Alter Brauch-Bestattung in Weiß

Früher wurden verstorbene Kinder sowie Mädchen oder junge Frauen häufig in weißer Kleidung mit einem Kranz um die Stirn beerdigt.

Was war der eigentliche Grund für diesen Brauch und gibt es heute noch Gegenden in Deutschland, wo dies Tradition noch gepflegt wird?
Oder ist es gar nicht mehr üblich, abgesehen davon, daß auf Grund unseres hohen medizinischen und Hygiene-Standarts die Kindersterblichkeit glücklicherweise inzwischen sehr gering ist.

Verena

Hi Verena

Erinnerst du dich an christliche Brautkleider? Junge Mädchen heirateten in weiß, ältere Frauen in eierschale oder beige, und nur ganz selten und unüblich in weiß. Das gilt auch für Witwen, die kirchlich wieder heiraten durften (mWn) aber z.B. schon Kinder hatten.

Warum? Weiß ist die Farbe der Unschuld und sprich, der Jungfräulichkeit.
In der katholischen Tradition (für die evangelische kann ich nicht sprechen) wurde der Jungfräulichkeit ein besonderer Stellenwert zugemessen, und den jungfräulichen Sterben erst recht, denn dann hatte das Mädchen/ die junge Frau nie einem anderen Mann als Gott gehört (der ja als männlich verstanden wird, mehr oder weniger). Darauf basiert auch viel Volksglaube, der oft nicht mit kirchl. Vorsätzen oder Aussagen zu vereinen ist. Zum Beispiel, dass aus jung gestorbenen Kindern, die getauft wurden (!) Engel werden. (Daher auch die Bezeichnung „Engelsmacher“ für Leute die, zur damaligen Zeit oft auf dubiose Art und Weise, einen Abort herbeiführten.)

Das Weiß unterstreicht bei den Kindern und den jungen Frauen (Jungfrauen!) also die Unschuld und Reinheit mit der sie in den Himmel eingehen (sollen).

Der Kranz hat diverse Gründe, einmal wird er mit dem Dornenkranz Jesu verglichen, einmal geht er auf weibliche Heiligengestalten (Lucia, Barbara…) zurück oder auf noch ältere „heidnische“ Traditionen, je nach verwendeter Blumenart.

Es ist in gläubigen (wohl meist katholischen) Regionen Deutschlands auch immer noch Brauch, vor allem auf dem Land, wo die Tugendhaftigkeit noch eine Rolle spielt…

Wie kommst du auf die Idee, dass es keine Rolle mehr spielt?
Natürlich stirbt nicht mehr jedes 2. Kind, dass in einer Familie geboren wird (oft wird ja gar nicht erst ein 2. Kind geboren…) aber es sterben immer noch mehr als genug Kinder :frowning:

Aus der Gegend meiner Mutter (Büttgen) weiß ich, dass kleine Kinder in einem weißen Sarg beerdigt werden, der von jungen Mädchen oft im Alter von 9-12, weiß gekleidet, getragen wird.

lg
Kate

Hi Kate

danke für die ausführliche, sehr fundierte und hilfreiche Antwort.

>> Zum Beispiel, dass aus jung gestorbenen
Kindern, die getauft wurden (!) Engel werden.>>

Tatsächlich dachte ich beim Betrachten zeitgenössischer Fotos solch armer Kinder immer an Engel.

>>(Daher auch die
Bezeichnung „Engelsmacher“ für Leute die, zur damaligen Zeit
oft auf dubiose Art und Weise, einen Abort herbeiführten.)>>

Was sicher vielen armen Frauen, die solches über sich ergehen ließen
ebenfalls das Leben kostete ;(

>>Wie kommst du auf die Idee, dass es keine Rolle mehr spielt?
Natürlich stirbt nicht mehr jedes 2. Kind, dass in einer
Familie geboren wird (oft wird ja gar nicht erst ein 2. Kind
geboren…) aber es sterben immer noch mehr als genug Kinder >>

Ich bin im Internet mal auf eine Seite mit Fotos von Kinderbegräbnissen gestoßen.
Die waren alle älteren Datums, ein paar aus den 50ger/60ger jahren aber der größte Teil stammte aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Daher meine Annahme.

