Altgriechisch und komische Kasus

Liebe Altgriechen,

in meinem Lehrbuch bin ich auf folgenden Satz gestoßen:

„Polítou estì mè hypekóou (hypékoon) eînai tyránnwn kaì despot^wn.“

Die Übersetzung dürfte sein: „Pflicht des Bürgers ist es, Tyrannen und Despoten nicht untertan zu sein.“

Warum aber steht „untertan sein“ im Genitiv bzw. in Klammern im Akkusativ? „Polítou“ und „hypekóou“ stehen in zwei verschiedenen Teilsätzen, d.h. Genitivkongruenz sollte es nicht geben, aber auch der Akkusativ in Klammer (als AcI?) macht nicht viel Sinn, weil der Nebensatz keine Objektfunktion hat, sondern ein Prädikativsatz ist. Wär also nicht eigentlich der Nominativ zu erwarten?

Liebe Grüße
abcdefg

Hallo,
falls es ein Zitat aus der altgriechischen Literatur ist, koennten Sie vielleicht den Urtext geben? Es scheint mir, das Zitat ist nicht vollstaendig. vor dem Politou muesste etwas wie „(chreos) enos“ stehen, aber auch „eînai“ passt nicht zum ganzen Satz.
mfg, qaz

Der Satz stand genau so und ohne weiteren Kontext im Buch (übrigens „Ars Graeca“, falls das weiterhilft). Aber schön zu sehen, dass ich nicht der einzige bin, dem der Satz suspekt vorkommt. Oder ist meine Übersetzung vielleicht falsch, dass ich deshalb verzweifelt versuche, irgendeine grammatische Struktur darin zu erkennen, die eigentlich gar nicht drinsteckt?

Würmer aus der Nase ziehen
Servus,

kannst Du bitte erklären, wie solche alternativen Formulierungen in Klammern in der „Ars Graeca“ verwendet werden? Soll hier ausgewählt werden, welche Alternative von mehreren die richtige ist? Sind zwei Alternativen genannt, die abhängig vom Kasus verschiedene Bedeutungen haben?

Was steht vor und nach dem Satz? Ist er Teil einer Übersetzung? Teil einer Erläuterung? Irgendwas anderes?

Schöne Grüße

MM

Nase ohne Würmer
Sei gegrüßt,

Wörter, die in dem Buch in Klammern stehen, dienen normalerweise als Hilfestellung, um den Sinn des Satzes besser verstehen zu können, oder um alternative Formulierungen zu demonstrieren, d.h. beide Möglichkeiten sollten korrekt sein und grundlegend dasselbe bedeuten. Es handelt sich dabei also um keine Auswahlübung, sondern um einen normalen Satz, der zu analysieren/übersetzen ist.

Wie ich bereits geschrieben hab, steht der Satz komplett ohne Kontext da; er taucht nur in einer Aneinanderreihung von durchnummerierten Sätzen auf, die nicht weiter zusammengehören à la:
Satz 1) Draußen ist es dunkel.
Satz 2) Sieh da, ein sprechendes Einhorn!
Satz 3) Der Atem meiner Katze riecht nach Katzenfutter.
Satz 4) [der fragliche Satz]

Auch gibt es weder weitere Erklärungen noch Übersetzungen dazu im Buch, denn das eigentliche Thema der Lektion soll wohl Dativus temporis sein und Figura etymologica. Doch leider keine Spur von Genitivus was-machst-du-hier-us und auch der Accusativus mystericus bleibt ein ungelöstes Rätsel der Menschheit.

Liebe Grüße

εἶναι mit Gen und Akk??
Servus,

sowohl die von Dir schon gemutmaßte Genus-Kongruenz passt (dann Genitiv), als auch der Beinahe-AcI (allgemeiner: Das im Akkusativ zu einem Infinitiv tretende Prädikativum) - dann Akkusativ.

Bestätigt ein offenbar seriöser Altphilologe in dieser Diskussion.

Der Satz steht offenbar nur zur Vertiefung von bereits früher Gelerntem in unerwartetem Zusammenhang da.

Schöne Grüße

MM

Danke für deine Antwort und den Link. So kommen wir der Sache schon einmal näher. Das mit dem Pseudo-AcI leuchtet mir ein, doch irgendwie steh ich bei der Kongruenz auf dem Schlauch. Wenn man den Satz auseinanderpflückt, hat man doch zwei Teilsätze:

Πολίτου έστί [μὴ ύπηκόου εί̃ναι …]
Pflicht des Bürgers ist es [nicht gehorsam zu sein …]

Dass gewisse Merkmale wie z.B. maskulin und Singular (teil)satzübergreifend wirken, ist logisch, aber mit dem Kasusmerkmal sieht es doch normalerweise anders aus, nämlich dass der Kasus immer ausschließlich von der syntaktischen Funktion innerhalb eines bestimmten Teilsatz abhängt. Das beste Beispiel dafür sind Relativpronomen:

„Der Mann [Nominativ], den [Akkusativ] die Frau schlägt, schielt.“
Das Relativpronomen bezieht sich eindeutig auf „der Mann“, doch hat trotzdem einen anderen Kasus.

Zurück zum eigentlichen Satz: ist die syntaktische Funktion von „Πολίτου“ nicht eine andere als die von „ύπηκόου“, nämlich einmal als Possession zu einem nicht genannten Nomen (= Genitiv) und zum anderen als Prädikativum (= Nominativ)?