Alzheimer aus der Sicht Betroffener

Hallo Experten,

das Fernsehen sendet z.Zt. einiges an Berichten und Dokumentationen über Alzheimerpatienten. Berichtet wird aber immer aus der Sicht betroffener Angehöriger und Pfleger. Natürlich ist es für die Angehörigen schockierend und bedrückend, wenn man ansehen muß, wie ein Verwandter sich nach und nach aus dem normalen Leben verabschiedet. Wie aber empfindet ein Betroffener das Fortschreiten der Erkrankung? Wenn ein Vater seine Kinder nicht mehr erkennt, ist es für diese eine fürchterliche Erfahrung - aber den dementen Vater dürfte es kaum bekümmern, denn sein Kind ist für ihn ja eine fremde Person, und wenn man die nicht kennt ist das doch kein Grund für Traurigkeit. In Pflegeheimen begenet man vielen Patienten, die um ihre Defizite wissen und eigentlich recht gut, manchmal sogar mit Humor, mit ihnen umgingen. Kann es daher sein, dass Demenzkranke das Abgleiten ins Vergessen nicht bemerken und als normalen Zustand empfinden, denn sie bekommen ja nicht mit dass sie sich z.B. heute mit jemanden verabredet haben und die Verabredung am nächsten Tag längst vergessen haben.

Dabke für Eure Mitteilungen!

Wolfgang D.

Ein Versuch
Moin, Wolfgang,

ein Demenzkranker merkt durchaus, dass er sich nicht mehr auskennt und dass er von - ihm - fremden Leuten plump angequatscht / angetatscht wird. Das macht Angst und löst, je nach Temperament, Zorn aus. Anfangs gelingt es ihm oft noch, solche Situationen zu überspielen, irgendwann kommt dann der Horror. Aber auch daran gewöhnt sich der Mensch, nur bis das geschafft ist, wird der Kranke fälschlicherweise als aggressiv angesehen.

Versuche, dem Erkrankten rational beizukommen, müssen fehlschlagen. Wer seine Verwandten vergessen hat, dem ist nicht damit geholfen, dass ihm jemand die Welt erklärt. Für ihn sieht das nämlich aus, als hielte man ihn für doof. Und so wachsen Zorn und Verzeiflung weiter.

Gruß Ralf

Hallo, Wolfgang,

vorweg: ich habe das Buch selbst nicht gelesen.

Aber vor etwa drei Jahren gab es einen Bericht in der ZEIT über und mit Christian Zimmermann, in dem er - von seiner Alzheimer Krankheit erfahren, aber noch weitgehend ohne Symptome - über seinen Umgang mit der Diagnose berichtet.

Ich fand diesen Artikel äußerst bemerkenswert und berührend.

Deine Frage hat mich dazu gebracht nachzuschauen und es gibt mittlerweile ein Buch von Christian Zimmermann.

Es heißt: „Auf dem Weg mit Alzheimer. Wie sich mit einer Demenz leben lässt“

und ist im Netz unter diesem Titel sofort zu finden.

Vielleicht etwas für dich?

Lieben Gruß aus Wien, Maresa

Hallo,

einerseits stimmt es natürlich, dass einen nichts betreffen kann, was man nicht weiß. Aber andererseits darf man auch nicht vergessen, dass man alles Bekannte und Vertraute verliert, und gleichzeitig dieses ehemals Bekannte und Vertraute aufgrund der von der anderen Seite kommenden Nähe, der Gegebenheit der Situation, … als sehr bedrohlich empfunden wird. Stell Dir vor, Da kommt ein vollkommen unbekannter Mensch auf Dich zu, behauptet, er wäre ein naher Angehöriger/Freund/Pfleger, und dringt in deine Privatsphäre ein, und Du hast niemand mehr, den Du fragen kannst, ob das ein Betrüger ist, oder wirklich der Sohn.

Dazu kommen Dinge wie der Verlust der Kontrolle über Tagesablauf, Dinge, und rein lebenspraktische Aspekte. Aus der nicht mehr aufzufindenden teuren Uhr und dem Besuch des „fremden“ Menschen, der sich als Angehöriger „ausgegeben hat“ wird natürlich konsequenterweise und ganz logisch sofort der Diebstahl. Und trotzdem ist niemand bereit, die Polizei zu rufen, nimmt den Betroffenen ernst, …

Wobei man nicht vergessen sollte, dass das Erkennen der ganzen Dramatik solcher Situationen üblicherweise bei noch nicht extremen Demenzformen schon eine längerfristige Beschäftigung mit den Betroffenen voraussetzt. Einen kurzen, höflichen Besuch eines tatsächlich Fremden können Erkrankte oft noch erstaunlich lange mit großem schauspielerischen Einsatz für eine halbe bis ganze Stunde so meistern, dass tatsächlich wenig von der Erkrankung und der inneren Belastung dieser Erkrankung zu spüren ist, wenn man nicht genau weiß, wie man, mit aller gebotenen Zurückhaltung, bestimmte Dinge herauskitzeln kann, um sich ein Bild von den tatsächlichen Verhältnissen zu schaffen.

