21.09.2001 16:55
SZ-Leitartikel
Amerikaner wie wir
Von Herbert Riehl-Heyse
(SZ vom 22.9.2001) - Als der Politiker Struck bei der ersten Solidarisierungsdebatte im Bundestag gesagt hatte, wir seien jetzt alle Amerikaner, ging es dem Satz, wie es zu erwarten gewesen war: Er wurde pathetisch tausendmal wiederholt und anschließend ebenso oft ironisiert.
Dabei ist viel Wahres daran, und das war es schon lange vor dem 11. September. Amerika ist – ganz objektiv festgestellt – die mit Abstand wichtigste Nation im Leben nun schon mehrerer deutscher Generationen: Es hat uns von den Nazis befreit, mit Eipulver beschenkt, mit Rosinenbombern und mit Michael Jackson: Müssten wir uns all die geliebten amerikanischen Bücher und Songs und Filmstars aus unserem Leben weg denken, dann bliebe ein Loch, so groß wie der grässliche Krater mitten in New York.
Auch weil Woody Allen, zum Beispiel, einer unserer Götter ist, kennen wir Manhattan besser, als ein gewöhnlicher Münchner Frankfurt oder Hamburg (oder ein Hamburger München) je kennen lernen wird. Auch das ist übrigens einer der Gründe, warum wir an jenem Dienstag so entsetzlich erschrocken sind. Die Flugzeuge sind auch in ein Stück unseres ureigenen Lebens gerast.
Es hat also handfeste Konsequenzen, wenn wir Deutschen (wir Westdeutschen, genau genommen) in diesem Sinn Amerikaner sind. Die erste Konsequenz ist, dass unser Mitgefühl, unser Erschrecken und unsere Angst aus objektiven wie subjektiven Gründen im Durchschnitt größer ist, als wenn wir in Lagos geboren wären oder in Bombay.
Eine andere Konsequenz aber ist, dass wir uns auch anders – sozusagen von innen her – einmischen können und müssen in die amerikanischen Angelegenheiten, die eben nicht nur amerikanische sind, sondern auch unsere.
Man geniert sich ja fast für manche Binsenweisheiten, aber weil sie ganz offenbar nicht selbstverständlich sind, muss man sie trotzdem aussprechen: Es ist also auch für den solidarischen Deutschen definitiv nicht nötig, sich jedes Mal umfangreich zu entschuldigen, bevor er sich den gigantischen Hass gegen Amerika mit jener Erste-Welt-Arroganz zu erklären versucht, die übrigens ebenso eine deutsche oder englische wie eine amerikanische ist.
Und es ist auch nicht unsolidarisch, öffentlich – selbst wenn uns das Otto Schily verbietet – über die Art des amerikanischen Gegenschlags nachzudenken, über die Frage, wie der aussehen müsste, damit er nicht mehr Unheil stiftet als er zu vergelten versucht. Wären solche Diskussionsbeiträge antiamerikanisch, dann hießen die schlimmsten Antiamerikaner Susan Sontag oder Chalmers Johnson – um nur zwei von hunderten amerikanischer Intellektueller zu nennen, die in den letzten Tagen ihren (und unseren) Politikern ein paar Wahrheiten gesagt haben, wegen vergangener oder möglicher künftiger Irrtümer.
Dürfen Amerikaner Dinge sagen, die Deutsche nicht sagen dürfen? Mit der Freiheit, die wir verteidigen wollen, hätte diese Ängstlichkeit wenig zu tun.
Kriegstreiber, Weichlinge
Binsenweisheiten, wie gesagt – sie müssen niedergeschrieben werden, weil zu den deprimierenden Erscheinungen der letzten Tage an vorderer Stelle auch die vielerorts niveaulose deutsche Debatte gehört. Es ist, als ob der Lack über jener Zivilisation, die so brutal von außen attackiert wurde, sehr schnell weg wäre, sobald es ernst wird.
Erwachsene Leute, die sonst mit kühlem Verstand über Steuerreformen und EU-Osterweiterung diskutieren, sortieren einander nun wieder unter Kriegstreibern oder Weichlingen ein, sobald ihnen ein Zungenschlag beim jeweils anderen nicht gefällt.
