Aktive Sterbehilfe und der Widerstand der Politik dagegen

Danke, den Kommentar fand ich lesenswert!

Lustig, dass die Kommentatorin quasi prophezeit hat, welche Vokabeln hier im Thread auftauchen werden: Dammbruch, Büchse der Pandora usw. :wink:

Gruß
F.

Genau das habe ich mir auch gedacht.

Es gilt aber für beide Seiten, dass sie Argumentationsmuster sich bei diesem Thema stetig wiederholen. Ich vertrete „seit schon immer“ das quasi römische, vorchristliche Modell.

Gruß
vdmaster

Das ist richtig, aber m.E. nur teilweise, weil eine Seite auch empirisch argumentiert, die andere fast ausschließlich pastoral.
Die Wiederholungen zeigen aber auf jeden Fall den enormem Patt in der ganzen Diskussion, der m.E. aber weniger ein Patt innerhalb der Bevölkerung ist, sondern mehr ein Patt zwischen der deutlichen Bevölkerungsmehrheit und diversen Expertensystemen - oder wie es der Soziologie Klaus Feldmann formuliert hat: „Manche Studien ergeben, dass die kognitiven Welten und die Prioritäten der Betroffenen und der Expertendiskurse über gutes Sterben große Diskrepanzen aufweisen“.

Dass Feldmann bei diesen „manchen Studien“ ausgerechnet diesen Artikel von Gott et al. anführt, zeigt seinen großartigen Humor. A echta Weana höd!

Gruß
F.

Streiche „pastoral“, setze „prinzipiell“.

Ich drehe es zudem einmal um: Selbst falls mir jemand nachweisen würde, dass bei 20% der Fälle aktiver Sterbehilfe ein Mißbrauch im Sinne der Tötung entgegen dem geäußerten oder vermuteten Wunsch des Betroffenen vorliegen, würde mich das nicht von meinem Prinzip (oder meiner fundamentalen Position) abbringen, dass der Freitod selbst ein Naturrecht darstellt und bereits allein deswegen die Beihilfe unbestraft bleiben muss.

Das gilt selbstredend nicht für die Fälle des nachgewiesenen Mißbrauchs.

Gruß
vdmaster

Nein, ich beharre auf meinem „pastoral“ :wink:

„Du dummes Schäfchen, wenn du mal genau nachdenken würdest, welchen Dammbruch du da lostrittst … die Büchse der Pandora öffnet sich … siehe am NS, wohin es führen kann … ich werde es dir mal klar machen, dann dämmert es dir … ich werde dir die Wahrheit verkünden“ <- pastoraler Diskurs (in dem ein ‚Ich‘ ein ‚Du‘ zu Heil und Wahrheit führt)

„Selbstbestimmung! … Ich hab ein Recht auf mein eigenes Leben! …“ <- prinzipieller Diskurs (zwar genauso Beharren auf einem universellen Prinzip, aber kein Ich-Du-Verhältnis; dem ‚Ich‘ ist es völlig wurscht, ob das ‚Du‘ dann sein Selbstbestimmungsrecht ausübt oder nicht, solange es ‚mir‘ nicht verwehrt wird)

.

Mit %-Überlegungen tu ich mir hier schwer.
Für mich kommt es auf darauf an, was der Hintergrund dafür ist.
So wäre ich in einem totalitären Regime schon zurückhaltender, die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe einzufordern.

Ansonsten beruht das Prinzip bei mir eh nicht auf einer „philophischen Überzeugung“, sondern schlicht auf existentieller Angst: Ich habe halt vor dem erzwungenen Lebenmüssen weit mehr Angst als vor dem erzwungenen Sterbenmüssen. Entsprechend ist dieses Prinzip selbst, dass das Sterbendürfen mein unverhandelbares Recht ist, völlig unabhängig von Missbrauchsquoten.

Gruß
F.