Ebenfalls nicht vergessen sollte man die Phase, wo ein noch recht wenig Betroffener mit der Diagnose konfrontiert wird, und noch recht klar und umfassend die Dramatik der bevorstehenden Entwicklung überblicken kann. Das ist ein Schlag in die Magengrube ohne Gleichen. Dabei nicht zusätzlich auch noch gleich depressiv zu werden, ist kaum machbar.

Gruß vom Wiz

leicht ot
Guten Morgen,

nur bis das
geschafft ist, wird der Kranke fälschlicherweise als aggressiv
angesehen.

Interessant fand ich in einer der Dokus, dass dort berichtet wird, dass in dieser Einrichtung in Thailand (ganz generell will ich darüber keine Wertung abgeben), wo mit 3 Vollzeitpfleger PRO PATIENT (also 24 Stunden rundum Betreuung) so gut wie keine Aggressivität auftritt. Zumindest ein Denkanstoß.

MfG
GWS

1 Like

Hallo,

meine Oma hatte eine vaskuläre Demenz, und ich habe von ihr unglaublich viel gelernt. Sie hatte glücklicherweise die Gabe, sich sehr vertrauensvoll in Situationen hineinzufinden und eine sehr offene, gastfreundliche Art, die ihr erhalten blieb. Was mehr und mehr in den Hintergrund trat, war ihre früher durchaus auch energische Art.

Ich habe eine Zeitlang in ihrer Stadt gewohnt und sie regelmäßig im Altenheim besucht.
In unserer Familie hat niemand ein Drama daraus gemacht, dass sie uns nicht mehr erkannte, auch ihre Kinder nicht, und sie machte es uns leicht, weil sie uns erstaunt fragte: „Wer bist du denn?“ und sich dann freute.
Es war mit ihr ganz intensive Nähe möglich, sie hat es geliebt, in den Arm genommen zu werden und uns etwas Gutes zu tun (etwas anzubieten, uns zu drücken oder zu streicheln).

Mein Eindruck war: Sie wusste und merkte, dass sie vieles nicht mehr einordnen konnte, aber ich glaube, über weite Strecken fühlte sie sich gut aufgehoben und geborgen. Sie konnte schon immer auch über sich selbst lachen und eigene oder fremde Versehen mit Humor nehmen. Ihr Veranlagung war da Gold wert.

Schlimm war es vor allem in ihrer letzten Zeit. Da kamen ihr wieder die Kriegsängste ihrer Kindheit, und sie konnte sich selbst ja nicht davon distanzieren. Das finde ich sehr grausam.

Ich glaube, das Erleben einer Demenz kann sehr unterschiedlich sein, je nach Charakter und je nach Verlauf der Demenz, die ja den Charakter auch sehr verändern kann. Am schlimmsten stelle ich mir die Zeit vor, in der man noch so sehr selbst merkt, was man nicht mehr kann.

Und ich finde Deine Frage sehr wichtig, denn ich habe oft den Eindruck, dass das Erschrecken bei der Begegnung mit jemandem mit Demenz und der Ausruf „Wie ist das schlimm!“ vor allem das eigene Erschrecken ist. Und manchmal geht darüber der Blick darauf verloren, wie es dem Erkrankten selbst geht: Worunter leidet er? Wie ist seine Stimmung? Vielleicht fühlt er sich mit Situationen wohl, die uns unmöglich vorkommen, und leidet an Dingen, die wir für harmlos halten.

Ich will ganz sicher nicht die schlimmen Seiten dieser Krankheit wegreden - aber umgekehrt kann einem auch die Einstellung „Das ist so schlimm!“ den Blick verstellen dafür, wo es Dementen gut gehen kann. Ich würde mir, falls mir so eine Krankheit bevorsteht, jedenfalls einen kräftigen Schuss von den Gaben meiner Oma dafür wünschen.

Viele Grüße,

Jule

Moin, GWS,

das stößt mich in Richtung des letzten ungelösten Rätsels in der Altenpflege: Wer soll das bezahlen?