Schwerer haben es im Augenblick – weil die deutsche Politik fast nur mit einer offiziellen Stimme spricht – vermutlich die Weichlinge, die vor jeder kritischen Bemerkung über amerikanische Außenpolitik nachweisen müssen, dass sie auch wirklich schockiert waren über die Anschläge und dass sie nicht finden, die Opfer seien selbst schuld an ihrer Ermordung.
Im Gegenzug hat man es dann wieder an manch linkem Stammtisch schwer, wenn man auch nur versucht, den Präsidenten Bush für seine bisher gezeigte Zurückhaltung zu loben.
Neunjährige Zeugen
Differenzieren ist in schweren Zeiten nicht erlaubt – dafür haben jetzt die Verrückten an beiden Enden der Skala ihre großen Auftritte: Am einen Ende hält ein bedeutender Komponist das Gemetzel von New York für ein Kunstwerk; am anderen bekommt ein oberbayerischer SPD-Gemeinderat („Du Schwein bist für die Terroristen“) Drohanrufe, weil er in einem Leserbrief davor gewarnt hat, es könnten bei der Vergeltung unschuldige Opfer getroffen werden.
Die Panik kriecht in die Köpfe und richtet Verwüstungen an: In Sachsen hat man zwei Lehrerinnen vom Dienst suspendiert, weil sie sich, nach verlässlichen Zeugenaussagen ihrer neunjährigen Schüler, amerika-kritisch geäußert hätten. Im deutschen Fernsehen wiederum hat der Talkmaster B. hoch erregt gefragt, ob die Leute, die in dieser Situation dieses blöde, dumme, vernichtenswerte Amerika kritisierten, („was wäre denn die Alternative?“) es lieber mit den Terroristen hielten.
Da spielt die Analyse endgültig ins Irrationale wie sie das, am anderen Ende der Skala, beim amerikanischen Reverend Pat Robertson tut, der herausgefunden hat, der Terror in New York sei Gottes Rache an den „Heiden, Abtreibungsbefürwortern, Feministinnen, Schwulen und Lesben“ gewesen.
Was wir aus diesem letzten Diskussionsbeitrag lernen, ist unter anderem, dass es sie natürlich gar nicht gibt, die Amerikaner – so wenig es die Muslime oder die Deutschen gibt. New York ist ja gerade deshalb so faszinierend und bei Fundamentalisten aller Art so verhasst, weil dort alle Sorten von Menschen einigermaßen friedlich nebeneinander her leben. Aber um das zu wissen und zu goutieren, muss man Amerika kennen – und nicht nur Amerika.
Solidarität heißt das Schlüsselwort dieser Tage in Deutschland, und uneingeschränkt soll die sein, wie der Bundeskanzler sagt, der aus diplomatischen Gründen öffentlich wohl anders reden muss als mit seinen Beratern und denen von Bush, obwohl es schon unangenehm auffällt, wie stark auf der ganzen Welt gerade wieder die intellektuelle und die politische Rede auseinander fallen.
Freilich ist Solidarität erst einmal eine Leerformel – auch Saddam Hussein und Gaddafi könnten einander solidarisch beistehen in Not und Gefahr. Es kommt eben darauf an, welche Werte man solidarisch verteidigt und wie sich die in den Mitteln spiegeln, mit denen man grenzenlose Gerechtigkeit herstellen will – ein Motto, von dem man sich wünschen würde, dass es auch schon in Friedenszeiten für eine westliche Politik-Kampagne benutzt worden wäre.
Wenn zur aktuellen Herstellung dieser Gerechtigkeit, zur Bekämpfung der Mörder nach reiflichem Überlegen auch präzise eingesetzte Gewaltschläge vonnöten sind, dann werden wir Deutschen uns nicht hinter den Bäumen verstecken und den amerikanischen Soldaten solidarisch die Daumen drücken können.
Ansonsten gilt der Satz, den Immanuel Kant vor 200 Jahren solidarisch für George W. Bush formuliert hat:
„Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr böse Menschen macht, als er deren wegnimmt.“
Noch Fragen?
Lieber NICHT…es gibt doch nuur dumme Antworten, gelle ?!
Bye
Dizar