Es kann natürlich auch daran liegen, daß solche Fotos heute weniger üblich sind, dh. eher dieser Brauch eingeschlafen ist.

>>Aus der Gegend meiner Mutter (Büttgen) weiß ich, dass kleine
Kinder in einem weißen Sarg beerdigt werden, der von jungen
Mädchen oft im Alter von 9-12, weiß gekleidet, getragen wird.>>

Interessant, junge Mädchen als Sargträger ?
Ist es nicht eine ungeheure Last für die kleinen Mädchen, einen Sarg zum Grab tragen zu müssen, in dem jemand liegt mit dem sie vor ein paar Tagen vielleicht noch fröhlich und ausgelassen gespielt haben?

Ich nehme an, die betroffenen Kinder werden eingehend auf Ihre schwere Aufgabe vorbereitet

Müssen die Mädchen nur den Sarg tragen oder auch die Totenwache halten?

liebe Grüße
Verena

Hallo oftmals war das weisse Keleid auch einfach das Taufkleid, übrigens selbst bei Erwachsenen wurde dann quasi ein neues Taufkleid genommen (da das aus Kindertagen nicht mehr passte).

Mehr zur Behandlung von Frühverstorbenen Kindern (also vor während oder kurz nach der Geburt) gibts in eienem Ausstellungskatalog von einem Kollegen von mir Christoph Mörgeli Über dem Grabe geboren,

http://www.amazon.de/Grabe-geboren-Kindesn%C3%B6te-M…

Hat er übrigens geschrieben als seine Frau hochschwanger war… :wink:

Gruß Susanne

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Hi

Interessant, junge Mädchen als Sargträger ?
Ist es nicht eine ungeheure Last für die kleinen Mädchen,
einen Sarg zum Grab tragen zu müssen, in dem jemand liegt mit
dem sie vor ein paar Tagen vielleicht noch fröhlich und
ausgelassen gespielt haben?

Das waren oft ganz kleine Kinder, aber man kannte die Familie, war natürlich hart… ich glaub so bis 6 wurden die Kinder von Mädchen getragen. Und ja es ist eine tierische Last, meine Mutter leidet heute noch drunter. Sie hat auch eine Tulpen-phobie, weil das die Blumen waren, die man dort aufs Grab schmiss, und da Tulpen so eine komische Oberfläche haben, haben die auf dem Lack des Sarges gequietscht. Hast du evtl. schonmal gehört wenn man Frühlingszwiebeln wäscht ist das ähnlich. Den Ton kann sie gar nicht ab und Tulpen mag sie auch nicht weil sich das so eingeprägt hat.

Ich nehme an, die betroffenen Kinder werden eingehend auf Ihre
schwere Aufgabe vorbereitet

Ja, klar. „Komm her, du nimmst da jetzt den Sarg hoch.“ Wenn sie überhaupt was gesagt haben. War halt Dorf in den 50er Jahren, das wurde einfach erwartet. Von den Fällen die mir heute bekannt sind wurde den Mädchen aber auch nicht viel erzählt außer, „dass man das halt so macht.“ meist mit der Ausrede: In dem Alter verstehen die Kinder es doch eh nicht. Aber das ist ja grad das schlimme.
Es waren übrigens meistens 6 Mädchen die einen Sarg trugen, hab grad nochmal gefragt.

Müssen die Mädchen nur den Sarg tragen oder auch die
Totenwache halten?