Gruß Ralf

3 Like

Von einer Nachbarin, die eine demenzkranke Mutter hatte, hörte ich, dass diese ziemlich verzweifelt war, weil ihr als vorher gute Köchin die einfachsten Rezepte wie für Pfannkuchen nicht mehr einfallen wollten. Ich denke, dass der Anfang einer Demenz für die Betroffenen am schlimmsten sein muß.

Hallo Wiz,
sehr gut geschrieben!
Großes Lob.
Fröschle

Hallo Wolfgang,
ich bin gleich mit 2 Demenzkranken verwandt.

Meine Schwiegermutter war über 14 Jahre demenzkrank. Am Anfang zu Hause war es sehr schwierig, weil sie sowieso einen herrischen Charakter hatte. Wir mussten dann erst lernen, mit der Krankheit umzugehen, dann wurde es besser. Beispiel: Anfangs haben wir mit Vorwürfen reagiert, später dann mit Ablenkung. In den letzten Jahren war sie im Pflegeheim und dort durfte sie einfach machen, was sie wollte. Sie schlief, wann sie wollte und nicht, wann es Zeit war. Oft lag sie tagsüber auf dem Sofa und nachts ging sie durch die Flure. Sie lebte in ihrer eigenen Welt und ich hatte oft den Eindruck, dass sie gut damit zurecht kam und oft auch glücklich war. Sie redete mit sich selbt in einer Sprache, die niemand verstand, betete und bekreuzigte sich und lachte. Schwierig war es nur am Anfang im Pflegeheim, als sie den Spott oder das schimpfen von Mitbewohnern noch bemerkte. Deshalb würde ich unbedingt eine Demenzabteilung vorziehen.

Ich habe eine kennengelernt mit einer Gruppe von 16 alten Menschen, die sich an den Händen hielten und überwiegend auf mich einen sehr glücklichen Eindruck machten. Sie lachten, unterhielten sich und die anderen. Die Schwestern und Helfer waren alle geschult und wussten mit ihnen umzugehen.

Meine Mutter hatte anfangs sehr große Angst, als sie Alzheimer bekam. Es war sehr schwierig. Dann wurde sie immer aggressiver. Sie kann schon lange nicht mehr sprechen, laufen oder selbst essen und äußert sich immer mit Lallen. Ich dachte, dass sie unglücklich ist, doch die Demenzfachkraft erklärte mir, dass dies nicht stimmt, sondern diese Äußerungen nur ein Ausdruck sind, sich auszudrücken. Vielleicht müssen auch Angehörige da einfach noch lernen.

Ich wünsch mir kein Alzheimer, aber ich wünsch mir auch nicht, bei klarem Verstand schlecht behandelt und versorgt zu werden. Es geht um ein würdiges Leben, wenn man sich selbst nicht mehr versorgen kann. Und nicht jeder hat Angehörige, die einen dann versorgen können oder wollen.

Fröschle

Natürlich hast du recht. Aber ich fand interessant, dass ich immer überall lese, dass Aggressivität etwas „durchaus Normales“ im Zusammenhang mit Demenz und Alzheimer sei und dass dies aber anscheinend doch kein natürliches Beiprodukt der verschiedenen Krankheiten ist. All dies sicher auch mit der Einschränkung, dass die Handvoll Leute dieses Projekt sicher nicht repräsentativ sind. Aber als Gedankenanstoß durchaus wertvoll.

MfG
GWS

1 Like

Hallo,

meine Oma wurde lange demenzkrank von meiner Mutter gepflegt, wir haben damals auch dort gewohnt, und ich habe meine Mutter manchmal unterstützt, indem ich putzen war oder meine Mama auch mal vertreten habe um Oma zu duschen, aufzupassen, etc.

Den Anfang hat sie selber gar nicht so mitbekommen, allerdings wurde sie mit zunehmender Demenz sehr, sehr ängstlich, hatte panische Angst vorm Fernseher weil sie das dort alles als ernst aufnahm, und noch mehr vor Fotos. Grade Männer machten ihr enorme Angst, und sie war jedesmal panisch, wenn sie sie nicht erkannte (wie zb meinen Onkel, der auf Montage war) und die dann aber trotzdem auf sie zugingen.

Sie war nicht glücklich, sondern zusehends ängstlich , panisch und aggressiv, was sich sich durch Antidepressiva dann etwas gab, schlussendlich haben wir sie dann in ein Pflegeheim auf eine Dementenstation gegeben, und mit zunehmender demenz wurde sie dann ruhiger und glücklicher. Weil die Angst weniger wurde, denke ich.

lg

Brenna