Im Großen und Ganzen stimme ich Dir zu, bei dem Thema passive Sterbehilfe sind wir ja noch nicht mal auf menschenwürdigem Niveau gelandet. Da brauchen wir über aktive Sterbehilfe garnicht diskutieren. Ich habe im Altenheim erlebt, wie alte Menschen ohne die geringste Chance ins Leben zurückzukehren jahrelang an Apparaten als Einnahmequelle für das Heim dienten. Jesus hätte gesagt, ich bin ohne Apparat auf die Welt gekommen, also möchte ich auch ohne Apparat sterben dürfen.
Thomasevangelium Logion 53: Seine Jünger sagten zu ihm: Nützt die Beschneidung oder nicht? Er sagte zu ihnen: Wenn sie nützte, würde ihr Vater sie beschnitten aus ihrer Mutter zeugen.
Aber die wahre Beschneidung im Geist fand allen Nutzen.

Mit Deinem letzten Satz bin ich allerdings überhaupt nicht einverstanden. Denn der Mensch entwickelt sich stetig.

Hallo,

wie ich an anderer Stelle schon einmal schrieb, sind Personen mit bestimmten Erkrankungen gar nicht mehr in der Lage, ihre Entscheidungen in der Hinsicht rational zu treffen. Sei es, weil die Erkrankung die Urteilsfähigkeit generell beeinflußt, sei es, weil sie unter dem Einfluß ihrer Erkrankung/ihrer Schmerzen vorübergehend dazu nicht in der Lage sind.

So liest man heute von einem Patienten, der angibt, lieber sterben zu wollen als bis zu acht Monate (bis die rechtlichen Vorgänge, die zur Genehmigung eines schmerzstillenden Medikamentes abgeschlossen sind) mit den aktuellen Schmerzen leben zu müssen. Auch wenn acht Monate mit derartigen Aussichten sicherlich ein elend langer Zeitraum sein können: sie sind vergleichsweise geringfügig im Vergleich zur auf diesen Zeitraum fast oder vollständig schmerzfrei folgenden Lebensspanne. Ein besseres Argument gegen die aktive Sterbehilfe fällt mir - neben den von Wolfgang genannten - kaum ein.

Gruß
C.

Schön, dass du das Thema nochmal hochbringst!
Ich habe selbst vorgestern einen philosophischen Artikel zur Aktiven Sterbehilfe gelesen (da gings um Spekulationen, ob der große Spinoza diese in Anspruch genommen hat), so dass bei mir dieses Thema wieder sehr präsent war.

Das stimmt vollkommen.
Man wird für sie entscheiden müssen. Auf der Basis äußerer Kriterien und auf der Basis früherer Willensentscheidungen.
Exakt das, was bei der Thematik „lebenserhaltende Maßnahmen“ auch längst der Punkt ist, bei der es auch schon um die Findung des mutmaßlichen Willens und auch schon um Leben oder Tod geht.

Ich bin keineswegs der Meinung, dass jede Leidensäußerung „lassts mich doch sterben!“ gleich ohne Wenn und Aber zu erfüllen ist.

Ich verstehe nicht, warum du hier so pauschalierend vorgehst.
Das spricht in der Tat dagegen, jedem Sterbewunsch einfach so nachzukommen und z.B. nicht zwischen „zeitstabilen“ Sterbewünschen und situativen Sterbewünschen, die erkennbar mehr ein Hilfeschrei als der echte Wunsch zu sterben sind, zu unterscheiden.
Es spricht aber sicher nicht dafür, aktive Sterbehilfe generell zu untersagen.
Ich finde jede Verweigerung der „Gratwanderung“ (totale Erlaubnis, totales Verbot) schlicht völlig falsch.
Der medizinische Fortschritt macht den Tod nach und nach immer mehr zum „unnatürlichen Tod“, also zum Tod, der auf Entscheidungen beruht. Dogmen wie die von Wolfgang helfen da nicht weiter. Wir sind halt einfach nicht mehr im Jahr 1945.

Gruß
F.