kann einer der philosophischen cracks hier einem Laien sagen, ob - und wenn ja in welcher Weise - Spinozas Kanon von „natura naturans“ und „natura naturata“ in den modernen Diskurs um Fragen zu Umweltzerstörung, Konsumwut etc. eingeflossen ist?
Über Literaturhinweise freue ich mich, natürlich auch über eure eigenen Antworten auf meine Frage.
Lieber Gruß von Kalaf
natura naturans u. naturata
Hi, Kalaf,
ob - und wenn ja in welcher Weise - Spinozas Kanon von „natura naturans“ und „natura naturata“ in den modernen Diskurs um Fragen zu Umweltzerstörung, Konsumwut etc. eingeflossen ist?
Der Topos (sic! Ein „Kanon“ ist das nicht) der Nebeneinandersetzung von natura naturans und natura naturata spielt zwar bei Spinoza eine besondere Rolle, aber keineswegs nur bei ihm. Er ist bereits bei Aritoteles zu finden, in der Aristoteles-Rezeption des Averroes, Albertus Magnus, Thomas v. Aquin und bei zahlreichen anderen Philosophen der Scholastik vor Spinoza.
Näheres dazu in einem Archivartikel von mir:
/t/natura/4212582/2
Er hat allerdings jeweils eine leicht unterschiedliche Konnotation, die hier zu erläutern den Rahmen sprengen würde.
Eine sehr wesentliche Rolle spielt er dann wieder in der Naturphilosophie von Schelling. Nun hat die Geschichte der Naturphilosophie (und NUR darin spielt der Topos eine Rolle) bei Hegel und Schelling nicht nur ihren Höhepunkt, sondern auch ihren Schlußstein gehabt. Was seitdem „Naturphilosophie“ genannt wird ist - grob gesgat - lediglich eine etwas intelligentere Reflektion naturwissenschaftlicher Resultate, die von den vorgängigen philosophischen Bemühungen in der Regel kaum beleckt ist.
Jedenfalls spielen die o.g. genannten Begriffe darin keine Rolle mehr, zumal sie auch zu der von dir erwähnten Umweltzerstörungsdiskussion tatsächlich nichts betragen könnten.
Eher einen Beitrag spielt eine andere Unterscheidung klassischer Naturphilosophie: Eine die in Hegels NPh eine grundlegende Rolle spielt. Das ist die Unterscheidung eines 1. theoretischen und 2. praktischen Verhältnisses des Menschen (bei Hegel: des Geistes) zur Natur.
Das theoretische Verhältnis ist jenes, das Natur zu „begreifen“ anstrebt. Darein fällt sowohl der Topos von „naturans“ und „naturata“, als auch (unter anderem!) die empirische Naturerkenntnis. In das praktische Verhältnis dagegen gehört die Auffassung der Natur als „zum Gebrauche“ bestimmt. Hegel nennt es das „usurpatorische Verhalten“, das die Natur benutzt, sie aber dabei eben zerstört.
In beiden Varianten des Naturverhaltens sieht Hegel bereits damals eine fehlerhafte und katastrophale Auffassung, die eine Korrektur notwendig macht. Und diese Korrektur ist unter anderem das Ziel und Anliegen seiner Naturphilosophie.
Wie dieses Programm bei ihm aussieht, darüber gibt es einen Überblick in einer Abhandlung von mir:
Manfred Gies: „Naturphilosophie und Naturwissenschaft bei Hegel“ (1986)
Kasseler philosophische Schriften Bd. 15
in Kassel nicht mehr beziehbar. Auf Wunsch bei mir
Daß Hegels Bemühungen in der heutigen Naturdiskussion nur noch in Fachkreisen herangezogen werden, liegt daran, daß Hegel an den Leser einen enormen Anspruch stellt (nicht nur seine NPh). Man bevorzugt halt mundgerechte Argumentationen, die keine intellektuelle Arbeit kosten. Dementsprechend „erfolgreich“ sind sie.
Gruß
Metapher
Hi Kalaf,
Fragen zu Umweltzerstörung, Konsumwut etc.
Würde die Menschheit in der KONSEQUENZ denken, wie Spinoza Gott und Natur gleichsetzte, wäre möglicherweise weniger bzw. gar keine Umweltzerstörung bzw. Konsumwut gegeben, weil die Menschheit dann andere Ideale ERSTREBTE, als die bisher vorherrschenden…
Aber Spinozas Weltanschauung war für die damaligen Machtstrukturen zu GEFÄHRLICH und ist es sicherlich auch heute noch.
Spinozas Philosophie wurde zu seiner Zeit aufs Heftigste bekämpft, zum Beispiel mit persönlichen Angriffen, er sei ein „lichtscheuer Schreiber“, ein „dummer Teufel“, ein „blinder Glaukler“, ein „verblendeter Tropf“, ein „Narr, der geradewegs aus dem Tollhaus kommt“ oder einfach „ein elendiger Wicht“ und vieler andrerer Beleidigungen mehr.
Nichts desto weniger war Goethe von der Philosophie des Baruch Spinoza beeindruckt: „Ich fühle mich ihm sehr nahe, obgleich sein Geist viel tiefer und reiner ist als der meinige.“
Auch Einstein war von der Philosophie Spinozas beeinflusst, wie zum Beispiel auch der damalige Präsident der Akademie der Wissenschaften in München, Friedrich Heinrich Jacobi, der meint, dass die wahre Philosophie überhaupt erst bei Spinoza beginnen würde, mit der Frage, inwiefern sie darüber hinausgehen könne, wie sie ja Hegel dann KONSEQUENT zu Ende dachte, allerdings mit der berechtigten Kritik Schellings.
Gruß
C.
PS: Wahrscheinlich hast du es „umgekehrt“ gemeint?! Ich glaube eher, dass nicht Spinoza, sondern das Problem der Umweltzerstörung und der Konsumwut am Schlüssel des abendländischen Denkens zwischen Pythagoras (die Zahl als Prinzip) und Sokrates (der Mensch als Prinzip) sich entscheidet. Das aber betrifft nur den Einzelnen, die ganze Menschheit kaum.
D. O.
PS: Vielleicht ist die Philosophie doch nicht nur was für den Einzelnen? WIE?? Jedenfalls wenn man bedenkt, dass die Globalisierung zuerst von einem Kommunikationswissenschaftler vor mehr als 20 Jahren „eingeleitet“ wurde, bevor sich dann die Industriekonzerne und die Weltpolitik dieses Begriffs bemächtigte (ich meine den Medienphilosophen Professor Marshall McLuhan), dann hätte doch die Menschheit vielleicht gerade durch die „Weltvernetzung“ der Medien eine Chance, ihr eigenes Fehlverhalten zu reflektieren und umzudenken.
Doch zu spät, sagt der Mikrobiologe Prof. Frank Fenner, denn was auch immer wir unternehmen, der „Homo Sapiens“ stirbt aus, schon in 100 Jahren!!!
Allerdings, was versteht ein Mikrobiologe von der MACHT der Medien??? Die wirken auf jeden Fall! Nur die Masse will Spaß - und das ist ein Milliardengeschäft. Die wenige Aufklärung hat zwar ebenfalls eine Wirkung, aber eben gerade immer nur bei denen, die sowieso schon anders leben!?
D.O.
PS(2): Ich empfehle allen, die an der Frage Interesse haben, wie aktuell Spinoza ist, das Buch des führenden Hirnforschers der Welt, dem Amerikaner Prof. Antonio R. Damasio: „Der Spinoza-Effekt: Wie Gefühle unser Leben bestimmen“.
D.O.