Nein, die Totenwache mussten sie nicht halten.
lg
Kate

liebe Grüße
Verena

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>>und da Tulpen so eine komische Oberfläche haben,
haben die auf dem Lack des Sarges gequietscht. Hast du evtl.
schonmal gehört wenn man Frühlingszwiebeln wäscht ist das
ähnlich. Den Ton kann sie gar nicht ab und Tulpen mag sie auch
nicht weil sich das so eingeprägt hat.>>

Ja kenne ich gut, ich mag Tulpen deswegen auch absolut nicht.
Tulpen würde ich später auf meine eigenen Trauerfeier absolut nicht haben wollen.

Auf älteren Fotos sieht man allerdings oft, daß der Sarg oder auch das Innere mit Tulpen geschmückt sind.
Steht auch da ein Brauch oder eine Symbolik hinter oder ist es nur ein Zufall?

>>erzählt außer, „dass man das halt so macht.“ meist mit der
Ausrede: In dem Alter verstehen die Kinder es doch eh nicht.
Aber das ist ja grad das schlimme.>>

Vorstellbar, damals war man in allen Bereichen des Alltags sehr streng zu Kindern - vor allem auf dem Land. Sie hatten Respekt vor den Erwachsenen zu haben und mußten gehorchen. Dazu gehörte auch das wiederspruchslose Erledigen aller auferlegten Aufgaben ;-(

>>Es waren übrigens meistens 6 Mädchen die einen Sarg trugen,>>

Ja, in der Regel sind es auch 6 Personen, die einen Sarg von der Kapelle zum Grab tragen.
Haben die Mädchen eigentlich einheitliche Kleider, Kostüme o.a getragen, oder einfach nur weiße Kleidung, wie sie im jeweiligen Haushalt verfügbar war?

LG
Verena

Hi

Auf älteren Fotos sieht man allerdings oft, daß der Sarg oder
auch das Innere mit Tulpen geschmückt sind.
Steht auch da ein Brauch oder eine Symbolik hinter oder ist es
nur ein Zufall?

Das kann Zufall sein oder Symbolik, beides möglich. Zum einen starben die Kinder wohl einfach oft zu der Zeit, wo keine anderen Blumen verfügbar waren (naja Krokus ins Grab sieht komisch aus…). Ferner stehen Tulpen als Luxusgut natürlich auch für den Reichtum einer Familie, umso mehr Tulpen, desto mehr Kohle.
Und letztlich hat die Tulpe viele Menschen nicht nur Reich gemacht sondern auch in den Ruin getrieben. Darum steht sie im niederländischen und westdeutschen Bereich auch für Leichtsinn und Vergänglichkeit vor allem von weltlichem Reichtum, hat also einen sogenannten Vanitas-Komplex (der viele Symbole hat, lässt sich gut ergooglen).

Ja, in der Regel sind es auch 6 Personen, die einen Sarg von
der Kapelle zum Grab tragen.
Haben die Mädchen eigentlich einheitliche Kleider, Kostüme o.a
getragen, oder einfach nur weiße Kleidung, wie sie im
jeweiligen Haushalt verfügbar war?

Wieviele Kinder aus dem Zeitraum kannst du dir denn vorstellen, die in so jungem Alter eine komplett weiße Gaderobe im Schrank hatten?
Eigentlich keine.
Es waren für gewöhnlich die Kommuniunskleider der Mädchen (Kommunion findet für gewöhnlich ja so um die 8-9 statt). Die waren recht ähnlich aber hatten natürlich die für Kommunionskleider üblichen Unterschiede, diversen Haarschmuck etc. (Dementsprechend kathol. Brauch)

lg
Kate

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Früher wurden verstorbene Kinder sowie Mädchen oder junge
Frauen häufig in weißer Kleidung mit einem Kranz um die Stirn
beerdigt.

