Goethe zumindest dachte, seine Adressaten verspürten einen
Unterschied, und ließ den unbestimmten Artikel weg im Faust:
„Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.“
Wie kommst du darauf, dass er das dachte? Was macht dich denken, dass für Goethe „Hier bin ich ein Mensch“ etwas anderes bedeutete? Es hieße sicher das gleiche, passt aber nicht so schön in die Metrik.
Ich kann das so im Nachhinein natürlich schlecht sagen, aber ich würde da auch den Artikel weglassen… nicht, weil ich einen Unterschied damit implizierte, sondern weil es für mich natürlicher klingt.
Der Vollständigkeit
halber trotzdem mal der ganze Satz, um den es ging:
Als ich Kind war, musste ich jeden Tag Flöte üben.
Das hätte ich auch korrigiert. Hier geht es um eine ganz
konkrete Information. „Ein Kind sein“ kann man nur von 0 bis
13 Jahren. „Kind sein“ kann man immer.
„Ich war Kind“ heißt für mich „Ich war wie ein Kind“, oder „in
der Rolle eines Kindes“. Oder „in der Funktion eines Kindes“.
Dann heißt für dich der obengenannte Satz also nicht, dass die erwähnte Chinesin Flöte spielen musste, als sie noch klein war, sondern… was genau?
Vielleicht ist es wirklich was regionales. Denn ich habe da ein anderes Sprachempfinde. Ich sehe/höre keinen Unterschied.
Wenn ich lange in mich hineinhorche, empfinde ich auch nur einen strukturellen Unterschied, etwa wie in:
Als ich Kind war = „als ich den Status ‚Kind‘ innehatte“
Als ich ein Kind war = „als ich ein als ‚Kind‘ bezeichnetes Wesen war“
Demnach fühlt sich ersteres für mich ganz geringfügig wie ein Adjektiv an, vllt. ist das aber nur interferenz durch den gleichbedeutenden Satz „als ich klein war“…
Das kommt aber alles semantisch gesehen auf exakt das gleiche raus.
A) Wenn man aussagen möchte, dass es (früher/generell) zur
Rolle, zur Funktion eines Kindes gehört(e), zu gehorchen, zu
üben, auch wenn man es nicht möchte, dann ist es zweckvoll zum
Verständnis, den Artikel wegzulassen wie oben. Aber mit dieser
Betonung: „Als ich Kind war, musste ich jeden Tag Flöte üben.“
(Kind als Rolle/Funktion oder „Beruf“ wie Klempner oder
Professor, wie im Duden
.)
Ja… das kann ich da wie gesagt beim besten Willen nicht rauslesen oder -hören.
B) Wenn man aber rein biografisch erzählen möchte, „damals,
als ich ein Kind war, geschah dies und das“, gehört unbedingt
ein „ein“ dazwischen, wenn man vermeiden möchte, dass manche
Adressaten denken, „Ah, er spricht nun abstrakt über die
Funktion/Rolle des Kindseins an sich!“
Nein, das „unbedingt“ streite ab. Ich empfinde beide Sätze als passend, mit oder ohne Artikel, tendiere aber vom Gefühl in diesem oben genannten Satz für die Variante ohne… das wäre für mich die natürlichere Variante, ich würde sie aber niemandem aufdrücken wollen, der warum auch immer die Variante mit Artikel benutzen würde.
Also ich muss dir widersprechen, kann auch in den entsprechenden Dudenregeln so eine Interpretation nicht herauslesen.
Ganz dumm läuft es, wenn man A) und B) derart grob mischt:
„Als ich Kind war, marschierten die Russen ein. Es war in der
Nacht zum 21. August 1968. Ich hörte zuerst …“
Ja, hier würde ich vielleicht den Artikel verwenden. Aber dein Satz erscheint mir weder falsch noch besonders komisch. Das „Als ich Kind war“ hat leicht den Hauch von Habitualität, finde ich… eventuell beißt sich dein Beispiel, weil es klingt, als wären die Russen ständig eingewandert, als der Sprecher noch klein war, und nicht nur zufällig an einem Zeitpunkt in der Kindheit des Sprechers. Demnach passt bei dem Flötensatz die Variante ohne Artikel ja super, weil das Flötespielen ja eine habituelle Handlung ist.
Also irgendwie passt deine Auslegung nicht so ganz, in meinen Augen…
Gruß,