Anrede für Vater und Mutter,

Hallo,

Geschwister, Cousins/Cousinen und Verschwägerte, also Menschen der gleichen Generationsebene sprechen sich mit Vornamen an. Bei Vater und Mutter, Oma und Opa, Onkel und Tanten, die eine Generation „höher“ stehen, darf man das (jedenfalls üblicherweise) nicht, während es bei „niedriger“ stehenden Generationen, Kindern, Enkeln, Nichten und Neffen wieder der Fall ist.

In früheren Zeiten sprach man Menschen mit Titel an: Herr Doktor, Herr Pastor, Herr Richter, Herr Lehrer usw. Nur bei Handwerksberufen geschah da m. W. nicht. Übrig geblieben, als Relikt, ist nur der Doktor.

Aber auch die Eltern wurden mit Herr Vater und Frau Mutter angeredet, und außerdem gesiezt (bzw. „ge-ihrt“), während die Nachkommen selbstverständlich mit Namen angesprochen und geduzt wurden.

Sind diese Anreden nicht auch Relikte aus der Zeit der Titel-Anreden? Warum darf man Eltern usw. nicht mit Namen anreden?

Kennt jemand Länder, wo das anders als bei uns gehandhabt wird?

Grüße
Carsten

Hallo Carsten,

ich selbst bin Mitte der 50er Jahre geboren und kenne es nur so, dass man sich in der Familie und der eigenen Verwandtschaft mit dem Vornamen und mit ‚Du‘ anspricht. Auch in meinem engeren und weiteren Bekanntenkreis - der ein sehr großer ist - wird das so praktiziert.

Allerdings hatte ich eine Oma (1905 - 1989), die alle, außer ihren 5 Kindern, immer in der 3. Person angesprochen hat. Sie sagte zu meiner Mutter z.B.: Ihr seht hübsch aus. Euer Kleid steht Euch gut.

Dasselbe kenne ich aktuell noch von einer Familie einer über 70jährigen Dame, die vor ca. 15 Jahren aus Russland nach Deutschland kam. Ihre Schwiegertochter und die (erwachsenen) Kinder sprechen sie ebenfalls mit ‚Ihr‘, ‚Sie‘ und ‚Euer‘ an.

Ob es verkehrt ist, einen Richter vor Gericht mit ‚Herr Richter‘, einen behandelnden Arzt mit ‚Herr Doktor‘ anzusprechen, kann ich nicht sagen.

Einen Nachbarn, von dem ich weiß, dass er als Richter oder als Arzt arbeitet, spreche ich bloß mit Herr & Nachnamen an und wenn jener im engeren Sinne zur Familie gehört, nenne ich ihn ohne Weiteres beim Vornamen und duze ihn.

Bisher hatte ich noch keine Klagen über ungebührliches Verhalten - weder aus der Nachbarschaft, noch aus der Verwandtschaft.

Viele Grüße
Maralena

Moin,

Kennt jemand Länder, wo das anders als bei uns gehandhabt
wird?

in Frankreich ist es nicht sooo selten, daß sich Eheleute siezen, speziell in ‚gehobenen‘ Gesellschaftsschichten.

Gandalf

Servus,

ich glaube Deine Grundannahme ist falsch.

Ich habe - ab einem gewissen Alter - alle „höher stehenden“ wie Eltern, Großeltern mit Vornamen angesprochen und ich habe auch noch nie gehört, dass so etwas nicht zulässig sei.

Gruß,
Sax

Hallo,

Deine Antwort überrascht mich. Meine Frau und ich lassen uns von unseren Kindern und auch von allen anderen „Nachgeborenen“ mit Vornamen ansprechen.

Ich kenne aber keine einzige andere Person in unserem Bekannten- und Verwandtenkreis, die das so macht. Als mein Sohn im Kindergarten War, führte das einmal zu dem lustigen Ereignis, dass ein anderes Kind ihn fragte: „Du erzählst immer so viel von Deinem großen Bruder Carsten. Gibt es bei Dir zuhause keinen Papa?“

-)

Carsten

Guten Tag,

Kennt jemand Länder, wo das anders als bei uns gehandhabt
wird?

Es gibt etliche Länder bzw. Sprachen, in denen das anders gehandhabt wird. Besonders, wenn du Europa verlässt und dich in Afrika oder Asien umsiehst.

Ein Beispiel: Afrikaans, wie es in Südafrika gesprochen wird.
Man duzt alle (jy) außer wirkliche Respektspersonen (den Pfarrer, den Dekan der Uni, den Minister), die siezt man (u).

Jetzt wird es aber komplizierter.

Den „lieben“ Gott siezt man (den man ja im Deutschen duzt): Vater unser … geheiligt werde dein Name … etc.

Und bei Verwandtschaftsbeziehungen zu Menschen, die hierarchisch über uns stehen, also Vater, Mutter, Großeltern, Tanten und Onkel, die kann man gar nicht direkt anreden. Ich kann also nicht direkt meine Mutter fragen, ob sie morgen einkaufen geht, sondern muss sagen: „Geht Mama morgen einkaufen?“ (das sagt man zu ihr) oder halt auch: „Mag Onkel noch ein Glas Bier?“

Und nun kommt noch hinzu, dass man Menschen, die man einfach so trifft und von denen man annimmt, dass sie etwas älter sind als man selbst oder auch, dass sie hierarchisch höher stehen (z.B. man selbst ist ledig, der Angesprochene ist verheiratet), also solche Menschen redet man, auch wenn man sie noch nie zuvor getroffen hat, mit Onkel oder Tante (oom of tanie) an. Und dann gilt das Gleiche, wie oben beschrieben, die in-direkte Anrede.
Das kann man auch z.B. bei Menschen mit einer Funktion machen:„Kann der Doktor mir etwas gegen meine Kreuzschmerzen verschreiben?“ Das sagt man dem Arzt ins Geischt.
Außer der Angesprochene ist eindeutig höher stehend (Unidekan, Minister, usw.), dann benutzt man „u“, die Höflichkeitsform.

Und ich bin sicher, dass es genauso komplizierte Höflichkeitsformen in allen Sprachen und Kulturen gibt und dass sie sich von unseren unterscheiden.

MfG
GWS