Hallo, Verena!
Ich kenn da nicht bei Knaben, sondern nur bei Mädchen und jungen Frauen.
Das ersetzt vielleicht das Hochzeitskleid, weil die Verstorbenen ja nicht bis zur Heirat kamen.
Hochzeit in Weiß ist aber nicht besonders alt. Früher heiratete man (zumindest in Altbayern, Böhmen und wohl auch Österreich) in Schwarz (evtl. mit weißem Schleier). Hochzeit in Weiß wurde erst üblich, nachdem die Queen Victoria im weißen Spitzenkleid geheiratet hatte.
(Hab ich mal so in einem Vortrag über die Vorbildwirkung des Hofes auf die Mode gehört.)
Schöne Grüße!
Hannes

Hallo Hannes
>>Ich kenn da nicht bei Knaben, sondern nur bei Mädchen und
jungen Frauen.>>

Was die Herrichtung eines verstorbenen Knaben betrifft, gab es sicher regionale und altersabhängige Unterschiede in der Pflege dieser Tradition.

Auf zeitgenössischen Fotografien handelt es sich bei den verstorbenen Knaben, die in Weiß und mit besagtem Haarkranz beerdigt wurden um verblichene Säuglinge und im Jungen im Kindesalter.
Ältere Knaben trugen Ihre Sonntagsanzüge oder ein schlichteres Totenhemd. Und um die Stirn keine Blumen, sondern einen einfachen Myrtenkranz.

Wo die Altersgrenze gelegen haben mag, ab der man die verstorbenen Kinder „geschlechtsspezifisch“ gekleidet hat weiß ich nicht.
Ich kann mir vorstellen, so ab dem 10.-11. Lebensjahr.

Vielleicht weiß Kate die Antwort, da sie sich mit dieser Tradition recht gut auskennt.

LG
Verena

Hallo Hannes

Ich kann mir vorstellen, so ab dem 10.-11. Lebensjahr.

Vielleicht weiß Kate die Antwort, da sie sich mit dieser
Tradition recht gut auskennt.

LG
Verena

Hi Verena/Hannes

das kommt in etwa hin ja. Das hat mit dem Übergang zu tun. Da es, vor allem, wenn auch nicht nur, eine ländliche Tradition ist (zumindest in „neuerer“ Zeit), muss man das auch bei den Jungen mit einbeziehen, die waren oftmals kräftiger als ihre Stadtgenossen, weil sie ja schon früh Mithelfen mussten. Nix Schulpflicht, wenns ans ernten ging wurde von den Eltern schonmal schwänzen diktiert… (wogegen sich die Lehrer mit „Nachsitzen“ wehrten, in diesen Nachsitzstunden bekamen die Bauernkinder dann das beigebracht, was sie verpasst hatten).

Der Punkt ist, mit 10/11 waren die Jungen oftmals schon im Stimmbruch, das heißt, vom unschuldigen Kind entwickelten sie sich langsam zum Erwachsen.
Die Kindheit ist heute ja verhältnismäßig lang, damals war das anders, man war schon sehr früh ein „kleiner Erwachsener“.
Darum erfolgt dort auch bei der Beerdigung der Bruch, von weiß bei unschuldigen Kindern zum Anzug bei in die -Gemeinde-eingeführten-jungen-„Männern“.
Die Myrrthe ist übrigens ein Zeichen der Reinheit, Keuschheit, Jungfräulichkeit und wird auch bei Hochzeiten (von den Mädchen) getragen, teilweise heute noch in gläubigen Gebieten.

Die Blumen haben, neben einem schönen Schmuck, auch eine Bedeutung, aber die variiert, da auch die verwendeten Blumen variieren. Wenn ich weiß welche es sind, kann ich dir eher was dazu sagen.
Oft wurden z.B. Kränzchen aus Vergissmeinicht gemacht, der Name ist Programm…
Auch Kleeblüten kamen zur Verwendung und Magarithen.

Bei Knaben mit vielen Schwestern, sprich auch Familien, die recht arm waren, kamen auch Gänseblümchen zurande die auch ein Zeichen von Unschuld sind.

lg
Kate