Liebe Jessica,
erlauben Sie mir kurz eine grundsätzliche Anmerkung: In allen Fragen, die Ihr Kind betreffen, sollten Sie versuchen, möglichst ohne eigene Emotionen nur das Wohl des Kindes zu betrachten - so hat es der Gesetzgeber grundsätzlich aufgegeben, als er mit der Kindschaftsrechtsreform von 1996 ein eigenes Rechtsinstitut für Kinder geschaffen hat, das unabhängig von den Elternrechten besteht.
Außerdem sollten Sie meine Antwort unter der Einschränkung sehen, dass gerade im Familienrecht jeder Fall eine Einzelentscheidung ist, die sich sehr an den vorliegenden Tatsachen orientiert, weshalb hier nur allgemeine Hinweise gegeben werden können - im Zweifel bedarf es auf jeden Fall der Beratung durch einen kompetenten Anwalt; wenn Sie sich diesen nicht selbst leisten können, erhalten Sie beim zuständigen Amtsgericht einen so genannten „Beratungshilfeschein“, mit dem Sie die Anwaltskosten aus der Staatskasse ersetzt bekommen.
Zum Fall selbst:
Bei Ihnen liegt kein „geteiltes“ Sorgerecht vor, sondern das Gegenteil: Das gemeinsame Sorgerecht. Dieses haben Sie selbst vor nicht allzulanger Zeit begründet, indem sie eine Sorgerechtserklärung vor dem Jugendamt abgegeben haben - diese Tatsache wird bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf jeden Fall eine Rolle spielen, denn mit der Abgabe der Sorgerechtserklärung haben Sie zumindest zum damaligen Zeitpunkt Ihrem Expartner bescheinigt, dass Sie Ihn zur Betreuung und Erziehung Ihres Kindes als geeignet hielten.
Nun wollen Sie nach der Trennung das alleinige Sorgerecht beantragen. Die Gründe dafür suchen Sie in Gewalt gegen Sie selbst und einer Verurteilung in der Vergangenheit. Weiter führen Sie aus, der Mann habe sich bislang nicht um Ihren Sohn gekümmert.
Generell sind zwei Dinge zu unterscheiden: Das Sorgerecht auf der einen Seite, das den Eltern zusteht - durch die Abgabe der Sorgerechtserklärung zum jetzigen Zeitpunkt Ihnen beiden.
Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das so genannte „Umgangsrecht“ begründet; dieses Recht steht - ganz unabhängig vom Sorgerecht - dem Kind zu.
Bei allen weiteren Überlegungen sollten Sie bedenken, dass es unbedingter Wille des Gesetzgebers ist, dass einem Kind der Umgang mit beiden Elternteilen ermöglicht werden muss, solange nicht schwerwiegende Gründe dagegen stehen; diese dürfen ausschließlich in einer Gefährdung des Kindeswohls begründet werden.
Es besteht also die Gefahr, dass Ihrem Expartner auf jeden Fall der Umgang mit dem Kind zu gewähren ist, wenn dieser das will. Unter diesen Umständen ist das Begehren nach einem alleinigen Sorgerecht oft sinnlos, weil man dadurch die erhoffte endgültige Trennung nicht herbeiführen kann.
Die Aussichten für ein alleiniges Sorgerecht stehen etwa 50:50. Das Gericht wird die offenbar vorgekommenen Übergriffe bewerten müssen und untersuchen, ob darin eine Begründung gefunden werden kann, die einen Entzug des Sorgerechts rechtfertigt. Die Vorstrafe ist nicht einschlägig (wie es z.B. Sexualdelikte oder Kindesmisshandlungen wären), weshalb Sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu vernachlässigen sein wird.
In jedem Fall wird das Gericht prüfen, ob es eine Bindung zwischen dem Kind und dem Vater gibt, mit der jüngeren Tendenz, diese eher anzunehmen, als zu verneinen.
Ich empfehle Ihnen dringend, vor einem Prozess das Gespräch mit Ihrem Expartner zu suchen, auch wenn ich weiß, dass das oft schwer ist: Eifersucht, Groll aus der gescheiterten Beziehung, eine an die Stelle der Liebe getretene grundsätzliche Abneigung können sehr hinderlich sein. Wenn sie sich eine sachliche Diskussion nicht zutrauen, haben Sie das Recht darauf, dass das zuständige Jugendamt Sie bei dieser unterstützt.
Gemeinsam sollten Sie den richtigen weg finden, der das Beste für das Kind suchen muss. wenn Ihr Expartner, wie Sie meinen, ohnehin kein Interesse an dem Kind haben sollte, dann ist eine Sorgerechtsregelung eventuell auch ohne Schlammschlacht möglich.
Sollte er aber auf dem Umgang bestehen, dann müssen Sie Wege finden, wie man ihm diesen Umgang ermöglicht und das möglichst konfliktfrei. Sie müssen sich beide im klaren darüber sein, dass das schlimmste für Ihren Sohn sein dürfte, wenn er miterleben muss, wie die Eltern an ihm zerren. Ihre eigenen Befindlichkeiten müssen hinter dem Wohl Ihres Kindes zurückstehen und es ist Ihre und die Aufgabe Ihres Expartners, das in den Focus zu nehmen.
Wenn eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu umgehen ist, sollten Sie diese in keinem Falle ohne Anwalt führen.
Sollten weitere Fragen bestehen, dürfen Sie sich natürlich gerne wieder melden.
Ihnen und Ihrem Sohn viel Glück, Geduld und Kraft auf diesem schwierigen Weg,
Matthias.