-tarzt, au-sufern, en-tweder … :frowning:

Ist das richtig, nur weil es auch viele Deutsche falsch
aussprechen?

e-robern wird im Süddeutschen - wie André schon sagte - tatsächlich so gesprochen. Aber von wem hast du die anderen Aussprachen gehört? Hier hast du das, was ich in meiner ersten Antwort fürs Lateinische sagte, vorschnell aufs Deutsche übertragen. Wenn Notarzt und ausufern lateinische Wörter wären, hätten die Römer wahrscheinlich tatsächlich No-tarzt und au-sufern gesagt. Von deutschen Sprechern habe ich das aber noch nie so gehört. Aber selbst wenn es diese Aussprache in irgendeinem Dialekt geben sollte, ändert das nichts an den Silbentrennungsregeln. Und wenn es diese Aussprache geben sollte, dürfen wir diese auch nicht gleich als falsch deklarieren, es wäre halt eine Dialektaussprache, so wie e-robern im Süddeutschen.

Kleiner Exkurs: Wenn Marco sich auf die Aussprache der alten
Lateiner beruft, dann könnten ja auch die Franken sich auf
ihre Aussprache berufen und als richtig erklären. Oder ein
Franzose beruft sich auf die Aussprache des Franken, weil der
ja Deutscher ist und es folglich richtig macht. Beispielsatz:
Beder seddsd sich an sein Schreibdisch.

Das hat nichts mit Silbentrennung zu tun, sondern mit Dialekt und Schriftsprache.

Gruß

Marco