ADS übersehen (?)

Hallo Leute,

bei der 9-jährigen Tochter meiner Freundin ist gestern nach wochenlanger Diagnostik beim Kinderpsychologen ADS festgestellt worden. Das eigentliche Drama ist erst nach dem Lehrerwechsel ans Tageslicht gekommen. Die ersten zwei Jahre waren für Natalie´s Eltern völlig unauffällig. Von keinem Lehrer kam auch nur ein beunruhigendes oder negatives Wort. Erst der neue Lehrer äußerte sich von Beginn an besorgt, da Natalie oft völlig abwesend im Unterricht sei. Ihre Leistungen sind fächerübergreifend zwischen 5 und 6 ! Meine Freundin hat sich oft bei mir ausgeheult, da sie mit der Situation nicht gut umgehen konnte. Sie fühlt sich einfach hilflos, da bis vor dem Lehrerwechsel alles in Ordnung schien. Mir kommt aber so langsam der Verdacht, dass die erste Lehrerin Natalies Verhaltensauffälligkeit einfach übersehen hat. ADS tritt schließlich nicht von jetzt auf gleich auf und im Nachhinein kommen viele Kleinigkeiten wie in einem Puzzle zusammen.
Haben Natalies Eltern eigentlich eine rechtliche Möglichkeit, die betreffende Lehrkraft auf den „Topf zu setzen“? Ich bilde mir ein ein ausgebildeter Pädagoge darf so etwas nicht übersehen. Bei ADS´lern mit Hyperaktivität fällt es gleich jedem ins Auge, aber auch das Gegenteil - völlige Introvertiertheit und Abwesenheit muß doch einem Lehrer auffallen. Oder nicht? Nach den Weihnachtsferien soll ein Gespräch mit der alten, der neuen Lehrkraft sowie dem Schuldirektor stattfinden. Inwieweit ist eigentlich ein Lehrer „verantwortlich“ für derartig große Fehleinschätzungen? Oder heißt es einfach Pech gehabt? Immerhin wäre Natalie viel Leid erspart geblieben und außerdem hätte sie viel früher entsprechend gefördert werden können. Was sollen die Eltern nun tun? Was kann ich als Freundin tun, außer zuzuhören?

Viele Grüße
Sarah

Hallo Sarah-Mae,
es gibt so viele Kinder mit irgendwelchen Auffälligkeiten, da ist es sicherlich nicht einfach ein bestimmtes Symptom innerhalb einer Klasse von bis zu 34 Kindern zu diagnostizieren. Wie du schon selbst schreibst:
„bei der 9-jährigen Tochter meiner Freundin ist gestern nach
wochenlanger Diagnostik beim Kinderpsychologen ADS
festgestellt worden.“ Was ich sagen will: Auch ein Kinderpsychologe braucht Wochen… und er ist allerin mit dem Kind und führt diagnostische Tests durch.
Ein Lehrer ist dafür nicht ausgebildet und ich frage mich, was von Lehrern noch alles erwartet wird. Es ist nämlich nicht so, dass Lehrer vormittags Recht und nachmittags frei haben!
Allerdings muss ich dir Recht geben, dass ein Lehrer schon einen Verdacht gegenüber den Eltern äußern können sollte. Die Aufgabe einer „echten“ Diagnose liegt aber woanders.
Was ist eigentlich mit den Eltern? Ist denen denn noch nichts im Umgang mit ihrer Tochter bzw. ihrem Verhalten aufgefallen? Eltern sind m. E. wohl die Ersten, denen evtl. „Anomalien“ auffallen sollten. Auch als Eltern kann man in einem Gespräch mögliche Verdachtsmomente erörtern.
Aber den schwarzen Peter allein dem Lehrer zuzuschieben halte ich für etwas naiv.
Und auf welchen „Topf“ willst du die Lehrerin denn setzen?
Liebe Grüße
Aragorn.

Hallo Aragorn,

vielen Dank für Deine Antwort.

Mir geht es keinesfalls darum einen „Schuldigen“ zu finden! Das würde ja auch niemandem helfen. Und wie heißt es so schön: im Nachhinein ist man halt immer schlauer.

Ich denke auch, dass es den Verantwortungsbereich eines Lehrers völlig sprengen würde, sollte er Diagnosen wie ADS stellen müssen. Der Lehrerberuf ist m. E. in der heutigen Zeit ohnehin äußerst schwierig und ich habe große Achtung vor all denen, die sich trotzdem trauen.

Den Eltern (und auch mir als „Außenstehende“) ist an Natalie nie irgendetwas außergewöhnliches aufgefallen. Sie war halt schon immer eher still und nachdenklich. Aber es gibt eben solche und solche Charaktere; da gab es nie einen Grund zur Sorge. Über ihr Verhalten in der Schule müssen Eltern von den Lehrern aufgeklärt werden, denn sie sind ja nicht dabei. Wie gesagt, der Lehrer hätte sicher nicht sagen müssen er vermute bei Natalie ein ADS, aber wenigstens, dass sie übermäßig verträumt und abwesend dort sitzt und sich NIE am Unterricht beteiligt. Es muß doch auffallen, wenn ein Kind über zwei Jahre praktisch nur physisch anwesend ist. Oder nicht? Ich weiß es nicht, darum frage ich. Ich habe keine Ahnung, wie es heutzutage in Klassenzimmern zugeht, sondern immer nur meine eigene Grundschulzeit vor Augen, die nun schon fast 30 Jahre zurück liegt.

Mein Gefühl sagt mir ganz einfach, dass zwei Jahre eine lange Zeit sind und ein Lehrer durchaus in der Lage sein könnte ein stilles Kind von einem „gestörten“ Kind zu unterscheiden. Dem neuen Lehrer ist es schließlich auch innerhalb weniger Wochen aufgefallen. Aber vielleicht liege ich da auch völlig falsch. Mir tut Natalie einfach leid, denn sie kann am wenigstens dafür.

Liebe Grüße von
Sarah

Ich kenne nun die genauen Symptome nicht - wenn sich das Kind aber wirklich nie beteiligt hat, muß das doch so auch in den Zeugnissen gestanden haben! Wieviel Schüler sind denn in der Klasse?
Zudem ist die mangelnde Fähigkeit der Lehrer zur Diagnostik ein Kritikpunkt an der Lehrerausbildung, der auch immer wieder hier an der Uni genannt wird.

(Erstmal) Hallo (!) Seliador!" :wink:
Eine derartige Kritik an der Lehrerausbildung kann ich nicht unbedingt teilen. Natürlich kann sich jeder Studierende das Leben leicht machen und nur die „lauen“ Seminare besuchen und davon nur die nötigsten, um alle notwendigen Scheine zur Anmeldung zum Staatsexamen zu bekommen.
Aber ich denke, dass das Problem wohl eher bei den zukünftigen Lehrkräften liegt: Sehe ich den Lehrberuf wirklich als Berufung, so muss ich mich doch auch freiwillig mit Themen wie Dyskalkulie, Dyslexie, ADS usw. beschäftigen.
Lehren und Lernen funktionieren nun mal nicht immer reibungslos und daher sehe ich es als Pflicht einer jeden Lehrkraft sich auch mit dem Thema „Lernstörungen“ zu beschäftigen.
Viel Erfolg!!!
Aragorn